Aiwanger, Trump und die Demokratie

Die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schultasche Hubert Aiwangers von vor etwa 36 Jahren zeigt uns, wie verwundbar die Demokratie ist.

Die Affäre

Der Affäre wurde von Radio, Fernsehen und Presse ausgiebig dargestellt. Eine Wiederholung erübrigt sich. Was mich bewegt hat, ist die Frage, warum dieses Flugblatt erst jetzt, nach 36 Jahren, in der Politik eine Rolle spielt. Der Bayerische Rundfunk bringt ein wenig Licht in die Angelegenheit. Was bleibt, ist die Frage: Warum gerade jetzt? Noch wichtiger ist mir jedoch, was wir aus dem Umgang der Verantwortlichen mit den vorliegenden Fakten lernen können.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder stellte seinem Vizepräsidenten Hubert Aiwanger 25 Fragen. Diese Fragen und die Antworten hat die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht. Die Antworten Aiwangers enthalten kaum Neues und viele Erinnerungslücken. Auch spricht er öffentlich von einer Hexenjagd. Im Ergebnis stellt sich Markus Söder auf die Seite seines Stellvertreters und entscheidet sich für die Beibehaltung der Koalition.

Wie reagiert die Öffentlichkeit?

Die öffentliche Reaktion darauf ist für Söder wenig schmeichelhaft und für Aiwanger vernichtend. Ich greife eine Stimme aus meinem Bekanntenkreis heraus:

Aiwangers Antworten auf die 25 Fragen des bayerischen Ministerpräsidenten sind ein Witz. Denn da steht ja eigentlich nur: ich erinnere mich nicht, ich weiß es nicht, ich war es nicht. Zur Aufklärung dieser Flugblatt-Affäre trägt er nichts bei. Aber es reicht für Markus Söder[…] Und ich sehe nur ein Argument, nämlich dieses: ich bin an der Macht und will an der Macht bleiben, koste es, was es wolle.

Dem kann ich gut zustimmen. Aber – hoppla! –, dann kommen mir doch Zweifel. Vor allem Charlotte Knobloch hat mich ins Grübeln gebracht. ZEIT ONLINE berichtet: Charlotte Knobloch

hält an ihrer Kritik an Aiwanger fest – stellt sich aber hinter Markus Söder.

Knobloch bekräftigte, dass Söders Entscheidung politisch zu akzeptieren sei.

Sie äußerte die Befürchtung, dass Aiwanger die Situation im Falle einer Entlassung für sich ausgenutzt und damit Erfolg gehabt hätte. Dies wäre aus ihrer Sicht die größere Katastrophe gewesen.

Demokratie tendiert zur Selbstzerstörung

Demokratie heißt Volksherrschaft (John Locke). Aber das Volk ist manipulierbar (Gustave Le Bon). Werbung und Propaganda sind unverzichtbare Zugaben (Edward Bernays). Es entsteht ein verhängnisvoller Rückwirkungsprozess. Die Demokratie droht, sich selbst zu zerstören.

Das Rezept, dem die Aiwangers und Trumps dieser Welt folgen, ist einfach: Wähle eine emotional aufgeladene Geschichte in deinem Sinne. Stelle sie als Behauptung in den Raum und wiederhole sie unablässig. Das ist die Holzhammer-Methode, die vor allem von Werbeleuten immer wieder gern genommen wird (Beispiel: Pflaster für den Darm).

Sowohl Trump als auch Aiwanger erzählen die Geschichte einer Hexenjagd, deren Opfer sie seien. Belege dafür bleiben sie schuldig. Solche Erzählungen können die Demokratie zerstören, denn offenbar finden sie viele Anhänger unter den Bürgern, die mit dem Staat nicht zufrieden sind. Diese zerstörerische Gewalt wurde sichtbar bei der Erstürmung des Capitols am 6.1.2021 und bei der versuchten Stürmung des Bundestags am 29.8.2020.

Was folgt daraus?

Wir können schlecht den Machthabern ihr Machtstreben ankreiden, sollten aber dafür sorgen, dass die richtigen an die Macht kommen.

