Wie lange wird die Welt wohl noch von Menschen bevölkert sein?
Wir können davon ausgehen, dass der heutige Tag rein zufällig aus der Gesamtzeitspanne der Existenz des Homo sapiens herausgegriffen ist. Deshalb wird dieser Tag mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht in den ersten 2,5 Prozent und auch nicht in den letzten 2,5 Prozent dieser Zeitspanne liegen. Da bislang etwa 200 000 Jahre davon verstrichen sind, wird mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Menschheit noch wenigstens 5 128 Jahre und höchstens 7 800 000 Jahre lang die Welt bevölkern.
Was ist von der "Theorie" zu halten? Abgesehen vom Unterhaltungswert - nichts! Zwar geht sie von vernünftig klingenden Annahmen aus; sie macht zulässigen Gebrauch von Mathematik, und sie liefert ein Zahlenergebnis - sogar mit seriös klingendem Vertrauensintervall. Aber sie ist unter keinen Umständen widerlegbar; ihr Vorhersagewert ist lächerlich; sie führt nicht zu irgendwelchen Konsequenzen, und sie befähigt niemanden, das Leben besser zu meistern. Ihre wesentlichen Schwächen lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Es fehlen die Erfahrungen mit vergleichbaren Sachverhalten.
In der Zuverlässigkeits- und Sicherheitsbewertung geht es um die Vorhersage des Verhaltens technischer Systeme - also um Prognoseverfahren. Dabei läuft man stets Gefahr, dass bei der Theoriebildung nicht mehr herauskommt als im eben geschilderten Fall.
Die klassische Zuverlässigkeitstheorie beschäftigt sich mit den Hardware-Ausfällen. Über Art und Häufigkeit solcher Ausfälle liegen Erfahrungen vor. Zuverlässigkeitsmodelle auf dieser Basis ermöglichen seriöse Vorhersagen.
Auf dem Gebiet der Zuverlässigkeit komplexer Systeme gibt es aber auch Theorien, die nicht besser sind als die oben geschilderte für das "Überleben der Menschheit". Zu den verfehlten Zuverlässigkeitstheorien rechne ich in meinen Aufsätzen aus den Jahren 1990 und 1993 die folgenden:
Wie lässt sich die Spreu vom Weizen trennen? Bei Prognoseverfahren und wissenschaftlichen Theorien holt man sich am besten Rat bei Karl Raimund Popper.
Wissen ist synthetisch insofern, als gewisse Annahmen eingehen, die nicht a priori gültig sind und die durch Erfahrung bestätigt sein müssen. Es ist analytisch in den Teilen, die allein auf logischen Schlussfolgerungen und Mathematik beruhen. Den synthetischen (empirischen) Gehalt von Prognoseverfahren misst man am besten an den Kriterien für wissenschaftliche Theorien. Dazu gehören nach K. R. Popper die folgenden.
Carnap, R.: Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften. Ullstein 1986 (1966)
Popper, K.: Logik der Forschung. Mohr, Tübingen 1982 (1934)
Zwei einflussreiche Kritiker Poppers:
Feyerabend, P.: Erkenntnis für freie Menschen. Suhrkamp 1980
Kuhn, T.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Suhrkamp1976 (1966)
Auf einem meiner Streifzüge durch das Internet bin ich auf eine Seite gestoßen, darauf wird gefragt "Was ist Simulation?" und geantwortet wird: "Nachbildung der Wirklichkeit im Rechner". Aber: Was ist wirklich?
Es ist vielleicht 1 Mio. Jahre her. Auf der Erde existierten mehrere Menschenarten nebeneinander. Nicht nur Neandertaler. Da tauchte eine neue Art auf - eine mit einer sonderbar hohen Stirn. Beim Springen, Laufen und Jagen war der große Kopf wohl eher hinderlich. Aber er bot auch Vorteile.
Das große Gehirn stattete diesen modernen Menschen oder Homo Sapiens - wie wir heute sagen - mit einer besonderen Fähigkeit aus (Dawkins, 1978, S. 71): Der neue Mensch konnte Vorstellungen von den Gegenständen entwickeln. Und er konnte sogar Sich-seiner-selbst-bewusst-sein. All die Dinge in seinem Kopf konnte er im vorgestellten Raum bewegen. Er konnte im Kopf dies und jenes ausprobieren und feststellen, was dabei für ihn herauskommen würde. Und das alles, bevor er zur Tat schritt. Kurz: Er konnte denken!
Diese Fähigkeit erwies sich als außerordentlich vorteilhaft. Diese neue Art von Menschen war dadurch so erfolgreich, dass sie alle ihre Konkurrenten verdrängte. Das ist wohl einer der Gründe dafür, dass wir Menschen, anders als die meisten anderen Lebewesen, keine nahen Verwandten mehr auf dieser Erde haben (TIME, 23.8.99).
Denken ist eine Art Simulation im Kopf: Unsere Vorstellungen von den Gegenständen sind die Modelle. Und das Probehandeln im vorgestellten Raum ist das Experiment.
Welche Rolle spielt nun der Computer in diesem Zusammenhang? Tatsächlich bringt er nichts wesentlich Neues. Er tut nur eins: Er erweitert unsere Fähigkeit der Simulation im Sinne von schneller, höher, weiter - sonst nichts.
Der Computer "kennt" nur die Modelle, die wir ihm eingeben. Wir selbst aber haben keinerlei direkten Zugang zur Wirklichkeit - wir wissen noch nicht einmal, ob es so etwas wie Wirklichkeit überhaupt gibt.
Das ist ein altes philosophisches Problem (Poundstone, 1988). Es ist auch Thema des Films MATRIX - wer ihn gesehen hat, weiß was ich meine.
Das ist der Grund dafür, dass wir vollkommen außerstande sind, dem Computer ein Bild der Wirklichkeit einzupflanzen. Die Definition "Simulation ist die Nachbildung der Wirklichkeit im Rechner" ist Nonsense. Besser charakterisiert man die Computersimulation als eine Art Erweiterung unserer Denkfähigkeit.
Dawkins, Richard: Das egoistische Gen. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1978
TIME, 23.8.99: How Man Began. Up from the Apes
Poundstone, William: Labyrinths of Reason. 1988
© Timm Grams, 1. Dezember 1999