Systemsturz von rechts, von links oder selbstgemacht

Unsere Welt wird zunehmend unordentlich. Sie ist, wenn wir nichts dagegen tun, dem Untergang geweiht. Dieser Eindruck beruht auf Fakten und auf medieninduzierter Panikmache.

Rechts und links

Die Rechten sehen unsere Kultur durch die Migration bedroht. Bei den Linken ist es der menschengemachte Klimawandel, der die gesamte Menschheit auslöschen wird.

Beide Seiten geben dem System die Schuld und entwickeln ihre jeweils eigenen Umsturzfantasien. Die eine Seite spricht von »Regime Change«, die andere von »Systemsturz«.

Der Regimewechsel von rechts war bereits mein Thema: Die Neue Rechte wird grundsätzlich – und irrt herum. Meine derzeit aufrechterhaltene Schlussfolgerung ist, dass dieser Umsturz ausfallen wird, weil sich die Probleme mit rechtsstaatlichen Mitteln im Rahmen unserer Demokratie nahezu schmerzfrei lösen lassen. Was Donald Trump in den USA zelebriert, sieht nicht nach Umsturz aus, sondern nach Einsturz.

Die Grenzen des Wachstums

Die andere Seite widmet sich Problemen, die wesentlich tiefer liegen und die schmerzfrei nicht zu bewältigen sein werden. Sichtbar gemacht wurde der Konflikt 1972 mit »Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit« (The Limits to Growth).

Die seinerzeit voll aufblühende Kritik an diesem Buch hat aus meiner Sicht nie den Kern getroffen. Sagen die Autoren doch selbst:

The model we have constructed is, like every other model, imperfect, oversimplified, and unfinished.

Besonders berührt hat mich damals das Buch Ein Planet wird geplündert von Herbert Gruhl. Der darin propagierte Lösungsansatz »weniger ist mehr« erschien mir jedoch als zu autoritär: Als Trümpfe im weltweiten Spiel gelten militärische Macht, Bevölkerungsplanung, Bedürfnislosigkeit und Leidensfähigkeit.

Meine Sympathie galt damals dem Small is Beautiful, das Ernst Friedrich Schumacher 1973 propagierte. Der Gedanke hat mich seither nicht verlassen, wie man vielen meiner Artikel ansieht (Stichwort: »Fortschrittsapologeten«).

Systemsturz von links

Das Buch »Systemsturz: Der Sieg der Natur über den Kapitalismus« von Kohei Saito ist Ende letzten Jahres erschienen. Es scheint an mein »Glaubensbekenntnis« anzuschließen und ist Anlass, dieses zu überprüfen. (Die folgenden Seitenangaben in runden Klammern beziehen sich auf dieses Buch.)

Orthodoxe Marxisten kritisieren das von Kohei Saito angepriesene Ideal, den Degrowth-Kommunismus:

Der Glaube an die Unveränderlichkeit von Grenzen – sei es der Grenzen von Bevölkerungsentwicklung oder Grenzen der nutzbaren Ressourcen – verkennt […] die Lebensrealität der Menschen […] Wissenschaft und Technologie, in Kombination mit Egalitarismus (oder wie es der Marxist Hal Draper Mitte des Jahrhunderts ausdrückte: »Prometheus plus Spartakus«), ermöglichen es uns […], diese Grenzen zu überwinden.

Die Zukunftsvision dieser orthodoxen Marxisten ist der ihrer politischen Gegenspieler verblüffend ähnlich. Sie erinnert an die neo-liberalen Beschwichtigungen und Ausflüchte in die Zukunft (Carbon Capture) und in ferne Räume (Musks Mars-Projekt und Longtermismus).

Utopia

Die fundamentalmarxistische Kritik an Saitos Buch halte ich nicht für stichhaltig. Ich wende mich nun den Stellen in Saitos Buch zu, in denen es um die Auswege aus der Krise geht. Da sehe ich Lücken und Widersprüche.

Saito betrachtet die vier Zukunftsalternativen des folgenden Bildes (S. 209).

Klimafaschismus: Die Superreichen sind vom Klimawandel weniger betroffen als andere. Er bietet ihnen sogar neue Möglichkeiten der Geschäftemacherei. Der Staat schützt die Interessen dieser privilegierten Schicht.

Barbarei: Durch die Rebellion der Massen kollabiert die Staatsgewalt, die Welt versinkt im Chaos.

Klima-Maoismus: Eine zentralistische Diktatur setzt effektive und egalitäre Klimaschutzmaßnahmen durch (S. 87).

Und schließlich die von Saito bevorzugte Lösung

Degrowth-Kommunismus: Überwindung des Kapitalismus; Gleichheit und Nachhaltigkeit sorgen für Überfluss statt Knappheit.

Hier fängt es an, nach Agitation und Propaganda zu klingen. Diese Art leninscher Agitprop war das unangenehme Zeug in meiner Kindheit in der DDR.

Degrowth heißt Freiheit durch Selbstbegrenzung und Wirtschaften in überschaubaren Kollektiven. Güter sind nicht Privatbesitz mit durch Handel definierten Wert, sondern gemeinschaftlich verwaltetes Gemeineigentum (Commons). Nur der Gebrauchswert zählt (S. 183) In der Landwirtschaft und im Handwerk gibt es das.

Grenzen des Degrowth

Bei den energieautarken Gemeinden tritt eine zentrale Schwierigkeit des Degrowth-Denkens zutage (S. 192):

So sollte Elektrizität beispielsweise ein Common sein, da der moderne Mensch ohne sie nicht leben kann. Sie müsste ähnlich wie Wasser als Menschenrecht garantiert werden. Sie den Markt zu überlassen, sollte außer Frage stehen, da der Markt Menschen ohne Geld kein Stromnutzungsrecht zuspricht.
Das heißt aber nicht, dass man Elektrizität verstaatlichen sollte. Auch dort wo das vollzogen wurde, führte man verriegelte Technologien wie Atomkraft ein, was bis heute ein Sicherheitsrisiko darstellt. Luftverschmutzende Verbrennungskraftwerke werden außerdem häufig in Gebiete gestellt, wo arme Schichten oder Minderheiten leben, deren Gesundheit dann bedroht ist.
Bei Commons geht es hingegen darum, dass die Bürger die Kontrolle über die Elektrizität wiedererlangen.

Saito nennt diese Entwicklung »Bürgerverwaltung«. Der wunde Punkt ist die Versorgungssicherheit. In Europa wird sie durch ein vorbildliches Verbundnetz gewährleistet. Und das geht eben nicht ohne staatliche Verwaltung und Verträge zwischen den Staaten.

Föderalismus

Auch der Agnostiker kann den an christlichen Glaubensgemeinschaften orientierten Gedanken des Hermann Lübbe etwas abgewinnen (Modernisierungsgewinner – Religion, Geschichtssinn, Direkte Demokratie und Moral, 2004, S. 175):

Aus der Perspektive der internationalen und supranationalen Großorganisationen gesehen repräsentieren Regionalismus und Föderalismus das politische Komplementärphänomen des sich intensivierenden Selbstbestimmungswillens kleiner Kommunitäten in kleinen Räumen, und das Interesse der Erhaltung, ja der Neubildung von Kleinstaaten einerseits und die europaweite Bekräftigung der Traditionen kommunaler Selbstverwaltung andererseits sind darin eingeschlossen.

Heruntergebrochen auf den Alltag: Die föderale Struktur der Bundesrepublik ist manchmal ärgerlich, beispielsweise beim Schulwechsel des eigenen Kindes von Land zu Land. Die Systemfrage ist schnell gestellt. In dem Moment ist eine Besinnung auf die Leitgedanken des deutschen Föderalismus angebracht.

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4 Antworten zu Systemsturz von rechts, von links oder selbstgemacht

  1. Realo sagt:

    Für einen drohenden „Systemsturz von rechts, von links oder selbstgemacht“ kommt durchaus das „Zuwanderer Problem“ in Betracht.

    Die Zuwanderer werden „benutzt“, so dass sich eine immer größer werdende Gruppe im Volk „Vorteile“ verschaffen kann, zu Lasten des übrigen Volkes.

    Schlecht ist nur, dass immer mehr Menschen (in Amerika sind es sehr viele) diese Möglichkeit, sich persönliche Vorteile zu verschaffen, erkannt haben. Darauf wollen sie natürlich nicht verzichten und sie demonstrieren.

    Es ist nun einmal angenehmer, durch Serviceleistungen (Unterbringung, Bildung, Beratung…..) von Asylanten, Geld vom Staat zu kassieren, als dafür z.B. einheimischen Pflege bedürftigen Menschen den Hintern zu reinigen. Die „Kunden“ müssen nicht zahlen, dafür der „Steuerzahler“……

    Von der „Asylantenmasche“ (wir fühlen uns strengstens verpflichtet, wegen der „Menschenrechte“ helfen zu müssen) kann man gut leben, zumal das „Kunden Reservoir“ weltweit praktisch unerschöpflich ist. Diese „Kunden“ lassen sich leicht anlocken. Das Geld ist sicher, weil die Allgemeinheit fest zahlen muss, solange sie es sich gefallen lässt….. In anderen Jobs werden die Kunden immer weniger und die Firmen gehen pleite.

    Nur wenn z.B. die Wohnungskosten, wegen der explodierenden Nachfrage, immer mehr steigen und wegen der zunehmenden Schulden der Druck auf die Bevölkerung immer größer wird, entsteht Unmut…. Die Bevölkerung beginnt sich zu fragen, woran das liegt?

    Trump sind diese zerstörerischen Mechanismen in der Gesellschaft aufgefallen. Er versucht, mit „seinen Methoden“, das zu verändern. Zunächst einmal mit Aktionismus den „Hühnerhaufen“ ordentlich „aufzumischen“, damit die Probleme allgemein bekannt werden, um damit Veränderungen anzustoßen, er scheint recht flexibel zu sein……

    • Timm Grams sagt:

      Ohne Belege sind Aussagen wie diese wertlos:

      Schlecht ist nur, dass immer mehr Menschen (in Amerika sind es sehr viele) diese Möglichkeit, sich persönliche Vorteile zu verschaffen, erkannt haben. Darauf wollen sie natürlich nicht verzichten und sie demonstrieren.

      Unter unbelegten Vermutungen und Unterstellungen leidet die Kommunikation. Das ist die Krankheit des Internets.

  2. Realo sagt:

    Timm Grams 11. Juni 2025 um 08:23 Uhr

    Zitat: „Ohne Belege sind Aussagen wie diese wertlos:

    Schlecht ist nur, dass immer mehr Menschen (in Amerika sind es sehr viele) diese Möglichkeit, sich persönliche Vorteile zu verschaffen, erkannt haben. Darauf wollen sie natürlich nicht verzichten und sie demonstrieren.“

    Aus meinen „68WG Zeiten mit den Psychologie Studenten“ kann ich mich noch erinnern, dass […]

    [Moderator: gekürzt. Hörensagen gilt nicht als Quellenangabe]

    • Timm Grams sagt:

      Die Diskussion ist fehlplatziert! Es geht darum, dass Donald Trump einen wesentlichen Pfeiler der amerikanischen Demokratie beschädigt, den Föderalismus. Der ist auch Thema meines Artikels. Die Gründe für die Demonstrationen in LA sind demgegenüber unerheblich.

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