Dass für den Friedensnobelpreis viel Dreck am Stecken sein muss, stimmt sicherlich nicht. Willy Brandt hat es auch ohne geschafft und viele andere auch. Neben diesen untadeligen Laureaten gibt es aber zu viele unwürdige: Henry Kissinger und Yasir Arafat. Besonders beeindruckt hat mich Barack Obama. Ich erinnere mich noch gut an die Situation, als Barack Obama am 2. Mai 2011 im »Situation Room« des Weißen Hauses die Jagd auf Osama bin Laden verfolgte. Das fand ich widerlich.
In meiner Welt war ich ziemlich allein mit diesem Urteil. Nur in einer Gruppe hiesiger Juristen fand mein Einspruch Zustimmung: Das war alttestamentarische Rache im Widerspruch zu rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Regeln. Den völkerrechtlich nicht abgedeckten War on Terror hat Barack Obama zwar von George W. Busch geerbt. Die versprochene Schließung des Lagers von Guantanamo hat er aber auch nicht hingekriegt. Und dann gab es noch die enorme Ausweitung des Drohnenkriegs:
Während der Präsidentschaft von Barack Obama wurden Tötungen per Drohne zur Staatsdoktrin, jede Woche unterschrieb er die sogenannte „Kill List“. Und in Zukunft wird ein Donald Trump das tun – dank seines Vorgängers, den Friedensnobelpreisträger Obama.
Es ist üblich, für Verdienste zu ehren und nicht für die Erwartung derselben. Für den Friedensnobelpreis gilt diese Regel nicht. Daher die Fehlgriffe.
Im Blog der Republik beklagt Alfons Pieper, dass Netanjahu Donald Trump für den Friedensnobelpreis vorschlägt:
Gegen Benjamin Netanjahu liegt ein Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor: ihm werden Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung sowie für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Mord, Verfolgung und anderen unmenschlichen Taten während des Kriegs in Israel und Gaza seit 2023 zur Last gelegt. 125 Länder, darunter Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind verpflichtet, Netanjahu zu verhaften, wenn er das Territorium der genannten Länder betritt. Und exakt dieser Netanjahu hat nun Trump für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Da bleibt einem die Spucke weg.
Nimmt man für die Ehrung Maß an Barack Obama, dann ist an Netanjahus Vorschlag kaum etwas auszusetzen.
Ihr Urteil über Obama teile ich nicht, und ich liege wohl auch nicht ganz verkehrt, wenn ich davon ausgehe, dass Ihre Juristengruppe im Wesentlichen aus Rechtspositivisten bestand. Obama und Trump in den selben Topf zu werfen, halte ich nicht für gerechtfertigt.
Einig sind wir uns sofort darin, dass die allgemeine Gültigkeit verbindlicher Regeln durch die Verabschiedung der UN-Charta einen Fortschritt darstellte.
Allerdings bin ich dafür, auch die Fehlerhaftigkeit dieser Charta anzuerkennen, die aufgrund der der UN-Satzung mit der seit dem Kalten Krieg gegebenen weltpolitischen Lage nicht zu ändern ist.
Was der UN-Charta und damit auch dem Kriegsvölkerrecht fehlt, ist jede Berücksichtigung der asymmetrischen Kriegsführung, bei der ein Staat deshalb praktisch zwangsläufig das Völkerrecht verlassen muss, wenn er sich effektiv wehren will.
Nach Völkerrecht sind Terroristen Verbrecher, die mit polizeilichen Maßnahmen zu bekämpfen sind. Sobald die von einem Staat aus operieren, der sie deckt, sind sie innerhalb des Völkerrechts praktisch nicht mehr zu bekämpfen. Auch dann nicht, wenn es sich um Staatsterroristen handelt, die aufgrund geänderter politischer Verhältnisse zu international gesuchten Verbrechern wurden. Die Entführung Eichmanns aus Argentinien war völkerrechtlich ein Verbrechen und nur deshalb möglich, weil diese NS-Täter bereits persönlich vereinzelt und nicht mehr in eigene militärische Organisationen eingebunden waren. Diese Sachlage ist aber bei paramilitärischen Netzwerken wie Hamas und Hisbollah nicht mehr gegeben und wenn ich gegen die vorgehen will, ohne einen Krieg gegen das beherbergende oder unterstützende Land zu erklären, was völkerrechtlich auch nicht möglich ist, habe ich eigentlich nur die Möglichkeit, auch als Staat auf die Mittel der asymmetrischen Kriegsführung zurückzugreifen. In dem Fall ist die Drohne heute das Mittel der Wahl, nicht ohne, aber mit den geringsten „Kollateralschäden“. Bevor Vergleichbares technisch möglich war, haben z.B. die Israelis dafür Killerkommandos geschickt.
