Dass für den Friedensnobelpreis viel Dreck am Stecken sein muss, stimmt sicherlich nicht. Willy Brandt hat es auch ohne geschafft und viele andere auch. Neben diesen untadeligen Laureaten gibt es aber zu viele unwürdige: Henry Kissinger und Yasir Arafat. Besonders beeindruckt hat mich Barack Obama. Ich erinnere mich noch gut an die Situation, als Barack Obama am 2. Mai 2011 im »Situation Room« des Weißen Hauses die Jagd auf Osama bin Laden verfolgte. Das fand ich widerlich.
In meiner Welt war ich ziemlich allein mit diesem Urteil. Nur in einer Gruppe hiesiger Juristen fand mein Einspruch Zustimmung: Das war alttestamentarische Rache im Widerspruch zu rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Regeln. Den völkerrechtlich nicht abgedeckten War on Terror hat Barack Obama zwar von George W. Busch geerbt. Die versprochene Schließung des Lagers von Guantanamo hat er aber auch nicht hingekriegt. Und dann gab es noch die enorme Ausweitung des Drohnenkriegs:
Während der Präsidentschaft von Barack Obama wurden Tötungen per Drohne zur Staatsdoktrin, jede Woche unterschrieb er die sogenannte „Kill List“. Und in Zukunft wird ein Donald Trump das tun – dank seines Vorgängers, den Friedensnobelpreisträger Obama.
Es ist üblich, für Verdienste zu ehren und nicht für die Erwartung derselben. Für den Friedensnobelpreis gilt diese Regel nicht. Daher die Fehlgriffe.
Im Blog der Republik beklagt Alfons Pieper, dass Netanjahu Donald Trump für den Friedensnobelpreis vorschlägt:
Gegen Benjamin Netanjahu liegt ein Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor: ihm werden Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung sowie für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Mord, Verfolgung und anderen unmenschlichen Taten während des Kriegs in Israel und Gaza seit 2023 zur Last gelegt. 125 Länder, darunter Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind verpflichtet, Netanjahu zu verhaften, wenn er das Territorium der genannten Länder betritt. Und exakt dieser Netanjahu hat nun Trump für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Da bleibt einem die Spucke weg.
Nimmt man für die Ehrung Maß an Barack Obama, dann ist an Netanjahus Vorschlag kaum etwas auszusetzen.
Ihr Urteil über Obama teile ich nicht, und ich liege wohl auch nicht ganz verkehrt, wenn ich davon ausgehe, dass Ihre Juristengruppe im Wesentlichen aus Rechtspositivisten bestand. Obama und Trump in den selben Topf zu werfen, halte ich nicht für gerechtfertigt.
Einig sind wir uns sofort darin, dass die allgemeine Gültigkeit verbindlicher Regeln durch die Verabschiedung der UN-Charta einen Fortschritt darstellte.
Allerdings bin ich dafür, auch die Fehlerhaftigkeit dieser Charta anzuerkennen, die aufgrund der der UN-Satzung mit der seit dem Kalten Krieg gegebenen weltpolitischen Lage nicht zu ändern ist.
Was der UN-Charta und damit auch dem Kriegsvölkerrecht fehlt, ist jede Berücksichtigung der asymmetrischen Kriegsführung, bei der ein Staat deshalb praktisch zwangsläufig das Völkerrecht verlassen muss, wenn er sich effektiv wehren will.
Nach Völkerrecht sind Terroristen Verbrecher, die mit polizeilichen Maßnahmen zu bekämpfen sind. Sobald die von einem Staat aus operieren, der sie deckt, sind sie innerhalb des Völkerrechts praktisch nicht mehr zu bekämpfen. Auch dann nicht, wenn es sich um Staatsterroristen handelt, die aufgrund geänderter politischer Verhältnisse zu international gesuchten Verbrechern wurden. Die Entführung Eichmanns aus Argentinien war völkerrechtlich ein Verbrechen und nur deshalb möglich, weil diese NS-Täter bereits persönlich vereinzelt und nicht mehr in eigene militärische Organisationen eingebunden waren. Diese Sachlage ist aber bei paramilitärischen Netzwerken wie Hamas und Hisbollah nicht mehr gegeben und wenn ich gegen die vorgehen will, ohne einen Krieg gegen das beherbergende oder unterstützende Land zu erklären, was völkerrechtlich auch nicht möglich ist, habe ich eigentlich nur die Möglichkeit, auch als Staat auf die Mittel der asymmetrischen Kriegsführung zurückzugreifen. In dem Fall ist die Drohne heute das Mittel der Wahl, nicht ohne, aber mit den geringsten „Kollateralschäden“. Bevor Vergleichbares technisch möglich war, haben z.B. die Israelis dafür Killerkommandos geschickt.
