March for Science: zu spät!

Wo waren die Aktivisten für Wissenschaft und Demokratie damals, als es um die Hochschulreform ging?

Donald Trump ist momentan wegen seiner Post-Truth-Masche ein gern genommenes Angriffsziel, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit für alle möglichen Anliegen zu gewinnen. Vordergründig ging es beim March for Science am vergangenen Wochenende um die Errettung der Wissenschaft und um den „konstruktiven Dialog“, der eine „elementare Grundlage unserer Demokratie“ sei: „Alle, denen die deutliche Unterscheidung von gesichertem Wissen und persönlicher Meinung nicht gleichgültig ist, sind eingeladen, sich an dieser weltweiten Demonstration für den Wert von Forschung und Wissenschaft zu beteiligen!“.

Wo waren diese Aktivisten vor einem Jahrzehnt, als es wirklich um die Wurst ging?

Ich erinnere mich an einen meiner Aufsätze, den unserer Hochschulzeitung im Jahr 2006 brachte: Oberflächenkompetenz und Konsumverhalten. Trends im Bildungswesen – eine kritische Betrachtung. Damals waren Hochschulzeitungen noch dazu da, auch Kontroversen auszutragen. Heute sind sie – soweit ich das sehen kann – zu reinen Werbeinstrumenten geworden.

Damals beklagte ich den Trend, Hochschulen als Dienstleistungsunternehmen zu sehen und schrieb: „Dahinter steckt die Vorstellung, dass vornehmlich die Hochschulen zu liefern haben. Der Kunde Student ist der Abnehmer. Er soll nach diesem Denkmuster zukünftig ja auch vermehrt zur Zahlung für die Lieferungen herangezogen werden. Konsequenterweise haben Hochschulen heute ein Marketing und ein Corporate Design – als müssten sie Waschmittel unter das Volk bringen.“

Ich sah deutliche Anzeichen für die Ökonomisierung der Bildung: „Der Bologna-Prozess fördert 1. die Work-Load-orientierte Beurteilung von Lehrveranstaltungen, 2. die Evaluation nach vordergründiger ‚Kundenzufriedenheit‘, und 3. die Orientierung der Erfolgsbeurteilung der Fachbereiche nach der Zahl der ‚gelieferten‘ Absolventen. Wen wundert es, wenn Kollegen dazu übergehen, die Leistungsanforderungen am Leistungswillen der Studierenden auszurichten? Und wem ist zu verübeln, wenn er unter diesen Randbedingungen auf das Bohren dicker Bretter verzichtet und stattdessen einen Stapel dünner Bretter vorlegt? Das System standardisierter und separat abprüfbarer Wissenshäppchen findet seinen institutionalisierten Niederschlag in einem unnötig starr ausgeprägten Modulsystem.“

Die neu eingeführten gestuften Abschlüsse Bachelor/Master sollten die Ausbildungszeit verkürzen. Wie das? Zwei sequentielle Prüfungen erzeugen bis zum Masterdiplom zweimal hintereinander Nachzügler. Jedem, der die Hochschulen von innen kennt, sollte einleuchten, dass das nur auf eine Studienzeitverlängerung hinauslaufen kann. Mit falsch interpretierten Statistiken wollte man uns das Gegenteil weismachen.

Damals brachte ich einen Resolutionsentwurf unter dem Beifall meiner Kollegen auf den Weg durch die Hochschulgremien: „Die Pflicht zur Akkreditierung von Studiengängen stellt einen zurzeit nicht legitimierten Eingriff in das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre dar. Die Fraktionen des hessischen Landtags werden aufgefordert, auf die Schaffung der gesetzlichen Grundlage für die Akkreditierung hinzuwirken und die Befugnisse und Verantwortlichkeiten der Akkreditierungsagenturen zu bestimmen.“ Dieser Entwurf ist auf Nimmerwiedersehen in irgendeinem Ausschuss versickert.

Ich frage noch einmal: Wo waren die Aktivisten für Wissenschaft und Demokratie vor über einem Jahrzehnt, als es um die Hochschulreform ging?

