Links blinken, rechts abbiegen

Das Thema Propaganda lässt mich nicht los. Die europäischen Kriege, in denen eine nicht dem Territorium Europas zugehörige Macht Hauptakteur ist, zeigen, wie wichtig das Thema ist. In der Diskussion zum letzten Artikel kam zur Sprache, wie eng Kriege und Klimakrise miteinander verwoben sind. Fangen wir mit dem Klima an.

Der gute Wille ist da

Aus dem Freundeskreis erhalte ich die gut gemeinte Aufforderung, ich möge mich gegen den Klimawandel zusammen mit anderen mächtig ins Zeug legen. Die Anregung dazu gab ein TED-Vortrag von Johan Rockström

Der erste und größte Teil dieses Vortrages bringt Variationen über einen allgemein bekannten Sachverhalt, den Friedrich Engels in diese prägnanten Worte gefasst hat:

Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solcher Siege rächt sie sich an uns.

Rockström meint, dass das Erdsystem immer größere Rechnungen an die Gesellschaften auf der ganzen Welt schicke: in Form von Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen. Das fange an, weh zu tun, sowohl in Bezug auf die sozialen Kosten für die Menschen als auch die wirtschaftlichen Kosten.

Das macht uns betroffen und wir wissen auch, was zu tun ist: Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Aber keiner nimmt das so richtig ernst und ein „jeder fummelt am Gürtel des Nachbarn herum“ (Norbert Blüm, 1935-2020).

Das Fazit ist, dass sich kaum jemand gegen den Klimawandel ins Zeug legt. Ernst Friedrich Schumachers Parole von 1973 „Small is beautiful“ hat in unserer Gesellschaft keine Chance. Die Fortschrittsapologeten treten ans Mikrofon und erklären uns, dass auch weiterhin wirtschaftliches Wachstum wie gewohnt möglich sei, dank der zu erwartenden Innovationen.

Overshoot

So scheint auch Johan Rockström zu denken. Er verweist auf das Unvermeidliche, nämlich, dass wir die auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 vereinbarte Schranke für den Temperaturanstieg nicht einhalten können. Aber er macht Hoffnung: Nach einem vorübergehenden leichten Überschießen des globalen Temperaturanstiegs könnten wir das 1,5 Grad Ziel doch noch erreichen.

Overshoot

Dem aufmerksamen Konsumenten des TED-Videos wird nicht entgehen, dass der „optimistische Realist“ Rockström, was die Rettung der Erde angeht, einen ungedeckten Wechsel präsentiert. Er spricht von CO2-Absorption und meint damit vermutlich eine Technik, die unter Carbon-Capture firmiert. Rockström demonstriert das anhand einer Grafik, die ab Minute 13:10 unter dem Titel „Overshoot“ erscheint.

Fortschrittsapologeten

Aufgrund dieser Passage zähle ich Johan Rockström zu den Fortschrittsapologeten, so wie auch Hans Rosling, Michael Shermer und Steven Pinker. Die Machbarkeit eines wirksamen Carbon-Capture gilt heute als äußerst ungewiss, vorsichtig ausgedrückt.

Carbon-Capture und E-Fuels sind wie der Gelbe Sack Verheißungen, dass wir so weiter machen können wir bisher, ohne Schaden zu nehmen:

Eigentlich dürfte jedermann ins Auge fallen, dass die Propaganda für E-Fuels allein dazu dient, dem Verbrenner ein möglichst langes Überleben zu sichern, sollte es mit den E-Fuels nichts werden, dann für längere Zeit eben fossil.

Dass der Gelbe Sack kaum etwas bringt, ist im Internet leicht zu eruieren.

Friedenspreis 2024

Jedermann tritt leidenschaftlich für den Frieden ein – wenigstens in seinem eignen Revier. Aber auch hier gibt es logische Brüche, in denen die Propaganda gedeihen kann.

Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Anne Applebaum hat mich irritiert. Das Drumherum und die Begründung für die Preisverleihung ziehe ich nicht in Betracht. Ich konzentriere mich auf die Dankesrede der Anne Applebaum. Sie ist leider auch nichts anderes als Propaganda und freut vor allem die Aktionäre und Eigentümer von Rheinmetall, Diehl, Krauss-Maffei Wegmann und anderen Waffenproduzenten.

Man möge mir verzeihen, wenn ich es für absurd halte, wenn die Preisträgerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels so spricht:

Um zu verhindern, dass Russland sein autokratisches politisches System verbreitet, müssen wir der Ukraine zum Sieg verhelfen, und zwar nicht nur für die Ukraine. Wenn wir die Möglichkeit haben, mit einem militärischen Sieg diesen schrecklichen Gewaltkult in Russland zu beenden, so wie ein militärischer Sieg den Gewaltkult in Deutschland beendet hat, dann sollten wir sie nutzen. […]

Das ist die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte: Nicht, dass Deutsche nie wieder Krieg führen dürfen, sondern dass sie eine besondere Verantwortung dafür haben, sich für die Freiheit einzusetzen und dabei auch Risiken einzugehen. Wir alle in der demokratischen Welt, nicht nur die Deutschen, haben gelernt, unsere Politiker und unsere Gesellschaft kritisch und skeptisch zu sehen, und vielleicht stutzen wir, wenn wir nun aufgefordert werden, unsere Grundprinzipien zu verteidigen. Aber bitte hören Sie mich an: Lassen Sie nicht zu, dass Skepsis zu Nihilismus wird. Der Rest der demokratischen Welt braucht Sie.

