Ein Humanist über Religion

Auf Wunsch der Würzburger GWUP-Gruppe soll Timm Grams über das Thema „Skeptizismus und Religion“ sprechen. Da sich ein Skeptiker nach seiner Auffassung in Fragen der Weltanschauung zurückhalten sollte, bat er um Unterstützung durch einen Humanisten. So trete ich – Frank Stößel – als zweiter Vortragender auf. Wir haben uns auf das Thema „Das Spannungsfeld Skeptizismus-Humanismus-Religion“ geeinigt. Darüber werden wir am 12. Juni ein Tischgespräch mit den Anwesenden führen.

Mein Part ist die Beleuchtung des Verhältnisses zwischen Humanismus und Religion im Anschluss an den Artikel Skeptiker über Religion.

Als Mitglied einer humanistischen Weltanschauungsgemeinschaft spreche ich nicht über das Verhältnis von Religion und Humanismus im Allgemeinen, sondern ich biete meine Sichtweise als Humanist über Religion und Humanismus an.

Skeptisch und befangen gegenüber Religion

Der Skeptizismus ist nicht mein Erfahrungsfeld. Doch bin ich skeptisch gegenüber Ideologien, welche allzu oft mit Prinzipien verwechselt werden, wie z.B. beim Gebrauch des Begriffes Säkularismus, wenn man eigentlich Säkularität als Voraussetzung für ein gedeihliches Nebeneinander religiöser und nichtreligiöser Überzeugungen meint. Ich vermeide gerne Debatten über Religion, weil ich als Humanist sie samt ihrem Über- (Theologie), Mittel- (Klerus) und Unterbau (Kirchenvolk) vielseitig kennengelernt habe. Ich vermisse Religion gar nicht. Schon als Kind habe ich ihr den Gehorsam verweigert und ihr später mit dem Kirchenaustritt den Rücken gekehrt. Mein Leben versuche ich als überzeugter Humanist zu gestalten. Um als von Religion freier Mensch über Religion und Humanismus ins Gespräch zu kommen, greife ich auf allgemein bekannte Gedanken aus Geschichte, Philosophie, Theologie, Psychologie, Soziologie und Ethnologie zurück

Liberale Sozialisation

Dass ich mir ein gerüttelt Maß an Skeptik gegenüber Religion und Humanismus zutraue, verdanke ich meiner liberalen Sozialisation. Ich entstamme einer typisch deutschen Mischehe. Meine Mutter, protestantisch wie schon ihre Mutter, verstand sich als gottgläubig wie ihr Vater, der Freireligiösen nahe stand. Mein Vater war rheinisch-katholisch geprägt wie seine Mutter, sein Vater dagegen protestantisch. In meiner Familie wurde nicht gebetet, Religion war Privatsache.

Nach außen sah es anders aus. Der Kirchgang mit dem Vater war freiwillig. Zur Kommunion und Firmung wurden wir Kinder allesamt geschickt. Unsere Bildung in Kindergarten und Schule nach dem katholischen Bekenntnis war ein Zugeständnis der Eltern an die katholische Kirche nach damals noch nicht anerkannter evangelischer Trauung. Dass mich meine Eltern in ein katholisches Internat schickten, damit ich als Spätblüher zum Abitur käme, ermöglichte mir weitere Erfahrungen zu Religion, Glauben, Frömmigkeit und Kirche. Als 14-Jähriger hatte ich die Idee, atheistischer Pfarrer zu werden, weil mir die Arbeit für und mit Menschen an sich so gut gefiel.

Vor meinem Abitur wollte ich mit einigen Klassenkameraden aus dem Religionsunterricht austreten, was wir wegen des enormen Drucks seitens der Schulleitung lieber unterließen. An der Pädagogischen Hochschule konnte man als Prüfungsfach Philosophie anstelle von Religionspädagogik wählen. Das war für mich eine intellektuelle Erlösung. Als ich mein eigenes Geld verdiente und Kirchensteuer zahlen sollte, wurde mir bewusst, dass ich für etwas zahlen sollte, womit ich schon lange nichts mehr zu tun hatte. Wegen abzusehender Benachteiligungen zögerte ich den fälligen Kirchenaustritt noch hinaus.

Erst nach meinem zweiten Studium zum Sonderschullehrer trat ich aus der Kirche aus, und hatte deswegen bei Bewerbungen an privaten Förderschulen keine Chance. Glücklicherweise konnte ich an staatlichen Förderschulen arbeiten.