Der Wissenschaftsmarsch – ein Vehikel für alle möglichen Interessen

Der March for Science wurde von einigen Gruppierung als Schaufensterveranstaltung genutzt – Gruppierungen, denen ansonsten vereinsinterne Demokratie nicht allzu sehr am Herzen liegt. Da sind einmal die Pseudoskeptiker, die sich gern das Etikett „Wissenschaft“ an die Brust heften, und dann noch die evolutionären Humanisten (Selbstbezeichnung), die für den Neuen Atheismus kämpfen. Diese Gruppierungen verstehen unter Wissenschaft vor allem Mainstream-Wissenschaft, nicht jedoch den offenen wissenschaftlichen Diskurs, der für die Forschung so wichtig ist.

Zweifel an derartigen Auftritten wurden auch innerhalb der Skeptikerszene laut. Es gab einen Hinweis auf kritische Texte, nämlich auf  Über den Verlust des kritischen Verstandes bei Wissenschaftlern von Albrecht Müller und auf March for Science – Dead Men Walking von Matthias Burchardt.

Dieser Anflug von Selbstkritik kam in der Skeptikergemeinde nicht so gut an. Ich mischte mich ein und schrieb: „Albrecht Müllers Artikel ruft bei Leuten, die sich mit dem wissenschaftlichen Mainstream identifizieren, verständliche Abwehrreflexe hervor. Ihnen wird aber auch der Artikel ‚Haltet den Lügner!‘ des Präsidenten der Deutschen Forschungsgesellschaft Peter Strohschneider nicht so recht gefallen (Der Spiegel 16/2017, S. 109). Ich halte beide Artikel für bedenkenswert. Den Aufruf in ‚March for Science – Dead Men Walkin‘ von Matthias Burchardt würde ich sogar unterschreiben.“

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5 Antworten zu March for Science: zu spät!

  1. Was war eigentlich das weltweite Problem? Hier ein ganz anderer, unwissenschaftlicher Zugang: Diese Märsche für die Wissenschaft fanden statt: weltweit(!), am gleichen Tag(!) und mit verhältnismäßig kurzer(!) Zeit an Vorbereitung. Dieses geniale Management ist nur möglich über ein weltweites Netzwerk: der Soros Foundation. Über die Förderung von Menschenrechts-NGOs nimmt sie schon seit Jahren politischen Einfluss besonders auf die osteuropäischen Staaten. Für den Milliardär Soros war die Trumpsche Wissenschaftsverachtung ein Dorn im Auge, der eigentliche Anlass für die Märsche war aber die Schließung der Soros-Uni durch Orban in Budapest und seinem Rauswurf der von Soros geförderten NGOs. Andere Ostländer haben bereits ähnlich sich von der Soros-Förderung gelöst.

    • Timm Grams sagt:

      Spekulationen über die politischen Absichten der Organisatoren sind reizvoll für jemanden, der ähnliche oder entgegengesetzte Ziele verfolgt. Mich hingegen bewegt die Unaufrichtigkeit sowohl des adressierten Politikers als auch die Unaufrichtigkeit manches Mitmarschierers. Von den Freunden der Freiheit der Wissenschaft habe ich einfach mehr erwartet.

  2. 1/ Der Marsch für die Wissenschaft ist Teil einer Kampagne, die, wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande mit Wissenschaft zu tun hat. Man sieht das auch daran, daß die Unwissenschaftlichkeit der Gender Studies meines Wissens nicht thematisiert wurde. Eckhard Kuhla trifft den Punkt, um den es tatsächlich geht: Es geht um die Machtinfrastruktur von Soros und um sonst gar nichts.

    2/ Zur Hochschulpolitik: Günter Buchholz: Die Zukunft der Hochschulen – Politische Ökonomie der Hochschulpolitik in der Ära des Finanzmarkt-Kapitalismus

  3. Ulrich Rausch sagt:

    Ein paar Anmerkungen:

    1. Den Berichten in deutschen Zeitungen nach zu urteilen, ging es beim „March for Science“ vor allem um die Bekämpfung kritischer Stimmen zu den behaupteten Kausalitäten beim Klimawandel sowie um das obligatorische Trump-Bashing. Also vornehmlich heiße Luft und Propaganda.

    2. Es kann nicht schaden, sich diesen Aufsatz mal anzusehen:
    http://www.danisch.de/blog/2017/04/23/aufmarsch-der-wissenschaftsheuchler/
    insbesondere den Abschnitt „Korrelation und Kausalität“.

