Vorsicht Grafik

Immer wenn ich in einer Zeitschrift eine Statistik zur Untermauerung einer Aussage finde und wenn diese auch noch mit einer Grafik garniert ist, gehen bei mir alle Warnlampen an.

Grafiken in unseren Zeitungen und Zeitschriften stehen im Ruf, in hohem Maße manipulativ zu sein. Walter Krämer hat in seinem deutschen Remake „So lügt man mit Statistik“ (1991) des Klassikers „How to Lie with Statistics“ von Darrel Huff (1954) viele eindrucksvolle Beispiele zusammengetragen, die diese Einschätzung untermauern.

Es scheint Agenturen zu geben, die sich auf das Erstellen manipulierender Grafiken geradezu spezialisiert haben. Hier die wichtigsten der weit verbreiteten Tricks dieser Manipulanten:

  1. Stauchen und dehnen

    Durch Stauchung der x-Achse oder Streckung der y-Achse rücken selbst zwei voneinander stark abweichende Kurven dicht aneinander; so lässt sich jede Vorhersage mit dem tatsächlichen Verlauf (eines Aktienkurses beispielsweise) mühelos zur Übereinstimmung bringen.

  2. Die Verlagerung des Ursprungs, also des Nullpunkts, irgendwohin außerhalb der Grafik, macht jeden noch so unauffälligem Kurvenverlauf durch Aufspreizung zu einer bedrohlichen Angelegenheit. Die Wahl geeigneter Kurvenausschnitte und die Lupenfunktion können noch dem flachsten Ding Glamour verschaffen. Gern genommen werden auch „problemangepasst“ verzerrte Maßstäbe an den Diagrammachsen.
  3. Sehr beliebt ist die Veranschaulichung von Größenverhältnissen mit dreidimensionalen Figuren, beispielsweise mit Bildern von Ölfässern zur Darstellung des Energieverbrauchs, wobei nur die lineare Ausdehnung als Vergleichsmaß genommen wird. So wird aus einer eigentlichen harmlosen Verdoppelung spielend eine aufregende Verachtfachung.

Längen und Flächen

Der zuletzt genannte Trick funktioniert bereits in der Ebene recht gut, wie ich in einem VDE-Vortrag (Fulda, 28.2.07) erfahren habe. Es ging darum, die menschengemachte Klimaveränderung nicht gar so bedrohlich erscheinen zu lassen. Der Vortragende veranschaulichte das Verhältnis der Masse von pflanzlicher und tierischer Biomasse unserer Erde mit der nebenstehenden Grafik.

Der Durchmesser des kleinen schwarzen Kreises beträgt etwa 1% vom Durchmesser des großen hellgrünen Kreises.

Der große Kreis steht für die pflanzliche Biomasse der Erde, und der kleine für die tierische. Das Bild soll offenbar drastisch vor Augen führen, wie klein die tierische Biomasse tatsächlich ist. („Und was so klein ist – sogar die Frau Merkel hat in dem schwarzen Punkt Platz – kann doch keinen so Furcht erregend großen Einfluss auf die Biosphäre haben?!“)

Tatsächlich ist das Verhältnis der Biomasse auf der Erde gleich 1:100, wie das Verhältnis der Kreisdurchmesser. Die Kreisflächen verhalten sich aber wie 1:10 000. Und das ist maßlos übertrieben.

Obwohl es schon etwas ausgelutscht ist: Das Thema Grafik muss immer wieder einmal auf die Tagesordnung, damit die Aufmerksamkeit gegenüber solchen Täuschungen nicht nachlässt. Der neueste Dreh der Meinungskneter ist die Stückelung von Grafiken.

Stern-Grafik

Mit der Grafik links widerspricht der Stern (21/2012, S. 74) der Volksweisheit, „dass clevere Eigenheimbesitzer ihr Heizöl am besten im Sommer tanken“. Der Blick auf die Preiskurve der vergangenen drei Jahre zeige, dass Heizöl jeweils nicht im Sommer, wenn die Nachfrage gering ist, sondern Ende Januar, Anfang Februar am günstigsten war (linkes Bild).

Stern-Grafik, neu montiert

Nun ja: montiert man die Grafik etwas anders zusammen, so dass der Sommer am Anfang und der Jahreswechsel in der Mitte liegt (rechtes Bild), sieht die Sache ganz anders aus: Danach scheint es tatsächlich günstiger zu sein, im Spätfrühjahr oder im Sommer zu tanken, wie die meiste Leute offenbar zu Recht meinen. Die spektakuläre Nachricht des Stern ist ein Kunstprodukt der grafischen Darstellungsweise und hat mit der Realität nicht viel zu tun.

Spiegel-Grafik

Nicht viel besser ergeht es uns mit dieser Spiegel-Grafik (32/2012, S. 81), die demonstrieren soll, wie der Aktienkurs durch die Äußerung des EZB-Chefs, „innerhalb eines Monats alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten“, abrupt gestiegen und eine Woche später – nach Konkretisierung der Maßnahmen – ebenso abrupt wieder gefallen ist.

Das sollte beim Leser wohl den Eindruck „Wie gewonnen, so zerronnen“ wachrufen. Bei nüchterner Betrachtung sieht man, dass eigentlich nichts Weltbewegendes passiert ist: Die (von mir eingefügten) roten Kreisen enthalten dieselbe Zahl, nämlich 6600; das ist der DAX sowohl nach Draghis erster als auch nach seiner zweiten Verlautbarung.

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