In den sozialen Netzen kursieren Textbeiträge wie dieser, weitergeleitet mit dem zustimmenden Kommentar »ekelhaft«:
Markus Söder hat es also mal wieder geschafft, die Grenze zwischen Dummheit und Sexismus mit einem einzigen Satz einzureißen. „Ohne Auto, Maschinenbau und Chemie ist Deutschland eine Dame ohne Unterleib.“ Ja, richtig gelesen. Eine Dame. Ohne Unterleib.
Lieber Markus, was zum Teufel stimmt mit dir nicht? Seit wann ist dieses Land ein Frauenkörper, den du auf Unterleib reduzierst? Und was soll das überhaupt heißen – sind wir nur vollständig, wenn wir deine heiligen „Männerbranchen“ am Laufen halten? Ohne Blech und Giftstoffe keine Identität, ohne Motor kein Muttermund? Dein Bild ist nicht nur peinlich, es ist ekelhaft. Es zeigt, wie tief du im letzten Jahrhundert hängengeblieben bist: Frauen als Metaphern, die Wirtschaft als Penisverlängerung und das Ganze garniert mit einem dumpfen „Made in Germany“-Stolz.
Deutschland ist keine „Dame ohne Unterleib“. Deutschland ist ein Land mit Menschen, die mehr sind als deine Männlichkeitsphantasien von Auto, Maschine und Chemie. Wir sind Pflegekräfte, Erzieherinnen, Künstler, Forscherinnen, Bauern, Klimaaktivistinnen, Azubis, Menschen mit Visionen. Aber in deiner Söder-Welt zählt offenbar nur, was brummt, qualmt und stinkt. Alles andere ist für dich Beiwerk.
Weißt du, Markus, mit solchen Sätzen machst du klar: Du bist nicht der „Ministerpräsident aller“, du bist ein Karikatur-Onkel aus den 50ern, der denkt, das Land brauche keinen Unterleib, sondern einen Kofferraum. Dein Frauenbild ist so verdorben wie deine Vorstellung von Fortschritt. Und wer so redet, zeigt: Er hat aus der Zeit gefallen zu sein nicht als Schande, sondern als Programm verstanden.
Deutschland ohne Unterleib? Nein. Deutschland ohne Söder-Rhetorik wäre ein Fortschritt.
Für mich war bislang »Dame ohne Unterleib« eine zwar drastische aber nicht anrüchige Jahrmarkt-Metapher:
Die Formulierung „Dame ohne Unterleib“ hat ihre Wurzeln auf Jahrmärkten des 19. Jahrhunderts, wo mithilfe von Spiegeltricks der weibliche Unterkörper optisch verschwand.
Ich habe auch schon mal die durch großflächige Schaufenster verunstalteten Fachwerkhäuser unserer Innenstadt so bezeichnet. Ist die Reaktion »ekelhaft« auf diese Formulierung Ausdruck einer Cancel Culture oder ist auch diese Einstufung bereits übertrieben?
Eins hat Markus Söder jedenfalls erreicht: er ist in aller Munde. PT Barnum folgend ist es das, was in der PR wirklich zählt. Die Empörung über seinen Spruch hat Söder sicherlich einkalkuliert. Er wird seine Freude daran haben.
„Ist die Reaktion »ekelhaft« auf diese Formulierung Ausdruck einer Cancel Culture oder ist auch diese Einstufung bereits übertrieben„
Diese Einstufung ist nicht übertrieben, sie ist schlicht falsch. Im öffentlichen Raum ist es erlaubt sich über Äußerungen von Politikern zu empören. Wir haben sogar die Pflicht, Politiker die unsere Werte repräsentieren sollen und in der Öffentlichkeit stehen zurechtzuweisen.
Cancel Culture wäre ein Rede- und Auftrittsverbot für Söder. Soweit ich weiß gibt es das nicht .
Ja und wir sollten einem Teil der Bevölkerung, der bis heute Benachteiligungen in fast allen Bereichen der Gesellschaft erlebt hat und noch erlebt, erlauben sich über geschmacklose Metaphern zu empören.
Ansonsten wäre unsere Demokratie tatsächlich nichts wert.
Auf Wortklauberei lasse ich mich nicht ein. Um die Sache zu durchschauen, müssen wir auf eine Ebene höher gehen: Nicht was kommuniziert wird ist interessant, sondern das Warum.
Die gewagten Metaphern sind meines Erachtens gezielt gesetzt: Eigentlich harmlos, aber von Empfindsamen gern genommene Aufreger – Provokationen eben.
Die Empörung verschafft Leuten wie Trump und Söder genau das, was sie dringend brauchen: Aufmerksamkeit. Sie beherzigen eben die Lehrsätze der Propaganda und des Marketings.
Ich halte mich an die tiefe Weisheit der Giftmischer-Rumba: Die Hauptsache ist der Effekt, tschicke-tschicke-tschicke-tschick.
Wer immer den Kommentar auf Söders Unsinn geschrieben hat, hat dabei leider nichts Sinnvolleres produziert als Söder selbst. Er sie oder es hat nicht nur gezeigt, dass ihm die Bedeutung der „Dame ohne Unterleib“ genauso unbekannt ist, wie dem König Söder selbst, dieses Wesen meint auch tatsächlich, es gäbe eine Grenze zwischen Sexismus und Dummheit, als hätten diese beiden Ausprägungen des menschlichen Geistes irgendetwas miteinander zu tun.
Aber es gibt noch Hoffnung: Wer die „Dame ohne Unterleib“ anatomisch begreift, ist zwar unwissend oder ungebildet, aber nicht zwangsläufig dumm. Eventuell sind diese Wesen, das kommentierende wie der König, ja noch lernfähig.
Es gibt übrigens eine Methode, die Barnum’sche PR-Regel auszuhebeln: Wer etwas gegen Söder hat, sollte weniger versuchen, sich moralisch über ihn zu erheben, und stattdessen mehr über ihn lachen.