Zwar wurde ich kein atheistischer Pfarrer, aber seit 1988 bin ich beim HVD ausgebildeter Humanistischer Sprecher für Bestattungs-, Trau- und Namensfeiern. Diese Tätigkeit war jahrelang ein Hemmnis bei meiner dienstlichen Beförderung als auch in meinen öffentlichen Ehrenämtern, bis ich 1995 dennoch zum Leiter einer öffentlichen Schule in Bayern ernannt wurde. Man konnte seit Mitte der 90-er Jahre als bekennender Humanist natürlich im bayerischen Schuldienst arbeiten. Nach den Schulgesetzen war man aber dennoch verpflichtet, die Schüler nach dem christlichen Weltbild zu erziehen und das Schulgebet zu pflegen. Von mir als bekennendem Humanisten verlangte man das nicht. Man war froh, dass ich Ethikunterricht für die andersgläubigen Schüler übernahm.

Als Rektor einer Staatlichen Schule für Kranke brauchte ich mich nicht mit Religionsunterricht abzugeben, hatte mich aber zuvor einer  peinlichen Befragung des Arbeitgebers zu stellen, ob ich als Konfessionsfreier Nihilist sei, obwohl meine  Tätigkeit als Bestattungssprecher einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Weltanschauungsgemeinschaft hinreichend bekannt war.  Nach Erklärung meines humanistischen Menschenbildes war der Vorbehalt des Arbeitgebers aus der Welt geräumt. Dementsprechend wurde mir als Schulleiter weiterhin die Genehmigung erteilt, nebenberuflich weltliche Bestattungsfeiern für Angehörige Konfessionsfreier zu übernehmen. Als nichtreligiöser Rektor stand ich unter besonderer Beobachtung, erlebte wohl auch verhaltenen Respekt aber kaum Interesse an Humanismus als Prinzip, Weltanschauung oder gar als Alternative zur Religion.

Ungehorsam gegenüber Religion

Ist ein derartiger Ungehorsam gegenüber der Religion nun schon Humanismus? Gerade der umstrittene Martin Luther ist in seiner Ungehörigkeit gegenüber der Unfehlbarkeit des Papstes ein beredtes Beispiel für Ungehorsam gegenüber dem Glauben und seinen Autoritäten. Deswegen war er aber noch lange kein Humanist, denn für ihn galt der Homo-Mensura-Satz des Protagoras nicht, dass Der Mensch das Maß aller Dinge sei, der seienden, dass sie sind, und der nichtseienden, dass sie nicht sind.

Hatte sein Aufbegehren Humanistisches an sich, weil es Menschen durch eine neue verständlichere Auslegung der Bibel aus der angeblich gottgewollten Unmündigkeit in die unmittelbare Eigenverantwortung gegenüber Gott führen wollte? Den nächsten Schritt zum weltlichen Humanismus wollte der Reformator nicht tun, nämlich das Gottesdogma zu Fall zu bringen. Er definierte es zwar offener, ließ aber dem Humanismus ohne Gott keine Chance. Der Fortschritt war, dass jeder Mensch auch ohne Mittler mit Gott in Dialog treten kann. Selbst davon wollen heute immer weniger nichtreligiöse Menschen laut entsprechender Umfragen etwas wissen. Sie gehen lieber Immanuel Kant folgend davon aus, dass sich der Mensch seines eigenen Verstandes bedienen könne.

Gut sein mit und ohne Gott

Demzufolge muss man auch gut sein können ohne Gott. Dass man mit Gott als auch ohne Gott gut sein und Gutes tun kann, betonte 2013 Henning Vorscherau beim Deutschen Humanistentag in Hamburg vor einer kleinen Zuhörerschaft. Zur gleichen Zeit vergewisserten sich zigtausende Besucher des Evangelischen Kirchentages gegenseitig ihres Glaubens mit allzu großzügiger Unterstützung des Staates, der Mensch sei nur gut mit Gott. Der ehemalige Regierende Bürgermeister von Hamburg vertrat allerdings mit seiner Aussage beispielhaft das Prinzip der Säkularität des Staates und hatte damit ein typisch humanistisches Dialogangebot gemacht, bei welchem dogmatischen Freidenkern die Haare zu Berge stehen könnten. Damit ging der Freigeist Vorscherau ähnlich wie der Evolutionsbiologe Bernd Hölldobler, als er sich im Main-Post Interview als gutmütiger Atheist bezeichnete, der strittigen Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz Gottes geschickt aus dem Weg. Humanisten sind davon überzeugt, dass die Menschen kraft ihrer, von Frans de Waal u.a. erforschten angeborenen Moralität gut sein können ohne Gott.