Darin nur das Prinzip alttestamentarischer Rache zu sehen, greift mir etwas zu kurz.
Das momentane Vorgehen Israels in Gaza ist aber auch mit einer Vergewaltigung des Herrn Radbruch nicht mehr zu verteidigen, so dass ich es richtig halte, Netanjahu vor Gericht zu stellen. Man kann auch davon ausgehen, dass das Nobelkomitee nicht nur berücksichtigt, wer wen vorschlägt, sondern dass denen auch Folgendes klar ist: Wer um kurzfristiger Gewinne willen, ob nun der eigenen Familie oder seines Staates, darin fortfährt, diesen Planeten zu plündern, kann damit keinen Frieden stiften.
@ Frank Wohlgemuth
Nennen wir es Rechtspositivismus. Als Laie kann ich das nicht weiter vertiefen. Für mich stellt sich die Sache einfacher dar: Ich mag es nicht, wenn die Emotionen unkontrolliert die Macht übernehmen. Hauptsache Kontrolle. Nachrangig ist, ob positives Recht oder natürliches. Ich argumentiere innerhalb eines Kulturraums, der wesentlich durch Amerika geprägt ist.
Was steckt da für eine Logik hinter?
Sowohl die Tötung bin Ladens durch eine militärische Operation als auch die Tötung von anderen Führern der Taliban / Hamas / Hisbollah entsprach nicht dem Völkerrecht, also war es alttestamentarische Rache und deshalb eine emotionale Reaktion. ???
Ich finde nicht, dass man Obama zustimmen muss, aber seine Handlungen im Krieg gegen die islamistischen Angriffe, und als solche muss man auch die gezielten Tötungen aktiver feindlicher Anführer betrachten, sind alles andere als emotional oder unkontrolliert.
Ihre Begründung liegt in der Verpflichtung eines Staates für die Sicherheit seiner Bevölkerung bzw. seiner Soldaten zu sorgen, genauso, wie das früher auch bei den entsprechenden Tötungsaufträgen des Mossad der Fall war. Dass das nicht impulsiv war, sondern kalkuliert, ist schon daran zu sehen, wie sehr darauf geachtet wurde, dass z.B. im Gegensatz zum amerikanischen Angriff auf den Irak oder jetzt zu dem israelischen auf Gaza eine Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde: Da hat man keine Stadt oder auch „nur“ ein Hotel bombardiert, weil da ein Oberterrorist lokalisiert worden war: Den hat man nach Möglichkeit wie z.B. Aiman az-Zawahiri von einer Drohne aus mit einer AGM-114R9X-Hellfire auf dem Hotelbalkon getötet, ohne andere Personen in Mitleidenschaft zu ziehen.
Aber trotz der geringen „Kollateralschäden“ waren das keine Maßnahmen, die ein Militär einfach befehlen konnte, die mussten vom Präsidenten abgezeichnet werden, weil es keine normale Kampfhandlungen waren. Hier sorgt ein aufwändiges Prozedere dafür, dass nicht gewütet wird, und der Präsident erklärt mit jeder Unterschrift seine persönliche Verantwortung für jede Tat. Dabei ist Obama nicht nur Verfassungsjurist, er war auch dafür bekannt, sich nicht nur mit Ja-Sagern zu umgeben – ich gehe bei ihm davon aus, dass gerade die Nichtbeachtung des Völkerrechtes sorgfältig diskutiert war, nicht als „Scheiß aufs Recht“, sondern als die einzige Möglichkeit bei einem asymmetrisch agierenden Feind handlungsfähig zu bleiben und das auch zu vermitteln.
Dazu passt auch, dass er die Durchführung der diplomatisch erheblich problematischeren Aktion gegen bin Laden im formal befreundeten Ausland persönlich im »Situation Room« begleitet hat.
