Emotionen verbieten

Emotionen verbieten: Dieses Paradoxon schließt an den letzten Artikel an.

Gerade schreibe ich über Abscheu und Überempfindlichkeit, da erreichte mich die Nachricht vom Messerangriff in Mannheim.

Der Messerangriff auf dem Marktplatz von Mannheim am 31. Mai 2024 ist unentschuldbar. Ein Polizist ist das Opfer eines radikalen Islamisten aus Heppenheim an der Bergstraße geworden. Täter-Opfer-Umkehr ist nicht erlaubt.

Dennoch ist die Frage zulässig, warum PAX Europa e.V. gerade dort gegen den politischen Islam demonstrieren muss. Der Tatort Marktplatz ist nicht weit weg vom Jungbusch-Viertel. Dieses ist spätestens seit dem Song „Iwwa die Brick“ von Joy Fleming ins Blickfeld der interessierten Öffentlichkeit geraten. Dort findet man viele Clubs, Treffpunkte junger Leute. Ich bin dort gern ins Kino gegangen. (Der großartige Thriller „Diva“ rund um eine Opernsängerin ist dort monatelang gelaufen und sonst wohl nirgends.) Zwei von drei Bewohnern haben einen Migrationshintergrund.

Der eigentlich gegen den anti-islamistischen Aktivisten Michael Stürzenberger gerichtete Messerangriff ist durch nichts zu rechtfertigen. Stürzenberger wurde verletzt. Auch ihm gilt unser Mitgefühl.

Dennoch sollten wir nachsehen, auf welchem Boden solch ein Unwesen gedeihen kann. Stürzenberger hat in der Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) für einen radikalen Kurs mit Nähe zur Pegida-Bewegung gesorgt. In einer Rede bezeichnete Stürzenberger Geert Wilders

angesichts seines mutigen Einsatzes für Freiheit und Demokratie als einen „Helden unserer Zeit“.

In der Sendung Markus Lanz vom 4.6.24 nannte die Journalistin Anna Lehmann den Polizeieinsatz in Mannheim bei einer Veranstaltung der islamkritischen Bewegung Pax Europa, bei dem ein Polizist tödlich verletzt wurde, „dilettantisch“. An der Wortwahl sieht man, wie aufwühlend das Ereignis ist.

Jedenfalls war Polizei vor Ort, man ahnte also, dass Unheil droht. Der Konflikt zeigt sich in voller Schärfe: Der leidenschaftliche Islamverächter zieht Hass auf sich, die Emotionen werden unbeherrschbar.

Von Migranten hört man immer wieder den Ruf nach Respekt. Das könnte ein Zauberwort zur Lösung der Probleme sein. Ist es aber nicht.

Fehlender Respekt ist eine der Ursachen für die Krisen dieser Welt. Im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise beispielsweise schreibt Fiona Hill: „Putin will Respekt“ (DER SPIEGEL 7/2015, S. 91). Putin hat in seiner Münchner Rede 2007 Respekt eingefordert. Niemand hat ihn ernst genommen. Die Ostererweiterung der NATO war dem Westen wichtiger.

Der Respekt hat in der aufgewühlten Stimmung unserer Zeit keine Chance. Sogar die schwachen Schutzwände, die unsere Gesetze bieten, werden infrage gestellt. Der humanistische Pressedienst beispielsweise fordert anlässlich der Messerattacke in Mannheim hpd eine Streichung des §166 StGB,

wegen dem die Organisatoren der Veranstaltung in zynischer Weise für das Attentat verantwortlich gemacht werden könnten.

Dieser Gesetzestext wäre demzufolge zu streichen:

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Auch wer angesichts der Verrohung unserer Debattenkultur von der Streichung nichts hält, sollte bedenken, was Michel Abdollahi im aktuellen Spiegel über  die singenden Ausländerfeinde auf Sylt schreibt (DER SPIEGEL 23/2024, S. 38 f.):

Man kann Symbole und Aussprüche verbieten. Aber glauben wir wirklich, indem wir das Singen und Sagen verbieten, können wir auch das Denken und das Handeln verbieten? […] Wir müssen unsere Kritik laut äußern und in den Konflikt gehen.

Dafür braucht es Begeisterung. Womit wir wieder beim Anfang dieses Artikels wären. Wenn Paradoxien überhaupt etwas leisten, dann das: Diskussionen anstoßen.

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5 Antworten zu Emotionen verbieten

  1. Frank Wohlgemuth sagt:

    „Dennoch ist die Frage zulässig, warum PAX Europa e.V. gerade dort gegen den politischen Islam demonstrieren muss.“
    Die Frage ist natürlich zulässig aber auch leicht zu beantworten: Wer immer gegen irgendetwas demonstriert, versucht es normalerweise dort zu tun, wo das zu Hause ist, gegen das er demonstriert. Man kann natürlich auch die Haltung vertreten „Du kannst ja ruhig demonstrieren, aber bevor Du damit wen ärgerst, geh mit Deiner Demo bitte in den Keller.“

    Aber alle Menschen, die in dieses Land gekommen sind, sind nicht nur, aber auch, deshalb hierhergekommen, weil hier die freie Meinungsäußerung garantiert wird. Das Ertragen der freien Meinungsäußerung gehört dann aber dazu.

    Wer immer bei dieser Demonstration an diesem Ort etwas wie das Geschehene erwartet, sagt damit im Grunde genommen, dass er zumindest die orthodoxen Muslime nicht wirklich für demokratiefähig hält, sonst sollten sie schließlich – wie die inzwischen „gezähmten“ Christen auch – auch Kritik oder Spott ertragen können, ohne gewalttätig zu werden. Ich habe jetzt nicht vom politischen sondern vom orthodoxen Islam geschrieben, ich hätte auch vom fundamentalischen Islam schreiben können, und wer die sehr aufwändig begründeten Aussagen Tilman Nagels zu diesem Thema kennt, der weiß auch, dass die nur sehr schwer zu trennen sind. Eine Religion, die beansprucht, die für alle Menschen gültige Wahrheit zu vertreten und die Befolgung ihrer Regeln durchzusetzen, wo sie es kann, ist zwangsläufig politisch und antidemokratisch. Das sagen auch die wenigen Vertreter eines „europäischen Islam“ (Bassam Tibi, Abdel-Hakim Ourghi …) der eher ein Projekt als Realität ist. Auch die Untersuchungen des Soziologen Ruud Koopmans‘, die wegen ihres Ergebnisses heftig angefeindet wurden, zeigten genau in diese Richtung.

    Sie meinen, es sei verständlich, den §166 StGB nicht zu streichen? Ich halte diesen Paragrafen für einen Ausdruck der Dummheit, weil er den Staat beim Vorhandensein fundamentalistischer Strömungen von der Gutwilligkeit der Prediger dieser Strömungen abhängig macht. Was mit hinreichendem Eifer der Prediger im orthodoxen Islam möglich ist, zeigte 2007 die „Teddy-Affäre“ im Sudan, dass wir hier ähnliche Prediger haben, zeigte „Inside Islam – Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird“ von Constatin Schreiber. Der §166 StGB bewertet die Strafwürdigkeit einer Aussage nicht an deren Inhalt sondern an der geäußerten Befindlichkeit der Betroffenen und passt damit nicht wirklich in unser Rechtssystem.

  2. Timm Grams sagt:

    @ Frank Wohlgemuth
    Verständnis für Attentäter und Islamisten bringe ich genauso wenig auf wie Sie. Toleranz hat ihre Grenzen. Man weiß aber auch, dass Druck Gegendruck erzeugt. Das mündet nicht in ein Verständnis für den Attentäter, führt aber zu Einsichten in die Situation, in der sich all dies entwickelt.

    In der frühen Neuzeit wurden die Schandtaten im Namen von Jesus Christus verübt: Eroberung des Paradieses ab 1492. Später dann, seit 1776, geschieht die Unterdrückung im Namen der Menschenrechte: Amerikas Ureinwohner, Südvietnam, Libyen, Irak, Afghanistan, Syrien, Niger, Mali, …

    Rücken wir noch näher an unsere Zeit heran. Den Hintergrund dessen, was in Mannheim passiert ist, nenne ich Rassismus. Der Anschlag galt den herrschenden Strukturen und den Herrschenden, deren Herrschaftsanspruch von Michael Stürzenberger vertreten wird. Die Neue Rechte bezieht sich ganz ausdrücklich auf das Grundgesetz.

    Nicht ganz zufällig habe ich den Beginn der Unterdrückung im Zeichen der Menschenrechte mit den Ureinwohnern Amerikas in Verbindung gebracht. Die „Vorsehung“ US-amerikanischer Prägung heißt Manifest Destiny: Christlicher Puritanismus und Demokratiebewegung bereiteten den Weg für Unterdrückung und Imperialismus. In einem Artikel des Smithsonian American Art Museums finden wir dazu das:

    The use of the term “Manifest Destiny” did not enter conventional conversation until 1845, when journalist John Louis O’Sullivan wrote that it was “our manifest destiny to overspread and to possess the whole of the continent which Providence has given us for the development of the great experiment of liberty and federated self-government entrusted to us.”

    Wie wir heute wissen, beließ man es nicht beim Kontinent. Die Einflussnahme ging weiter. Vor diesem Hintergrund sollten wir die Flüchtlingsströme und die damit einhergehenden Spannungen sehen. Mir schwant, uns wird gerade die Rechnung für Kolonialismus und Neokolonialismus vorgelegt.

    Ihre Bemerkung

    Wer immer bei dieser Demonstration an diesem Ort etwas wie das Geschehene erwartet, sagt damit im Grunde genommen, dass er zumindest die orthodoxen Muslime nicht wirklich für demokratiefähig hält.

    passt fugenlos in das allgemeine Tableau hinein. Ich habe das Gefühl, wir landen mit unserer Diskussion bei den identitären Bewegungen von rechts oder von links. Was machen wir nun daraus?

    Sie halten §166 StGB

    für einen Ausdruck der Dummheit, weil er den Staat beim Vorhandensein fundamentalistischer Strömungen von der Gutwilligkeit der Prediger dieser Strömungen abhängig macht.

    Sollten wir auch den Volksverhetzungsparagraphen 130 StGB streichen? Glücklicherweise haben wir nicht nur die Gesetzestexte, sondern auch eine Rechtsprechung, die die Meinungsfreiheit sehr hoch bewertet. Deshalb sehe ich die von Ihnen beschriebene Gefahr nicht.

    • Frank Wohlgemuth sagt:

      @ Timm Grams
      Ich habe mir mal den Herrn Stürzenberger etwas näher angesehen, und es kann sein, dass Ihr Urteil Rassismus da richtig ist – allerdings kann auch ein blinder Rassist mal ein sinnvolles Thema aufgreifen – zum Thema Islam habe ich eine eigene Meinung, die ich, völlig unbeachtet dessen, wo dieses „Pax Europa“ vielleicht sonst so mitmischt, durchaus da teilweise wiederfinde.

      Bei Stürzenberger können wir uns auch den § 130 StGB ansehen, und finden, dass der regelmäßig nicht gereicht hat, um Stürzenberger zu verurteilen, wobei ich ohne eine weiteres Studium der Fälle, das ich aber nicht vorhabe, nicht entscheiden mag, aus welchem Grund das so war.
      Vorstellbar sind mir sofort folgende:
      a) Die Norm ist außerhalb des Themas NS in ihrer Schwammigkeit, die sie mit dem § 166 teilt, untauglich, andere Hetzer zu verfolgen.
      b) Die Richter haben uns davor bewahrt, dass ein weisungsgebundener Staatsanwalt eine politisch motivierte Anklage durchgesetzt hat.
      (Ich denke in dem Zusammenhang auch daran, dass es schon einmal erstinstanzliche Urteile mit Berücksichtigung der Familienehre als mildernden Umstand für Mord gab, wir können also auch in der Justiz Tendenzen finden, „Gäste“ anders zu beurteilen als „Biodeutsche“)

      Was man auf jeden Fall festhalten kann, ist, dass der § 130 StGB so, wie er jetzt ist, nicht viel taugt. Bei dem wäre ich eher dafür, ihn „schärfer“ zu machen, um ihn besser gegen rassistische Hetzer einsetzen zu können, egal, ob die aus unserer extremen Rechten oder Linken kommen, oder in Kirchen oder Moscheen predigen – mir fällt zu dem Thema auch sofort ein bestimmter katholischer Würdenträger ein, der schon mal Atheisten das Menschsein absprach.