Söder ging es möglicherweise auch darum, einen Ausweg aus dem Schlamassel zu finden. Er hat wohl verstanden, dass Trumps Methode funktioniert: Hexenjagd-Erzählungen haben mit den Verschwörungstheorien gemeinsam, dass sie selbstimmunisierend sind: Vom Hexenjäger wie vom Verschwörer wird erwartet, dass er der Erzählung widerspricht. Widerstand, Widerspruch und gar Ausgrenzung sprechen für die Erzählung. Das könnte es sein, was Markus Söder vermeiden will. Und um Machterhalt geht es selbstverständlich auch. (Absatz korrigiert am 7.9.23)

Nachtrag: interessante Kommentare.

Deutschlandfunk

Merkur

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6 Antworten zu Aiwanger, Trump und die Demokratie

  1. Wenigerhubsi sagt:

    https://uebermedien.de/87627/die-sz-macht-vor-wie-man-nicht-ueber-einen-fall-wie-aiwanger-berichten-sollte/

    https://uebermedien.de/87760/brauchte-es-wirklich-das-hoecke-interview-damit-medien-der-afd-ableismus-auffaellt/

    Aiwanger spielt das übliche Spiel der „rechten“ er drängt sich in die Opferrolle, und am aller witzigsten, bei Scholz sagen viele: Der ist ein Verbrecher mit Cumex und der Warburgbank, aber bei Aiwanger da is klar es is nur einen Kampagne gegen den „armen Hubsi…“

    Da halt ichs ausnahmsweise mal mit Heubisch (obwohl ich die FDP nicht sehr schätze):

    „Weniger Hubsi, mehr Kompetenz“ –> Wahlplakat
    https://www.wolfgang-heubisch.de/

  2. Realo sagt:

    Zitat: “Wähle eine emotional aufgeladene Geschichte in deinem Sinne. Stelle sie als Behauptung in den Raum und wiederhole sie unablässig. Das ist die Holzhammer-Methode, die vor allem von Werbeleuten immer wieder gern genommen wird“

    Wenn man hinzufügt, dass oft auch noch „die andere Hälfte der Wahrheit“ einfach weggelassen wird, ist das genau das Muster nach dem auch die Medien „arbeiten“ um die Menschen nach belieben zu manipulieren.

    Dieses „Rezept“, haben die Aiwangers und Trumps einfach höchst erfolgreich „umgedreht“, sie schlagen damit recht erfolgreich auf die Medien ein.

    Mit diesen Methoden haben ehemals schon die Nazis die Menschen „kriegslüstern“ gemacht, so dass sie begeistert in den Krieg gezogen sind. Immer wieder fallen Menschen darauf herein.

    Das ist heutzutage vielen Menschen aufgefallen und sie machen sich selber immun dagegen. Natürlich „schießen“ auch die „Querdenker“ in ihrem blinden Eifer oft übers Ziel.

    Viele Medien in Amerika wollten es nicht akzeptieren, dass sich Trump, an den traditionellen Medien vorbei, mit „Twitter“ das Präsidentenamt „erschlichen“ hat.

    Bei Aiwanger fände ich es naheliegend, wenn sich ehemals sein „großer Bruder“, der im Gymnasium durchgefallen ist, mittels „Tabubruch“ seinen „Frust“ von der Seele geschrieben hat. Den Medien reicht ein Verdacht um Menschen zu besudeln. Ob einer als Jugendlicher vor über 30 Jahren, oder als Erwachsener vor wenigen Monaten gehandelt hat, ist ihnen völlig egal.

    „Tabubrüche“ sind nun einmal ein “Werkzeug“ der sonst „Wehrlosen“, damit können sie Aufsehen erregen. Die Folgen sind ihnen egal, notfalls gehen sie als „Märtyrer“ in den Knast und „erkaufen“ sich so das Wohlwollen der Massen.

    Das scheint auch der Frau Knobloch aufgefallen zu sein, zumal die Juden häufig für den „Tabubruch“ herhalten müssen.

  3. Boris Büche sagt:

    “ . . . Erstürmung des Capitols am 6.1.2021 und bei der versuchten Stürmung des Bundestags am 29.8.2020″

    Ich kann mir vorstellen, dass diese Wortwahl auch bei den „Stürmern“ der Parlamente Anklang finden wird – als Augenzeuge der vorangehenden Veranstaltung vor dem Bundestag muss ich es ablehnen, von „versuchter Stürmung“ zu sprechen.
    Die (separat beantragte, und (warum? durch wen?) genehmigte Kundgebung in der Bannmeile(!) war auch vom Rande her schnell als wirr und fanatisiert zu erkennen. Sie war zum Zeitpunkt meiner Anwesenheit (und der des Berliner Abgeordneten Luthe, der mit der Polizei eine Begehung durchführte) von starken Polizeikräften umgeben.