Darin nur das Prinzip alttestamentarischer Rache zu sehen, greift mir etwas zu kurz.
Das momentane Vorgehen Israels in Gaza ist aber auch mit einer Vergewaltigung des Herrn Radbruch nicht mehr zu verteidigen, so dass ich es richtig halte, Netanjahu vor Gericht zu stellen. Man kann auch davon ausgehen, dass das Nobelkomitee nicht nur berücksichtigt, wer wen vorschlägt, sondern dass denen auch Folgendes klar ist: Wer um kurzfristiger Gewinne willen, ob nun der eigenen Familie oder seines Staates, darin fortfährt, diesen Planeten zu plündern, kann damit keinen Frieden stiften.
@ Frank Wohlgemuth
Nennen wir es Rechtspositivismus. Als Laie kann ich das nicht weiter vertiefen. Für mich stellt sich die Sache einfacher dar: Ich mag es nicht, wenn die Emotionen unkontrolliert die Macht übernehmen. Hauptsache Kontrolle. Nachrangig ist, ob positives Recht oder natürliches. Ich argumentiere innerhalb eines Kulturraums, der wesentlich durch Amerika geprägt ist.
Was steckt da für eine Logik hinter?
Sowohl die Tötung bin Ladens durch eine militärische Operation als auch die Tötung von anderen Führern der Taliban / Hamas / Hisbollah entsprach nicht dem Völkerrecht, also war es alttestamentarische Rache und deshalb eine emotionale Reaktion. ???
Ich finde nicht, dass man Obama zustimmen muss, aber seine Handlungen im Krieg gegen die islamistischen Angriffe, und als solche muss man auch die gezielten Tötungen aktiver feindlicher Anführer betrachten, sind alles andere als emotional oder unkontrolliert.
Ihre Begründung liegt in der Verpflichtung eines Staates für die Sicherheit seiner Bevölkerung bzw. seiner Soldaten zu sorgen, genauso, wie das früher auch bei den entsprechenden Tötungsaufträgen des Mossad der Fall war. Dass das nicht impulsiv war, sondern kalkuliert, ist schon daran zu sehen, wie sehr darauf geachtet wurde, dass z.B. im Gegensatz zum amerikanischen Angriff auf den Irak oder jetzt zu dem israelischen auf Gaza eine Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde: Da hat man keine Stadt oder auch „nur“ ein Hotel bombardiert, weil da ein Oberterrorist lokalisiert worden war: Den hat man nach Möglichkeit wie z.B. Aiman az-Zawahiri von einer Drohne aus mit einer AGM-114R9X-Hellfire auf dem Hotelbalkon getötet, ohne andere Personen in Mitleidenschaft zu ziehen.
Aber trotz der geringen „Kollateralschäden“ waren das keine Maßnahmen, die ein Militär einfach befehlen konnte, die mussten vom Präsidenten abgezeichnet werden, weil es keine normale Kampfhandlungen waren. Hier sorgt ein aufwändiges Prozedere dafür, dass nicht gewütet wird, und der Präsident erklärt mit jeder Unterschrift seine persönliche Verantwortung für jede Tat. Dabei ist Obama nicht nur Verfassungsjurist, er war auch dafür bekannt, sich nicht nur mit Ja-Sagern zu umgeben – ich gehe bei ihm davon aus, dass gerade die Nichtbeachtung des Völkerrechtes sorgfältig diskutiert war, nicht als „Scheiß aufs Recht“, sondern als die einzige Möglichkeit bei einem asymmetrisch agierenden Feind handlungsfähig zu bleiben und das auch zu vermitteln.