Dreck am Stecken:
Ich bin nicht der Meinung, dass es gerechtfertigt war, Obama nur für die Ankündigung einer anderen Politik den Friedensnobelpreis zuzuerkennen. Aber die Aktionen am Völkerrecht vorbei gegen asymmetrisch agierende Feinde halte ich nicht für Aktionen, die auch nur annähernd mit z.B. Kissingers verdeckten Verbrechen in Südamerika, die nicht aus einer Gefahrenabwehr sondern imperialistisch motiviert waren, vergleichbar sind.
Bei aller Hochachtung für Noam Chomsky: Ich halte die besondere Abneigung einiger westlicher Intellektueller gegen bewaffnete Drohnen („mörderischste Terror-Kampagne der Gegenwart“) für genauso irrational, wie den Einsatz dieser Waffen als das böse Vermächtnis Obamas zu sehen. Es sind Waffen, die uns die heutige Technik zur Verfügung stellt. Ob es Terror- oder Kriegswaffen sind, liegt – wie auch bei Messern oder Raketen – in den Händen derer, die sie einsetzen. Obama hat sie benutzt, um den Terror ganz gezielt zu den Personen zurückzubringen, die meinten, eine Monopol darauf zu besitzen. Wie Krieg, nicht nur mit Drohnen, allgemein als Terror geführt wird, zeigt uns heute Putin.
Nebengedanke zur aktuellen Situation: Wer Putins Überfall auf die Ukraine als eine Abwehr gegen die „Nato-Osterweiterung“ versteht, der müsste eigentlich auch mehr Verständnis für Kissinger entwickeln – gefährdete Interessen hatten die Amis damals in Südamerika auch.
Sorry für die Länge. Aber gerade, wenn ich keine herrschende Meinung vertrete, begründe ich sie gerne.
[…] Vor vielen Jahren habe ich mich mit jemanden, vermutlich einen Juden, über das „Aug um Aug“ Konzept unterhalten. Der meinte, er würde dieses Konzept so interpretieren, dass auch „das Gute vergolten“ würde. Er verhält sich zu Geschäftspartnern so, wie sie sich (mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit) ihm gegenüber verhalten würden.
Das ergäbe größtmögliche „Symmetrie“ und absichtliche Asymmetrie als nützliche „Kriegslist“ (z.B. der Hamas) wird sinnlos….
[…]
Die „Realität“ dürfte stärker sein als das Völkerrecht, das eher ein „Traum“ für Juristen ist….
[Moderator: gekürzt]
@ Frank Wohlgemut
@ Realo
Die USA haben der gesamten Welt gezeigt, wie Gewaltenteilung geht. Und sie sind Virtuosen der Doppelmoral. In Oslo kann man das besichtigen.
@ Frank Wohlgemuth 11. Juli 2025 um 11:28 Uhr
Vorab: Im Blog lasse ich zu, dass Gedanken entwickelt werden – ohne Längenbeschränkung oder Kürzung. Dass ist kein Freifahrschein für endloses Gelabere und KI-Geschwätz. Der Gedanke sollte durchscheinen, wie in Ihrem Fall.
Nun zu einem zentralen Punkt Ihres Kommentars:
Asymmetrische Kriegsführung bietet ein heilloses Rechtsproblem, an dem sich Völkerrechtler die Zähne ausbeißen. Da bin ich kein Fachmann und will auch keiner werden. Als Bürger habe ich die Pflicht zu urteilen. Mein Denkrahmen: 1. Verbrechen gehören geahndet. 2. Urteile werden durch Gerichte gefällt.
Zu 1. Welchen Zweck verfolgt die Strafe? Vergeltung und Rache verschaffen vielleicht Genugtuung, mehr nicht. Als rationale Zwecke bleiben Resozialisierung, Abschreckung und Unschädlichmachung. Im Falle von Osama bin Laden waren sie zum Zeitpunkt der Hinrichtung allesamt bedeutungslos. Warum also dieses Schauspiel? Da bleiben doch nur Vergeltung und Rache und das Denken im Rahmen des Alten Testaments. Über die Angemessenheit der propagandistischen Auswertung der Situation-Room-Szene kann und darf man geteilter Meinung sein.
Das alles passt zur Erzählung von der exzeptionellen Nation. Propaganda!
