Wirst du aber […] alles tun, was ich dir sage, so will ich deiner Feinde
Feind und deiner Widersacher Widersacher sein. Ja, mein Engel wird vor dir
hergehen und dich bringen zu den Amoritern, Hethitern, Perisitern,
Kanaanitern, Hewitern und Jebusitern, und ich will sie vertilgen.
2. Mose 23, 22-23
Hüte dich, einen Bund zu schließen mit den Bewohnern des Landes,
in das du kommst, damit sie dir nicht zum Fallstrick werden in deiner Mitte;
sondern ihre Altäre sollst du umstürzen und ihre Steinmale zerbrechen
und ihre heiligen Pfähle umhauen; denn du sollst keinen andern Gott anbeten.
Denn der HERR heißt ein Eiferer; ein eifernder Gott ist er.
2. Mose 34, 12-14
„Bullshit? Bingo!“ überschreibt ein „Skeptiker“ seinen Blog-Artikel. Bullshit ist ein in „Skeptiker“-Kreisen gern genommener Kraftausdruck, mit dem die Abscheu gegenüber Äußerungen von Homöopathen und paranormal „Begabten“ zum Ausdruck gebracht wird. Um auch ja nicht falsch verstanden zu werden, beruft man sich auf das Heftchen Bullshit des US-amerikanischen Philosophen Harry Gordon Frankfurt.
Bullshit
Ich kann diesen 42-seitigen und prätentiös in Buchform gebrachten Text – der Titel „Bullshit“ der Suhrkamp-Taschenbuchausgabe ist in erhabenen(!) Buchstaben gesetzt – nicht ernst nehmen. Für mich handelt es sich um eine Faschingsvorlesung, um einen Vortrag also, den Professoren halten, wenn sie die Gepflogenheiten ihres Faches einmal durch den Kakao ziehen wollen. Mit professoraler Akribie und unter ausufernder Diskussion von Quellenmaterial, nicht zu vergessen das Oxford English Dictionary, verbreiten sie sich dann über ein lächerliches Thema. Was in diesem Fall dabei herauskommt, ist genau das, was der Titel verspricht: breitgetretener Bullshit. Spaßig.
Textprobe: „Es scheint durchaus angebracht, zwischen achtlos hergestellten, minderwertigen Produkten und Bullshit eine Parallele zu sehen. Aber in welcher Hinsicht? Liegt die Übereinstimmung darin, dass auch Bullshit stets achtlos und ohne jede Sorgfalt produziert wird, dass er nie fein gearbeitet ist, dass sich bei seiner Herstellung niemals die penible Aufmerksamkeit fürs Detail findet, von der Longfellow spricht? Ist der Bullshitter seinem Wesen nach ein geistloser Banause? Ist sein Produkt in jedem Fall grob und unsauber gearbeitet? Das Wort shit verweist natürlich darauf. Exkremente sind niemals in besonderer Weise gestaltet und gearbeitet. Sie werden nur ausgeschieden und entsorgt. Sie mögen eine mehr oder weniger in sich geschlossene Form haben, aber ganz sicher sind sie nicht ‚mit größter Sorgfalt gearbeitet‘.“
Mancher „Skeptiker“ nimmt den Bullshit-Text offenbar ernst. Er empfindet ihn als Rückenwind für seine Angriffe gegen Para- und Pseudowissenschaftler. Die „Bullshit“-Metapher dient ihm der Kontrastbetonung. Sie gibt seinen verbalen Attacken die rechte Würze. In der “Skeptiker”-Ecke des Internets gibt es denn auch eine Bullshit Police, ein Bullshit-Blog, eine Bullshit-Olympiade und diverse Bullshit-Bingos.
Freund oder Feind?