Dazu passt auch, dass er die Durchführung der diplomatisch erheblich problematischeren Aktion gegen bin Laden im formal befreundeten Ausland persönlich im »Situation Room« begleitet hat.
Dreck am Stecken:
Ich bin nicht der Meinung, dass es gerechtfertigt war, Obama nur für die Ankündigung einer anderen Politik den Friedensnobelpreis zuzuerkennen. Aber die Aktionen am Völkerrecht vorbei gegen asymmetrisch agierende Feinde halte ich nicht für Aktionen, die auch nur annähernd mit z.B. Kissingers verdeckten Verbrechen in Südamerika, die nicht aus einer Gefahrenabwehr sondern imperialistisch motiviert waren, vergleichbar sind.
Bei aller Hochachtung für Noam Chomsky: Ich halte die besondere Abneigung einiger westlicher Intellektueller gegen bewaffnete Drohnen („mörderischste Terror-Kampagne der Gegenwart“) für genauso irrational, wie den Einsatz dieser Waffen als das böse Vermächtnis Obamas zu sehen. Es sind Waffen, die uns die heutige Technik zur Verfügung stellt. Ob es Terror- oder Kriegswaffen sind, liegt – wie auch bei Messern oder Raketen – in den Händen derer, die sie einsetzen. Obama hat sie benutzt, um den Terror ganz gezielt zu den Personen zurückzubringen, die meinten, eine Monopol darauf zu besitzen. Wie Krieg, nicht nur mit Drohnen, allgemein als Terror geführt wird, zeigt uns heute Putin.
Nebengedanke zur aktuellen Situation: Wer Putins Überfall auf die Ukraine als eine Abwehr gegen die „Nato-Osterweiterung“ versteht, der müsste eigentlich auch mehr Verständnis für Kissinger entwickeln – gefährdete Interessen hatten die Amis damals in Südamerika auch.
Sorry für die Länge. Aber gerade, wenn ich keine herrschende Meinung vertrete, begründe ich sie gerne.
[…] Vor vielen Jahren habe ich mich mit jemanden, vermutlich einen Juden, über das „Aug um Aug“ Konzept unterhalten. Der meinte, er würde dieses Konzept so interpretieren, dass auch „das Gute vergolten“ würde. Er verhält sich zu Geschäftspartnern so, wie sie sich (mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit) ihm gegenüber verhalten würden.
Das ergäbe größtmögliche „Symmetrie“ und absichtliche Asymmetrie als nützliche „Kriegslist“ (z.B. der Hamas) wird sinnlos….
[…]
Die „Realität“ dürfte stärker sein als das Völkerrecht, das eher ein „Traum“ für Juristen ist….
[Moderator: gekürzt]
@ Frank Wohlgemut
@ Realo
Die USA haben der gesamten Welt gezeigt, wie Gewaltenteilung geht. Und sie sind Virtuosen der Doppelmoral. In Oslo kann man das besichtigen.
@ Frank Wohlgemuth 11. Juli 2025 um 11:28 Uhr
Vorab: Im Blog lasse ich zu, dass Gedanken entwickelt werden – ohne Längenbeschränkung oder Kürzung. Dass ist kein Freifahrschein für endloses Gelabere und KI-Geschwätz. Der Gedanke sollte durchscheinen, wie in Ihrem Fall.
Nun zu einem zentralen Punkt Ihres Kommentars:
Asymmetrische Kriegsführung bietet ein heilloses Rechtsproblem, an dem sich Völkerrechtler die Zähne ausbeißen. Da bin ich kein Fachmann und will auch keiner werden. Als Bürger habe ich die Pflicht zu urteilen. Mein Denkrahmen: 1. Verbrechen gehören geahndet. 2. Urteile werden durch Gerichte gefällt.