Im Kampf gegen die hässliche, aggressive Diktatur auf unserem Kontinent sind unsere stärksten Waffen unsere Grundsätze, unsere Ideale und die Bündnisse, die wir um sie herum aufgebaut haben. Gegen das Wiedererstarken des Autoritarismus sind wir in der demokratischen Welt natürliche Verbündete. Daher müssen wir heute für unsere gemeinsame Überzeugung einstehen, dass die Zukunft besser sein kann, dass wir diesen Krieg gewinnen können, und dass wir die Diktatur einmal mehr überwinden können; unsere gemeinsame Überzeugung, dass Freiheit möglich ist, und dass wahrer Frieden möglich ist, auf diesem Kontinent und überall auf der Welt.

Folgerichtig nennt Wolodymyr Selenskyj seine Forderung nach noch mehr und noch weiterreichenden Waffen einen Friedensplan.

Historizismus

Historische Vergleiche wie die in der Rede der Preisträgerin wecken meine Skepsis. Da werde ich zum Popperianer. In der Einleitung zu seinem Buch Das Elend des Historizismus (1960/1978) wendet sich Karl Raimund Popper gegen die Auffassung, dass man historische Voraussagen machen könne, indem man Muster entdeckt, die der historischen Entwicklung zugrunde liegen. Historische Verallgemeinerungen unter Vernachlässigung des geschichtlichen Kontextes halte ich für sinnlos. Lehren aus dem Ersten Weltkrieg haben den Zweiten nicht verhindern können, genauso wenig wie die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg etwas über das uns erwartende Schicksal aussagen.

Dieser Beitrag wurde unter Humanismus, Prognosen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Links blinken, rechts abbiegen

  1. Realo sagt:

    Zitat: „Um zu verhindern, dass Russland sein autokratisches politisches System verbreitet, müssen wir der Ukraine zum Sieg verhelfen, und zwar nicht nur für die Ukraine. Wenn wir die Möglichkeit haben, mit einem militärischen Sieg diesen schrecklichen Gewaltkult in Russland zu beenden, so wie ein militärischer Sieg den Gewaltkult in Deutschland beendet hat, dann sollten wir sie nutzen.“

    Russland dürfte seine Bodenschätze weltweit vermarkten wollen. Mit welcher „Ideologie/Religion im Hirn“ die Westbürger auf der Straße herumlaufen, dürfte ihnen völlig egal sein….

    Die Option, mit einem militärischen Sieg diesen schrecklichen Gewaltkult in Russland zu beenden, so wie ein militärischer Sieg den Gewaltkult in Deutschland beendet hat, haben wir wegen der modernen Waffentechnik (A,B,C – Waffen) nicht mehr.

    Das sieht man am Beispiel „des keinen Israel“ im Krieg Gaza, Hisbollah, (Iran). Viele Islamische Staaten haben es sich bereits „aus dem Kopf geschlagen“ Israel vernichten zu können und haben „Frieden gemacht“. Es wäre purer „Selbstmord“ weiter zu machen…..

    Für Israel hätte es zwar schlimme Folgen, würden sie ernsthaft (atomar) angegriffen, womöglich müssten sie in der Diaspora weiter existieren, aber Gaza, Hisbollah, womöglich auch der Iran, würden regelrecht „ausgerottet“.

    Russland wurde unter Anwendung des völlig unzureichenden Völkerrechts in „die Enge“ getrieben. Es wurde extrem von „Ausbeutung (Bodenschätze) und Sklaverei (Förderung der Bodenschätze) bedroht und hat nichts mehr zu verlieren. Selbst nach einem „atomaren Enthauptungsschlag“ würden sie Rache nehmen und die „Nato mitnehmen“….., so wie auch Israel handeln würde.

    Die Zeiten, als es noch „Sieger“ gab sind vorbei….

    Das sollte Frau Applebaum berücksichtigen…..

  2. Timm Grams sagt:

    Jetzt sehe ich in Telepolis, dass ich mit meiner Skepsis gegenüber Anne Applebaum nicht allein stehe. Rüdiger Suchsland:

    Die Süddeutsche Zeitung beschreibt nach der Preisverleihung das „Schwarz-Weiß-Denken“ der Befürworterin des Irak-Krieges, die „Tendenz zu widerspruchsfreien Geschichtsdeutungen“ und Applebaums „manchmal zweifelhaften Analogien“ sowie gezielte NS-Vergleiche.

    Und weiter:

    Frieden ist ein Kampfbegriff geworden, der von den verschiedenen demokratischen Kräften sowie von Extremisten in den Parlamenten vollkommen verschieden besetzt wird.

    Bei der Preisverleihung fehlten ranghohe Politiker, berichtet die FAZ.

    In diesem FAZ-Bericht ist auch von George F. Kennan die Rede, der in einem Artikel der New York Times von einem verhängnisvollen Fehler schreibt, den Bill Clinton begangen habe, als er 1997 auf dem Nato-Gipfel von Madrid die Nato-Osterweiterung ausrief. Von dieser Kehrseite der Medaille redet Anne Applebaum nicht.

    Kennans Text auszugsweise:

    Such a decision may be expected to inflame the nationalistic, anti-Western and militaristic tendencies in Russian opinion; to have an adverse effect on the development of Russian democracy; to restore the atmosphere of the cold war to East-West relations, and to impel Russian foreign policy in directions decidedly not to our liking.

    […]

    Why, with all the hopeful possibilities engendered by the end of the cold war, should East-West relations become centered on the question of who would be allied with whom and, by implication, against whom in some fanciful, totally unforeseeable and most improbable future military conflict?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Optionally add an image (JPEG only)