„Skeptiker“: Grenzen der Verständigung

Friedemann Schulz von Thun erinnert sich an einen Vorfall gescheiterter Verständigung (2014) . Er liegt offenbar lange zurück und hat mit einer damals in Hamburg aktiven linksradikalen Sekte zu tun. Diese  Leute kamen in gut besuchte Vorlesungen, ergriffen das Wort um „den Hörsaal in ein Absurdistan zu verwandeln und mich verächtlich zu machen“. Diese Gruppe habe – so Schulz von Thun – die Toleranz des Vortragenden für die eigene Intoleranz missbraucht und ihn in eine Zwickmühle gebracht: „Reagiere ich nämlich dialogisch aufgeschlossen, bin ich der Dumme und gehe ihnen auf den Leim. Reagiere ich abweisend und repressiv, bin ich der Böse, dessen wahres Gesicht jetzt entlarvt werden kann.“

Der Diskussionsprozesses von Himmelfahrt 2014 bis 2015 unter  „Skeptikern“ ist ein weiteres Beispiel für die Grenzen der Kommunikation. Hier will ich analysieren, woran dieser Diskurs scheitern musste.

Basis der Analyse: Grundregeln gelingender Kommunikation

Die Grundregeln gelingender Kommunikation entnehme ich den Büchern „Menschliche Kommunikation“ (Watzlawick, 1969) und „Kommunikation als Lebenskunst“ (Pörksen/Schulz von Thun, 2014).

Grundlegend für die Analyse ist die Aufgliederung des Kommunikationsprozesses in eine Beziehungsebene  und eine Sachebene (Inhaltsebene).

Die dialogische Erarbeitung von neuem Wissen gelingt, wenn auf der Beziehungsebene Stimmigkeit herrscht. Grundlegende Voraussetzung ist die menschliche Begegnung auf Augenhöhe. Gegenseitiger Respekt und Empathie sind unerlässlich: Man muss auch dem anderen eine Chance geben zu überzeugen. So funktioniert partnerschaftliche Kommunikation. Absolutheitsansprüche und Bevormundung, autoritäres Verhalten und die Zuweisung eines Oben und eines Unten sind für den dialogischen Prozess tödlich.

Was die Sachebene angeht, sollte man etwas zu sagen haben. In der wissenschaftsorientierten Kommunikation setzt das eine angemessene Vertrautheit mit dem Gegenstand voraus. Der Sprachgebrauch sollte der allgemein übliche sein (Duden, Enzyklopädie, Fachwortlexika). Nötige Abweichungen sind zu erklären. Die Darstellung sollte einfach, gut gegliedert und in sich schlüssig sein.

Verkorkste Beziehung

Wie man bereits auf der Beziehungsebene daneben liegen kann, zeigt der Vortrag eines „Skeptikers“ am 12.10.2016 in Würzburg. Angekündigt ist Stephan Angene mit dem Thema „Auf welche Art sollte man Menschen überzeugen?“

Bereits das Thema signalisiert: Hier spricht ein Wahrheitsbesitzer zu Leuten, die er für arm an Wahrheit hält. Wenn man im Blog des Vortragenden stöbert, stößt man bereits in der Selbstdarstellung auf diesen irritierenden Satz: „Ganz ehrlich, Menschen haben ein Recht darauf, dumm zu sein, und ich wäre der letzte, der ihnen dieses Recht absprechen würde.“  Der Titel des Blogs lautet „Nachdenken … bitte“. Der Blogger meint wohl, dass seine Adressaten Leute sind, die sich ihrer grauen Zellen gewohnheitsmäßig nicht bedienen.

Schon diese verkorkste Voreinstellung – Wissensbesitzer hier, Dumme da – verhindert, dass die partnerschaftliche Kommunikation gelingen kann. Sie lässt keine Begegnung auf Augenhöhe erwarten. Unser Blogger ist mit dieser Einstellung nicht allein. Im Internet finde ich auf den „Skeptiker“-Seiten Vergleichbares, nämlich Blogs mit den Namen „Less Wrong“, „Die Wahrheit“, „You are not so smart“ und „The Quackometer“.

Hier werden Autoritätsgefälle konstruiert. Offenbar geht es um Missionierung der Wahrheitsbedürftigen durch die Wahrheitsbesitzer. Diese herablassende Haltung vernichtet die Chancen für ein dialogisches Miteinander.

Wie geben sich solche Missionare zu erkennen? Unter anderem durch Beteuerungen, nicht missionieren zu wollen und mit Floskeln wie dieser: „Ehrlich, ich würde sofort meine Ansicht ändern, wenn ich ernstzunehmende Belege präsentiert bekommen würde.“

Wirrwarr auf Sachebene

Auf der Sachebene erreichen die Wortführer der „Skeptiker“, gemessen an den formalen Bildungsabschlüssen in dieser Gemeinschaft, nur ein unterdurchschnittliches Niveau. Der Sprachgebrauch weicht vom Üblichen ab. Vorherrschend ist Vermengung von Begriffen und mangelnde Differenzierung. Ich habe ein paar Beispiele  aufgelistet:

  1. Realismus = Skeptizismus
  2. Wahrheit = Erkenntnis (Wissen)
  3. Approximative Wahrheit = relative Wahrheitsnähe
  4. Religionskritik = Kirchenkritik
  5. Atheismus = Agnostizismus
  6. Wahrscheinlichkeit = Plausibilität

Nicht alle dieser Vermengungen sind in der „Skeptiker“-Szene durchgängig in Gebrauch. Konstant ist die Verwechslung von Realismus mit Skeptizismus, von Wahrheit mit Erkenntnis. Mit der Differenzierung approximativ-relativ will sich der Normal-„Skeptiker“ offenbar nicht auseinandersetzen. Dasselbe gilt wohl für die Differenzierungen der Religionskritik. Aber manche Vermengungen dienen ausschließlich dem Augenblicksdogmatismus, sind pure Rabulistik. Besonders auffällig ist das im Zusammenhang mit dem Atheismus, der bei passender Gelegenheit zum Agnostizismus verharmlost wird.

Auch wenn ich oben Gleichheitszeichen verwende: Um exakte Gleichheit geht es nicht, nur um die Vermengung von Begriffen, um die Verwischung der Bedeutungsgrenzen. Das ist ein Zug unserer Zeit: In den Internetlexika und in den Internetforen darf jeder seine Auffassung zum Besten geben. Die Interpretationen stehen nebeneinander und jeder kann sich das herauspicken, was ihm gerade passt. Die ordnende Kraft der klassischen Lexika schwindet. Begriffsbestimmungen werden zunehmend zur Privatsache. Damit wird das Feld für die Missionare und Augenblicksdogmatiker bereitet.

Für jede der Vermengungen bringe ich Zitate und meinen Kommentar dazu.

  1. Aus der Selbstdarstellung eines „Skeptikers“: „In aller Kürze gesagt bin ich ein Realist, kritischer Rationalist, Skeptiker und Naturalist.“  Kommentar: Der Realist behauptet, dass es die bewusstseinsunabhängige Realität gibt und dass wir die Wahrheit darüber wenigstens partiell oder approximativ erkennen können. Der Skeptiker demgegenüber behauptet gar nichts. Er stellt in Frage, sät Zweifel und überlässt es seinem Gegenüber, sich seine Meinung zu bilden. Ein Realist kann nicht zugleich Skeptiker sein.
  2. Derselbe „Skeptiker“ traut sich zu, über Wahrheit und Realität Profundes von sich zu geben: „Die mächtigste, stärkste und, ich behaupte, einzig funktionierende Möglichkeit und Methode, wie man die Übereinstimmung mit der Realität (und damit Wahrheit) entscheiden kann, sind Vernunft und Verstand, also Rationalität und der sich daraus entwickelte einzigartige Werkzeugkasten: Die Wissenschaften.“ Kommentar: Die Wissenschaftler, die ich kenne, interessieren sich nicht für die Wahrheit. Ihnen geht es um Erkenntnis, um Wissen. Auch dem Skeptiker im eigentlichen Sinn geht es nicht um die Wahrheit. Ganz in Gegenteil: Durch die skeptischen Szenarien (Traumargument, Descartes‘ böser Dämon, Brain in a Vat) wird die Realitätsannahme ja gerade infrage gestellt. Anders als die Skeptiker neigen Realisten dazu, Wissen (intersubjektiv nachprüfbare Erkenntnisse) für die zutreffende Beschreibung einer bewusstseinsunabhängigen Realität – für die Wahrheit also – zu halten. Das ist eine Glaubensangelegenheit. Dagegen ist nichts zu sagen. Unserer Gesellschaft ist auf Pluralismus, auf die Koexistenz verschiedener Weltanschauungen angelegt. Der Realist findet darin seinen sicheren Platz. Die Selbstbezeichnung „Skeptiker“ steht ihm jedoch nicht zu (Grams, 2016, Kapitel „Um Wahrheit geht es nicht“).
  3. Den etwas diffizilen Punkt approximativ kontra relativ behandle ich im Hoppla!-Artikel „Skeptiker“ über Wissenschaft und Wahrheit.
  4.  Der „Skeptiker“ Martin Mahner schreibt im skeptiker 4/2009: „Schließlich können sogar Religionen [unter die Parawissenschaften] fallen, insofern sie Erkenntnisansprüche erheben. In der Tat kommt letztlich keine Religion – wenn sie einen Wahrheitsanspruch geltende machen will – ohne Tatsachenbehauptungen über den Menschen und sein Verhältnis zu den jeweiligen angenommenen Kräften und Wesenheiten aus.“ Kommentar: Dogmen (Tatsachenbehauptungen) fallen in das Gebiet der Kirche. Und die katholische Kirche beispielsweise verzichtet heute bekanntlich auf Tatsachenbehauptungen, die der Wissenschaft widersprechen. In seiner Botschaft Christliches Menschenbild und moderne Evolutionstheorien  erkennt Papst Johannes Paul II. die Rolle der modernen Wissenschaft als eigenständig an (22.10.1996). Kirchenkritik gibt es schon seit Jahrhunderten auf ziemlich hohem Niveau. In jüngerer Zeit haben sich Karlheinz Deschner und Joachim Kahl auf diesem Feld hervorgetan. Auf eine grobschlächtige, an Richard Dawkins orientierte Religionskritik scheint man in diesen Kreisen nicht gerade gewartet zu haben.
  5. Glaubensbekenntnis  eines „Skeptikers“: „Ich denke auch nicht, dass es Gott gibt. Atheist bin ich daher praktisch automatisch als Folge meines Naturalismus.“ Im direkten Gedankenaustausch hat der „Skeptiker“ seine Ansicht präzisiert: „Atheismus ist nur die Position zu einer einzigen Frage, nämlich ‚Denkst du, dass Gott existiert?‘ Jede andere Antwort als Ja, macht einen zum Atheisten.“ Demzufolge stellt unser „Skeptiker“ die Atheisten den Agnostikern gleich. Anders sieht das Richard Dawkins, ein Vordenker der „Skeptiker“-Szene in Sachen Religionskritik. Dieser Atheist schüttet in seinem Buch „The God Delusion“ alles was er an Häme finden kann über die Agnostiker aus. Ich bevorzuge die klassischen und eventuell behutsam weiterentwickelten Begriffe: Der Agnostiker hält das Übersinnliche und Göttliche für unerkennbar oder gar für zu unbestimmt, als dass sich sinnvoll darüber reden ließe. Der Atheist leugnet die Existenz eines persönlichen Gottes. Insofern ist Richard Dawkins nahe an der klassischen Definition, obwohl er, so wie seinerzeit Blaise Pascal, unpassenderweise die Wahrscheinlichkeitsrechnung für seine Differenzierung in Anspruch nimmt.
  6. Aus Scientabilität – Kritik einer Gegenrede: „Erstens gibt es unendlich (wortwörtlich!) viele Behauptungen, die falsch sind, man fährt also schon aus Wahrscheinlichkeitserwägungen besser, wenn man eine Behauptung für falsch hält, weil die Wahrscheinlichkeit viel höher ist, dass sie [eher] falsch als wahr ist (es gibt mehr falsche, als wahre Behauptungen!).“ Kommentar: Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ist hier fehl am Platz und das implizit vorausgesetzte Indifferenzprinzip ganz offensichtlich nicht anwendbar (Grams, 2016). Die Aussage ist Nonsens.

Auf Sachebene wird also ebenfalls nichts dem Dialog Förderliches geboten. Die Regeln gelingender Kommunikation werden sowohl auf Beziehungs- wie auf Sachebene verletzt.

Gescheiterte Kommunikation: die Echokammer

Die Kommunikation muss scheitern, weil die Grundanforderungen an einen partnerschaftlichen Meinungsaustausch nicht erfüllt werden: ausreichendes und sorgfältig in Worte gefasstes Wissen einerseits und dialogisches Prinzip andererseits. Was also ist der Zweck der „Skeptiker“-Aktionen?

Es geht meines Erachtens vor allem um ein positives Selbstbild, um die fortwährende Bestätigung der eigenen Überlegenheit. Die Herablassung gilt Leuten, die argumentativ noch weniger zu bieten haben als sie selbst: Astrologiegläubige, Wünschelrutengänger, Wahrsager,  Esoteriker, Anhänger der Homöopathie. In den Blogs der „Skeptiker“ wird in vielen Fällen Humor mit Häme und Verächtlichmachung verwechselt.

Das funktioniert natürlich nur, wenn sich die Akteure im Besitz der Wahrheit wähnen können. Jede Verunsicherung ist abzuwehren, sonst geht das Geschäftsmodell baden.

Unliebsame interne Kritiker werden an den Rand gedrängt. Gewöhnlich verlassen diese die Gesellschaft freiwillig. Ab und zu begegne ich solchen Versprengten im Internet. Andere werden auf die Liste der unerwünschten Kommentatoren gesetzt; so ist es mir beim offiziellen Internetforum der „Skeptiker“, dem GWUP-Blog, ergangen.

Übrig bleiben die, die sich in ihrer Meinung gegenseitig stützen. Abweichler, die nicht ernsthaft die Grundlagen der Gesellschaft infrage stellen, sind durchaus geduldet. Das verschafft den Eindruck der Toleranz und des Pluralismus, den man aus propagandistischen Gründen gern pflegt. Eine tiefere Wirkung dürfen diese Kritiker allerdings nicht entfalten.

Es entsteht eine Echokammer, in der jeder sein Überlegenheitsgefühl ausleben kann und nach Lust und Laune die vermeintlich dümmeren Leuten außerhalb der Echokammer verhöhnen darf. Von denen hört aber keiner zu. Häme und Herablassung werden nur von Gleichgesinnten innerhalb der Meinungsblase goutiert und sorgen dort für ausgelassene Fröhlichkeit.

Mir geht es nicht darum, „Skeptiker“-Aktionen wie den Würzburger „Psi-Test“ oder die Verleihung des „Goldenen Bretts vor dem Kopf“ in Wien zu verdammen, obwohl auch diese ein gewisses „Geschmäckle“ haben. Wenn es um die Erregung von Aufmerksamkeit geht, können derartige PR-Veranstaltungen ihren Zweck erfüllen. Aber dabei sollte es nicht bleiben.

Mich bekümmert die gesellschaftliche Geringschätzung der Mathematik wesentlich mehr als die Tatsache, dass einige meiner Freunde der Homöopathie anhängen oder den Verheißungen des Neurolinguistischen Programmierens Glauben schenken.

Wichtiger noch als die PR-Aktionen wäre ein partnerschaftlicher Dialgog mit den Leistungsträgern unseres Bildungswesens. Wünschenswert sind Veranstaltungen mit dem Ziel, der Jugend eine bessere Orientierung zu ermöglichen darüber, was Wissenschaft ist und was Scharlatanerie.

Eine Überwindung der Grenzen der Verständigung ist grundsätzlich möglich.

Literaturhinweise

Paul Watzlawick, Janet  H. Beavin, Don D. Jackson: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Hans Huber, Bern 1969

Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun: Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens. Carl-Auer, Heidelberg 2014

Timm Grams: Klüger irren – Denkfallen vermeiden mit System. Springer, Berlin Heidelberg 2016 (http://www.springer.com/de/book/9783662502792)

KlügerIrren

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