    3. Ein Beispiel von vielen für Freiheit der Wissenschaft im Stil der Neuen Zeit:
    Der Kasseler Evolutionsbiologe Prof. Dr. Ulrich Kutschera sollte die Auftaktvorlesung zum Studium Generale 2016 in Marburg halten. Leider durfte ich seine Vorlesung nicht hören, denn er wurde auf Empfehlung der Universitätsleitung wieder ausgeladen, weil er sich bei anderer Gelegenheit abfällig über Gender Studies geäußert hatte.
    Das Thema seines Vortrags „Evolutionstheorien und der kreationistische Grundtypen-Glauben“ hatte damit indessen überhaupt nichts zu tun.
    Die (in meinen Augen entlarvende und sich selbst widersprechende) Stellungnahme der Universität findet man hier in den letzten beiden Absätzen:
    http://www.uni-marburg.de/aktuelles/news/2016a/studiumgeneraless2016
    In Wahrheit hatte nur niemand den Mut und den Willen, den angedrohten Störungen des Vortrags standzuhalten.

    4. In diesem Zusammenhang unbedingt lesenswert ist ein bemerkenswert hellsichtiger Aufsatz aus dem Jahr 1993 (!):
    http://www.zeit.de/1993/43/pc-oder-da-hoert-die-gemuetlichkeit-auf

    5. Ja, auch ich habe damals, als es bei der Einführung der Akkreditierungspflicht um die Wurst ging, gestaunt über die Gleichgültigkeit und den Fatalismus der meisten Kollegen und Studenten.
    Wir wurden gezwungen, uns „freiwillig“ ein Korsett anzulegen. Unsere Freiheit bestand dabei darin, daß wir unser Korsett selbst festzurren durften, und zwar solange, bis uns signalisiert wurde, daß es jetzt (vorerst wohlgemerkt, bis zur Reakkreditierung) genehm sei. Nicht selten geschah dies durch Versuch und Irrtum, um den durchaus unklaren und zuweilen wankelmütigen Vorstellungen der Akkreditierungsagentur gerecht zu werden.
    Ein unwürdiges Schauspiel. 20 oder 30 Jahre zuvor wäre dergleichen undenkbar gewesen.

    6. Die dabei verwendete Methode war durchaus raffiniert:
    Eingriffe in ein Grundrecht, mit denen der Staat auf direktem Weg niemals durchgekommen wäre, wurden mittels einer halbseidenen rechtlichen Konstruktion einfach an private Organisationen delegiert.

    7. Nachdem diese Methode damals bei der Aushöhlung von Artikel 5(3) GG so gut und geräuschlos funktioniert hat, wird sie jetzt in Gestalt des „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ auf den noch bedeutsameren Artikel 5(1) GG angewandt.
    Die Löschorgie ist bereits in vollem Gang, und kaum jemand scheint sich sonderlich darüber aufzuregen. Es trifft ja, wie man hört, auch nur unsympathische Leute. Daß es um weitaus mehr geht, scheinen die meisten nicht zu begreifen.
    Und nur wenige sind in der Lage, sich zur Wehr zu setzen:
    http://www.achgut.com/artikel/am_tag_der_pressefreiheit_eine_loesch-groteske_nach_maas

  4. Alexander Osipowicz sagt:

    ..aber auf der anderen Seite kann man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass die Wissenschaft alle Unterstützung notwendig hat, die sie bekommen kann. Sie ist teuer und anstrengend und alles, was da hilft, sollte man unternehmen.
    Auch wenn in der Vergangenheit die Hochschulen durch Bologna-Prozess und die Hinwendung zur Kommerzialisierung in eine problematische Richtung gedrängt wurden, denke ich, dass Enthaltung der schlechteste Weg ist. Man muss halt da und dann arbeiten, wo und wenn es geht, und sich Sisyphos als glücklichen Mann vorstellen.
    Und ich kann eine Kampagne, mit deren Motto ich einverstanden bin, auch dann unterstützen, wenn ich mit deren Urheber nicht einverstanden bin.
    Auf wie vielen Demos und Kampagnen war ich in den 70-igern, bei denen alle möglich Hochschulgruppen mit zumindest zweifelhafter Agenda auch anwesend waren.

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