GWUP: Am Ende des Wegs?

Die Skeptikerbewegung in Deutschland, namentlich die GWUP, befindet sich in einer Zerreißprobe, deren öffentlicher Widerhall unüberhörbar ist.

Bisher hat sich die Skeptikerbewegung in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem mit platten praktischen Dingen wie Homöopathie und Astrologie zur Schulung des kritischen Denkens und mit Verbraucheraufklärung befasst – weniger mit theoretischen Tiefenbohrungen.

Intern aber gab es eine Tiefenbohrung. Diese trat unter der Namen Ontologischer Naturalismus auf. Das führte nach 15 Jahren Mitgliedschaft und siebenjähriger Auseinandersetzung damit zu meinem Austritt aus der GWUP. Dieser Satz von Oscar Wilde fällt mir dazu ein: Those who go beneath the surface, do so at their peril. (Wer sich die Details antun will, der wird im Hoppla!-Blog unter dem Stichwort »Skeptikerbewegung« fündig.)

Der intern spürbare Fanatismus hat mich abgestoßen. Es ist kein Wunder, dass Fanatiker der einen Sorte die einer anderen anziehen. Wer den aktuellen Zwist verstehen will, der muss mehr als ein halbes Jahrhundert zurückgehen, in eine Zeit also, in der es die GWUP noch nicht gab.

Kritisches irgendwas

Gegenpole sind auf der einen Seite die Kritische Theorie, die ein Denksystem oder eine Gesellschaft von innen heraus analysiert und kritisiert und andererseits der Kritische Rationalismus, der versucht, einer vom Denken unabhängigen Realität mit Hilfe von Mathematik und Logik beizukommen. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Denkrichtungen in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ist als Positivismusstreit in die Annalen eingegangen. Exponenten und prägende Figuren in diesem Streit waren auf Seite der Kritischen Theorie Theodor W. Adorno und auf Seite des Kritischen Rationalismus Karl R. Popper.

Kurz gesagt: Für den einen ist der Denkrahmen vorgegeben durch den zu untersuchenden Bereich und für den anderen ist er unabhängig davon. Das sind die jeweiligen Prämissen.

Als Beleg für diese Differenzierung zitiere ich aus Adornos Einleitung zu Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (1969, 1989, S. 10):

Zu fragen wäre, ob eine bündige Disjunktion gilt zwischen der Erkenntnis und dem realen Lebensprozeß; ob nicht vielmehr die Erkenntnis zu jenem vermittelt sei, ja ob nicht ihre eigene Autonomie, durch welche sie gegenüber ihrer Genese sich produktiv verselbstständigt und objektiviert hat, ihrerseits aus ihrer gesellschaftlichen Funktion sich herleite; ob sie nicht einen Immanenzusammenhang bildet und gleichwohl ihrer Konstitution als solcher nach in einem sie umgreifenden Feld angesiedelt ist, das auch in ihr immanentes Gefüge hineinwirkt.

Gewitterwolken ziehen auf

Aufmerksam geworden bin ich auf den sich entwickelnden Konflikt durch einen Aufsatz von Martin Mahner im skeptiker, dem Vereinsblatt der GWUP, erschienen auch als Gastbeitrag im GWUP-Blog.

Dass der Aufsatz einen GWUP-internen Krach anzeigte, dessen wurde ich erst später über Internet-Medien gewahr, nämlich als bei der Neuwahl des Vorstands auf der letzten Mitgliederversammlung am 20. Mai 2023 nicht der vom scheidenden Vorsitzenden Amardeo Sarma vorgeschlagene Rouven Schäfer gewählt wurde, sondern Holm Hümmler. Von einem Handstreich ist die Rede.

Die beiden werden offenbar verschiedenen Fraktionen zugeordnet:

  • Schäfer der „alten GWUP“ (kritisch rational bis szientistisch, universell orientiert und Objektivität beanspruchend, anti-woke).
  • Hümmler der „neuen GWUP“ (der Critical Theory zugeneigt, partikularistisch und relativistisch, pro-woke).

Diese Sortierung ist in einer Reihe von Videos und Podcasts klar gemacht worden:

Austritte

Es häufen sich die Austritte, darunter Prominente wie Edzard Ernst (2.2.2024) und Florian Aigner (April 2024).