Jeder soll nach seiner Façon selig werden

Der Geistesfreiheit, der Toleranz und dem Religionsfrieden geschuldet wird der Humanist die Aussage des aufgeklärten Absolutisten Friedrich des Großen als allgemeingültig akzeptieren: „Ein jeder möge nach seiner Façon selig werden.“ Das gebietet unser in Fragen nach der Existenz oder Nichtexistenz Gottes begrenzter Verstand genauso, wie es die Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte tun. In beiden Kodexen sind Rechte und Pflichten der positiven wie der negativen Religionsfreiheit als universelle, unveräußerliche Grundrechte für Gläubige wie Nichtgläubige fest geschrieben. Doch wo bleibt die auch den Gläubigen gebotene Toleranz gegenüber Nichtgläubigen, die allzu gerne als Ungläubige bezeichnet und unter Berufung auf Gott und dessen heilige Schriften zu Menschen zweiter Klasse erklärt werden.

Toleranz zwischen Religiösen und Nichtreligiösen

Scheinbar ganz anders Papst Franziskus in seiner umstrittenen Predigt von 2013 mit der Behauptung, Jesus hätte Atheisten auch gut gefunden. Jesus sei für alle Menschen gestorben. Einen gemeinsamen Treffpunkt könnten Gläubige und Nichtgläubige daher dort finden, wo gute Werke vollbracht würden. Gutes zu tun sei keine Frage des Glaubens, sondern ein universelles Prinzip, das die Menschheit jenseits der Vielfalt von Ideologien und Religionen vereine. Das mutet auf den ersten Blick versöhnlich an, doch merkt man sogleich die beiläufige Volte, dass alle Menschen, eben auch Atheisten, angeblich von Gott sein sollen.

Würde der Pontifex seinen speziellen Humanismus tastsächlich mit und ohne Gottesbezug verkünden, würde das römisch-katholische Glaubensgebäude wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Doch wie wäre es dann um den Humanismus bestellt, würden die Vertreter der Weltreligionen eingestehen, was längst Fakt ist, dass Menschen auch ohne Gott, Religion, Klerus und Kirche gut sein und in Frieden leben können. Diese Auffassung würde allerdings Religion als lohnendes Geschäftsmodell in Gefahr bringen.

Sollte man Humanismus also nicht einfach als Religion ohne Gott gegen Religion mit Gott austauschen? Das wäre derzeit und auf lange Sicht wohl kaum denkbar. Denn würde Humanismus so nicht zur Ideologie verformt anstatt in einer offenen Gesellschaft, wie Gunnar Schedel sie fordert, als Prinzip vertreten und als Haltung gelebt?

Religion von Menschen gemacht

Dem Humanismus geneigte Forscher wie Edward O. Wilson fragen nicht zu Unrecht beim Nachdenken über den Sinn des menschlichen Lebens nach dem Vorteil von Religion. Sie könne ebenso wie Musik zu Verzückung mit Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin führen. Kann sein; doch das ist noch kein Beweis dafür, dass Gott oder die Natur, gemäß Spinozas Idee, Gott sei die Natur oder die Natur sei Gott, den Menschen eine so hohe Diversität an Religionen aufgebürdet hat.

Ich neige der Ansicht Ludwig Feuerbachs zu, dass Gott und Religionen von Menschen gemacht sind. Konnte die Idee in der Völkerkunde vom Consesus gentium als Übereinstimmung der Völker in der Annahme eines universellen Gottglaubens nicht als überprüfbarer Gottesbeweis herhalten, genügte lange zuvor Ciceros Auffassung vom ähnlich interpretierten Consensus nationem ebenfalls nicht den Anforderungen. Zu durchsichtig waren derartige Auslegungen der befangenen Ethnologen in der Frage nach dem Sinn der Religion im menschlichen Leben.