Zu 1. Welchen Zweck verfolgt die Strafe? Vergeltung und Rache verschaffen vielleicht Genugtuung, mehr nicht. Als rationale Zwecke bleiben Resozialisierung, Abschreckung und Unschädlichmachung. Im Falle von Osama bin Laden waren sie zum Zeitpunkt der Hinrichtung allesamt bedeutungslos. Warum also dieses Schauspiel? Da bleiben doch nur Vergeltung und Rache und das Denken im Rahmen des Alten Testaments. Über die Angemessenheit der propagandistischen Auswertung der Situation-Room-Szene kann und darf man geteilter Meinung sein.
Das alles passt zur Erzählung von der exzeptionellen Nation. Propaganda!
Zu 2. Nehmen wir an, dass die Bestrafung dennoch einen Sinn ergibt, dann bleibt die Frage nach der Gerichtsbarkeit. Nach einer solchen suchen die USA gar nicht. Sie halten nichts vom Internationalen Strafgerichtshof und auch nichts von Weltrechtsprinzip, zumindest dann nicht, wenn es gegen die eigenen Leute geht. Dabei sind das die derzeit wohl einzigen Möglichkeiten, so etwas wie Rechtssicherheit in internationalen Beziehungen zu erreichen. Die Tötung Osama bin Ladens durch U.S. Spezialkräfte hält einer kritischen juristischen Prüfung nicht stand.
Sie sprechen von Bestrafung, ich nicht.
Meine Formulierung lautete „die gezielten Tötungen aktiver feindlicher Anführer“, wobei eine Betonung auf aktiv liegt: Bin Laden wurde durch eine Infiltration der der Kommunikationsstruktur der Führungsriege der al-Qaida aufgespürt. Was da geschah, war eine Kriegshandlung außerhalb des Völkerrechts und kein Versuch einer Bestrafung.
Wobei es sich in diesem Fall nicht einmal um eine Operation mit klarem Tötungsauftrag handelte. Bin Laden hatte das Pech, beim Stürmen seines Zimmers halb von einer Frau verdeckt zu sein. Derartige Spezialkräfte sind keine Polizeieinheiten, sondern Spezialkräfte des Militärs, die darauf trainiert sind, beim Stürmen eines feindlichen Raumes aus Selbstschutz alle zu töten, die nicht sofort als unbewaffnet erkennbar sind. Das Kennzeichen dafür sind die leeren Hände, die bei bin Laden nicht zu sehen waren. So die Aussage desjenigen, der bin Laden erschossen hat.
Ich habe mich darüber auch schon mit einem deutschen Soldaten mit ähnlicher Ausbildung unterhalten, der das aus seiner Sicht bestätigt hat.
Meines Wissens waren alle, die unter Obama in derartigen Operationen oder gezielt durch Drohnen getötet wurden, im Moment ihrer Tötung noch aktive Anführer des Feindes, wenn auch zu diesem Zeitpunkt nicht im unmittelbaren Kampfgebiet. In Fällen, in denen das nicht so war, stimme ich Ihrer Interpretation dieser Aktionen als Rache zu. Allerdings kenne ich bisher keine.
@ Frank Wohlgemuth 11. Juli 2025 um 20:04 Uhr
Die gezielte Tötung Bin Ladens ist für Sie »eine Kriegshandlung außerhalb des Völkerrechts und kein Versuch einer Bestrafung.« Ihnen ist wohl klar, dass diese Formulierung unter Völkerrechtlern nicht unwidersprochen bleiben kann. Ich zitiere Helen Keller vom Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht der Universität Zürich:
@ Timm Grams 11. Juli 2025 um 21:30 Uhr
Zitat: „Ihnen ist wohl klar, dass diese Formulierung unter Völkerrechtlern nicht unwidersprochen bleiben kann.“
Praktisch ist man damit beim „Witz“: „3 Juristen, 4 Rechtsmeinungen“ gelandet und man muss vorerst damit leben können.
[…]
[Moderator: Mit dem Witz von den Juristen wird eine tiefliegende und notwendige Debatte ins Lächerliche gezogen. Das ist unangemessen. Gestrichen habe ich Ihren Exkurs zum Thema freier Wille. Dazu hatten Sie bereits im Blog von Stephan Schleim Gelegenheit. Für Mitleser: Elektroniker ist Realo.]