    Diese wurden zum Höhepunkt der Kundgebung abgezogen, und der Abzug fortgesetzt, obwohl von der Bühne herunter schnell Aufforderungen ergingen, die Absperrungen zu übertreten. Eine Erklärung, wer warum diese Entscheidungen gefällt hat, wurde von MdL Luthe offiziell eingefordert, aber nie geliefert. „Nicht mehr nachvollziehbar“, hieß es.
    Dazu, Seite 11 f: https://www.parlament-berlin.de/ados/18/InnSichO/protokoll/iso18-060-wp.pdf

    Ähnliche Szenen gab es auch am Kapitol (Öffnung von Absperrungen DURCH das Sicherheitspersonal, einladende Gesten zum Betreten des Gebäudes, begleitete Führung des Büffelhorntypen über die Korridore).

    Unter diesen Umständen von (versuchter) Erstürmung zu sprechen, wertet das Narrativ der „Stürmer“ durch unhinterfragte Übernahme auf. Die juristische Nachbereitung der Vorgänge am Reichtagsgebäude blieb demgemäß nahezu ergebnislos:
    https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/reichsbuerger-stuermen-reichstag-viel-ermittlungsaufwand-wenige-verurteilungen-landfriedensbruch/

    „Das ganze Ding wirkt nicht nur wie ein blödes (Staats)Theaterstück, sondern es dürfte auch leider ein weiteres in dieser Serie sein. Und viele fallen drauf rein bzw. die meisten machen gerne mit.“
    . . . sagen „VTler“ innerhalb der Polizei:
    https://www.kritische-polizisten.de/2020/08/verbot-des-demonstrationsverbots/

  4. Pablo sagt:

    Das Problem ist nicht Herr Aiwanger, sondern links/grüne-Medien, die Kleinigkeiten ausschlachten und Menschen manipulieren wollen, um politische Gegner auszuschalten. Natürlich ist auch ein weiteres Problem, dass Menschen in Deutschland plötzlich ihren Kopf ausschalten und leichtgläubig werden, sobald jemand des Antisemitismus oder des Nazismus beschuldigt wird.

    • NoJuri sagt:

      Aha? Das Problem ist eher die AFD, ich durfte am Wochenende einer Veranstaltung beiwohnen, dort ist ein Russe als AFD Kandidat angetreten.
      Juri Kofner, hat uns folgende Geschichte präsentiert, und zwar nicht virtuell, sondern bei einer realen Wahlkampfveranstaltung in einer bayerischen Gastwirtschaft.

      Aber zurück zu Juris Story….
      Er schilderte uns einen Weihnachtstag in 2025 fiktiv, wir würden alle schön zu hause sein mit Frau und Kindern und uns keine sorgen mehr machen, weil sie sofort wenn sie an der Macht wären die Öl und Gaspreise senken würden …
      Wie???
      Weil sie ja mit Putin neue Preise ausgehandelt hätten und Nordstream2 hätten sie auch sofort repariert….
      (ich hab ihn mir dann später geschnappt und hab ihm gesagt er soll seinem Chef ausrichten, wenn er für < 1 ct gas liefert kann er es machen, ich weiss genau, wenn ich ned da auch wieder ne falsche Zahl hab, das ist unter seinen Produktions- und Förderkosten 😋 )

      Wir alle, würden dann keine störenden System Medien und Lügenpresse mehr haben, sondern nur noch den "Grundfunk", und dann würden Sie, die Afdler die sind ja dann Kanzler und Minister und schwafele, zusammen mit Putin und Donald Trump uns eine Weihnachtsansprache halten und wir hätten uns dann alle wieder lieb und alles wäre schön und überhaupt keine Probleme mehr……

      und es gäbe kaum steuern und alles wäre billig und gar kein Problem, und wenn wir dann endlich auch noch aus der Nato und der EU rauswähren, dann wäre alles optimal….

      Das habe ich wirklich so mit eigenen Ohren von dem Depp gehört!

      Ist der jetzt Doppelagent oder Propagandist oder wie nennt man so eine hinterfotzige falsche Sau???
      War ne Rhetorische Frage…

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