Die Welt der Skeptiker ist bunt. Das ist gut so. Skeptiker erheben das Zweifeln zum Prinzip. Und natürlich zweifelt der Skeptiker auch an den verschiedenen Spielarten des Skeptizismus. Da bleiben Kontroversen nicht aus. Es kann sich lohnen, eine solche Kontroverse einmal genauer zu beäugen. Daraus lässt sich etwas über das skeptische Argumentieren lernen.
Im Artikel „Der mörderische russische Yeti vom Djatlow-Pass“, verfasst vom „Skeptiker-Chefreporter“, stieß mir dieses mit Wohlwollen weitergereichte Zitat auf:
Ein Dauerthema in der Bullshitistic ist der „brillante Ketzer“. Gläubige sind oft der Überzeugung, die Wissenschaft werde von verkannten Außenseitern vorangebracht, deren fabelhafte Theorien zunächst abgelehnt, später jedoch als der neueste Stand der Erkenntnis anerkannt werden. Nichts könnte falscher sein. Umwälzende Innovationen entstehen nicht auf der Grundlage eigenbrötlerischer Träumereien. Sie sind vielmehr die Folge massiver gemeinsamer Forschungsanstrengungen und des gegenseitigen Datenaustausches […]
In diesen Zeilen wird für mich die in Skeptiker-Kreisen weit verbreitete Blindheit gegenüber dem Wesen schöpferischer Prozesse deutlich. Mein Kommentar: „Hier offenbart der Schreiber eine verblüffende und sicherlich von ihm unbemerkte Nähe zur Anthroposophie. Beispielsweise meint Prof. Dr. Olaf-Axel Burow, der diesen Kreisen ebenfalls nahesteht: ‚Kreativität gibt es nur im Plural‘. Seine Rezepte auf Grundlage des von ihm zum phantastischen ‚kreativen Feld‘ überhöhten Zusammenschlusses von ‚Persönlichkeiten mit stark unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten, die eine gemeinsam geteilte Vision verbindet‘, bringen möglicherweise technische Optimierungsvorgänge wie die von ihm angesprochenen Entwicklungen des Rolls-Royce, des Apple-Computers und des Mountain-Bikes voran; die wirklich umstürzenden Erfindungen wie die des Buchdrucks, des Telefons, des Computers, des WWW, des Penicillins kommen so aber nicht zustande. Was bei der Lehre vom kreativen Feld herauskommt, ist eine Sammlung von Trivialtäten, wie ‚die Weisheit der Vielen‘ und all das, was man die Tugenden des Mittelmaßes nennen könnte: Teamfähigkeit, Flexibilität, ‚Fokus auf die Zukunft‘. Genau auf diesem Niveau hält sich der Blog-Artikel auf.“
Ich weise im Kommentar auf meine Abschiedsvorlesung hin, in der ich die gegenteilige Auffassung vertrete: Es ist nicht das Team, das erfindet, und neue Lösungen werden auch keinesfalls zielgerichtet angegangen. Der Geistesblitz ereignet sich stets in einem einzigen Kopf! Meist entdecken die Genies rein zufällig Lösungen für Probleme, die sie eigentlich gar nicht hatten.
