Wenn die Regeln versagen und die Ideale verblassen

Was ist der Zweck der Verteidigung?
Erhalten.
Erhalten ist leichter als gewinnen

Carl von Clausewitz

Putin hat gegen international anerkannte Regeln verstoßen. Sanktionen hat er dennoch nicht zu befürchten. Es wird für den Westen Zeit, sich zum Zweck der Problemlösung von Wunschträumen und Idealen zu verabschieden.

In der Wirklichkeit gibt es nämlich Schreckliches zu sehen. Diese Wirklichkeit ist durch unsere Brille zwar verzerrt, aber deutlich genug, so dass wir versuchen können, daraus zu lernen.

Ich frage mich, welche Rückschlüsse der Kriegsverlauf auf die Absichten der Akteure erlaubt. Unübersehbar ist nämlich, dass der Westen zwar lautstark Unterstützung für die Ukraine signalisiert und dass die Lautstärke sogar zunimmt, aber dass er wesentlich unter seinen Möglichkeiten bleibt. Olaf Scholz hat deutlich gemacht, dass Deutschland nicht allein im Bremserhaus sitzt.

Mehr von den Absichten der Akteure können wir erkennen, wenn wir uns klar machen, wer die Rolle des Angreifers, und wer die Rolle des Verteidigers annimmt, und welche  Ausgänge möglich sind.

Da ich nicht hellsichtig bin wie beispielsweise Marie-Agnes Strack-Zimmermann und sich meine nähere Bekanntschaft mit dem Militärwesen auf einen 18-monatigen Wehrdienst bei der Bundeswehr beschränkt, werde ich mich damit bescheiden, einen maßgebenden Theoretiker des Krieges zu zitieren (Vom Kriege, Carl von Clausewitz, 1832, Sechstes Buch: Verteidigung):

Daß die Verteidigung leichter sei als der Angriff, ist schon im allgemeinen bemerkt, da aber die Verteidigung einen negativen Zweck hat, das Erhalten, und der Angriff einen positiven, das Erobern, und da dieser die eigenen Kriegsmittel vermehrt, das Erhalten aber nicht, so muß man, um sich bestimmt auszudrücken, sagen: die verteidigende Form des Kriegführens ist an sich stärker als die angreifende.

Dieser Grundgedanke wird weiter ausgeführt:

Daß der Verteidiger den Beistand der Gegend vorzugsweise genießt, ist an sich klar; was aber die Überlegenheit in der Überraschung durch Stärke und Form der Anfälle betrifft, so folgt daraus, daß der Angreifende auf Straßen und Wegen einherziehen muß, wo es nicht schwer wird, ihn zu beobachten, während der Verteidiger sich verdeckt aufstellt und bis zum entscheidenden Augenblicke dem Angreifenden fast unsichtbar bleibt[…]
Diejenigen Dinge nun, welche diesen Erfolg vorzüglich herbeiführen oder erleichtern, also die Hauptprinzipe der strategischen Wirksamkeit, sind folgende:

1. Der Vorteil der Gegend.

2. Die Überraschung, entweder wie im eigentlichen Überfall oder durch die unvermutete Aufstellung größerer Kräfte auf gewissen Punkten.

3. Der Anfall von mehreren Seiten; alle drei wie in der Taktik.

4. Der Beistand des Kriegstheaters durch Festungen und alles, was dazugehört.

5. Der Beistand des Volkes.

6. Die Benutzung großer moralischer Kräfte.

Von Clausewitz erläutert diese Prinzipien. Ich referiere hier nur seine Ausführungen zu den letzten beiden:

Der Beistand des Volkes als fünftes Prinzip findet zwar nicht bei jeder Verteidigung statt, denn es kann einen Verteidigungsfeldzug in Feindes Land geben, aber dieses Prinzip geht doch nur aus dem Begriff der Verteidigung hervor und findet seine Anwendung in den allermeisten Fällen.

Den Nachrichten entnehme ich, dass sich russische Streitkräfte eingraben. Sie scheinen zumindest partiell in den Verteidigungsmodus zu wechseln. Zum sechsten Prinzip schreibt von Clausewitz:

Die großen moralischen Kräfte, welche zuweilen das Element des Krieges wie ein eigener Gärungsstoff durchdringen, und deren sich also ein Feldherr in gewissen Fällen zur Verstärkung seiner Kräfte bedienen kann, sind wohl ebensogut auf der Seite der Verteidigung als des Angriffs zu denken.

Unter der gar nicht so unplausiblen Prämisse, dass keine der kriegführenden Parteien das von ihr jeweils ausgegebene Kriegsziel erreichen wird, nämlich Wiederherstellung der Souveränität innerhalb der völkerrechtlichen Grenzen einerseits und vollständige Unterwerfung des Gegners andererseits, kommt man nicht umhin, die Lage ungeschönt zur Kenntnis zu nehmen:

Wenn sich beide Seiten zur Verteidigung entschließen, weil die Kosten des Angriffs zu groß sind, endet das Blutvergießen und es wird eine Demarkationslinie definiert; Verhandlungen können beginnen. Die Berufung auf die bis dahin völkerrechtlich verbindliche Grenzziehung  hat sich dann für diesen Prozess erledigt. Recht wird neu definiert.

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6 Antworten zu Wenn die Regeln versagen und die Ideale verblassen

  1. John Solar sagt:

    Ihnen ist klar das Sie als Zeitzeuge im Kampf um die Deutungshoheit auf der Strecke bleiben werden solange sie nicht regierungskontakte bzw geheimdienst haben?

    Wieso ist die ungewissheit so schlimm?

    • Timm Grams sagt:

      @ John Solar
      Im ersten Intermezzo denke ich über Sinn und Zweck dieses Weblogbuchs nach.

      Der Wahlbürger hat im Normalfall keine direkten Kontakte zu Regierungen und zu Geheimdiensten. Aber er ist eben Wahlbürger. Daraus leite ich die Pflicht zur Bildung einer gut begründeten eigenen Meinung ab. Das Hoppla!-Blog will dabei helfen,
      1. relevante und frei zugängliche Informationsquellen zu finden,
      2. allgemeine Prinzipien zu identifizieren, nach denen man die Information einordnen und bewerten kann.

      Das ist auch ein Grund dafür, dass ich Ihre Lesevorschläge, obwohl oft im imperativen Ton vorgebracht, gern weitergebe.

  2. John Solar sagt:

    das kommt wohl vom Einfluss von Herrman Scheer: Der letzte Buchtitel lautete ja auch „Der energethische Imperativ“

    Ich muss wohl an meiner Formulierungskunst feilen, betrachten Sie es immer nur als Empfehlung, ich bin ja kein Politiker und muss niemand überzeugen.

    Ich stimme ihren Ausführungen im ersten Intermezzo 99,x% zu, ich muss mir allerdings immer wieder die Grenzen des Wissens aufzeigen und mich daran erinnern….

    Ist der Feind zu klar identifiziert werde ich misstraurisch.. hatte ich ja schonmal bei der Theorie zur abiotischen Öl Entstehung gezeigt, deshalb bin ich nach längerer Recherche zum Klimawandel und dem Co2 immer wieder nur feststellen, das Endspiel darüber wird in China/USA/Japan entschieden, egal was die Klima Kleber meinen, was wir aber können, ist Emissionsvermeidende Technik und Kreislaufwirtschaft entwicklen…..

    Die Co2e Vermeidungsfaktoren sind nahezu überall bedeutend höher… wir können noch viel tun, aber eben auch immer nur unter der gleichzeitigen Betrachtung von Physik, Ökonomie, Sozilogie, gesellschaftlicher Beharrung, usw usw…

    Wie komplex und ungenau die Modelle von z.b. World 3 sind bestreitet ja nciht mal der Erschaffer Jorgen Randers.
    https://clubofrome.podbean.com/e/randers-limits-to-growth-50-years/
    –> das dynamische Komplexe System Erde ist auch heute nicht genauer als 60%….

    Die Industrie nutzt das Greentech Thema halt jetzt wieder zum Geschäfte machen… ein Wirtschaftsbooster….

    Für mich aber ok, solange ich die Emissionsarmen Dinge weiter bezahlen kann….
    Was können wir damit falsch machen, außer das wir die welt, sauberer, leiser, russfreier, Nox freier, und kreislauffähiger machen vielleicht erreichen wir dann einen Gleichgewichtszustand…

    Was mir allerdings schon wehtut und wo man sehr genau aufpassen muss, ist die Lektüre bei Eike, Profs Vahrenholt, Lünning, Ganteför, (UN) Sinn und co…. es ist schon sehr schwierig da die Spielchen und manipulationen zu durchschauen als Fachfremder…

    Ich sehe nach wie vor eine deutlich positivere Entwicklung der Welt als uns medial suggeriert wird, und jetzt wo die Trolle immer mehr in den Fokus geraten bzw. auch das Team Jorge hoffe ich das manche Menschen wieder genauer hinsehen, kostet aber eine Menge Energie Zeit Nerven und Denkleistung…. …..

  3. Timm Grams sagt:

    @ John Solar
    Der Grundsatz, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt, führt in der Diskussion nicht weiter. Sie sollten schon klar machen, welche besonderen Zusammenhänge zwischen der Klimaproblematik und dem Ukraine-Konflikt bestehen. Wenn das nicht gelingt, ist Ihr Hinweis fehlplatziert.

  4. John Solar sagt:

    Zitat:“welche besonderen Zusammenhänge zwischen der Klimaproblematik und dem Ukraine-Konflikt bestehen. Wenn das nicht gelingt, ist Ihr Hinweis fehlplatziert.“

    Es gibt natürlich keine genauen Zahlen zum Methan bei der Nordstreamsprengung
    keine Zahlen wieviel co2e durch explosionen und das verbrennen entsteht, wieviel co2e bei der produktion von munition, und restlichem kriegsgerät und sprengstoff besteht

    aber Captain Obvious sagt es wird schon mächtg was sein….
    https://www.dw.com/de/der-co2-stiefelabdruck-des-ukraine-krieges/a-62251474

    https://www.tagesschau.de/faktenfinder/klima-krieg-ukraine-101.html

    https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/ukraine-krieg-was-bedeutet-der-konflikt-fuer-den-klimaschutz,SyGd2bS

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/ukraine-klima-killer-krieg-so-hoch-ist-der-co2-ausstoss-durch-explosionen-a-38c54327-fcbd-42e6-bf6e-2e5732e3873a

    was wohl passieren würde wenn sich deutsch KlimaaktivistInnen in der Ostukraine auf die Nicht vorhandenen Strassen kleben würden?

    von der leopoldina gibts mal wieder einen neuen Wisch, den ich misstraurisch lese….

    jetzt wird über den hohen co2 preis das follow up geschäft für Big oil gebaut mit CCU und CCs

    https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Nationale_Empfehlungen/2023_Leopoldina_Diskussionspapier_Transformation_des_Energiesystems.pdf

    • Timm Grams sagt:

      Aha, ein Angriff wird abgesagt, weil die Umweltschäden zu groß werden. Glauben Sie wirklich, dass diese Überlegung bei den Politikern und Strategen eine Rolle spielt? Schauen Sie bitte nach, worum es in meinem Artikel geht.

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