Globalisierung

Das Pazifisten-Dilemma, von dem Rainer Gebauer schreibt, ist genau das Dilemma, in dem unsere Politiker stecken: Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock. Er vergleicht es mit dem Dilemma, das uns Ferdinand von Schirach mit seinem Theaterstück das Urteil einst präsentierte.

Ein solcher Vergleich verweist auf gewisse Analogien. Aber es gibt auch Differenzen. Und in diesem Vergleich gibt es eine Differenz, auf die hinzuweisen, mir besonders wichtig ist.

Im Falle des Terror-Dilemmas gibt es nämlich eine dritte Instanz, einen Hegemon, repräsentiert durch den Nationalstaat. In Deutschland ist die Regierung durch das Grundgesetz gehalten, Dilemmasituationen erst gar nicht auftreten zu lassen. Dass er diese Verpflichtung tatsächlich ernst nimmt, haben wir im Laufe der Corona Pandemie gesehen: Triage-Situationen wurden vermieden.

In dem Theaterstück wird ausführlich gezeigt, dass der Staat dieser Verpflichtung in dem fiktiven Fall nicht nachgekommen ist. Anstelle des Piloten hätten die Vorgesetzten und die Führungskräfte der Bundeswehr vor Gericht stehen sollen.

Wie aber sieht es im Ukraine-Konflikt aus? Wir sehen die Konfliktparteien: die USA mit ihrer Gefolgschaft auf der einen Seite und Russland auf der anderen. Der größte Teil der Menschheit gehört zu den Zaungästen. Ein Hegemon, der das Dilemma verhindern könnte, ist nicht in Sicht. Ins Riesenhafte vergrößert wird die Situation dadurch, dass einer der beiden Kontrahenten hegemoniale Tendenzen zeigt und dass der andere eine unipolare Welt nicht akzeptieren will oder gar selbst nach der Rolle des Hegemons strebt.

Im aktuellen Spiegel (30.04.2022, ab Seite 80) erklärt der Inder Pankaj Mishra, dass China und Russland zunächst durchaus ein Teil der westlichen Moderne sein wollten. Sie ließen westliches Kapital herein und investierten im Westen. „Über die Jahre aber stellte sich der Verdacht ein, dass die Globalisierung letztlich ein Mittel des Westens ist, seine Hegemonie zu sichern.“

So beleuchtet, sieht die deutsche Politik nicht gut aus. Nach der Kabinettsklausur in Meseberg am 4.5.2022 spricht Olaf Scholz von der Globalisierung  und deren Bedeutung für uns. Wir seien das Land mit der meisten internationalen Vernetzung (Scholz, Habeck und Lindner zum Ukraine-Krieg https://f7td5.app.goo.gl/hZiRUL).

Unsere Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine wird so gesehen gebraucht, um genau diese unglücksträchtige Politik zu retten. Annalena Baerbock meint sogar, aus der Position der nicht kriegsführenden Partei heraus, der Ukraine Kriegsziele definieren zu dürfen. Sie sagt im Bild-Interview vom 1. Mai 2022: „Ein Waffenstillstand kann nur ein erster Schritt sein. Für uns ist klar: Eine Aufhebung der Sanktionen gibt es nur, wenn Russland seine Truppen abzieht. Ein Frieden zu Bedingungen, die Russland diktiert hat, würde weder der Ukraine noch uns in Europa die ersehnte Sicherheit bringen. Schlimmstenfalls wäre er die Einladung zum nächsten Krieg – noch näher an unseren Grenzen.“

Nachtrag, 8.5.2022: Es ist eine Grenzüberschreitung, der Ukraine zu sagen, was sie wollen soll. Das geht von der „Pflicht zur Klugheit, einzusehen, wann man sich ergeben muss“ (Richard David Precht) über den „Abzug aller russischen Soldaten aus der Ukraine“ (Annalena Baerbock) bis hin zu „We want to see Russia weakened“ (Lloyd Austin).