Zu 2. Nehmen wir an, dass die Bestrafung dennoch einen Sinn ergibt, dann bleibt die Frage nach der Gerichtsbarkeit. Nach einer solchen suchen die USA gar nicht. Sie halten nichts vom Internationalen Strafgerichtshof und auch nichts von Weltrechtsprinzip, zumindest dann nicht, wenn es gegen die eigenen Leute geht. Dabei sind das die derzeit wohl einzigen Möglichkeiten, so etwas wie Rechtssicherheit in internationalen Beziehungen zu erreichen. Die Tötung Osama bin Ladens durch U.S. Spezialkräfte hält einer kritischen juristischen Prüfung nicht stand.
Sie sprechen von Bestrafung, ich nicht.
Meine Formulierung lautete „die gezielten Tötungen aktiver feindlicher Anführer“, wobei eine Betonung auf aktiv liegt: Bin Laden wurde durch eine Infiltration der der Kommunikationsstruktur der Führungsriege der al-Qaida aufgespürt. Was da geschah, war eine Kriegshandlung außerhalb des Völkerrechts und kein Versuch einer Bestrafung.
Wobei es sich in diesem Fall nicht einmal um eine Operation mit klarem Tötungsauftrag handelte. Bin Laden hatte das Pech, beim Stürmen seines Zimmers halb von einer Frau verdeckt zu sein. Derartige Spezialkräfte sind keine Polizeieinheiten, sondern Spezialkräfte des Militärs, die darauf trainiert sind, beim Stürmen eines feindlichen Raumes aus Selbstschutz alle zu töten, die nicht sofort als unbewaffnet erkennbar sind. Das Kennzeichen dafür sind die leeren Hände, die bei bin Laden nicht zu sehen waren. So die Aussage desjenigen, der bin Laden erschossen hat.
Ich habe mich darüber auch schon mit einem deutschen Soldaten mit ähnlicher Ausbildung unterhalten, der das aus seiner Sicht bestätigt hat.
Meines Wissens waren alle, die unter Obama in derartigen Operationen oder gezielt durch Drohnen getötet wurden, im Moment ihrer Tötung noch aktive Anführer des Feindes, wenn auch zu diesem Zeitpunkt nicht im unmittelbaren Kampfgebiet. In Fällen, in denen das nicht so war, stimme ich Ihrer Interpretation dieser Aktionen als Rache zu. Allerdings kenne ich bisher keine.
@ Frank Wohlgemuth 11. Juli 2025 um 20:04 Uhr
Die gezielte Tötung Bin Ladens ist für Sie »eine Kriegshandlung außerhalb des Völkerrechts und kein Versuch einer Bestrafung.« Ihnen ist wohl klar, dass diese Formulierung unter Völkerrechtlern nicht unwidersprochen bleiben kann. Ich zitiere Helen Keller vom Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht der Universität Zürich:
Das ist eine Aussage, mit der Helen Keller formaljuristisch vielleicht sogar im Recht sein mag, aber trotzdem für jeden erkennbar Unsinn absondert.
Nehmen wir die Milizen der Hamas und der Hisbollah: Das sind keine Armeen, die einem Staat zugeordnet werden können, völkerrechtlich handelt es sich wegen ihrer Aktionen also um Verbrecher. Zwar Verbrecher, die in militärischem Maßstab angreifen, die auch regelmäßig Raketen nach Israel schießen, aber eben Verbrecher. Als solche dürfen sie nach Aussage Frau Kellers nur in Zusammenarbeit mit den Ländern, von deren Gebiet aus sie operieren, polizeilich verfolgt aber nicht militärisch bekämpft werden, weil man sie sonst in ihren Menschenrechten beschränken würde. Die Milizen der Hisbollah haben abgesehen davon, dass sie auch von der libanesischen Armee unterstützt werden, selbst eine Stärke, dass der Libanon es, auch, wenn er es wollte, nicht leisten kann, sie militärisch zu kontrollieren, von einer polizeilichen Kontrolle ganz zu schweigen. Die Hamas ist gleichzeitig die regierende Partei in Gaza, Gaza selbst ist kein Staat und schon von daher völkerrechtlich kein Subjekt. Eine Polizei, die Israel bei dem aberwitzigen Versuch, die Hamas polizeilich zu verfolgen, unterstützen würde, existiert nicht.