Ergänzung am 11.4.2024: Wie unversöhnliche es inzwischen zugeht, das zeigt ein offener Brief von Ulrich Berger, in dem er den Austritt Aigners kommentiert.

Rücktrittsforderung und Rücktritt

Offenbar können sich einige Leute, deren Herzensangelegenheit die GWUP ist, das nicht länger mit ansehen. Ulrich Berger, dem wir im Hoppla!-Blog schon begegnet sind, kündigte im Gespräch mit André Sebastiani an, Holm Hümmler auf der Mitgliederversammlung am 11. Mai 2024 zum Rücktritt aufzufordern. Dem kam Holm Hümmler zuvor, was Andreas Edmüller ziemlich gnadenlos kommentierte.

Schlussbemerkung

Die Skeptikerbewegung hatte nie etwas mit Skeptizismus zu tun. Skeptikerbewegung ist ein Widerspruch in sich. Der Skeptiker ist kein Rudeltier. Die Kontroverse pro und kontra woke ergibt sich auch aus diesem Selbstwiderspruch. Dennoch: Sollte der Verein untergehen, täte es mir leid. Ich habe durch die Auseinandersetzungen viel gelernt.

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10 Antworten zu GWUP: Am Ende des Wegs?

  1. Realo sagt:

    Ihre Sichtweise ist der von Psychologen ähnlich, jedoch auf „Motivationen“ gehen sie weniger ein.

    Es geht auch um Gruppen dynamische Prozesse. Mitglieder suchen, eigentlich instinktiv, nach so etwas wie „Geborgenheit“ in einer Gruppe mit gleichen Sichtweisen und Interessen. Die Mechanismen die das bewirken sollen, sind für die verschiedensten Gruppen sehr ähnlich.

    Zumindest derzeit ist der wegen der Unzulänglichkeit der Menschen begrenzte „Denkrahmen“ vorgegeben, die Probleme erahnen die Anhänger der Kritischen Theorie Adornos, der eher psychologische Aspekte berücksichtigen möchte, die real existieren. Es ist ein Problem der korrekten Abbildung der Realität, so ähnlich wie bei Messproblemen.

    Der Kritische Rationalismus Poppers möchte vermutlich die „mangelhaften Denkprozesse“ und die Psychologie „ausblenden“, was naheliegend scheint, aber selbst die exakte Physik kann originell  „ausgetrickst“ werden.

    [Moderator: gekürzt]

  2. Mussi sagt:

    Ich frage mich immer,warum man für und gegen nicht als eins sehen kann?
    Stichwort: Seiten der Medaille.
    Man sieht die Medaille nicht.

  3. Mussi sagt:

    Die Medaille ist übrigens das Selbst.

  4. Timm Grams sagt:

    Es sind gerade die dogmatischen Parteigänger, die besonders lautstark einen offenen und zivilen Diskurs anmahnen. Links blinken und rechts abbiegen. Da sollte man sich nichts vormachen lassen. Dieses schöne Beispiel flattert mir gerade auf den Tisch.

    Johannes C. Zeller, 25.04.24: Eine skeptische Spaltung mit globalen Auswirkungen?

    In die Mitgliederversammlung am 11. Mai 2024 – ist ja nicht mehr lange hin – setzen Mitglieder der GWUP die Hoffnung, dass es zu einer Verständigung zwischen den Parteien kommen wird. Soweit ich die Kultur dieses Vereins und die Akteure kenne, muss ich Edgar Wunder leider recht geben: Dieser Verein ist nicht reformierbar.

    • Rainer Gebauer sagt:

      Spätestens wenn es in Welterklärungssystemen dazu kommt, dass sich Neudeuter, Sekten und ähnliche Phänomene ins System so weit einschleichen, dass es zu eigenständigen Abspaltungen kommt, laufen auch die trockensten Wissenschaftlergruppen Gefahr, zur religiösen Eiferern zu verkommen. Welt- und Religionsgeschichte liefern genügend Beispiele. Am meisten befremdet dabei, dass es die Beteiligten in der Regel selbst nicht mehr mitkriegen. Auch der weise Augustinus hielt sich ja für einen Philosophen und wurde von den meisten Theologiehistorikern auch als solcher apostrophiert.