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3 Antworten zu Globalisierung

  1. Eike sagt:

    Der Kampf um hegemoniale Vorherrschaft wurde im Laufe der Geschichte auf unterschiedliche Art geführt. Gleichzeitig hat man Regeln aufgestellt, um diesen Kampf um Vorherrschaft zu „zivilisieren“. Das Völkerrecht und das Prinzip der Staatlichen Souveränität ist eines der wichtigsten.

    Darauf folgten weitere Versuche, innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft Organisationen und Regime zu etablieren, die Kriege verhindern. Tatsächlich kann man sagen, dass all die Regime und internationalen Organisationen weitestgehend von der USA genutzt werden, um ihren größer werdenden Einfluss zu manifestieren. Der Preis ist ein höherer Rechtfertigungsdruck bei der Verletzung solcher Regeln.

    Trotz aller Instrumentalisierung des internationalen Systems und der nicht von der Hand zu weisenden nach wie vor vorhandenen Abhängigkeiten und Ausbeutungsverhältnisse und der Versuch indirekter und direkter Einflussnahme, die es zweifellos gibt, ist das Völkerrecht ein wichtiger Garant dafür, dass internationale Machtpolitik nicht wieder in völlige Barbarei zurückfällt.

    Nur darum geht es! Es geht nicht darum, wer sich durch wen marginalisiert oder in die Ecke gedrängt fühlte und deshalb um sich schlägt.
    Es geht darum, dass wir unter keine Umständen eine durch Waffengewalt herbeigeführte Grenzverschiebung durch Tatenlosigkeit legitimieren dürfen. Das ist nicht verhandelbar. Ich höre oft, dass man ja mit Putin über die Ukraine hätte sprechen müssen. Das wurde meines Erachtens zur Genüge getan. Wenn ein „Kompromiss“ aber nur darin bestehen kann, dass ein Souveräner Staat Territorien abgeben muss um eine militärische Invasion zu vermeiden ist das nicht akzeptabel.

  2. Timm Grams sagt:

    @Eike
    Dass der Angegriffene sich verteidigen und für diese Verteidigung auch Hilfe beanspruchen darf, ist doch selbstverständlich. Schwierig wird es erst, wenn es darum geht, Angriff und Verteidigung trennscharf auseinanderzuhalten und den Parteien zuzuordnen. Manipulation und Propaganda machen das nahezu unmöglich, sowohl dem Laien als auch dem Fachmann der Geopolitik.

    Du schreibst: „Es geht darum, dass wir unter keinen Umständen eine durch Waffengewalt herbeigeführte Grenzverschiebung durch Tatenlosigkeit legitimieren dürfen.“ Was aber ist mit Grenzverschiebungen durch die „Instrumentalisierung des internationalen Systems“?

    Ich beziehe mich auf den Unternehmensberater Erich Brendl (Clever manipulieren, 2001), der das, was ich seinerzeit von den geopolitischen Vorgängen mitgekriegt habe, klug in Worte gefasst hat. Meine Kurzfassung: Die Dogmen-Trilogie des Westens fordert von Nationen anderer Kultur die Einhaltung von Menschenrechten, Demokratie und Liberalismus. Zentral ist die Forderung nach freiem Warenaustausch. Konsum als Ersatzreligion. Ich kann nachvollziehen, dass man das als Aggression des wirtschaftlich Stärkeren empfindet und sich in die Ecke gedrängt sieht. Der ungezügelte Markt ist expansiv und kennt keine „Grenzen des Wachstums“. Darin sehe ich das zentrale Problem. Die offensichtlichen Folgen sind Kriege, Flüchtlingsströme und Klimakrise.

  3. Rainer Gebauer sagt:

    Timm: „Der ungezügelte Markt ist expansiv und kennt keine „Grenzen des Wachstums“.“
    Das ist eine leider nur zu wahre sprachliche Verdichtung der zeitgenössischen Menschheitskrise. Ich würde diese Verdichtung allerdings weitertreiben, auf die Gefahr hin, als Zyniker dazustehen: Die Masse Mensch ist expansive und akzeptiert keine „Grenzen des Wachstums“.

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