Ich bin kein Völkerrechtler, aber möchte der Frau Keller doch selbst antworten, anstatt den Kommentar eines anderen Völkerrechtlers im Netz zu suchen:
Die Beschreibungen des realen asymmetrischen Krieges, der da stattfindet, nur als rhetorischen Rückgriff auf das Kriegsvokabular abtun zu wollen, ist ein kläglicher Versuch, die Realität auszublenden, und man tut dem Völkerrecht keinen Gefallen, wenn man versucht, es anzuwenden, wo es nicht passt.
Frau Kellers Aussage spricht Israel letztlich das Recht ab, sich wirksam, d.h. anders als polizeilich, gegen die terroristischen Angriffe von Hamas und Hisbollah zu wehren. Dass eine polizeiliche Abwehr dieser Angriffe bzw. Verfolgung der Angreifer nicht möglich ist, ist offensichtlich. (Die Völkerrechtsverletzungen beim momentanen Krieg gegen Gaza, wegen derer ich Netanjahu gerne vor Gericht sehen würde, haben nichts mit dem hier diskutierten Problem zu tun.)
Ich habe das Beispiel Israel genommen, weil die beteiligten Milizen und Länder hier sehr einfach zu charakterisieren sind, so dass es für jeden völlig klar ist, wie absurd die Anwendung des Völkerrechtes in diesem asymmetrischen Krieg ist. Dass es sich bei den Konflikten, in denen Obama seine Entscheidungen traf, nicht um asymmetrische Kriege handelte, ist eigentlich kaum vermittelbar.
Ich hoffe deshalb für Frau Keller, dass das Zitat aus einem Zusammenhang gerissen ist, der klarstellt, dass Sie sich nicht zu asymmetrischen Kriegen äußern wollte.
@ Timm Grams 11. Juli 2025 um 21:30 Uhr
Zitat: „Ihnen ist wohl klar, dass diese Formulierung unter Völkerrechtlern nicht unwidersprochen bleiben kann.“
Praktisch ist man damit beim „Witz“: „3 Juristen, 4 Rechtsmeinungen“ gelandet und man muss vorerst damit leben können.
[…]
[Moderator: Mit dem Witz von den Juristen wird eine tiefliegende und notwendige Debatte ins Lächerliche gezogen. Das ist unangemessen. Gestrichen habe ich Ihren Exkurs zum Thema freier Wille. Dazu hatten Sie bereits im Blog von Stephan Schleim Gelegenheit. Für Mitleser: Elektroniker ist Realo.]
@ Frank Wohlgemuth 13. Juli 2025 um 10:32 Uhr
Bei der Gegenüberstellung der Politiken von Trump und Obama sind wir auf ein Problem gestoßen, das unlösbar erscheint – der Staubfaden wird erst einmal in der Luft hängen bleiben.
So wie Sie halte ich nichts davon, Verfassungsrechtler gegeneinander in Stellung zu bringen. Meine Argumente finden sich in einem Rahmen, für den die Beschäftigung mit Denkfallen prägend war. Mein Motto ist: »Klug irren will gelernt sein.« (Andere fanden es so gut, dass sie es plagiierten.)
Die Hinrichtung Osama bin Ladens lässt sich möglicherweise rechtfertigen, wenn bin Laden zu diesem Zeitpunkt noch gefährlicher Akteur war. »Hatte bin Laden jenseits seiner spirituell-symbolischen Ausstrahlung überhaupt noch eine Art Kommandomacht über militärische Operationen?« fragt die Humanistische Union
Wenn wir nicht aufpassen, kommen wir sofort ins Moralisieren und zur Frage, welche Regeln gelten sollen: UN-Charta und AEMR oder »Auge um Auge« (2. Mose 21,24)?
So wichtig die kulturellen Ausprägungen des Rechtssystems sind, grundlegend ist die Gewaltenteilung, also dass es so etwas wie das Recht überhaupt gibt.
Diesen Gedanken verdanken wir Montesquieu (1689-1755), der
neben der gesetzgebenden und der Regierungsgewalt (Legislative und Exekutive) noch eine dritte Gewalt auf gleicher Stufe einführt: die juristische Gewalt (Judikative). Die US-amerikanische Verfassung von 1787 ist die wirkmächtige Umsetzung dieses Gedankens.
Auch im Alten Testament wird nicht auf ein Gericht verzichtet, wie das achte Gebot offenbart: »Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten« (2. Mose 20,16)
Noch bevor man sich mit den Menschenrechten befasst, ist zu fragen, wer oder was die Einhaltung der Regeln kontrolliert. Es geht darum, die Irrtumsanfälligkeit des menschlichen Denkens und Fühlens einzuhegen.