      Noch einmal grundsätzlich:

      Wenn wir heute die „Rechnung für Kolonialismus und Neokolonialismus vorgelegt“ bekommen, ist das eine Aufforderung, die eigene Nase nicht so hoch zu tragen, aber kein Grund, das Verhaltens von Neubürgern anders zu bewerten als nach den Regeln, die für alle gelten. Und wenn die aus demokratischer Sicht unschöne Traditionen mitbringen, sollten wir die behindern.

      Das ist nichts, wo es schnelle Lösungen geben kann, was ich allerdings der gesamten Politik übelnehme, ist, dass es immer noch keinen Ansatz für ein verpflichtendes Hauptfach Religionskunde und Ethikunterricht für alle gibt, in dem fundamentalistische Religionen relativiert werden. An der Stelle haben wir dann wieder den Zusammenhang mit dem Titel dieses Threads: Emotion, Gefühl, das klingt so natürlich. Wir sollten dabei aber im Kopf behalten, dass auch Emotionen kulturell bestimmt sein können. Was da gerne religiöse Gefühle genannt wird, ist eine rein kulturelle Veranstaltung.

    • Timm Grams sagt:

      @ Frank Wohlgemuth
      Zustimmung. Nur über den letzten Satz bin ich gestolpert:

      Was da gerne religiöse Gefühle genannt wird, ist eine rein kulturelle Veranstaltung.

      Für mich ermöglichen Emotionen Kulturen verschiedenster Ausprägungen. Ich kenne jemanden, der als Theologe gestartet ist, dann zum Kommunismus konvertierte und schließlich weltlicher Humanist geworden ist – jedes Mal mit Inbrunst, soweit ich das beurteilen kann.

  3. Realo sagt:

    @ Frank Wohlgemuth
    @ Timm Grams

    Ich fürchte, das Problem ist grundlegender, als wie man es gemeinhin so sieht.
    […]
    Früher und ohne Schiedsrichter, haben sich, unter bestimmten Bedingungen in bestimmten Weltgegenden, bestimmte Systeme „durchgesetzt“. In Amerika waren es z.B. zuerst die Ureinwohner. Vermutlich wegen ihres großen Ressourcenverbrauchs (große „Jagdgebiete“) den sie nicht sichern konnten, wurden sie sehr schnell von den neuen Siedlern verdrängt.

    In Afrika/Europa/Asien haben sich „bestimmte Hardwarevarianten“ („Ra….“,) und Softwarevarianten („psychische Betriebssysteme“ im Sinne von Religionen/Ideologien/Philosophien) „entwickelt“. Besonders an den „kriegsbedingt“ variierenden Grenzbereichen wurde „der Darwinismus“ realisiert und es gibt ein recht ausgeprägtes „dynamisches“ (kriegerisches) Geschehen, damit musste man leben bzw. sterben….

    Eine zusätzlich „Dynamik“ entsteht, weil sich die „Voraussetzungen für das Leben“ ändern. In den extrem heißen Ländern konnten z.B. Entsalzungsanlagen gebaut werden, oder man konnte Öl fördern und hoch Gewinn bringend verkaufen… Damit werden traditionelle Regeln nutzlos….

    Jetzt begrenzt ein Ressourcenmangel, möglicherweise sogar „das Klima“, die Ausbreitung der Menschen.

    Selbstverständlich gibt es einen „Wettbewerb“ (Krieg) der Systeme. Regeln werden grundsätzlich „ausgetrickst“. „Westliche Regeln“ sollen humanistisch sein, z.B. Zivilisten im Krieg verschonen, die Moslems benutzen nahe liegender Weise Zivilisten als Geiseln,…. oder sie nutzen die “offenen Grenzen“ sofort für eine Invasion zur Ausbreitung ihrer Religion. Dafür ist jede „List“ erlaubt…
    […]
    Das Problem scheint eher einfach, eine Lösung schwierig.

    [Moderator: Gekürzt]

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