Am 10. Dezember jährt sich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AEMR zum 75. Mal. Einige geraten darob aus dem Häuschen vor Begeisterung; sogar mit einer Art Gospel Song wollen sie den Geburtstag der AEMR öffentlich feiern.
Ich bin kein Philosoph und auch kein Kenner der Materie. Allein das, was ich den Nachrichten entnehmen kann, bremst meine Begeisterung für die AEMR. Ein Blick auf die Geschichte der Menschenrechte und auf die Außenpolitik von deren Proponenten macht die Ernüchterung komplett.
Das UNO Gebäude steht in Manhattan am East River. Die Skulptur Schwerter zu Pflugscharen im Garten des UNO-Hauptgebäudes schenkte die Sowjetunion der UNO im Jahr 1959. Im Jahr 2001, einen Monat vor den Anschlägen auf das World Trade Center, stand ich vor diesem eindrucksvollen Exemplar sozialistischer Ästhetik. Es appelliert an das Friedensziel der UN-Charta und zielte damals, 1959, auf die friedliche Koexistenz der Machtblöcke UdSSR und NATO. Danach ging das Wettrüsten erst richtig los. Auch der Blick in die Ukraine heute und in den Irak 2003 zeigt uns, was von solchen Appellen zu halten ist: Propaganda.
Dass die USA und Russland sich nicht an den Friedenszweck der UN-Charta und der AEMR binden wollen, zeigt auch ihre Weigerung, dem Internationalen Gerichtshof (IGH) beizutreten.
Aus meiner Sicht wesentlich folgenreicher als die AEMR ist ein anderes Vertragswerk, nämlich der drei Jahrhunderte ältere Westfälische Friede, der den Dreißigjährigen Krieg beendete (24. Oktober 1648). Er definiert für mich auch heute noch das Muster für das friedliche Miteinander von Nationalstaaten.
Anders als die AEMR war der Westfälische Friede keine reine Absichtserklärung, sondern für die vertragschließenden Parteien verbindlich; er ist nicht von Moral, sondern von Interessen bestimmt; er ist weniger herzergreifend – sozusagen nicht singbar; er polarisiert nicht. Er sorgte für Frieden.
Unser Grundgesetz definiert Rechtsansprüche des Einzelnen gegenüber dem Staat. Für die Durchsetzung gibt es Gerichte. Die AEMR haben das nicht zu bieten. Ihr Zweck scheint zu sein, andere Staaten zu diskreditieren.
Das wird durchschaut. Ein sambischer Oppositionsführer sagte im April dieses Jahres zur US-amerikanischen Vizepräsidentin: Es geht ihnen nicht um Demokratie und Menschenrechte in Afrika. Sie verfolgen ihre geopolitischen Interessen. Sie verfolgen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen. Es geht nicht um uns – es geht um sie.
Nachtrag 28.11.2023
So sehe ich die Prioritäten:
- In einer Demokratie muss der gewaltfreie Machtwechsel möglich sein.
- Die Gewaltenteilung und das Machtmonopol des Staates gehören zu einem funktionierenden Nationalstaat.
- Ohne funktionierenden Nationalstaat gibt es keine Menschenrechte.
- In Europa kommt zu den individuellen Menschenrechten und dem Marktliberalismus noch die Freiheit von wirtschaftlichen Zwängen (Not, Armut) hinzu.
Universell und gottgegeben ist daran nichts. All das wurde in den letzten fünf Jahrhunderten erkämpft und mehr oder weniger gut verwirklicht. Es erfordert auch weiterhin unsere volle Aufmerksamkeit.
Kunst im Dienste der Menschenrechte ist keine schlechte Idee. Gospelsongs sind zu harmlos. Eher zur Sache gehen die Aktionskünstler vom Zentrum für politische Schönheit (ZPS). Wem hilft’s, die Menschenrechte zu feiern? Sie umzusetzen gilt’s.
Ein Kommentar zur Mauerfall-Aktion des ZPS hat mir zum besseren Verständnis des aktuellen Spiegelartikels „Ohne Mandat, aber mit Lizenz zum Nerven“ verholfen.
Spannend ist ja die Frage, ob jene Menschen, die ihr Menschenrecht auf Asyl einfordern auch gewisse Menschenpflichten erfüllen müssen. Karl Stickler hat dazu ein provokantes Büchlein geschrieben „Acht Menschenpflichten …“.
LG Norbert Henssler