Denksport

Denksportaufgaben machen Spaß. Im Rahmen meiner Lehrtätigkeit nutzte ich sie zum Einstieg in das schöpferische Denken, ein Weg, der auch von den Studenten sehr geschätzt wurde. Kürzlich bin ich wieder über ein paar Rätsel gestolpert und nehme das zum Anlass, über meine Erfahrungen mit Denksportaufgaben zu berichten; nicht alle sind zu jedem Zweck geeignet.

Logikrätsel

Raymond Smullyan (1919-2017)  hat viele Logikrätsel publiziert. Sie sind bestens geeignet für die Einführung in die Informatik und insbesondere für das Einüben logischer Schlussweisen.

Ich zähle diese Logikrätsel zu Kategorie der Aufgaben: Nach einigen Anfangsschwierigkeiten lassen sie sich durchweg nach Rezept lösen; dem kreativen Denken bleibt nur ein geringer Spielraum. Von Problemen spricht man erst, wenn zwar das Ziel bekannt ist, der Weg dahin aber noch im Dunkeln liegt und nur schwer ans Licht zu bringen ist.

Die folgenden Fragen legt Smullyan seinen Lesern als Einführungskurs in die Welt der Ritter und Schurken vor: Die Ritter und Schur­ken sind die ein­zigen Bewohner einer Insel. Ritter sagen stets die Wahrheit und Schurken lügen kon­sequent.

Frage 1: Kann es auf dieser Insel einen Einwohner geben, der behaupten kann, ein Schurke zu sein?

Frage 2: Kann es einen Inselbewohner geben, der behaupten kann, er und sein Bru­der seien beide Schurken?

Frage 3: Angenommen, ein Einwohner sagt über sich und seinen Bruder: „Min­destens einer von uns ist ein Schurke.“ Zu welchem Typ gehören die bei­den?

Frage 4: Angenommen, er würde statt dessen sagen: „Genau einer von uns ist ein Schurke.“ Welche Schlüsse kann man über die beiden ziehen?

Frage 5: Angenommen, er würde statt dessen sagen: „Mein Bruder und ich ge­hö­ren zum gleichen Typ; wir sind entweder beide Ritter oder beide Schurken.“ Was könnte man dann über die beiden schließen?

Smullyans Rätsel brauchen keine Musterlösung: Hat man des Rätsels Lösung gefunden, überprüft man deren Korrektheit einfach anhand des Texts.

Rätsel für’s Glück

Am liebsten sind mir Rätsel, die ohne Musterlösung auskommen und die darüber hinaus echte Herausforderungen sind: Man quält sich stunden-, tage- oder gar wochenlang damit herum; je größer diese Qual, desto stärker das Glücksgefühl, wenn man schließlich auf die Lösung gekommen ist. Dieser Weg zum Rausch ist kostenlos und vor allem straffrei. Diese Rätsel leben davon, dass der Rätselfreund die Lösung zwar schwer findet, sie aber zweifelsfrei als solche erkennt. Es sind echte Probleme mit Aha-Effekt. Es folgen ein paar Beispiele dazu. Mehr davon auf meiner Seite Schöpferisches Denken – Heuristik.

Zerlegung

Zerlegen Sie eine Milliarde in zwei Faktoren, in denen keine Null vorkommt. Gibt es mehrere Lösungen?

Einbahnstraßen

Stellen Sie sich vor, dass in einem Land alle Städte nur über Einbahnstraßen miteinander verbunden sind. Zwischen je zwei Städten gibt es genau eine derartige Straße. Beweisen Sie, dass es in diesem Land eine Stadt geben muss, die von jeder anderen Stadt entweder direkt oder über höchstens eine weitere Stadt erreicht werden kann.

Platzanweisung

Die Passagiere stehen Schlange, um ein vollständig ausgebuchtes Flugzeug zu besteigen. Die erste Person der Schlange hat ihre Bordkarte verloren. Die Stewardess erlaubt ihr, einen beliebigen der freien Plätze zu besetzen. Falls einer der weiteren Passagiere Anspruch auf einen bereits besetzten Platz hat, darf auch er sich unter den verbleibenden einen beliebigen aussuchen. Wie groß ist die Chance des letzten Passagiers, dass er auf dem Platz landet, der ihm gemäß Bordkarte zusteht?

Selbstbezug

Schreiben Sie eine zehnstellige Zahl, deren erste Ziffer angibt, wie viele Nullen in ihr vorkommen, deren zweite sagt, wie viele Einsen, deren dritte, wie viele Zweien, und so weiter.

Ungerade gewinnt

Bei diesem Zweipersonenspiel geht es darum, von einem Stapel mit 19 Münzen im Wechsel Münzen wegzunehmen. In jedem Spielzug können eine oder zwei Münzen genommen werden. Gewonnen hat, wer schließlich eine ungerade Anzahl von Münzen hat. Für einen der beiden Spieler gibt es eine sichere Gewinnstrategie. Wie sieht sie aus? Wer gewinnt? Derjenige, der anfängt oder der andere?

Zehn Logiker

Im Raum sind zehn Logiker und der Spielleiter.  Der Spielleiter verbindet den Logikern die Augen und malt jedem von ihnen einen farbigen Punkt auf die Stirn. Dann nimmt er die Augenbinden ab und sagt: „Jeder von Ihnen hat einen farbigen Punkt auf der Stirn. Jeder von Ihnen kann mit vollkommener Sicherheit schließen, welche Farbe sein Punkt hat. Sobald jemand weiß, welche Farbe sein Punkt hat, verlässt er den Raum. Reden und Zeichengeben sind nicht erlaubt.“ Nachdem sich die Logiker gegenseitig betrachtet haben, verlassen alle den Raum. Was ist passiert?

Rätsel mit offenem Ende

Es gibt Rätsel, mit denen sogar die Meister des Fachs ihre Schwierigkeiten haben. Bereits die Suche nach einer möglichen Lösung ist nicht ganz ohne Komplikationen und dann stellt sich auch noch heraus, dass die Lösung möglicherweise nicht eindeutig ist. Die Suche geht weiter – vielleicht endlos.

Martin Gardner (1914-2010) stellt im Spektrum der Wissenschaft 2/1980 ein Problem vor, das er selbst als „unmöglich“ bezeichnet: Susanne und Peter sind gut in Mathematik; sie bekommen vom Spielleiter zwei Zahlen zugesteckt. Susannes Zahl ist die Summe zweier Zahlen und y, beide wenigstens gleich zwei; Peters Zahl ist das Produkt dieser Zahlen. Nach einiger Zeit sagt Susanne zu Peter: „Ich sehe keine Möglichkeit, wie du meine Summe bestimmen könntest.“ Später antwortet Peter: „Ich kenne jetzt deine Summe.“ Darauf Susanne: „Nun kenne ich auch dein Produkt.“ Wie lauten die beiden Zahlen x und y?

Martin Gardner hat in seiner Aufgabenstellung den Zahlenbereich begrenzt. Als er die Lösung bekanntgeben wollte, fiel ihm auf, dass unter dieser Begrenzung die Aufgabe gar nicht zu lösen war. Ich verzichte auf eine solche Obergrenze und empfehle nur, mit kleinen Zahlen anzufangen; man sieht dann schon selbst, wie weit man gehen muss, um eine Lösung zu finden.

Julian Havil hat in seinem Rätselbuch von 2008/2009 („Das gibt’s doch nicht“) den Zahlenbereich deutlich erweitert und mit Computerhilfe eine ganze Reihe weiterer Lösungen gefunden. Ich werde keine Musterlösung bringen, aber Hinweise in Richtung Lösung. Der Rätselfreund, der sich den Spaß an der Sache nicht verderben will, überspringt besser den Rest dieses Kapitels.

Lösungshinweise (Achtung: Spoiler!). Zunächst einmal machen wir uns klar, dass die Ausgangszahlen keine Primzahlen sein können, denn dann hätte Peter sofort gesehen, was Sache ist, weil es nur eine mögliche Zerlegung des Produkts in zwei Zahlen gibt, nämlich x und y. Susannes Aussage, dass sie für Peter keine Möglichkeit sieht, die zwei Zahlen und damit die Summe zu bestimmen, setzt voraus, dass die ihr bekannte Summe nicht primbar ist. Eine Zahl nenne ich primbar, wenn es zwei Primzahlen mit genau dieser Summe gibt. Beispiele: 11 ist nicht primbar, 12 hingegen schon, da nämlich 12=5+7.

Da wir Susannes Summe nicht kennen, müssen wir uns über die nicht primbaren Zahlen der Lösung nähern. Die Zahlen 11, 17, 23, 27, 29, 31, 35 und 37 sind nicht primbar. Alle anderen Zahlen kleiner 37 sind primbar, kommen für die Lösung also nicht  infrage. (Es gibt größere nicht primbare Zahlen. Wir hoffen jedoch, dass wir mit den hier genannten auskommen und wenigstens eine Lösung finden können.)

Wenn Peter antwortet, dass er nun die Summe kenne, muss die nicht primbare Summe auch für ihn aufgrund seiner Kenntnis des Produkts eindeutig bestimmt sein. Bei der nicht primbaren Summe 11 sind die Produkte 18 (2 mal 9), 24 (3 mal 8) und 28 (4 mal 7) eindeutig. Alle anderen Zerlegungen dieser Produkte laufen auf nicht primbare Summen hinaus. Dasselbe gilt für das Produkt 52 (4 mal 13) in der Reihe der nicht primbaren Summe 17. Wir kennen nicht Peters Produkt und auch nicht, ob 11 oder 17 die Sache trifft.

Nun kommt Susannes Antwort ins Spiel, dass sie inzwischen das Produkt kenne: Hätte sie die Summe 11, gäbe es mehrere Kandidaten und sie könnte sich nicht sicher sein, um welches Produkt es sich handelt. Eindeutigkeit herrscht bei der Summe 17 und dem Produkt 52. Genau das werden wohl die Zahl sein, die Susanne und Peter genannt bekommen haben. Das gesuchte Zahlenpaar (x, y) ist folglich (4, 13).

Rätsel mit Streitpotential

Eine hochinteressante Sorte von Rätseln ist die, bei denen der Rätselfreund schnell fündig wird: Er kennt nach kurzen Überlegungen die Lösung – seine Lösung. Dann geschieht Wunderliches. Der Rätselfreund erfährt, dass es anderen Rätselfreunden genauso geht: Sie haben ihre Lösung schnell gefunden. Jedoch: deren Lösungen sind nicht die seine! Dieser Situation können Dispute entspringen, die sich teilweise über Jahrzehnte hinziehen. In den Hoppla!-Artikeln Kontroverse um das Drei-Türen-Problem (Ziegenproblem) dauert an und  Dornröschen und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten habe ich darüber geschrieben.

Ein Rätsel schleicht sich an

Vor über dreißig Jahren sah ich einen Film mit Sean Connery in der Hauptrolle. Etwas verstörend fand ich den Titel des in einem mittelalterlichen Kloster spielenden Films: „Der Name der Rose“. Das habe ich gleich wieder verdrängt. Aber der Titel kam im Bekanntenkreis zur Sprache, der Rundfunk und die Zeitungen brachten ihn in Erinnerung. Der rätselhafte Titel begann zu wurmen.

Beruflich erfuhr ich vom wissenschaftlichen Werk des Schöpfers: Der Semiotiker Umberto Eco (1932-2016) untersuchte Zeichen und deren Bedeutung. Der Titel muss einen tieferen Sinn haben! Das Rätsel wurde jetzt auch mir offenbar.

Ich sehe inzwischen den Titel in Zusammenhang mit dem Universalienproblem. Letzteres war ein Thema der Scholastik und mithin Thema in den mittelalterlichen Klöstern. Das macht den Titel zu einem Paradoxon: Die Rose hat keinen Namen. (Es sei  denn, man meint eine ganz bestimmte individuelle Rose – im Garten oder in der Vase).

Ein Freund hat seine eigene Interpretation: das Mädchen, das ist die Rose. Es passt: Das Mädchen, eine der Hauptfiguren des Films, bleibt namenlos.

Zumindest in der Denkwelt des Umberto Eco stellt sich das so dar: „Semiotische Objekte sind das rechtwinklige Dreieck, die Frau, die Katze, der Stuhl, die Stadt Mailand, der Mount Everest, der Artikel 7 unserer Verfassung, die Pferdheit – und unter den semiotischen Objekten gibt es auch solche, die durch Eigennamen ausgedrückt werden, und in diesem Sinne sind nicht nur Leute wie Julius Cäsar semiotische Objekte, sondern sogar – angenommen es gibt sie irgendwo – Leute wie Fritz Hinz und Franz Kunz und Lieschen Müller, die ja nicht nur physischen Entitäten sind, sondern […] auch Ensembles von Eigenschaften.“ (Auf den Schultern von Riesen. Das Schöne, die Lüge und das Geheimnis. 2019, S. 186)

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