Ob im vorliegenden Fall das Strafgesetzbuch oder die Haager Landkriegsordnung Orientierung bieten, weiß ich nicht. Als Organe des Rechts kämen der Internationale Strafgerichtshof und die nationalen Gerichte in Frage, letztere im Rahmen des Weltrechtsprinzips.
Was wir Barack Obama und anderen Präsidenten der USA vorwerfen können, ist, dass sie eine solche unabhängige Instanz weder suchen noch die existierenden anerkennen.
@ Timm Grams
Die Hinrichtung Osama bin Ladens lässt sich möglicherweise rechtfertigen, wenn bin Laden zu diesem Zeitpunkt noch gefährlicher Akteur war. »Hatte bin Laden jenseits seiner spirituell-symbolischen Ausstrahlung überhaupt noch eine Art Kommandomacht über militärische Operationen?« fragt die Humanistische Union
Wollen wir nicht lieber bei der Tötung bleiben, statt von Hinrichtung zu sprechen?
Schon allein der Umfang der Operation passt nicht dazu, dass man das Ziel hatte, bin Laden zu töten – dass ich die Aussage des Schützen aus der Kenntnis des Trainings derartiger Kommandosoldaten für wahrscheinlich halte, habe ich schon gesagt.
Was ich bis jetzt dazu aus dem Stegreif mit relativ alten Wissen geschrieben haben, hat mich trotzdem nachträglich geärgert und ich habe versucht, mich da auf einen neueren Stand zu bringen:
Das hat meine grundsätzliche Meinung zwar nicht geändert, aber ich kann schon mal ein Missverständnis auf meiner Seite ausräumen: Niemand stellt das Recht Israels, sich zu verteidigen, in Frage, nur weil es sich bei den Angreifern nicht um eine reguläre Armee handelt. Da muss ich mich also für meine Interpretation des Zitats bei Frau Keller entschuldigen.
Der Text von Frau Keller ist im Internet direkt zu finden.
Die Konflikte, in denen Obama mit seinen personenbezogenen Kommandos operierte, waren der Afghanistan- und der Irakkrieg, beides bewaffnete Konflikte, die in Ausmaß und Wirkung Krieg genannt werden müssen. Da die feindliche Partei (sorry, dass ich da nicht neue Namenskonventionen einhalte, aber von Gegnern rede ich nur im Sport) nicht in einer regulären Armee bestand, gab es teilweise im täglichen Umgang Erkennungsschwierigkeiten auf Seiten der Amerikaner (inhaltlich aus einem Bericht zitiert „Man war sich nie sicher, ob der Bauer, mit dem man tagsüber zu tun hatte, sich nicht nachts in einen Taliban verwandelte“).
Trotz dieser Zweifel im täglichen Umgang mit einzelnen, anscheinend unbewaffneten, Menschen kann man in diesen Kriegen aber Sicherheit davon ausgehen, dass es sich bei der Führung dieser Milizen sowie bei den sie umgebenden Truppen um „Vollzeit“-Soldaten handelt, so dass sie schon von daher, ganz abgesehen davon, dass Polizeiarbeit überhaupt nur in befriedeten Gebieten möglich ist, um Angreifer handelt, denen militärisch zu begegnen ist.
Die Fragen, die an Frau Keller zu stellen sind, sind deshalb folgende:
Womit begründet sie, dass bin Laden, der durch seine Kommunikation immer noch als Teil der Führung der Taliban identifiziert war, nicht als hochrangiger Kombattant ein normales Kriegsziel sein durfte?
Womit belegt sie, dass es sich hier um eine Hinrichtung handelte und nicht um den Versuch einer Gefangennahme?
Wie kommt sie auf die Idee, dass es sich bei den bewaffneten Männern in der Umgebung eines Milizenführers nicht um Milizionäre, also „normale“ Kombattanten, handelte und spricht – ihrer unbewiesenen und in meine Augen unwahrscheinlichen These von der Hinrichtung folgend – bei deren Tod von Kollektivstrafe?
Zur Frage der Humanistischen Union zum Einfluss bin Ladens auf die Kriegsführung der Taliban zum Zeitpunkt seiner Tötung: Ich halte das für irrelevant gegenüber der Tatsache, dass man ihn aufgrund der existierenden Kommunikation noch als Teil der militärischen Führung rechnen musste.