Mein Diskussionsbeitrag zum Skeptiker-Artikel endet so: „Und noch etwas, das für die Skeptiker mit oberflächlichem Wissenschaftsverständnis ziemlich schwer verdaulich sein dürfte: In den Kaptiteln 2, 6, 7 und 8 seiner Aufsatzsammlung ‚Vermutungen und Widerlegungen‘ bringt Karl Raimund Popper – sicher kein Schwärmer für das Okkulte – eine Reihe von Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte, die die Bedeutung des mystischen und metaphysischen Denkens für das Entstehen neuer Theorien zeigen. Unter anderem: Die Zahlenmystik des Pythagoras ist Quelle das Atomismus; die newtonsche Mechanik ist aus Mythen entstanden; die religiös-neuplatonische Idee, dass der Sonne der höchste Platz im Universum gebührt, war Ausgangspunkt der kopernikanischen Wende.“
Nicht einmal eine halbe Stunde später kommt die Replik des „Skeptiker-Chefreporters“ auf meinen Kommentar. Er bezieht sich zunächst auf meine Bemerkung zur Rolle von Zahlenmystik, Mythen und religiös-neuplatonischen Ideen und schreibt:
Mit dem kleinen Unterschied, dass Newton eben nicht bei den Mythen stehengeblieben ist und diese immer weiter vertieft hat, bis er sich völlig im Mythologischen verloren hat, ebenso wenig wie Kopernikus mit „Ideen“ hausieren ging, sondern sich ein Fernrohr genommen und seine Vermutungen überprüft und schließlich bewiesen hat.
Ja, natürlich, in den Parawissenschaften wird die kritische Seite der empirischen Wissenschaft – nämlich das Deduzieren und Prüfen – sträflich vernachlässigt. Mir wird fälschlich unterstellt, diese Seite übersehen zu haben. Nur: Es ist halt die kreative Seite der Wissenschaft, auf die ich das Augenmerk lenken wollte; deshalb bleibt die kritische Seite unerwähnt. Das Unerwähnte eignet sich prächtig für ein Strohmann-Argument, wie wir gesehen haben. Im Artikel geht es gerade so weiter:
Alles, was er [der „Yeti-Explorer“] herausgefunden hat, weist genau in die gegenteilige Richtung eines „Yeti-Monsters“.
Damit wird mir die Absicht untergeschoben, die Yeti-Monster-Geschichte zu verteidigen. Auch das ist ein Argumentationsfehler. Der Zweifel an einem Argument für eine bestimmte Auffassung zieht nämlich noch lange nicht die Auffassung selbst in Zweifel. Der „Skeptiker-Chefreporter“ macht etwas, das dem Scheitern am Modus Tollens gleich kommt: Aus der Aussage, „Wenn es regnet, gehe ich ins Kino“ lässt sich eben nicht schließen, dass ich auf das Kino verzichte, wenn es nicht regnet.
Das Strohmann-Argument wird weiter ausgewalzt, und zwar in der Replik auf meine Bemerkung „Meist entdecken die Genies rein zufällig Lösungen für Probleme, die sie eigentlich gar nicht hatten“:
Pseudowissenschaftler entdecken eben nicht zufällig „Lösungen“ für echte Probleme noch beschäftigen sie sich überhaupt mit „echten“ Problemen der Wissenschaft, sondern sie sind von diversen Phantastereien überzeugt, ohne dafür jemals Belege zu liefern, und die die „echte“ Wissenschaft längst abgehakt hat.
Als hätte ich das angezweifelt. Der „Skeptiker-Chefreporter“ beantwortet schließlich meine Bemerkung, dass in Skeptiker-Kreisen die Blindheit gegenüber dem Wesen schöpferischer Prozesse weit verbreitet sei, mit dieser Köstlichkeit:
Gewiss ja – erzählen Sie das bitte jemandem, der keine 25 Bücher geschrieben hat, aber nicht mir.
Der „Skeptiker“ sollte eigentlich wissen, dass der Vorwurf der Majestätsbeleidigung – und darum handelt es sich hier ja – dem Skeptiker einem inneren Vorbeimarsch gleichkommt. Wer jetzt noch nicht genug hat, der kann ja den gesamten Blog-Artikel des „Skeptiker-Chefreporters“ samt Kommentaren lesen.
Wo kann man etwas über den Skeptizismus lernen? Im Buch über „Antike und moderne Skepsis“ von Markus Gabriel (Junius Verlag, 2008). Und wo findet man eine gute Zusammenstellung von Argumentationsfiguren – manchmal irreführend, manchmal auch nützlich? In „Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren“ von Hubert Schleichert (Beck, 1997).