Umweltsimulation mit Tabellenkalkulation

Metapopulation – ein Modell für die Evolution altruistischen Verhaltens

Einführung

Hier wird die Frage aus der Lektion „Kooperation unter Egoisten: Axelrods Computerturnier“ erneut aufgegriffen: Wie kommt es zur Evolution von Rücksichtnahme, Fürsorglichkeit und gar aufopferndem Verhalten angesichts der Tatsache, dass alles Leben vom Egoismus der Gene bestimmt ist? Axelrods Computerturnier modelliert den Selektionsvorgang auf der Basis des Gefangenendilemmas, also mit Mitteln der Spieltheorie.

In dieser Lektion wird auf Anleihen aus der Spieltheorie verzichtet. Alles spielt sich im Rahmen der Populationsdynamik ab. Wir akzeptieren nun, dass Altruisten innerhalb einer Population einen Selektionsnachteil haben. Die Altruisten einer Population befinden sich tendenziell also auf dem Rückzug (Individualselektion). Andererseits verbessert ein hoher Anteil an Altruisten die Lebensfähigkeit einer Population (Gruppenselektion).

Diese zwei Auswirkungen des Altruismus werden im Modell von Levins nachgebildet (Wilson, 1975, 2000, S. 110).

Das Modell von Levins

Unter einer Metapopulation verstehen wir eine Population von Populationen. Das Bild oben veranschaulicht die Situation. Jede Population (Gruppe) besteht aus N Individuen und sie belegt genau ein Habitat. Unter den Individuen einer Population sind welche mit dem altruistischen Gen. Populationen mit genau x Altruisten wollen wir x-Populationen nennen. Mit  wird der Anteil der Habitate bezeichnet, die von den x-Populationen zum Zeitpunkt t belegt sind. Die Auslöschungsrate für Populationen hängt von der Zahl der Altruisten ab: E(x). Wir gehen hier von einer linear fallenden Funktion aus: Je mehr Altruisten eine Population hat, umso weniger ist sie von Auslöschung bedroht. Die nebenstehende Grafik zeigt eine solche Funktion für die Gruppengröße N = 10.

Gruppenselektion. Nehmen wir vorerst einmal an, dass allein die Auslöschung von Gruppen wirksam ist. Die Populationsdynamik – also die zeitliche Änderung der Populationsanteile – wird dann durch die Gleichung  beschrieben. Demnach verschwinden alle Populationen. Bei den „altruistischen Gesellschaften“ dauert das zwar etwas länger. Aber schließlich sind alle Populationen unterschiedslos weg. Die Metapopulation wird ausgelöscht, alle Habitate leeren sich.

Neubesiedlung. Wir wollen nun annehmen, dass ein leer werdendes Habitat grundsätzlich sofort wieder neu besetzt wird, und zwar von Einwanderern aus der Metapopulation. (Wir setzen voraus, dass der entsprechende Nachwuchs produziert wird.) Die einzelnen Populationen enthalten im Durchschnitt  Altruisten. Die Wahrscheinlichkeit, mit der man bei rein zufälliger Auswahl eines Individuums der Metapopulation auf einen Altruisten stößt, ist gleich . Die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Population bei rein zufälliger Auswahl der Einwanderer aus dem Pool der Metapopulation genau x Altruisten hat, ist dann gegeben durch die Binomialverteilung: .

Der Anteil der in einem Zeitschritt frei werdenden Habitate ist gleich der mittleren Auslöschungsrate . Da ein frei werdendes Habitat mit der Wahrscheinlichkeit  von einer x-Population belegt wird, erhöht sich der Anteil der x-Populationen aufgrund der Neubesiedlung um den Wert . Die Gleichung der Populationsdynamik wird bei Einbeziehung dieses Effekts zu .

Individualselektion. Neben dem Effekt der Auslöschung und der Neubesiedlung ist nun nur noch die Reduktion der Zahl der Altruisten in einer Population zu modellieren. Die Reduktionsrate  ist gleich der Wahrscheinlichkeit, mit der eine x-Population zu einer (x-1)-Population wird. Die Formel für  ergibt sich aus der hypergeometrischen Verteilung (Sachs, 1992): Die Wahrscheinlichkeit für eine unglückliche Paarung, für das zufällige Aufeinandertreffen eines Altruisten und eines ungebremsten Egoisten also, ist gegeben durch . Bezugsgröße ist dabei die Anzahl aller möglichen Paarungen. Diese Wahrscheinlichkeit und die Reduktionsrate setzen wir als zueinander proportional voraus. Mit dem Selektionskoeffizienten s wird die Reduktionsrate folgendermaßen festgelegt: . Die obige Grafik zeigt den Verlauf der Kurve für den Fall N = 10 und s = 0.1.