      (Ich bestreite nicht, dass auch Theologen kluge Menschen sein können und viele kluge Dinge gesagt haben, aber dass die Theologie heute noch vielfach als Regelstudium in nichtkonfessionellen Hochschulen erscheint, ist ein deutscher Skandalfall der besonderen Art.)

  5. Realo sagt:

    @ Rainer Gebauer 27. April 2024 um 23:43 Uhr

    Früher wurde von den Menschen erwartet, dass sie eine „Welterklärung“ von der jeweiligen Religion bekamen. Die Katholiken haben nach dem „Desaster mit der Weltscheibentheorie“ die Angelegenheiten betreffend die „Welterklärung“ an die „Wissenschaft“ ausgelagert, jetzt haben die die Probleme.

    Ganz so wie es Ihnen aufgefallen ist.

    Was ich aber anmerken möchte ist, dass nicht nur völlig rationale Aspekte, Religionen sind rationaler als man so denkt, eine Rolle spielen, sondern auch verborgene psychologische Mechanismen. Das ganze Spektrum aus Erfahrungen, von Liebe bis Hass, Intelligenz bis Dummheit und auch psychische Erkrankungen nehmen Einfluss, wie auch auf das ganze Leben….

    Die Sache mit dem „Skandalfall der besonderen Art“ kann ich nicht nachvollziehen. Wir bekamen ehemals in einer HTL Religionsunterricht, ganz einfach aus dem Grund, weil sehr viele von uns, auf der ganzen Welt auf Baustellen von Industrieanlagen, zur Inbetriebnahme, oder deren Wartung arbeiten mussten.

    Da war es angebracht, besonders auch was die Religion betraf, vorsichtig und verständnisvoll bei seinen Äußerungen zu sein, weil es einem den Kopf hätte kosten können, zumindest aber auch der Firma Aufträge.

    Religionen bemühen sich, mit gemeinsamen verbindlichen Regeln Ordnung zu schaffen, Chaos zu verhindern und Antworten auf Fragen zu geben…. Nehmen aber auch auf örtliche Gegebenheiten Rücksicht. Z.B. auf die Hitze in Saudi Arabien und sie fördern dort eine wirksame Wasserökonomie, weil Verschwendung viele Leben kosten würde….

    Oder die Hindus, mit ihren für uns eigenartigen Kult der „heiligen Kühe“. Die sind wichtige Eiweiß Spender und gleichzeitig „Düngemaschinen“. Die „vernetzte Tierwelt“ war ihnen schon immer aus ökologischen Gründen wichtig. Für kleine Fehler mussten sie mit Hungersnöten bezahlen….

    Es gibt nun einmal extrem viele Mechanismen, Gesetzmäßigkeiten, Prozesse die die Existenz und allenfalls auch das Ende der Welt bewirken könnten und die man gerne näher verstehen möchte….

    • Frank Wohlgemuth sagt:

      @ Realo
      Ich sehe mal davon ab, dass das, was Sie als Aufgaben der Religionen beschreiben, mehr Verteidigungspositionen der Kirchen in der Konkurrenz zur Aufklärung und zum möglich gewordenen Atheismus sind.
      Welche Ziele von Religionen bzw. ihrer Priesterschaft ohne diese Konkurrenz verfolgt werden, ist bei uns historisch vor der Aufklärung sehr leicht zu sehen, in Indien und den arabischen Ländern auch heute noch. Es geht um die Erhaltung der eigenen Deutungshoheit / Kultur und die Ausgrenzung der anderen mit allen Methoden, die zur Verfügung stehen. Dass jede Kultur / Religion im Innenverhältnis die goldene Regel und viele Ableitungen davon kennt, ist eine Binsenweisheit. Sonst wäre der Selbsterhalt auch nicht möglich. Da helfen auch historisch rationale Erklärungen einiger besonderer Regeln wie das indische Rinderschlachtverbot

      Zum Erhalt unserer Kultur haben wir heute ein Schulwesen geschaffen, das in der Lage ist, Religionen und die dazugehörigen Kirchen vollständig zu ersetzen.

