Kompetenzverlust

Die Künstliche Intelligenz sorgt für Aufreger: »Das Ende der Arbeit, wie wir sie kennen… Die KI kann eigenes Wissen erschaffen… Unternehmen wittern die Chance, sich schlanker aufzustellen… In zwei Jahren verschwand in den USA jeder vierte Programmiererjob… Der Chatbot, mein Angstgegner« (DER SPIEGEL 41|2025). Solche Meldungen kratzen an der Oberfläche. Das Buch
»Überwachungskapitalismus« von Shoshana Zuboff geht tiefer. Es macht auf furchterregende Gefahren des Internets aufmerksam.

Es gibt aber ein paar Aspekte, die bei ihr zu kurz kommen. Da ist einmal die Gefahr für jeden Einzelnen, nämlich der drohende individuelle Kompetenzverlust, von dem hier schon die Rede war (»Use it or lose it«), und zum anderen der kollektive Kompetenzverlust, der in der Diskussion heute meines Erachtens unterschätzt wird und der einer Revolution gleichkommt.

Machtkonzentration

Shoshana Zuboff hat uns aus der Sicht der Wirtschaftswissenschaften eindringlich klar gemacht, wie wir die Kontrolle über unser Leben verlieren. Mit dem Internet entstand ein weites Feld, auf dem sich inzwischen die meisten Menschen sehr gern tummeln. Den Schlüssel dafür haben aber nur sehr wenige in der Hand. Sie gehören heute zu den reichsten Männern der Erde. Die Ursache dieser Machtkonzentration liegt in der technischen Entwicklung.

Im World Wide Web gibt es zur Zeit etwa zwei Milliarden Web-Seiten. Und eines der Hauptprobleme ist, sich in diesem riesigen Informationsangebot zurechtzufinden. Da hilft die Suchmaschine Google, die eine Monopolstellung erlangt hat. Auf eine Suchanfrage hin listet sie die passenden Web-Seiten auf.

Je weiter oben eine Seite gelistet ist, umso eher wird sie vom Adressaten wahrgenommen. Der Web-Seiten-Anbieter ist also darauf erpicht, eine möglichst gute Bewertung durch die Suchmaschine zu bekommen.
Die Bewertungsverfahren sind sehr komplex. Die Suchmaschinenbetreiber tun gut daran, sie nicht im Detail bekannt zu geben. Denn eines der Hauptprobleme ist, dass Trickser versu­chen, die Eigenheiten der Berechnungsverfahren auszunutzen, um so eine möglichst hohe – wenngleich ungerechtfertigte – Bewertung zu bekommen.

Aber einige der grundlegenden Algorithmen sind bekannt. Einer davon ist der PageRank-Algorithmus, benannt nicht nach den Web-Seiten (Pages) sondern nach einem seiner Erfinder, Lawrence (Larry) Page. Zusammen mit Sergey Brin hat Lawrence Page die Firma Google gegründet. Das besondere am PageRank-Algorithmus ist, dass der Rang einer Seite umso höher ist, je mehr Links von anderen Seiten auf genau diese Seite verweisen und je höher der jeweilige Rang dieser Seiten ist.

Die Ermittlung des PageRanks läuft auf ein mathematisches Standardproblem hinaus. Es sind Milliarden von Gleichungen mit Milliarden von Unbekannten zu lösen.

Darin liegt die Ursache der Machtkonzentration:
1. Die Indexierung von Webseiten,
2. die Speicherung dieser Verzeichnisse für die Berechnung und
3. die Anwendung des Algorithmus,
das alles geschieht in riesigen Serverfarmen (Datenzentren).

Generative KI treibt diese Machtballung ins unermessliche. Diese Machtballung wirkt erst im Rückblick ungeheuerlich.

Gehen wir 50 Jahre zurück, in die Zeit des Kalten Kriegs. Die Ruhe wurde erkauft mit der Angst vor der Atombombe. Die Stromversorgung war auf Großkraftwerke konzentriert – und besonders auf Kernkraftwerke.

Die Verletzlichkeit dieser Strukturen war uns bewusst.
• Da war die Möglichkeiten eines technischen Versagens mit der Konsequenz eines Supergaus.
• Wir fürchteten auch einen Terrorangriff mittels Passagierflugzeug vom nahegelegenen Frankfurter Flughafen auf das KKW Biblis. 1987 erschien der Roman »Die Wolke« von Gudrun Pausewang.

Damals: Dezentralisierung

Eine der Losungen der damals aufkeimenden grünen Bewegung lautete Small is Beautiful. In der Automatisierungstechnik entstand der mächtige Gedanke der Dezentralisierung. Die Prozessrechner mit ihrer zentral ausgerichteten Struktur wurden durch kleine Computer ersetzt, die über die gesamte Anlage verteilt und über gemeinsam genutzte Datenverbindungen, Bussysteme genannt, miteinander kommunizieren können. Den Fortschrittsbegeisterten kam damals der Vergleich mit der Demokratie: Herrschaft von unten statt von oben. Das passte zu der allgemeinen Überzeugung, dass die dezentral organisierte Demokratie gut für die Effizienz und Resilienz des Ganzen sei.

