Umweltsimulation mit Tabellenkalkulation |
Warum simulieren wir? Fragen nach Sinn und Zweck unserer Handlungen stellt man am besten dem Verhaltensforscher. Er meint: "Angetrieben von seiner Neugier setzt sich der Mensch von frühester Kindheit an aktiv mit seiner Umwelt auseinander; er sucht nach neuen Situationen, um daraus zu lernen. Er manipuliert die Gegenstände seiner Umwelt auf vielerlei Art, und seine Neugier endet erst, wenn ihm das Objekt oder die Situation vertraut wird oder wenn er die Aufgabe, die sich ihm stellte, gelöst hat" (Eibl-Eibesfeldt, 1984).
Für den Menschen geht es stets darum, das Verhalten der Systeme und Prozesse seiner Umwelt kennenzulernen, um ihre Reaktionen vorhersagen zu können. Das ist ganz natürliches Neugierverhalten. Er will in der Welt besser zurechtkommen. Außerdem will er Systeme bauen, die ihm das Leben erleichtern.
Das klassische Verfahren zur Informationsgewinnung ist das Experiment mit dem zu erforschenden System: Will ich wissen, ob das Hemd passt, ziehe ich es probeweise an.
Experimente mit dem realen Objekt sind nicht immer durchführbar: Versuchsobjekte können unzugänglich sein (zu groß und zu weit weg wie die Planeten - oder auch zu klein wie die Moleküle); die Dauer der Experimente übersteigt manchmal unsere Geduld oder gar unsere Lebensdauer (bei Evolutionsprozessen beispielsweise); manches (wie ein elektrischer Vorgang) geht einfach zu schnell; der Versuch kann zu gefährlich sein (wie das in der Chemie und in der Kerntechnik der Fall ist); mit dem Wetter oder einer Volkswirtschaft zu experimentieren, verbietet sich von selbst.
Einen Ausweg bietet das Experimentieren mit einem Modell. Und genau das nennen wir Simulation. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, aus welchem Material die Modelle sind. Sie können ...
... aus Pappe, Holz, Blech und manch anderem Material sein;
... auf dem Papier in Form von Zeichnungen und Berechnungen vorliegen;
... im Computer als Programm existieren;
... in unsrem Kopf vorhanden sein.
Wir werden Berechnungsexperimenten mit dem Computer machen. So etwas wird Digitale Simulation genannt.
Was genau will man mit einer Simulation erreichen?
Simulation kann nicht nur darin bestehen, ein Modell zu programmieren, den Computer mit ein paar Daten zu füttern, und sich über die schönen Bilder zu freuen, die der Computer daraufhin liefert.
Wer so naiv mit dem Computer umgeht, kann dabei nicht viel lernen. Eher wird er vom Computer auf's Glatteis geführt, wie jener Programmierer, der es offenbar nicht nötig hatte, die Ausgabe seines Programmes genauer zu studieren und dabei nicht bemerkte, dass es die Folge von Zweierpotenzen so ausgab: 2, 4, 7, 15, 32, 63, 127, 255, 511, 1024, 2048, 4095. (Das und viele weitere Beispiele für den fehlerhaften Umgang mit dem Computer sind in meinem Buch "Denkfallen und Programmierfehler" zu finden (Grams, 1990). Dort werden auch Fehlerursachen und Wege zur Fehlervermeidung aufgezeigt.)
Solche Beispiele machen uns klar, dass wir skeptisch sein müssen. Skepsis ist die rationale Einstellung gegenüber unseren Programmen und gegenüber dem Computer. Insbesondere bei der Simulation heißt es, immer wieder kritisch zu prüfen, ob die Theorie korrekt in ein Computerprogramm übertragen worden ist und ob die Theorie wirklich richtig und der Sache angemessen ist.
Die größte Vorsicht ist geboten. Vor allem sollten wir nie Experimente mit dem Computer durchführen, wenn wir von den Resultaten noch gar keine Ahnung haben. Unser Wahrnehmungsapparat, der ganz auf Sinnsuche in der Welt eingestellt ist, wird sonst nämlich auch in absurden Ergebnissen noch Zusammenhänge entdecken und irgend etwas Verwertbares finden. Wir verspielen so die Chance, den Unsinn zu bemerken.
Der Gestaltpsychologie verdanken wir viele Beispiele für Täuschungen, die auf der Sinnsuche des Wahrnehmungsapparats beruhen. Ein Prinzip dieser Sinnsuche ist die Prägnanztendenz: Der Wahrnehmungsapparat sucht stets nach Zusammenhängen größtmöglicher Einfachheit und Regularität, wie das folgende Bild zeigt.
Wahrnehmung eines Dreiecks, das nicht zu sehen ist
Die Gefahr, dass uns der Computer fehl leitet, lässt sich verringern. Grundsätzlich wird man die Experimente planen. Noch vor der Durchführung wird eine - vielleicht zunächst nur grobe - Erwartung hinsichtlich des Ergebnisses gebildet und festgehalten. Erst dann folgt der Versuch. Ein von der Erwartung abweichendes Simulationsergebnis sollte uns freuen, denn in genau diesem Fall können wir etwas hinzulernen.
Das gelingt uns aber nur, wenn wir die Abweichung genau untersuchen und ihrer Ursache nachgehen. Zunächst ist zu prüfen, ob die Abweichung auf einen Programmierfehler oder etwas Ähnliches zurückgeht. Ist das ausgeschlossen, kann es an unserem schlechten Verständnis des simulierten Gegenstands liegen. Eine Fehleranalyse zeigt uns, wo wir falsch liegen und wie wir zu besseren Prognosen kommen können.
Simulation zur Erkenntnisgewinnung
Da wir nicht Bestätigung suchen, sondern uns über entdeckte Fehler freuen, spricht man (mit Karl Raimund Popper) auch von der negativen Methode. Das ist die Methode der Wissenschaft.
Wir fragen uns, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass drei unabhängig und rein zufällig gewählte Punkte eines Kreises auf einem Halbkreis liegen. Also: Das Ereignis, dessen Wahrscheinlichkeit gesucht ist, tritt genau dann ein, wenn man, nachdem die drei Punkte auf dem Kreis zufällig plaziert worden sind, einen Halbkreis so positionieren kann, dass er sich über alle drei Punkte erstreckt. Bevor wir uns ein Simulationsmodell bauen, versuchen wir die Frage aus unseren Vorstellungen heraus rein intuitiv zu beantworten. Aus Befragungen weiß ich, dass oft Wahrscheinlichkeiten unter 50% angegeben werden. Eine Simulation zeigt, dass die gesuchte Wahrscheinlichkeit aber bei 75% liegt. Dieser Wert ergibt sich auch bei exakter Analyse. Wir können nun unsere Vorstellungen korrigieren und kommen dabei vielleicht auch der Ursache unserer Fehlschätzung nahe. Diese Erkenntnis verbessert unsere Fähigkeit der intuitiven Schätzung oder lässt uns das nächste Mal vielleicht vorsichtiger mit intuitiven Schätzungen sein.
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© Timm Grams, 6.7.1999