      Genau das ist der Hintergrund, vor dem die staatliche Organisation der Priesterlehre durch einen laizistischen Staat als Skandalfall betrachten kann. Verständlicher könnte man diesen Skandal nur dadurch machen, dass man die Mitsprache der Kirchen beim Lehrpersonal reduzierte. Dann läge die Entschuldigung für diese Absurdität in der zusätzlichen Kontrolle des Staates über die Priesterschaft und damit in einer Verhinderung weiteren Fundamentalismusses.

  6. Timm Grams sagt:

    @ Frank Wohlgemut

    Wenn es doch nur so einfach wäre. Ich habe einen voll ausgereiften Fundamentalismus bei den sogenannten Skeptikern erfahren, die sich ja als Verfechter der reinen Lehre der Aufklärung sehen. Deren Dogmatismus lässt sich aber in voller Reinheit nicht aufrechterhalten, wie man zurzeit sieht. Den Universalisten kommen die Relativisten in die Quere, und das hat ja letztlich zum Zoff in der GWUP geführt.

    Dass die Relativisten nicht ganz so falsch liegen, zeigt mein aktueller Artikel.

  7. Realo sagt:

    @ Frank Wohlgemuth 28. April 2024 um 11:43 Uhr

    Ich sehe Ideologien/Religionen/Philosophien so ähnlich nüchtern, wie Informatiker für bestimmte Aufgaben zweckmäßige „Betriebssysteme“ für Computer und besondere Aufgaben sehen.

    Es geht mir darum, dass nicht relativ erfolgreiche, mitunter sehr lange optimierte Traditionen nicht durch „Blödsinn“ mit „Null Tradition“ ersetzt wird.

    Bei den Kultbauten (Pyramiden, Synagogen, Tempel, Kirchen, Moscheen, Palästen des Volkes,….) geht es darum die Leistungskraft des Volkes zu beweisen und dabei Erkenntnisse zu erwerben. Nicht darum, dass die Volksführer „Schöner wohnen“ können. Aber vermutlich auch darum, „Ziele“ zu setzen, einen vernünftigen „Lebenssinn“ zu generieren, damit sich nur möglichst wenige Menschen sinnlos dem Suff oder Drogenkonsum hingeben….

    Ich meine, manche Atheisten ignorieren sogar hartnäckig alle „Mechanismen“ die zur Entstehung und Existenz der Welt geführt haben, weigern sich einen „Bezeichner“ dafür zu akzeptieren, obwohl auch „intelligente Systeme“ entstanden sind, die es „vorher“ nicht gab. Sogar die Existenz der Welt wird mitunter bestritten, sie könnte ja irgendwie systematisch, womöglich ähnlich wie eine „Schöpfung“, entstanden sein und derartiges könne es unter gar keinen Umständen geben….

    Es geht immer, weniger den Wissenschaftlern, eher mehr den Pfaffen/Atheisten um „die Erhaltung einer eigenen Deutungshoheit / Kultur und die Ausgrenzung der anderen mit allen Methoden, die zur Verfügung stehen.“ Nur, man kann nicht gut erwarten, dass sie sich „mit dem Hammer selber auf den Kopf hauen“.

    Zitat: „Zum Erhalt unserer Kultur haben wir heute ein Schulwesen geschaffen, das in der Lage ist, Religionen und die dazugehörigen Kirchen vollständig zu ersetzen.“

    Ich fürchte, die Schulen sind heutzutage nicht einmal mehr imstande, „Grundwissen“ wie früher zu vermitteln. Betroffene Eltern sehen da „einen ganz anderen Skandal“….

    Außerdem versuchen Eltern zunehmend ihre Kinder in privaten konfessionellen Schulen unterzubringen….

  8. Timm Grams sagt:

    @ Realo
    @ Frank Wohlgemuth

    Bitte mehr beim Thema bleiben. Beim Zoff in der GWUP geht es um verschiedene wissenschaftliche Denkansätze: Naturwissenschaft vs Gesellschaftswissenschaft, objektive universelle Geltung vs kritische Theorie, kritischer Rationalismus vs Dialektik.

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