Ich erinnere mich an einen Vorgang, an dem ich als Entwickler beteiligt war. Die Schweizer Firma der Energietechnik (Kraftwerke, Verteilnetze, Eisenbahnen, Schiffe) und ihr größerer deutscher Ableger entwickelten je für sich ein neues Kommunikationssystem für verteilte Automatisierungssysteme. Die Schweizer Kollegen gingen einen Schritt weiter als wir. Sie dezentralisierten sogar den Datenverkehr über die von den Prozessoren gemeinsam genutzten Datenleitungen und nannten ihr System Partnerbus und gar »demokratisch«. Er war die Alternative zum zentral organisierten PDV-Bus
PDV Bus.

Wirklich erfolgreich umgesetzt wurde das dezentrale Datenübertragungskonzept mit dem Ethernet, das noch heute ein Standard der Übertragungstechnik ist.

Heute: Zurück zur Zentralverwaltung

Wegen des Internets sind wir heute auf dem Rückmarsch in vordemokratische Zustände. Paradoxerweise verwirklichen die Gegner der Zentralverwaltungswirtschaft genau das: ein zentralistisches Regime. Wir, das Volk, geben unsere Souveränität ab und geben unser Schicksal in die Hände von Leuten, die als vorrangige Qualifikation mitbringen, dass sie den richtigen Riecher für gewinnbringende Geldanlagen haben. Dazu passt das Bild, das uns die USA zur Zeit bieten: die Demontage der Demokratie. Die Risiken der Zentralisierung sind nach wie vor existent.

Dieser Beitrag wurde unter Humanismus, Wirtschaft abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Kompetenzverlust

  1. Frank Wohlgemuth sagt:

    Die Ursache dieser Machtkonzentration liegt in der technischen Entwicklung.

    Das würde ich gerne etwas präzisieren:

    Die Ursache dieser Machtkonzentration liegt in den juristischen Randbedingungen der Geschichte der technischen Entwicklung, als da wären Urheber- und Patentrecht, Wettbewerbsrecht, Steuerrecht, Erbrecht usw.. Dieser gesamte Rechtsapparat ist weder etwas Natürliches noch so alternativlos und unveränderbar, wie uns die, die gerade davon profitieren, immer wieder weismachen wollen.

    Unser Problem ist weniger die Technik in ihrer Hard- und Software, unser Problem liegt vielmehr darin, dass unser Rechtssystem noch für eine Gesellschaft gemacht wurde, die sich aus heutiger Sicht noch am Übergang zwischen Tausch- und Geldhandel befand. Die Vermögen und damit die Macht, die etwa Bill Gates, Elon Musk oder Jeff Bezos innerhalb eines Arbeitslebens angesammelt haben, sind durch Leistung nicht zu erklären, sondern wesentlich durch die juristische Randbedingen und ein bisschen Zufall, also aus Versehen mit einem Produkt zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort der Erste gewesen zu sein. Das wird dann eventuell noch durch die Politik verstärkt, wenn die sich Vorteile von dieser Machtkonzentration verspricht. („Wir“ sorgen z.B. bei uns im Moment für eine beschleunigte Verstärkung der Kapitalkonzentrationen, indem wir die Steuern für Kapitalerträge zu einem relativ niedrigen Satz direkt von den Banken an den Fiskus zahlen lassen und diese Erträge damit als steuerlich abgegolten betrachten, so dass dadurch viele hohe und sehr hohe Einkommen erheblich geringer besteuert werden, als sie nach der Steuerprogression, die für die sonstige Einkommen gilt, versteuert werden müssten.)

    Wenn diese juristischen Randbedingungen andere gewesen wären, so dass die Starter dieser neueren Entwicklungen nicht so große Gewinne gemacht hätten, und die Patentrechte keine derartigen Monopole hätten begründen können, wäre zumindest die Machtsituation heute eine völlig andere. Die andere große Gefahr, die durch die technischen Möglichkeiten zunehmende Denkfaulheit mit dem einhergehenden Kompetenzverlust, wäre allerdings immer noch da. Aber da könnte der Staat versuchen, das Bildungssystem zu stärken, um dem entgegenzuwirken. (Stattdessen stellt er bei uns nur fest, dass wir auch da sparen müssen, da wir die Kapitalerträge unserer „Leistungsträger“ nicht entsprechend der sonst gültigen Progression versteuern „dürfen“. Auch unter Trump werden Gelder für die öffentlich Schulen gekürzt.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert