In früheren Artikeln habe ich mich gefragt – und mit mir taten das einige Leser – wie der Naturalist mit dem Ich, dem Bewusstsein zurechtkommt. Antwort: eigentlich gar nicht. Das Bewusstsein ist in seiner Realität nicht unterzubringen. Der Hoppla!-Artikel Vom Verschwinden des Ich handelt davon. In einem Kommentar zum Folgeartikel Statistik und Kausalität hat mich Ralf Jakobi auf das herrliche inzwischen 40 Jahre alte Lesebuch „The Mind’s I“ von Douglas Hofstadter und Daniel Dennett aufmerksam gemacht. Darin bin ich auf den ideenreichen Artikel An Epistemological Nightmare von Raymond Smullyan gestoßen, eine weitere Variation zum Thema Das fünfte Welträtsel: Bewusstsein. Ich habe den Faden aufgenommen und neu verwoben.
Der Albtraum des Naturalisten
Manfred will’s immer ganz genau wissen. Alles hat einen natürlichen Grund für ihn. Den gilt es zu erforschen. Er weiß wohl, dass er sich irren kann. Aber jeder Irrtum lässt sich beheben, meint er voller Zuversicht. Dennoch drückt er sich meist äußerst vorsichtig aus, denn er kann Irrtümer ja nicht ausschließen. Sein Freund Helmut macht sich einen Spaß daraus, ihn hin und wieder auf die Probe zu stellen.
- Welche Farbe hat dieses Buch?
- Mir scheint es rot zu sein.
- Falsch.
- Ich habe mich doch richtig ausgedrückt. Ich sag’s noch etwas anders: Ich glaube, das Buch ist rot.
- Immer noch falsch.
- Du kannst mir doch nicht sagen, was ich zu glauben habe.
- Das nicht. Aber ich kann dir sagen, dass du gar nicht glauben kannst, dass das Buch rot ist.
- Dann sag mir: Welche Farbe hat das Buch?
- Es ist rot.
- Na siehst du.
- Nein, deine Aussage ist falsch, daran ist nicht zu rütteln.
- Erkläre, warum.
- Gut, Manfred. Ich meine, dass du nicht glauben kannst, dass das Buch rot ist. Nicht gesagt ist damit, dass du glaubst, dass das Buch nicht rot ist. Ich helfe etwas nach mit einem einfacheren Beispiel. Wenn ich sage, dass ich kein Atheist bin, dann heißt das nicht, dass ich Theist bin. Auch die Ablehnung das metaphysischen Realismus macht mich noch lange nicht zu einem Antirealisten. Ich kann mich einfach nicht für irgendeine dieser Weltanschauungen erwärmen.
- Das verstehe ich. Aber was sagt das über unsere Meinungsverschiedenheit aus, das Buch betreffend?
- Es gibt keine Meinungsverschiedenheit, das Buch betreffend. Es geht nur darum, dass du die Farbe des Buches zu einer Glaubensfrage erklärst. Aber diesbezüglich hast du gar keinen Glauben, kannst einen solchen aus grundsätzlichen Erwägungen heraus gar nicht haben. Die Frage ist allein, wie dir das Buch erscheint und nicht etwa, wie es dir scheint zu erscheinen. Niemals erscheint eine Erscheinung nur scheinbar.
- Darüber muss ich erst einmal gründlich nachdenken. Bis später dann, Helmut.
Soweit der Dialog zwischen Manfred und Helmut. Hören wir dazu noch eine weitere Stimme. Für Richard Rorty zeichnen sich das Mentale und insbesondere die Erscheinungen dadurch aus, dass wir unkorrigierbar darüber berichten können (Basics für Skeptiker).
In der Philosophie-Gruppe Deutschland habe ich diese Erläuterung nachgeschoben:
(Mein Beitrag war wohl etwas knapp geraten.)
„Mir scheint es rot zu sein.“ H kann aber überhaupt nicht bestreiten, dass M etwas rot *scheint*. Damit ist das Gespräch gleich zu Ende.
Herzliche Grüße
M äußert mit „scheint“ einen Irrtumsvorbehalt. Er aber benennt eine Erscheinung. Irrtumsfrei.