Wachstum ist eine sehr erfreuliche Angelegenheit. Es ist erhebend, wenn es im Frühjahr grünt und blüht. Der Wirtschaftsliberale übernimmt dieses Bild gern: Fortschritt und Wachstum sind unabdingbar für das Streben des Menschen nach Glückseligkeit. Letzteres wird ihm von der Verfassung als unveräußerliches Recht zugestanden, unter anderem in der Präambel der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776:
We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.
Bevor wir uns die Konsequenzen dieser Verheißung anschauen, werfen wir einen Blick auf Wachstumsprozesse.
Populationsdynamik
Im Frühstadium von Lebewesen oder Güterproduktion haben wir es oft mit exponentiellem Wachstum zu tun. Ein gern genommenes Lehrbeispiel ist die Kaninchenaufgabe des Leonardo von Pisa (1170-1240), genannt Fibonacci: Ausgehend von einem Kaninchenpaar kommt nach je zwei Monaten für jedes Paar ein weiteres Paar hinzu. Monat für Monat ergibt sich so eine Population von 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 usw. Kaninchenpaaren. Jede Zahl ergibt sich aus der vorhergehenden durch Multiplikation mit einem Faktor. Dieser Faktor strebt mit der Zeit gegen den Grenzwert Φ = 1,61803398874989… Auf lange Sicht gesehen wächst die Population also Monat für Monat um eine Zuwachsrate von r ≈ 61,8%. Die Zuwachsrate steht für exponentielles Wachstum.
Aber egal, ob es eine Bakterienkultur in einer Petrischale, eine Tierart in freier Wildbahn oder ein krankmachendes Virus ist: Es gibt für das Wachstum einer jeden Population Grenzen, die jeweilige Kapazität K des Lebensraums. Je näher die Grenze rückt, umso kleiner wird die Zuwachsrate aufgrund knapper werdender Nahrungsmittel.
Nur das Geld auf der Bank scheint sich diesem Gesetz zu entziehen. Bei einer Geldanlage mit reinvestiertem Zins scheint das Kapital über jede Grenze hinaus wachsen zu können. Dafür gibt es aber Inflation und Finanzkrisen (zuletzt 2008 in dem USA und 2010 in Europa).
Interessant wird die Sache, wenn mehrere Populationen um einen Lebensraum konkurrieren (Wilson 2000). Als Beispiel wähle ich Birke und Buche.
Die Birke ist ein typischer r-Stratege, der hauptsächlich in die Fortpflanzung, also in ein möglichst großes r investiert, um einen neuen Lebensraum schnell erobern zu können. Arten mit kleinerem r werden verdrängt.
K-Strategen erzeugen demgegenüber nur wenige Nachkommen, die dafür besser versorgt und behütet werden können. Die Ressourcen werden also in die Überlebensfähigkeit einiger weniger Individuen investiert. Das zahlt sich aus, wenn die Population sich der Kapazitätsgrenze K nähert. Als Beispiel nehmen wir die Buche. Sie hat einen starken hohen Stamm und ein dichtes Blätterdach. Das nimmt unter anderem der Birke das für Wachstum nötige Licht.
So in etwa könnte die Entwicklung der Populationen eines r-Strategen (N1) und eines N-Strategen (N2) aussehen, die sich einen gemeinsamen Lebensraum teilen müssen:
Quelle: Umweltsimulation mit Tabellenkalkulation. Konkurrenz der Arten (Excel-Blatt).
Recht auf Wohlstand und Wachstum
Ab nun folge ich den Linien des Büchleins Wachstum von 2022 und beginne mit dem Plädoyer pro Wachstum von Katja Gentinetta. Ihr Anliegen ist die stete Steigerung des Lebensstandards, und das sei ohne wirtschaftliches Wachstum nicht denkbar. Ihr Leitbild ist der r-Stratege.
Sie verschweigt nicht, dass das Wirtschaftswachstum problematische Nebenwirkungen zeitigt. Aber gerade der Kapitalismus sei lernfähig und schaffe die Voraussetzung, die entstandenen Schäden zu beheben. Den vom Club of Rome postulierten „Grenzen des Wachstums“ setzt sie entgegen: „Der Kuchen wird größer“ (S. 25).
Für sie hat der Mensch „ein Recht auf Wachstum“. Wie er zu seinem Recht kommt, erklärt sie so: Wirtschaftliche Entwicklung sei nichts anderes als der Versuch, vorhandene Dinge und Kräfte neu zu kombinieren. Grenzen des Wachstums könne es aus Prinzip nicht geben, vielmehr entstünden aus neuen Kombinationen neue Produkte, bestehende Produkte in neuer Qualität, neue, effizientere Produktionsmethoden, vielleicht unter Einbeziehung neuer Rohstoffe, Industriezweige. Ihre Leitidee ist, dass die Unternehmen produzieren, was der Konsument will.
Sie blendet aus, dass es diesen souveränen Konsumenten gar nicht gibt. Die Bedürfnisse der Konsumenten sind heutzutage vor allem Ergebnis der Propaganda. Die Werbung ist Basis alles modernen Wirtschaftens, wie man mit Facebook, Twitter, Amazon leicht selbst in Erfahrung bringen kann.
Damit komme ich auf das Modell vom Wachstum zurück. Neue Moden und Bedürfnisse schaffen neue Räume, in denen der r-Stratege sich austoben kann. Das Ganze lebt natürlich davon, dass sich immer wieder neue Räume auftun, dass der Erfindungsgeist des Menschen grenzenlos ist. Von den Zweifeln daran hatten wir es schon.
Bedrohliches Wirtschaftswachstum
Der Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ (2021-2025) setzt ebenfalls auf fortgesetztes Wachstum. r-Strategen sind also weiterhin gefragt, wenn es nach der Ampelkoalition geht. Die neuen Wachstumsräume sind: die digitale Infrastruktur, Solar- und Windenergie, grüner Wasserstoff, Wärmepumpen, Fernwärme, Gebäudesanierung und einiges mehr. Die Hoffnung liegt vor allem auf Innovationen in Wissenschaft und Industrie. Der Ton ist gesetzt:
In die Modernisierung des Landes muss umfassend investiert werden – privat wie öffentlich. Die öffentlichen Investitionen insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung werden wir im Rahmen der bestehenden Schuldenregel des Grundgesetzes gewährleisten, Anreize für private Investitionen setzen und Raum für unternehmerisches Wagnis schaffen, um so Wachstum zu generieren.
Wir haben Lust auf Neues und werden technologische, digitale, soziale und nachhaltige Innovationskraft befördern. Durch bessere Rahmenbedingungen für Hochschule, Wissenschaft und Forschung wollen wir den Wissenschaftsstandort kreativer und wettbewerbsfähiger machen.
Beim Grünen Wachstum geht es unverhohlen um die Schaffung neuer Räume für die Expansion. Wenn mein Verdacht stimmt, dass der Schaffung neuer Expansionsräume Grenzen gesetzt sind, wird auch dieses grüne Wachstum zur Bedrohung.
Das Erschließen neuer Räume geschieht nämlich nicht lastenfrei. Im BUND beispielsweise warf Gründungsmitglied und konsequenter Naturschützer Enoch zu Guttenberg dem Verein Lobbyismus in Sachen Windkraft vor. Diese Konfliktlage klingt auch im Koalitionsvertrag an:
Wir werden Planungs-und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen. Die Erneuerbaren Energien liegen im öffentlichen Interesse und dienen der Versorgungssicherheit. Bei der Schutzgüterabwägung setzen wir uns dafür ein, dass es einen zeitlich bis zum Erreichen der Klimaneutralität befristeten Vorrang für Erneuerbare Energien gibt.
Damit sind wir beim zweiten Teil des Buches Wachstum. Nico Paech verweist auf ökologische Grenzen:
Dies zeigt beispielsweise der geplante Windkraftausbau im Odenwald, der dessen vollständigen landschaftlichen Zerstörung gleich käme, genauso eindrucksvoll wie die Tesla-Ansiedlung im brandenburgischen Grünheide, die Lithium-Förderung in Bolivien, die Neodym Gewinnung in China, die Elektroschrott-Lawine, die sich über den afrikanischen Kontinent ergießt, oder die Wasserkraftprojekte in Brasilien, Island oder der Türkei. (S. 58 f)
Für Paech ist ein von ökologischen Schäden entkoppeltes Wachstum nicht möglich. Er plädiert für eine Abkehr vom Wachstumsstress und eine Hinwendung zur eleganten Genügsamkeit und Beschränkung auf das Wichtige (S. 91). Das sind K-Strategien, von deren grundsätzlicher Realisierbarkeit schon die Rede war.
Was ist bisher passiert?
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte bei uns uneingeschränkte Wachstumseuphorie. Held war der r-Stratege des Neoliberalismus, wie ihn Katja Gentinetta glorifiziert. 1972 hat uns der Club of Rome die Grenzen des Wachstums aufgezeigt. Damit schien die Ära der K-Strategen aufzuziehen. Der neue Schlachtruf Small is Beautiful (Ernst Friedrich Schumacher, 1973) blieb jedoch weitgehend ungehört. Auch heute noch führen Fortschrittsapologeten wie Katja Gentinetta das große Wort. Der nicht mehr leugbare Klimawandel und die anschwellenden Migrationsströme sind Folgen der Versäumnisse.
Ich bin kein Liebhaber von Prognosen, aber immer mehr desselben kann es auch nicht sein.
Literaturhinweise
Katja Gentinetta, Nico Paech: Wachstum. Streitfrage. 2022
Edward Osborne Wilson: Sociobiology – The New Synthesis. 1975/2000
Koalitionsvertrag 2021-2025: Mehr Fortschritt wagen Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit
A) https://energiewende-rocken.org/wie-sich-niko-paech-fuer-abstruse-dinge-hergibt/
B) https://www.jochimsen-dezentral.de/files/Boelkow_gegen_Kernkraft_Kohle.pdf
C) https://energiewende-rocken.org/wenn-postwachstumsoekonomen-die-machbarkeit-der-energiewende-leugnen/
Mein Kampf um demokratische Energiestrukturen
„Nirgends wird so viel desinformiert wie über die mögliche Nutzung der Sonnenenergie“,
Dr. Rudolf Bölkow (Mitinhaber MBB) – natur, Sept. 1981, Ulrich Jochimsen
– und, Bölkow weiter:
‚ Die solaren Utopien von heute sind die Wegweiser zu einer neuen Kultur‘
– natur, Sept. 1981
–> ist doch kein Wunder das hier desinformiert wird von „interessierter Seite“
Die Energietransformation entmachtet viele Leute…. –> die Alternative es nicht zu tun sehe ich nicht; auch wenn wir dadurch wieder an neue Grenzen Probleme stoßen… Allerdings sind wir dabei sie zu lösen.
– z.b. Windradrecycling:
MDR Windrad Recycling damals und heute inklusive Fraunhofer Polymer (GFK und CFK), anstatt sprengen von innen heraus abreisen…
https://youtu.be/Q2zVZPqp6c4
– Car Recycling:
https://youtu.be/pnh1PRBQOPc
– Akku Second USE:
https://youtu.be/dSzKmCYyFGM
– Autoreifen:
a) https://www.springerprofessional.de/fahrwerk/pirelli-testet-reifen-aus-guayule-naturkautschuk/7138040
b) https://efahrer.chip.de/news/reifen-aus-loewenzahn-deutscher-reifen-gigant-macht-schluss-mit-kautschuk_107862
Auch Scholz sieht sie nicht; die Alternative nichts zu tun:
Olaf Scholz: „Nicht ankleben, sondern anpacken“ | Lange Nacht der ZEIT 2023
https://youtu.be/x3S3L-DrvhU?si=voihVQMFckeDiaWf&t=4166
Vizekanzler Habeck an der RWTH: Im Dialog mit Robert Habeck
–> er erklärt hier auch die Spiele mit den Worten Ideologie etc… nimmt den jungen Menschen die Angst…, was ja Prof. Marotzke auch immer wieder macht, eine vernünftige Einordnung.
Im Gegensatz zu den Populisten wie Paech, Ebert, Unsinn, U. Hermann und auch
z.b. „Die -angeblich- Letzte Generation“.
Habeck beschreibt auch den Konflikt der alten und der neuen Industrien, und wer woran festhält und warum…
https://youtu.be/12szFGgti4w?si=kHtZ9Htc8hQxeJR8
Die angeblichen „Umweltschützer“ die dann auf einmal ihr Herz für den Regenwald, den Rotmilan oder die „Insekten“ entdecken sind mir sowas von zu wieder….
Das erinnert ach zu sehr an Prof. Ganteför…. –> hier wiederlegt
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/faktenfuchs-kein-klimawandel-und-keine-duerren-wegen-windraedern,TkS5ovx
Im Buch: Die große Volksverarsche von Hannes Jaenicke, 2013:
„…, Dass ein und derselbe Mensch oft in dem einen Bereich zu umweltbewussten Fraktion, im anderen aber plötzlich zur „nach mir die Sintflut“-Fraktion gehört. Da wäre zum Beispiel der Hausbesitzer, der sich glücklicherweise entschieden hat, kein neues Auto mehr zu kaufen, um die Umwelt zu schonen und Energie zu sparen; doch als der Gesetzgeber von ihm verlangt, eine Außenwanddämmung vorzunehmen, nur weil er die Fassade komplett streichen möchte, geht er auf die Barrikaden.
Oder jene Leute, die permanent über zu hohe Stromkosten meckern und dann bei Obi „olle Glühbirnen“ kaufen, das Fenster bei laufender Heizung gekippt lassen und sich einen stromfressenden Kühlschrank zu legen, weil er gerade so schön billig ist … […] „Die Leute wollen zwar erneuerbare Energien-aber bitte beim Nachbarn. „