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Statistiken im Alltag – Was ist dran an der Astrologie?
Anwendungen der Vierfeldertafel

Physik, Chemie, Biologie und Mathematik sind hartes Brot. Da lebt es sich mit einfachen Erklärungen doch wesentlich leichter. Und die werden in den Esoterik-Ecken der Buchhandlungen und auf den Unterhaltungsseiten der Zeitungen geboten: Astrologie, übernatürliche Fähigkeiten, Hellsehen, Wünschelrutengängerei, Feng Shui, und was es da noch so alles gibt.

 

Die Frage ist, ob man damit wirklich besser durchs Leben kommt. Oder ob es Irrwege sind – Aufwand ohne angemessenen Nutzen. Jedenfalls lohnt es sich, die eine oder andere Sache einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Es zahlt sich aus, wenn man die Spreu vom Weizen trennen kann. Und dazu braucht es manchmal eine Portion Mathematik. Mit etwas Hintergrundwissen kann man auch den allgegenwärtigen Überredungsversuchen, den Statistiken über Wahl- oder Kaufverhalten, den Berichten über die Macht der Sterne und vielem mehr gelassener gegenübertreten.

 

Jeder kennt Meldungen über mehr oder weniger wundersame Zusammenhänge: Bei Vollmond gibt es mehr Zwillingsgeburten als sonst. Italiener sind kinderfreundlicher als Deutsche. Besonders die Frauen bevorzugen Geländewagen. Ehen werden überdurchschnittlich oft zwischen Partnern desselben Sternbilds geschlossen. Solche Aussagen werden meist noch mit dem Hinweis auf Statistiken belegt. Und das naive Vertrauen in solche Zahlenwerke gibt einem dann den Rest: Man fällt auf die Sache herein.

 

Viele Beispiele für Denkfallen, auch solche statistischer Natur, sind auf der Internet-Seite DENKFALLEN UND PARADOXA und im Aufsatz „Denkfallen – Klug irren will gelernt sein“ zu finden. Das Entzaubern irreführender Statistiken wird dort an den Beispielen „Konsumforschung“, „Simpsons Paradoxon“, „Xenophobie“ und „Harvard-Medical-School-Studie“ vorgeführt. Oft steckt hinter den irreführenden Statistiken keine böse Absicht, aber manche sind auch in teuflischer Absicht erstellt. Jedenfalls tun wir gut daran, uns gegen Manipulationsversuche zu immunisieren.

 

Wir konzentrieren uns hier auf zwei Fragen: Wie groß ist ein in einer Meldung hochgejubelter Zusammenhang tatsächlich? Wird dieser Zusammenhang in der Statistik auch deutlich genug sichtbar?

 

Dabei gehen wir von folgender Grundsituation aus: Wir betrachten ein gewisses Merkmal, das entweder vorliegt oder nicht, beispielsweise die Zwillingsgeburt. Außerdem möge es zwei Statistiken geben, in denen das Merkmal erfasst ist. Diese Statistiken können aus verschiedenen Zeiträumen sein. Zum Beispiel die eine aus dem Jahr 2006 und die andere aus dem Jahr 2008.  Die Statistiken können aber auch nach einem weiteren Merkmal unterschieden sein wie Vollmond oder kein Vollmond.

 

Nehmen wir ein Beispiel aus der Aral-Studie „Trends beim Autokauf 2009“: 4% der Männer und 8% der Frauen würden als nächsten Wagen einen Ford kaufen. Befragt worden sind 301 Personen. Nehmen wir einmal an, dass es gleich viele Männer wie Frauen waren. Wir rechnen  mit 150 befragten Frauen und ebenfalls 150 befragten Männern. Daraus lässt sich zurück schließen auf die zu Grunde liegende Statistik, die wir als Vierfeldertafel mit den Randsummen darstellen:

Tabelle 1 Die Automarke Ford bei Frauen besonders beliebt?

 

Auto

 

Geschlecht

Ford

andere

Zeilensumme

Frau

12

138

150

Mann

6

144

150

Spaltensumme

18

282

300

Wir haben es mit dem Merkmal Ford (ja oder nein) zu tun und mit zwei Statistiken, einer für die Frauen und einer für die Männer. Natürlich kann man auch so tun, als sei es nur eine Statistik, aufgeschlüsselt nach zwei Merkmalen: Automarke und Geschlecht.

 

Die Frage ist, was die Statistik tatsächlich über die Größe und Deutlichkeit der erhöhten Vorliebe der Frauen für die Automarke Ford aussagt. Könnte es sein, dass sowohl Männer als auch Frauen mit jeweils derselben 6-prozentigen Wahrscheinlichkeit Ford bevorzugen und dass nur die Stichprobe rein zufällig die Werte 12 und 6 der Tabelle anstelle von jeweils 9 produziert hat?