Eine kleine Textprobe: „Ich möchte mit meinen Zuschauern meinen Bullshitdetektor schärfen und begebe mich dafür in die vernunftverlassensten Ecken der Esoterik, Verschwörungstheorien und Pseudowissenschaften, ziehe Bullshitter aus ihren Löchern und lege jede ihrer Aussagen auf die Goldene Waage der Wahrheit.”
Da kommt ein ziemlich einfaches Weltbild zum Vorschein: Der „Skeptiker“ versucht Wahrheit und Bullshit zu trennen; er selbst steht auf der Seite der Wahrheit, seine vermeintlichen oder tatsächlichen Gegenspieler hingegen reden Bullshit.
Was derartiges bipolar ausgerichtetes Denken anrichten kann, zeigt der ehemalige U.S.-Präsidenten George W. Bush. Er gibt sich als überzeugter Christ, als Born-Again. Dem Journalisten Bob Woodward gegenüber erklärte er seinerzeit, dass er auf Ratschläge seiner Berater und auf Unterstützung durch seinen Vater, den früheren Präsidenten, verzichten könne, da er „einen höheren Vater“ konsultiere (The Faith Factor. TIME, 21.6.2004, S. 36-41). Damals ging es um den Einmarsch in den Irak.
George W. Bush steht auf der Seite des Guten, denn Gott ist mit ihm. Seine Gegner bilden die Achse des Bösen. Die TIME vom 30 Juni 2014 präsentiert – ganz aktuell – auf der Titelseite das katastrophale Ergebnis dieses bipolaren Denkens: THE END OF IRAQ.
Der Vergleich ist ziemlich drastisch, ja übertrieben; das gebe ich zu. Und den „Skeptikern“ wird er gar nicht gefallen. Er zeigt nämlich die Nähe ihrer Argumentation zu derjenigen ihrer Gegner. Aber genau darum geht es mir: um die Grundmuster der Argumentation, die auf beiden Seiten anzutreffen sind.
Ontologie für Rechthaber
Die Argumentationsweisen, die ich hier meine, zeichnen sich alle durch einen unangreifbaren Dreh- und Angelpunkt aus. Gott ist ein solcher. Wer ihn auf seiner Seite hat, ist im Recht und im Besitz der Wahrheit. Und wie sieht er bei den „Skeptikern“ aus?
Da sich die „Skeptiker“ als Anwälte der Wissenschaften verstehen, müsste man meinen, dass ihre Argumentationskultur streng an wissenschaftlichen Grundsätzen orientiert ist. Aber damit haben sie ein Problem, denn: Wissenschaft kann keine absoluten Wahrheiten bieten. In den empirischen Wissenschaften ist das Weltbild von den Wahrheitsbesitzern einerseits und den Bullshittern andererseits nicht unterzubringen.
Für den Bekehrungseifer hin zur Wahrheit lässt sich dem Felde der Wissenschaft also kein Schwung abgewinnen. Der „Skeptiker“ braucht aber die sichere Basis. Er muss sich des Besitzes der Wahrheit, nämlich der (unwandelbaren) Naturgesetze, gewiss sein können. Erst dann kann er das Gefühl haben, dass seine Angriffe und Hohn- und Spottaktionen gerechtfertigt sind.