Die Reduktionsrate ist zur Auslöschungsrate zu addieren, denn sie sorgt genau so wie jene für eine Verringerung der Zahl der x-Populationen. Diese wegfallenden x-Populationen kommen dann den (x-1)-Populationen zu Gute. Aber auch die x-Populationen profitieren von diesem Effekt, nämlich durch Reduktion der Altruisten in (x+1)-Populationen. Die Populationsdynamik wird unter Einbeziehung aller drei Effekte (Gruppenselektion, Neubesiedlung und Individualselektion) durch die folgende Gleichung beschrieben:

 

Tabelle der verwendeten Formelzeichen

Anzahl der Mitglieder einer Population

Anzahl der Altruisten (oder Altruistengene) in einer Population

Mittlere Anzahl der Altruisten in den Populationen ( ist der prozentuale Anteil der Altruisten insgesamt)

Auslöschungsrate von Populationen mit genau x Altruisten

Mittlere Auslöschungsrate

Auslöschungsrate von Populationen ohne Altruisten

Auslöschungsrate von Populationen aus lauter Altruisten

Wahrscheinlichkeit, dass eine neu gegründete Population genau x Altruisten enthält (Binomialverteilung zur Wahrscheinlichkeit ).

Wahrscheinlichkeit, zum Zeitpunkt t auf eine Population mit genau x Altruisten zu treffen (relativer Anteil von x-Populationen an der Metaopulation). Die Zeitpunkte sind durchnummeriert: t = 0, 1, 2, 3, …

Selektionskoeffizient

Reduktionsrate der Altruisten innerhalb einer Population

Übung

Das Modell von Levins ist im Arbeitsblatt Metapopulation.xls realisiert. Die Populationsgröße ist fest (N = 10). Die folgenden Parameter sind voreingestellt: E(0) = 0.4, E(N) = 0.2 und s = 0.1. Neunundneunzig Prozent der Populationen sind anfangs rein egoistisch und nur ein Prozent der Populationen hat anfangs genau einen Altruisten.

Durch Experimente mit dem Arbeitsblatt soll festgestellt werden, bei welchen Parameterkonstellationen sich der Altruismus durchsetzt.

Faustregel für siegreichen Altruismus: Die Faustregel dient der groben Orientierung über die Bedingungen, unter denen sich der Altruismus durchsetzt. Sie basiert auf der Annahme, dass der Altruismus dann eine Chance hat, wenn die Summe aus Auslöschungs- und Reduktionsrate mit zunehmendem x fällt. Es wird also verlangt, dass 0 < E(x)-E(x+1) + M(x)-M(x+1). Daraus folgt die Bedingung . Der schlimmste Fall tritt für x = 0 ein. Die Bedingung ist jedenfalls erfüllt, wenn s < E(0)-E(N). Das ist bei den voreingestellten Parametern der Fall.

Wie man am voreingestellten Arbeitsblatt sehen kann, setzt sich der Altruismus trotz der ungünstigen Anfangsbedingungen durch. Erhöht man den Selektionskoeffizient s auf beispielsweise den Wert 0.2, kommt der Altruismus nicht mehr zum Zuge. Wählt man gleichmäßigere Anfangsverteilungen, stabilisiert sich der Altruismus auch bei höheren Selektionskoeffizienten.

Literaturhinweise

Sachs, L.: Angewandte Statistik. Springer, Heidelberg 1992

Wilson, E. O.: Sociobiology. The New Synthesis. Cambridge, Massachusetts1975, 2000. Das Standardwerk vom „Erfinder“ der Soziobiologie. Die hier präsentierte Synthese von Soziologie und Biologie behandelt unter anderem die Evolution von Altruismus oder ganz allgemein von Moral.

Wilson, E. O.: On Human Nature. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts 1978, 2004. Das Entstehen altruistischen Verhaltens wird im Rahmen der Soziobiologie durch Präadaption im Zusammenhang mit der Gruppenbildung behandelt. Grundannahme ist, dass die Welt von „egoistischen Genen“ beherrscht wird. Wilsons Begriff True Selfishness übersetzt man wohl am besten mit Weitwinkelegoismus. Weitere Stichwörter zum Thema sind Aggression und Religion.

Zurück zur Gliederung

 

© Timm Grams, 06.05.2006