 

Rinderwahnsinn und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit

Der Rinderwahnsinn breitete sich vorzugsweise in Großbritannien aus und wurde 1986 erstmals beschrieben. Vor allem beunruhigte damals die Möglichkeit einer Übertragung auf den Menschen. Die Sorge war, dass eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit entstanden sein könnte, die in erster Linie junge Menschen befällt. Eine Studie schien dies zu bestätigen: In Großbritannien waren 9 von 207 der erfassten Erkrankten jünger als 40 Jahre. Zum Vergleich wurden von einer Göttinger Arbeitsgruppe 81 sichere Fälle dieser Krankheit in Deutschland erfasst. Darunter fand sich eine Person unter 40 Jahren. (Beck-Bornholdt und Dubben: Der Hund, der Eier legt. Erkennen von Fehlinformation durch Querdenken. Hamburg 1997)

Tabelle 3 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in GB und Deutschland

 

Unter 40

Ab 40

Zeilensumme

Großbritannien

9

198

207

Deutschland

1

80

81

Spaltensumme

10

278

288

Wird der Verdacht durch die Tabelle bestätigt? Wenn ja, in welchem Maß? Oder kann mit gutem Grund Entwarnung gegeben werden?

 

Frauen an Kleinwagen immer weniger interessiert

Aral hat auf der Basis von 1163 Telefoninterviews (offenbar Männer und Frauen), darunter 301 Neuwagenkäufer, die „Trends beim Autokauf 2009“ ermittelt und festgestellt, „dass der Anteil der Frauen, die sich bevorzugt einen Kleinwagen zulegen wollen, von 23 Prozent auf 20 Prozent geschrumpft ist“. Wie ist diese Aussage zu interpretieren? Wie gehaltvoll ist sie?

 

Die Akte Astrologie

Gunter Sachs hat 1997 ein datenreiches Buch vorgelegt: Die Akte Astrologie. Seine Statistiken erfassen – anders als die der Aral-Studie – sehr viele Fälle, in der Regel mehrere hunderttausend. In den Tabellen des Buches findet man beispielsweise, dass Mann und Frau mit demselben Tierkreiszeichen überdurchschnittlich oft einander heiraten.

 

Nehmen wir als Beispiel die Widder-Menschen. Die folgende Tabelle zeigt: Von den insgesamt 358709 erfassten Paaren sind 33009 Männer und 32830 Frauen im Tierkreiszeichen Widder geboren. Würde die Paarbildung rein zufällig passieren, ergäben sich im Schnitt 33009*32830/358709 = 3021 reine Widder-Paare. Diese Zahl kommt so zu Stande: Der Anteil der Widder-Frauen unter den Frauen, die einen Widder-Mann heiraten, ist unter der Zufallsannahme etwa so groß, wie der Anteil der Widder-Frauen unter den Frauen insgesamt. Sei also x die Zahl der reinen Widder-Ehen, m die Zahl der Widder-Männer, f die Zahl der Widder-Frauen, und n die Zahl der Ehen und damit auch der Frauen insgesamt, dann gilt x/m = f/n. Also ist x = mf/n.

 

Die Statistik weist aus, dass es tatsächlich 3154 Widder-Paare sind, also 133 mehr als erwartet.

Tabelle 2 Wer heiratet wen?

 

Frau

 

Mann

Widder

andere

Zeilensumme

Widder

3154

29855

33009

andere

29676

296024

325700

Spaltensumme

32830

325879

358709

Die Tafel der Eheschließungen bezieht sich auf die Schweiz und die Jahre 1987-1994. Verblüffend ist, dass über die gesamte Tabelle gesehen zwischen den Tierkreiszeichen und den Eheschließungen ein Zusammenhang im Sinne der Astrologie erkennbar ist.

 

Muss der Astrologie-Skeptiker auf Grund dieser Zahlen sein Weltbild revidieren? Oder sind die Abweichungen noch mit der Zufallsannahme vereinbar?

 

Bei der Analyse sollte man mögliche Einflüsse bedenken, die nichts mit der direkten Einwirkung der Sterne zu tun haben. Interessant ist beispielsweise, dass 0,7% der Verheirateten bezeugen, dass das Sternzeichen bei der Wahl des Partners eine Rolle gespielt hat, und 3,9% geben zu, dass das „ein bisschen der Fall“ war.

 

 

Matrialien

Hoppla! Ein Weblogbuch über sonderbare Nachrichten und alltäglichen Statistikplunder

Statistiken im Verhör – ein Fragenkatalog

Signifikanztest mit der Vierfeldertafel

„Denkfallen – Klug irren will gelernt sein“

DENKFALLEN UND PARADOXA


Timm Grams, 26. Juli 2010 (letzte Änderung: 05.08.2011)