Irrglauben messen

Eine Statistik über den Glauben an Paranormales

Der Radiosender HR1 ist bei mir zuhause Standard. Manchmal ärgere ich mich über die Textbeiträge. Esoterik, New-Age-Kram, Psi-Phänomene und Alternativmedizin nehmen mir einen viel zu großen Raum ein. Ärgerlich finde ich die meist ziemlich unkritische Darstellung dieser Dinge.

Das aktuelle skeptiker-Heft belehrt mich eines Besseren. An den „wahren Skeptikern“ gibt es sicher eine Menge auszusetzen, was ich in der Vergangenheit auch ausgiebig getan habe. Aber zuweilen produzieren diese „Skeptiker“ auch wahre Highlights. Eins davon finde ich im aktuellen skeptiker-Heft 3/2021 auf den Seiten 137 bis 143. Robert Mestel und Inge Hüsgen schreiben dort zum Thema „Der Glaube an Paranormales 2021“. Sie präsentieren die Ergebnisse einer Befragung von insgesamt 2009 Personen zu „Skeptiker-Themen“. Die folgende Grafik enthält die wesentlichen Ergebnisse.

Erschrocken bin ich darüber, dass jeder Dritte der Befragten die Homöopathie für ein wirksames Heilverfahren hält. Früher soll die Zustimmung zur Homöopathie sogar noch viel größer gewesen sein. Auch Wünschelrutengänger und Hellseher erfreuen  sich einer großen Beliebtheit. Mir fällt schwer, das zu glauben. Ich muss meinen Blick auf die Gesellschaft wohl deutlich korrigieren: Der Glaube an Paranormales scheint in der Gesellschaft weit verbreitet zu sein. Gemessen daran ist er in Rundfunk und Presse sogar unterrepräsentiert. Kein Wunder also, dass viele Leute von „Lügenpresse“ sprechen.

Die Aussagen

In der Umfrage wurden den Befragten nicht nur die Stichworte der Grafik genannt. Abgefragt wurde, ob man den folgenden Aussagen zustimmen könne oder nicht:

  • Die von Elektrogeräten, Handymasten oder Stromleitungen ausgehende Strahlung ist gesundheitsschädlich.
  • Mit der Wünschelrute kann man Wasseradern oder Erdstrahlen feststellen.
  • Ohne die Erweiterung um alternative Heilverfahren kann die moderne Medizin ihren Patienten nicht wirklich helfen.
  • Homöopathie ist ebenso wirksam wie konventionelle Medizin, wenn nicht sogar besser.
  • Es gibt Menschen mit hellseherischen Fähigkeiten.
  • Es gibt Menschen und Orte, die durch Übertragung besonderer energetischer und spiritueller Kräfte heilen können.
  • Menschliche Charaktereigenschaften werden von der Stellung der Sterne und Planeten bei der Geburt beeinflusst.
  • Es gibt Menschen, die Gegenstände allein mit Gedankenkraft bewegen können.
  • Spuk ist ein reales, auf Geister zurückgehendes Phänomen.
  • Außerirdische haben die Erde mit Raumschiffen besucht oder besuchen sie noch immer.

Implizit wurde offenbar davon ausgegangen, dass der „wahre Skeptiker“ keiner dieser Aussagen zustimmt. Die 8,1% der Befragten, die keiner der zehn Aussagen zugestimmt haben, seien vermutlich „Skeptiker“ im Sinne der GWUP. (Eine diesbezügliche Klärung des „Skeptiker“-Selbstverständnisses wird für das nächste skeptiker-Heft versprochen. Ich bin gespannt.)

Was sehen wir als Irrglauben an?

Für mich von zentraler Bedeutung ist, welche der Aussagen sich tatsächlich als Irrglauben charakterisieren lassen. Die „Skeptiker“ meinen offenbar: alle zehn. Für mich ist das aber längst nicht ausgemacht.

Die “Skeptiker“ liegen auch aus meiner Sicht mit ihrem Kampf gegen weit verbreiteten Irrglauben sehr oft richtig. Manches verdient einfach keine Wertschätzung, weil bereits sehr lange und ergebnislos nach messbaren Effekten gesucht wurde. Solange keine wirklich neuen Erfahrungen auftauchen, kann man Homöopathie, Wünschelrutengängerei, Hellsehen, Psychokinese und Astrologie – in der Grafik repräsentiert durch die blauen Balken – schadlos unter der Rubrik Irrglauben verbuchen.

Aber es gibt Felder außerhalb der Kompetenz der „Skeptiker“. Da die Skeptiker zugestandenermaßen keine wissenschaftlichen Experimente durchführen, von PR-Maßnahmen wie den Würzburger Psi-Tests einmal abgesehen, sind Pauschalaussagen über Gebiete, die Differenzierungen, Präzisierungen und darauf zugeschnittene Prüfungen verlangen, unzulässig.

Aussagen über den Elektrosmog sollte man besser den Physikern und Medizinern überlassen und sich nur dann einmischen, wenn man Verstöße gegen die saubere wissenschaftliche Arbeitsweise zu erkennen meint.

Auch die Alternativmedizin ist für Pauschalverurteilungen zu vielfältig. Da muss man dann schon ins Detail gehen. Und das tun manche Vertreter der Skeptikerbewegung ja auch tatsächlich. Beispielsweise wird die Wirksamkeit der Akupunktur auch von „Skeptikern“ durchaus differenziert gesehen.

Bei Geistheilung und Spuk liegen die Dinge noch einmal anders. Hierzu und auch zum Thema Telepathie haben sich die sogenannten Skeptiker jahrelang Gefechte mit den Psi-Forschern geliefert. Die „Skeptiker“ führen für ihre Position keine wissenschaftlichen Argumente an. Sie postulieren schlichtweg, dass es Übernatürliches und insbesondere Psi nicht geben kann. Das ist Dogmatismus pur. In diesen Fällen musste der Disput mit den Psi-Forschern in einer Patt-Situation enden.

Was die Aliens betrifft, geht die Forschung heute davon aus, dass es im Universum weitere Orte mit intelligenten Wesen gibt, dass diese Orte aber in praktisch unerreichbarer Ferne liegen. Die letzte Aussage ist ziemlich sicher falsch. Paranormal ist  sie nicht.

Im Verlaufe des Streits haben die „Skeptiker“ die Messlatte für den Existenznachweis von Psi-Effekten immer höher gehängt; sie haben die Psi-Forscher förmlich vor sich hergetrieben. Das hat dazu geführt, dass die Psi-Forschung wie beispielsweise die des Instituts für Grenzgebiete der Psychoologie und Psychohygiene (IGPP) heute die höchsten wissenschaftlichen Standards erfüllt. Mein Urteil lautet, dass diese Psi-Forscher heute mehr denn je Experten für die Untersuchung des Paranormalen sind.

Ich rate den „Skeptikern“, von einer Konfrontation mit den Psi-Forschern zu einer Arbeitsteilung überzugehen: Manches, was die „Skeptiker“ aus Gründen des naturalistischen Dogmas zunächst als Irrglauben einstufen, sollten sie den Psi-Forschern überantworten. Jene haben die Kompetenz für die sachliche Einordnung der Phänomene. Und sie lassen die Antwort ausdrücklich offen, wenn ihnen ein abschließendes Urteil nicht möglich erscheint.

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