An der Stelle noch eine etwas unkorrekte Anmerkung zur „spirituell-symbolischen Ausstrahlung“: Religiöse Hassprediger mit Charisma, die über ihre Gefolgschaft neue Kämpfer erzeugen, können nicht nur Kriege auslösen, sondern auch einen größeren Einfluss auf Kriege haben, als mancher General. Insofern halte ich ein Kriegsrecht, dass Priester grundsätzlich als militärische Ziele ausschließt, in seiner Konsequenz nicht unbedingt für menschenfreundlich.
Da muss ich Ihnen zustimmen, kann es aber wieder nicht lassen, zu relativieren.
Sie verlinken da auf eine entsprechende Diskussion zur Ukraine.
Was sind die paar (wir reden immerhin von militärischen Konflikten, deren Opferzahlen in Tausenden gezählt werden) rechtlich zweifelhaften Tötungsbefehle Obamas gegen das, was Putin in der Ukraine anstellen lässt?
Oder gegen das, was Netanjahu mit der Unterstützung Trumps in Gaza veranstaltet?
Oder gegen die Folgen der Einstellung von USAID durch Trump?
Oder gegen die Folgen des Ausstiegs Trumps aus den Klimaabkommen und seiner Politik einer gewaltsamen Rückkehr zur Erdölwirtschaft?
usw.
Der Name des Chefanklägers beim Netanjahu Prozess beim IStGH (in Den Haag) ist z.B. ausgerechnet „Karim Khan“. Das sagt für mich alles aus, über die zu erwartende Objektivität.
Ich habe zwar nicht den geringsten Zweifel, dass ein Zusammenleben der Menschen in einen Rechtsstaat ohne funktionierendes Rechtssystem unmöglich wäre.
Andererseits gibt es Entscheidungen, die „nicht ganz verständlich“ sind.
[…]
Dass Staaten, eher „mächtige Staaten“, sich nicht auf diese „Ebene“ der “Advokaten Tricksereien“ begeben wollen und lieber auf das „Naturrecht“ (dem Recht des Stärkeren) setzen, scheint naheliegend.
Z.B. hat Amerika die „nine eleven Angelegenheit“ inkl. der „Bin Laden Tötung“ im Sinne des „Naturrechts“ gelöst. Israel scheint ebenfalls die „Gaza Frage“ so lösen zu wollen….
Beim Ukrainekrieg ist das Problem die Nato Osterweiterung und dass sich die Ukrainer von Russland unabhängig gemacht haben, aber den rund 20% Russen in der Ukraine diese Unabhängigkeit von der Ukraine nicht gestattet haben…..
Das Geschehen entspricht der „Realität“, mich wundert nichts mehr…..
[Moderator: gekürzt]
@ Frank Wohlgemuth 14. Juli 2025 um 13:20 Uhr
Überwiegend stimme ich zu, ausgenommen die utilitaristische Sichtweise, nach der Menschenleben gegen Menschenleben aufgerechnet werden dürfen.
Die Menschenwürde des Grundgesetzes entspricht dem Unendlich in der Mathematik, und dort gilt bekanntlich 1000×∞ = ∞. So gesehen verbietet sich das utilitaristische Kalkül mit Menschenleben.
So empfinden wir aber nicht. Die meisten Menschen urteilen utilitaristisch, wie die Umfragen nach dem Film Terror gezeigt haben.
Dilemma-Situationen wie im Schauspiel Terror sind rational nicht auflösbar. Für mich ist die Festlegung des Grundgesetzes ein Imperativ, der den Staat verpflichtet, Dilemma-Situationen erst gar nicht auftreten zu lassen.
Im Falle von Kriegshandlungen hilft dieser Imperativ leider nicht. Dementsprechend verliert der Begriff der Menschenwürde an Bedeutung. Aber dann wird das Aufrechnen von Menschenleben ebenfalls sinnlos.
Diese holzschnittartige Darstellung macht zumindest eines deutlich: Wir können uns nicht auf ein universell anerkanntes Wertesystem stützen. Für das Urteil, ob ein Verbrechen vorliegt, haben wir nur die Maßstäbe unserer eigenen Kultur, in der der Wert des Individuums über allem steht (»Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei«, 1. Mose 1,26). Dieser Geist steckt u. a. in unserem Grundgesetz.