Gab sich Friedrich Engels bei der Erklärung der Funktion von Religion noch der Illusion hin, dass der Personifikationstrieb der Menschen, welcher auch Götter geschaffen habe, eine notwendige Durchgangsstufe in der Religion sei, erwarteten im letzten Jahrhundert nach dieser Theorie gutgläubige Freidenker noch, dass sich die Religionen mit dem Fortschreiten der Aufklärung durch den dialektischen Materialismus auflösten. Heutzutage erleben wir einen Rollback alter und neuer Religionen in den Armenhäusern der Welt als auch in den Wohlstandsländern, befördert durch niedrigen Bildungsstand und ein hohes missionarisches, mediales Potential.

Damit einhergehend gibt es Benachteiligung Nichtreligiöser im privaten wie im öffentlichen Leben anstatt einer Art Ökumene der Gläubigen, Anders-, Un- und Nichtgläubigen, geschweige denn, dass man den Glauben wechseln oder ablehnen kann, wozu man gemäß der Menschenrechte in freier Selbstbestimmung das Recht hat. Eine neue Sicht des menschlichen Zusammenhalts versuchte Eugen Drewermann mit psychoanalytischer Sicht auf die zentralen Glaubensinhalte der katholischen Konfession, und Hans Küng konstruierte den Weltethos. Zu mehr Toleranz unter den Religionen und ihrer zahlreichen Untergliederungen führte das nicht. Zu offensichtlich zielte man mit derlei Spielereien auf die Rettung und Mäßigung der eigenen Religion ab, um die Emanzipation von ihr zu verhindern. Richtig war das grundsätzliche Bemühen um Mäßigung und Zähmung von Religion hinsichtlich ihres verhängnisvollen Zusammenhangs von Glaube und Gewalt wie sie jüngst auch Norbert Lammert anmahnte. Kann der Humanismus einen Beitrag bei diesen Bemühungen leisten? Ja und nein. In erster Linie müssen diese Aufgabe müssen die Religionsgesellschaften selbst übernehmen, wobei Aufklärung und Menschenrechte als Kernelemente des Humanismus Leitlinien vorgeben.

An irgendetwas muss man doch glauben

Selbst dieser oft gehörte Satz, an irgendetwas müsse man doch glauben, hilft nicht weiter, da es keine allgemeingültige Verpflichtung zum Glauben und allzu viele Argumente gegen religiösen Glauben gibt. Schließlich ist es äußerst müßig, Menschen davon zu überzeugen, man lebe mit oder Gott richtig, besser, gesünder oder länger. Das sollte jeder Mensch für sich entscheiden, wozu Orientierungshilfen reichlich zur Verfügung stehen. So sollte Navid Kermanis Mahnung, es reiche nicht, zu sagen, dass die Gewalt nichts mit dem Islam zu tun habe, für alle anderen Religionen auch gelten, sobald sie sich mit Gewalt zu behaupten versuchen.

Endlichkeit als Maß des Menschen

Mit der Janusköpfigkeit der Religionsfreiheit in der offenen Gesellschaft wird sich der gutmütige Humanist heute zufriedengeben können, möchte doch auch er in seiner Weltanschauung respektiert werden. Er ist selbst nicht unbedingt frei von Elementen wie Universalität, Humanität und Spiritualität, welche Religionen für sich  reklamieren. So könnte ein Gast bei Humanistischen Lebensfeiern durchaus den Eindruck gewinnen, er befände sich bei einer zwar freien und dennoch religiösen Veranstaltung wegen dieser Beobachtungen. Es handelt sich um eine Gemeinschaft weltanschaulich Gleichgesinnter. Die Feier gestaltet ein von der Gemeinschaft beauftragter Sprecher. Es werden humanistische Rituale, Texte und Bilder eingesetzt. Die Feier ist menschlich, individuell und würdig ohne Jenseitsbezug. Die gewürdigten Menschen stehen unter den Schutz der Gemeinschaft. Der Ort der Feier wird durch die Teilnehmenden ein Sanctuarium, in dem bestimmte Regeln gelten. Das emotional starke Erlebnis, dass alle Menschen endlich sind und sterben müssen, nehmen die Teilnehmenden mit hohem Erinnerungswert mit. In Tischgesprächen philosphiert man über Gott und die Welt und gelangt beiläufig in weltanschaulich sehr persönliche Dialoge. So trägt jeder Teilnehmer zur konkret gewordenen kulturellen Evolution bei, indem nicht nur über Menschlichkeit, Individualität, Solidarität, Lebensprinzipien und von Karin B. Schnebel beschriebene Werte gesprochen wird, sondern diese Werte sichtbar gelebt werden. So kann immer wieder aufs Neue der Funke der Menschlichkeit von Mensch zu Mensch ohne Vermittlung durch irgendeinen Gott oder einen von ihm Auserwählten überspringen. Humanisten glauben, dass das gute Leben auch ohne Gott gelingt und froh macht, obwohl sie wie Religiöse um ihre Gebrechlichkeit und die Demokratie des Todes wissen.

Fähigkeit des Mitleidenkönnens

Worin sich religiöse und nicht religiöse Menschen aus zuvor beschriebener Erfahrung verständigen können, und das auch gelegentlich tun, sieht man erfreulicherweise stets nach Naturkatastrophen, bei Hungersnöten, Krieg und Terror. Offensichtlich vergessen Menschen ungeachtet ihrer Religion oder Weltanschauung in solchen Situationen jene Gräben, welche entsprechend der Religionszugehörigkeit in den Gesellschaften der Erde mehr oder weniger vorhanden sind. Dann sind konkrete Hilfen und Frieden wichtiger als der rechte Glaube, weil Menschenliebe im Sinne der von Edward O. Wilson hervorgehobenen Anthropozität sich immer wieder Bahn bricht. Das Menschsein prägende Prinzip sah der Philosoph Werner Marx in der Fähigkeit des Menschen, angesichts des Leides anderer Menschen mitleiden zu können, wozu uns die in jüngster Vergangenheit entdeckten angeborenen Spiegelneuronen auch ohne Erfahrung von Leid befähigen. Solcherlei Erlebnisse können eine Kultur des Zusammenhalts schaffen, welche es achtsam zu pflegen gilt.

Stiftung menschlichen Zusammenhalts

Folgte man dem französischen Ethnologen David Emile Durkheim, bemühten sich Religionen mit ihren Anhängern um Stiftung gesellschaftlichen Zusammenhalts und gesellschaftlicher Identität. Doch Religion kann gepaart mit Alleinvertretungsanspruch, wie es im letzten Jahrhundert auch einer ideologisch missbrauchten Spielart des Humanismus zueigen war, zu Ausgrenzung mit fatalen Folgen für Andersdenkende und Unterdrückung der Geistesfreiheit führen. Trotz Anerkennung der Charta der Menschenrechte gerät entgegen dem Wissen über Diversität und Empathie die Toleranz gegenüber dem Anderssein allzu oft unter Druck, als ginge es nur darum, die Welt in Claims aufzuteilen. Als unsinnige Beispiele zur Aufteilung der Welt mit Hilfe der Religion sei an die päpstliche Bulle Aeterni regis zugunsten der Seemächte Spaniens und Portugals oder an die aktuelle Idee vom Islamischen Staat erinnert.

Auf bis in unsere Tage hinein wirkende demokratieunverträgliche Verträge zwischen Religion und Staat machte der Historiker Karlheinz Deschner mit seiner Kriminalgeschichte des Christentums ebenso aufmerksam wie es liberale Theologen mit ihrer Forschung über wissenschaftlich nicht mehr haltbare biblische Wahrheiten taten. Heute sollten Religionen und Weltanschauungen ihre Kriminalgeschichten niederschreiben, ihre Irrtümer eingestehen und eine Reorganisation der Religionen auf der Grundlage der Menschenrechte verhandeln. Doch wer wäre dazu überhaupt in der Lage, wenn das nicht einmal die von Aufklärung und  Humanismus geprägten Vereinten Nationen schafften? Interreligiöse Gespräche unter Berücksichtigung von Ethnie, Hautfarbe, Sprache, Kultur, Rechten der Frauen und der Kinder gerieten bei entsprechenden Verhandlungen leider schon allzu oft in Sackgassen gerade wegen der Religionen. Könnte der Humanismus in einem solchen interreligiösen Dialog behilflich sein? Ja. Er müsste nur auch an den Tisch gebeten werden, damit die Religionen die Kehrseite ihrer Medaille vor sich sehen du erkennen, dass jeder Mensch seine Religion leben, wechseln oder auch aus ihr austreten darf.

Humanismus als Lösung für alle?

