Wenn der Hochschulpräsident „die neuen Studierenden willkommen heißt“, dann wendet er sich an Leute, die sich zwar für ein Studium eingeschrieben haben, die möglicherweise auch vorhaben zu studieren, aber es gerade eben nicht tun, die folglich zur Zeit der Ansprache gar keine Studierende sein können.
Das Gendern ist gar nicht so einfach, es ziert eigentlich nur Leute, die ein bereits hochentwickeltes Sprachgefühl besitzen. Ich jedenfalls fühle mich überfordert und nicht inkludiert.
Das macht nichts. Was mich aber wundert, ist die Fürsprache, die das Gendern in akademischen Kreisen und unter Nachrichtensprechern genießt. In meinem Alltag kommt es nicht vor. Auch meine dem Gendern zugeneigten Freunde sprechen eher unauffällig.
Mir stellt sich die Frage: Wie verbreitet ist das Gendern eigentlich? Was sagt die Statistik dazu? Und damit bin ich bei meinem Thema.
Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung werteten im Rahmen der Deutschland-Erhebung 2017/18 insgesamt 1439 Onlinefragebögen in Bezug auf die angebotenen Möglichkeiten zum Ausfüllen eines Satzes aus. Fast fünfzig Prozent Zustimmung findet dieser Satz: „Die neu gestalteten Gruppenräume in der Bibliothek bieten den Studierenden optimale Arbeitsbedingungen.“
Weit abgeschlagen sind Alternativen anstelle der „Studierenden“ wie Doppelnennungen, Gender* und dergleichen. Auch das generische Maskulinum hat in dieser Umfrage keine Chance.
Dieser Umfrage nach ist das Gendern also sehr beliebt und das Pro offenbar längst entschieden. Oder ist es vielleicht so, dass diese Umfrage genau diesen Eindruck erwecken will?
Bei den Gruppenräumen in der Bibliothek geht es ja tatsächlich um die Leute, die dort studieren wollen. Auch ich würde in diesem Fall von Studierenden sprechen – egal ob Studenten oder nicht. Demgegenüber ist die Formulierung des Hochschulpräsidenten – streng genommen – schlechtes Deutsch.
Die Umfrage ist ein schönes Beispiel für die Grenzen der Wissenschaft: Das Objekt der Beobachtung lässt sich vom Denkrahmen und den Wertvorstellungen des Beobachters nicht trennen. Objektivität im klassischen Sinn ist bei gesellschaftlichen Fragestellungen nicht erreichbar.
Für Michel Foucault ist das ein Kennzeichen der Moderne (Die Ordnung der Dinge, 1974, S. 439):
Die abendländische Kultur hat unter dem Namen des Menschen ein Wesen konstituiert, das durch ein und dasselbe Spiel von Gründen positives Gebiet des Wissens sein muß und nicht Gegenstand der Wissenschaft sein kann.
@ Timm Grams 20. Dezember 2024 um 16:52 Uhr (aus Angela Merkel Beitrag)
Ich habe diesen Beitrag fast übersehen. Zum „Statistik Thema“ wollte ich eigentlich nicht „meinen Senf“ dazugeben.
Zitat: „Das Gesprächsvideo und die angehängten Kommentare zeigen, in welchem Gedankensumpf jemand landet, der sich Gedanken über die Gedanken anderer macht und für den Fantasien zur Realität werden.“
Genau das, sich „Gedanken über die Gedanken anderer zu machen“ ist der alltägliche Job der Psychologen/Psychiater. Für die werden Fantasien nicht zur Realität, sondern zur Statistik, woraus oft zwangsläufig Schlüsse gezogen werden müssen.
Mir als Techniker, haben ehemals in einer 68er Studenten WG Psychologie Studenten erklärt, dass Psychologen aus „Gedankenmustern“, die werden aus provozierten sprachlichen Assoziationsketten der Patienten „gewonnen“, ihre Diagnosen ableiten.
Bedeutet: Bestimmte Assoziationsketten korrelieren z.B. mit einer 70% Suizid Wahrscheinlichkeit, oder sind typisch für Schizophrenie….
Mit weiteren Tests kann der Verdacht weiter eingegrenzt werden. Absolute Sicherheit gibt es nie. Natürlich können derartige Tests „unterlaufen“ werden.
Angeblich können sogar auch aus „Hardwaremustern“, gewonnen z.B. aus MRT Aufnahmen, oder aus typischen Mustern von „Gesichtszügen“ Erkenntnisse gewonnen werden?
Psychologie Studenten wollten ehemals eigentlich vor der „Mathematik“ flüchten, mussten aber bald einsehen, dass die Statistik die wichtigste Voraussetzung für eine seriöse Psychologie ist.
Bei mir ist die Denke im Konjunktiv fest verankert, weil ich mir praktisch in meinem ganzen Berufsleben auch kreative „Handlungsalternativen“ aus dem „Hirn saugen“, und aufbereiten musste. Waren die Kosten sehr „hoch“, mussten „Kommissionen aus Spezialisten“ letztlich die Entscheidung treffen….
@ Realo
Die Psychologen kommen dann in Schwierigkeiten, wenn sie sich Gedanken über die Gedanken und Gefühle anderer machen und nicht über deren Verhalten. Es ist gerade die Psychologie, die von einer Replikationskrise außerordentlich stark getroffen worden ist. Ich erinnere an die Hypothese, dass ein quer im Mund gehaltene Bleistift glücklich macht. Sogar der von mir hochgeschätzte Daniel Kahneman liegt da hin und wieder falsch. Wenn ich mich recht erinnere, sind es Paul Watzlawick und Kollegen, die diese Denkfalle bewusst meiden und Prozessen und Strukturen von Verhaltensabläufen Vorrang über deren Inhalt einräumen (Watzlawick, Wieland, Fisch: Lösungen, 1974).