Ansteckende Dummheiten

Anfangs habe ich die Beschäftigung mit Chatbots und dergleichen als Spielerei angesehen. Allmählich wird mir klar, dass es sich um gefährliche Spielzeuge handelt.

Damit lassen sich hochwirksame Täuschungen erstellen, die über soziale Netzwerke viral gehen können. Künstliche Intelligenz und Internet ermöglichen ansteckende Dummheiten. Jedermann kann bei der Erzeugung solcher Dummheiten mitmachen. Die dafür nötigen Instrumente sind allgemein verfügbar, teilweise sogar kostenlos.

Wie sich solche Dummheiten mit ChatGPT erzeugen lassen, haben wir in den letzten Artikeln sehen können. Manchmal reicht es, Kunstwerke neu zu interpretieren, und schon ist die Dummheit in der Welt und kann ihren Siegeszug antreten.

Im Freundeskreis macht ein erstaunliches Video die Runde. Dazu gibt es die folgende Erklärung:

Das Video wurde über dem Polarkreis genau zwischen der kanadischen und Alaska-Russischen Grenze gedreht. Es dauert nur ein paar Sekunden, aber es ist wunderschön, dieses Phänomen kann man nur einmal im Jahr für 36 Sekunden sehen. Der Mond ist da der Erde am nächsten, er erscheint und verschwindet sofort wieder, wirklich erstaunlich bis zur Unwirklichkeit. Er ist so nah, dass es aussieht, als würde er die Erde treffen, dann gibt es eine Sonnenfinsternis, die 5 Sekunden dauert und in diesem Moment alles dunkel wird. Dieses Phänomen tritt nur am Perigäum auf (an dem Punkt, an dem der Mond der Erde am nächsten ist) und dort können wir die enorme Geschwindigkeit sehen.

Dass ein solches Machwerk viral geht, kann ich mir nur so erklären, dass viele es für ein Abbild der Realität halten, denn mit computergenerierten Bildern sind wir ja eigentlich schon übersättigt, so dass sich Teilen nicht lohnt. Der „Totentanz“ der Planeten aus Melancholia ist viel eindrucksvoller als der hier fingierte Aufgang und Untergang des Mondes.

Dabei ist die Täuschung in diesem Fall leicht zu entdecken: Der Mond scheint sich, von der Erde aus gesehen, zu drehen, was bekanntlich unmöglich der Fall sein kann. Eine Sonnenfinsternis ist nur bei Neumond möglich und nicht bei Vollmond. Der Wechsel von Voll- zu Neumond dauert überall auf der Erde gleich lang, etwa 15 Tage und nicht etwa nur Sekunden. Video und Erklärtext strotzen von solchen Skurrilitäten. Es muss sich um ein computergeneriertes Werk handeln. Erst der Begleittext macht dieses Werk zu einer Täuschung. Ein Jux? Ein Test auf Leichtgläubigkeit? Wer weiß?

Solche Täuschungen können das Internet fluten. Gustave Le Bon gibt uns in seinem Buch „Psychologie der Massen“ von 1911 im Abschnitt über die „Beeinflussbarkeit und Leichtgläubigkeit der Massen“ einen Hinweis darauf, wie das geschehen kann:

So muss die Masse, die stets an den Grenzen des Unbewussten umherirrt, allen Einflüssen unterworfen ist, von der Heftigkeit ihrer Gefühle erregt wird, welche allen Wesen eigen ist, die sich nicht auf die Vernunft berufen können, alles kritischen Geistes bar, von einer übermäßigen Leichtgläubigkeit sein. Nichts erscheint ihr unwahrscheinlich, und das darf man nicht vergessen, wenn man begreifen will, wie leicht die unwahrscheinlichsten Legenden und Berichte zustande kommen und sich verbreiten.

Wir kennen solche Legenden unter anderem von Qanon. Sie haben im US- Wahlkampf eine ungesunde Rolle gespielt.

Dagegen hilft nur gesunde Skepsis und Disziplin. Insbesondere sollte man solche Fakes niemals ohne Warnhinweis mit anderen teilen. Halten wir uns an die Mimikama-Regel: Zuerst denken – dann klicken.

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5 Antworten zu Ansteckende Dummheiten

  1. John Solar sagt:

    1. Le Bons Buch ist 1895 erschienen

    2. Zitat:
    „Wir kennen solche Legenden unter anderem von Qanon. Sie haben im US- Wahlkampf eine ungesunde Rolle gespielt.“

    Wenn es nur das wäre… ich habe mal die ganzen Berichte, welche Dimension das Thema
    KI/Trolle/Bots/digitale Söldner/digitale Manipulation und Meinungsmache hat schonmal gesammelt, seit Cambridge Analytica hat sich das Thema erneut massiv
    verschärft siehe die Investigativ Reportage von Frontal zu den Cyberkriegen Team Jorge aus Israel –> hier das erste Video auf der verlinkten Seite.

    https://herzausfels.de/2023/02/27/manipulationen-im-netz/

    Auch das letzte Video zu Tiktok und wie China das social Media Netzwerk offensichtlich nutzt um die eigene Bevölkerung mit Bildungsinhalten zu versorgen und
    in die restliche Welt Bullshit raus streamt, damit kann ich auch verdummen.
    Ich hab dann unseren jüngsten mal befragt, der konnte mir das bestätigen, er ist mal bei Tiktok in die falsche Filterblase gerutscht und kaum mehr rausgekommen, weil er nämlich auch lieber Bildung über Raumfahrt haben wollte anstatt Bullshit Media..

    3. Ich hab mal die „für mich“ interessantesten Zitate aus Le Bons Buch hier rausgeschrieben, und auch eine Zusammenfassung von Chatgpt schreiben lassen.
    https://herzausfels.de/2023/02/18/psychologie-der-massen-gustave-le-bon-1895/

    • Timm Grams sagt:

      Ich zitiere die von Rudolf Eisler besorgte Übersetzung des Buches von Le Bon, erstmals erschienen 1911.

  2. John Solar sagt:

    Gerade drüber gestolpert:
    https://www.onvista.de/news/2023/05-10-erstmals-verhaftung-in-china-wegen-fake-news-durch-chatgpt-20-26131679

    –> was ich mir da grade denke, wir können ja nicht mal mehr sicher sein ob der Reuters Bericht selbst nicht durch einen News Bot geschrieben wurde….

    Wie postfaktisch kanns eigentlich noch werden….???

  3. Timm Grams sagt:

    Pioneer berichtet heute von der weltweit größten Elektronik-Konsummesse in Las Vegas:

    Auf der CES wird nahezu jedes Produkt als KI gelabelt, das auch nur im Entferntesten einen Prozess automatisiert oder auf einem Algorithmus basiert. KI-Kopfkissen, die das Schnarchen verhindern sollen, Besserwisser-Zahnbürsten, die Tipps zur Mundhygiene geben, und eine Katzentür, die erkennt, wenn die Katze eine tote Maus ins Haus trägt, wurden vorgestellt. Ein Start-up aus Texas präsentierte einen Schuh mit eingebautem Motor, der die Träger schneller machen soll – natürlich unterstützt durch KI.

    Der Kleine Muck wird real.

    Benjamin Barber:

    Früher produzierte man Waren, um Bedürfnisse zu befriedigen; heute produziert man Bedürfnisse, um Waren zu verkaufen.

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