Könnte Humanismus, seit Friedrich Nietzsches den Tod Gottes verkündete, die Lösung aus dem Dilemma mit der Religion sein? Ginge man davon aus, dass Humanismus sich als Gegenteil von Theismus definiere, wäre dann Humanismus freidenkerisch, areligiös, antireligiös, freireligiös oder atheistisch, je nachdem ob man den Deisten Spinoza, den Freigeist Gottfried Wilhelm Leibniz, den Freireligiösen Johannes Ronge, den Freidenker Wilhelm Liebknecht, den Monisten Ernst Haeckel, die Gründer der Humanistischen Union (HU) oder des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) zu Rate zöge? Allen humanistisch geprägten Strömungen ist gemein, dass sie der Aufklärung dienen wollten, welche die Amerikanische Revolution und die Französische Revolution, danach alle Demokratien beeinflusste und zur unterschiedlich ausgeprägten Säkularisierung westlicher Gesellschaften beitrug.

Gebremste Säkularisierung marginalisiert Humanismus

Seit 1803 befinden wir uns allerdings noch immer in einer Phase der gebremsten Säkularisierung. 1919 forderte die Weimarer Reichsverfassung vergeblich Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften durch die Landesgesetzgebung abzulösen. Hitler stellte die römisch-katholische Kirche politisch kalt, idem er sie gleichzeitig für ihr Wohlverhalten mit dem Reichskonkordat von 1933 belohnte, das bis heute gilt, und auf das sich andere Religionsgemeinschaften zur Erlangung gleicher Privilegien verständlicherweise berufen.

Seit Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 warten wir zum zweiten Male auf die Durchsetzung des Beschlusses zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, um das Verhältnis des weltanschaulich neutralen Staates zu den Religionsgesellschaften und den Vereinigungen, die sich die Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen demokratieverträglich zu gestalten. Dabei können weder der Humanismus an sich noch der HVD als anerkannte Weltanschauungsgemeinschaft alleine die Lösung bieten, doch wesentliche Impulse zur Gleichstellung von Religion und Humanismus im weltanschaulich neutralen Staat liefern.

Das Abwägen von Argumenten, wie das gute Leben zu führen sei, kann sich nicht an unüberprüfbaren Wahrheiten orientieren. Für den weltlichen Humanismus gibt es keinen Dialog mit Gott und Göttern, mit Geistern und Ahnen. Auch wenn es nach dieser Annahme keine außerirdischen Hilfen beim Abwägen der verschiedenen Argumente zur menschengemäßen Lebensführung  gibt, wohnt dem Humanismus als Methode nach Paul Kurtz` Ansicht eine dialogische Kraft inne, welche Menschen als Entscheidungshilfe dienen kann. In diesem Dialog sollen stets die Rechte des Menschen auf Freiheit und Selbstbestimmung im privaten wie im gesellschaftlichen Leben berücksichtigt werden. Dass diese Rechte in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten weitgehend respektiert werden, ist ein großer Fortschritt, dennoch ist das aktuelle Ausmaß noch längst nicht befriedigend, da man nicht nur im europäischen Deutschland noch eine Reorganisation des Verhältnisses von Staat und Religion scheut wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser.

Humanisten für Aufklärung und Dialog

Weltliche Humanisten sind gegenüber Religion verständlicherweise skeptisch. Sie treten konsequent für einen curricularen Humanismus ein, da sie nicht an letzte Wahrheiten glauben. Daher engagieren sie sich für Aufklärung und offenen Dialog mit allen Gruppen der Gesellschaft, selbstverständlich auch mit den Religionen. Im sogenannten Lutherjahr 2017 hat der HVD den angeblich von Luther stammenden Thesenanschlag von Wittenberg zum Anlass genommen und ein Papier mit 33 Thesen gegen die Benachteiligung konfessionsfreier Menschen in Deutschland herausgegeben, welches ich für die Debatte über Humanismus und Religion im weltanschaulich neutralen Rechtsstaat empfehle www.reformation2017.jetzt  ebenso wie den Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland des HVD-Bundesverbandes www.glaeserne-waende.de  als auch die Humanistischen Grundsätze des HVD Bayern www.hvd-bayern.de

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Eine Antwort zu Ein Humanist über Religion

  1. Claudia Strese sagt:

    Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge. Er ist Geschöpf, erschaffen von einem Schöpfergott, der die vollkommene Liebe ist und die vollkommene Gerechtigkeit zugleich. Menschen weltweit und zu allen Zeiten bezeugen, daß dieser Gott erfahrbar, jedoch nicht mit dem Verstand zu erfassen ist, da Gott immer noch einmal ganz anders und noch einmal viel größer ist.

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