Harry Frankfurt zeigt einen Rettungsweg zum Heil – ob ernst gemeint oder nicht. Er drückt seine Botschaft so aus: „Wer […] nicht mehr an die Möglichkeit glaubt, bestimmte Aussagen als wahr, andere hingegen als falsch auszuweisen, dem bleiben nur zwei Wege. Entweder er stellt jegliche Versuche ein, die Wahrheit zu sagen bzw. zu lügen. Das bedeutet, auf Tatsachenbehauptungen ganz und gar zu verzichten. Oder er stellt weiterhin Behauptungen auf, die den Anspruch auf eine Beschreibung der Wirklichkeit erheben, aber nichts anderes als Bullshit sein können.“
Und weiter: „Die gegenwärtige Verbreitung von Bullshit hat ihre tieferen Ursachen auch in diversen Formen eines Skeptizismus, der uns die Möglichkeit eines zuverlässigen Zugangs zur objektiven Realität abspricht und behauptet, wir könnten letztlich gar nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind. Diese ‚antirealistischen‘ Doktrinen untergraben unser Vertrauen in den Wert unvoreingenommener Bemühungen um die Klärung der Frage, was wahr und was falsch ist, und sogar unser Vertrauen in das Konzept einer objektiven Forschung. Eine Reaktion auf diesen Vertrauensverlust besteht in der Abkehr von jener Form der Disziplin, die für die Verfolgung eines Ideals der Richtigkeit erforderlich ist, und in der Hinwendung zu einer Disziplin, wie sie die Verfolgung eines alternativen Ideals erfordert, nämlich eines Ideals der Aufrichtigkeit.“
Da der „Skeptiker“, seinem Selbstbild entsprechend, sicherlich keinen Bullshit redet, weiß er sich, Harry Frankfurt im Umkehrschluss folgend, im Besitz eines „zuverlässigen Zugangs zur objektiven Realität“, wie auch immer dieser aussehen mag. Der „Skeptiker“ hat den Blick für das Wesen der Dinge, er ist im Besitze einer Ontologie. Die damit einhergehenden metaphysischen Hypothesen haben den Vorteil, prinzipiell nicht widerlegbar zu sein. Das schafft Sicherheit, ist Gott-Ersatz.
Kurz oder lang?
Harry Frankfurt hat sicherlich nur Spaß gemacht, denn „objektive Forschung“ steht keineswegs infrage, nur weil wir „gar nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind“. Nach Karl Raimund Popper liegt „die Objektivität wissenschaftlicher Sätze […] darin, dass sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen“ (Logik der Forschung, 8. Abschnitt). Ein unmittelbarer Zugriff auf die Realität ist für unseren Erkenntnisapparat leider unmöglich, für eine objektive Wissenschaft aber glücklicherweise auch verzichtbar. Objektivität lässt sich rein diesseitig erreichen.
Harry Frankfurt meint (vermutlich im Spaß), man könne über Wahrheit in der Wissenschaft im Positiv reden („was wahr ist und was falsch ist“). Das sehen die Erkenntnistheoretiker Karl Raimund Popper, Hans Albert und Gerhard Vollmer anders. Sie reden über mehr oder weniger Wahrheitsnähe, also konsequent im Komparativ. Anstelle von Frankfurts „zuverlässigem Zugang zur objektiven Realität“ sehen sie nur eine mehr oder weniger gute Annäherung an die Realität. In Bildern gesprochen: Wenn ich zwei Stöckchen vorgelegt bekomme, kann ich sehr wohl sagen, welches länger ist und welches kürzer. Ob das längere lang oder das kürzere kurz ist, kann ich nicht entscheiden, solange mir ein absoluter Maßstab fehlt.
Auch das Reden im Superlativ ist durchaus in Ordnung, zum Beispiel ist folgende Rede möglich: Unter den bekannten Theorien r, s, t, u, … ist die Theorie r diejenige, die der Wahrheit am nächsten kommt, eben weil sie wenigstens die von den Theorien s, t, u, … erklärten empirischen Sachverhalte ebenfalls erklärt und weil sie umfassender, präziser oder besser geprüft ist als jene.
Von einem Vertrauensverlust in das Konzept einer objektiven Forschung kann also nicht die Rede sein, nur weil wir „letztlich gar nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind“. Allerdings bekommt der Begriff der objektiven Erkenntnis eine Bedeutung, die ihm durch Karl Raimund Popper beigemessen wird; er steht nicht für die Erkenntnis einer objektiven Realität.
Übrigens: Können Sie sich einen Moralphilosophen vorstellen, der Aufrichtigkeit für Bullshit hält, bloß weil er meint, der Mensch könne eben auch nicht die Wahrheit über sich selbst erkennen?