In diesem Denkrahmen wird man die Tötung Osama bin Ladens, das Lager Guantanamo und den Drohnenkrieg als Verbrechen verurteilen.
Aus den daraus sich ergebenden Dilemma-Situationen gibt es keine legalen Auswege. Dennoch: Das Leben geht weiter.
@ Timm Grams
Damit sind wir für mich genau am Kern dieses Threads, der den schlechten Scherz, Trump als Friedensnobelpreisträger vorzuschlagen, als Ansatz nimmt, die Unwürdigkeit vorhergehender Preisträger, u.a. Obamas, festzustellen.
Die Ethik sagt uns, dass Utilitarismus nicht mit unserer Vorstellung von Menschenwürde (an dieser Stelle bedeutet „Mensch“ Objekt staatlichen Handelns) vereinbar ist und erklärt damit implizit auch die Würde bzw. Amtswürdigkeit der handelnden Person zum binären Wert. Wir haben dann in unserer Suche nach würdigen Personen nur das Problem, keine mehr zu finden, weil wir vor diesem Maßstab alle unwürdig werden, sobald wir mit dem Handeln einmal begonnen haben.
Oder andersherum: Auf diesen Platz nur Engel hinsetzen zu wollen, lässt uns für diesen Preis niemanden mehr finden – wir sollten das Suchmuster ändern und statt des würdigen den am wenigsten unwürdigen Menschen suchen, wobei wir es uns dabei nicht mehr leisten können, die aufgezählten Sünden der einzelnen Kandidaten nicht zu relativieren, also utilitaristisch zu beurteilen.
So sehe ich auch das Urteil des BVG zu den Völkerrechtsverstößen der USA: Während die Verfassung selbst als Ausdruck unserer Ethik nicht utilitaristisch sein darf, müssen die Urteile so sein, dass wir damit leben können, sie müssen uns also eine gewisse Handlungsfreiheit erhalten.
p.s.
Bevor ich zur Ordnung gerufen werde, werde mich jetzt selbst aus dieser Diskussion zu verabschieden. Meine Sicht ist hinreichend dargestellt. ;-)
Passendes Schlusswort. Schließe den Thread, bevor noch jemand auf die Idee kommt, ein paar Schleifchen anzubringen. Proteste direkt an mich:
Timm.Grams@et.hs-fulda.de
@ „Timm Grams 15. Juli 2025 um 08:53 Uhr
Zitat: „Überwiegend stimme ich zu, ausgenommen die utilitaristische Sichtweise, nach der Menschenleben gegen Menschenleben aufgerechnet werden dürfen.“
Genau dieses Problem hatten KI Techniker die Software für autonome Autos entwickeln mussten obwohl gleichzeitig ein Verbot „Menschenleben aufzurechnen“ besteht.
Es geht darum, wie ein KI Auto im Notfall ausweicht. Wenn es nicht ausweicht sind alle tot.
1. Einer jungen Frau mit Kinderwagen.
2. Einen behinderten alten Mann.
3. Die Annahme dass KI gesteuerte Autos weniger Unfälle und Todesfälle verursachen werden als Menschen. (KI berücksichtigt alle Verkehrsregeln und ist niemals betrunken….)
Es wäre ein typisches Optimierungsproblem. Aber die gut gemeinten Regeln betreffend die Menschenwürde, verursachen zusätzliche Opfer.
Auch aus den sich hier ergebenden Dilemma-Situationen gibt es keine legalen Auswege.
Manche nennen es „Dilemma der schmutzigen Hände“. Theologen dürften es mit dem Konzept der Erbsünde verknüpfen.
Ergänzung: Das „Dilemma der schmutzigen Hände“, allenfalls in den Knast zu kommen, lassen sich manche fürstlich abgelten. Droht der Strick, melden sich Todkranke….
Dieses Dilemma ist uns bereits begegnet.
Ganz aktuell das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Zwei Kläger aus dem Jemen hatten sich gegen die Steuerung von US-Kampfdrohnen über Ramstein gestellt. Das Bundesverfassungsgericht wies ihre Beschwerde ab.
Für mich läuft es darauf hinaus, dass man aus Gründen der Staatsräson Völkerrechtsverstöße durch die USA nicht ahnden will: