Die sich irrtümlich als Skeptiker bezeichnenden Leute liefern immer wieder überzeugende Lehrbeispiele für fehlleitende Argumentation. Wer nicht aufpasst, tappt in die von diesen Leuten aufgestellten Denkfallen. Ein Ziel dieses Weblogbuchs ist, sich durch Analyse solcher Beispiele gegen Reinfälle zu wappnen.
2007 schrieb einer der „dogmatischen Skeptiker“: „Es gibt keine Wechselwirkung mit einer Übernatur.“ Ich berichtete in Argumentationsfehler des ontologischen Naturalismus davon. Ganz aktuell gibt er unter dem Titel „Wissenschaft und Wahrheit“ zu Protokoll: „Es gibt keine negativen Sachverhalte.“ Ohnehin sei es unser Ziel, „das festzustellen, was ist“ (skeptiker, 2/2016, S. 75 ff.). Für mich postuliert der Dogmatiker mit der Keine-Übernatur-Hypothese einen negativen Sachverhalt. Ich sehe hier einen Widerspruch; die Aussagen lassen sich nicht unter einen Hut bringen.
Neben solch Schwerverständlichem bietet der Dogmatiker Thesen, die auf den ersten Blick vernünftig erscheinen. Bei näherem Hinsehen verflüchtigt sich der positive Eindruck. Es folgen zwei Beispiele aus dem bereits zitierten skeptiker-Artikel.
- „Es gibt […] gute Argumente dafür, dass das Streben nach Wahrheit unverzichtbarer Bestandteil der Wissenschaft ist.“
Die meisten der mir bekannten Wissenschaftler streben nicht nach Wahrheit, sondern nach Erkenntnis, das heißt: nach Theorien, welche die Phänomene möglichst gut erklären und die eine gute Chance auf Bewährung haben. Das Wort „unverzichtbar“ habe ich von ihnen in diesem Zusammenhang nicht gehört. Es ist aus dem Sprachschatz der Dogmatiker und nicht aus dem der Wissenschaftler.
- „[Es muss] so etwas geben wie approximative oder partielle Wahrheit.“
Als Zeuge wird Karl Raimund Popper aufgeführt. Ich finde bei Popper dies: „Da wir aber die Wahrheit nicht kennen, so ist es klar, dass wir bestenfalls immer nur die relative Wahrheitsnähe zweier oder mehrerer Theorien vergleichen können“ (Logik der Forschung, *XV. Über Wahrheitsnähe). Mein Stöckchen-Beispiel aus dem Artikel Kontrastbetonung sollte genau das deutlich machen. Relative Wahrheitsnähe mit approximativer oder gar partieller Wahrheit gleichzusetzen, ist ein Argumentationsfehler des ontologischen Naturalismus. Popper wird also zu Unrecht für eine Metaphysik vereinnahmt.
Die „dogmatischen Skeptiker“ stehen mit ihrer Rabulistik nicht allein. Der Begriff der „approximativen Wahrheit“ wird auch vom Philosophen Hilary Putnam falsch verwendet. Dabei ist er sich über die Wortbedeutung sehr wohl im Klaren: „And if one says that most scientific ‚findings‘ are at least approximately true, then where are the criteria by which we can determine how good the approximation is?“
Im Rahmen seines „scientific realism“ bezieht Hilary Putnam die Genauigkeit der Approximation jedoch nur auf eine bessere Theorie und nicht etwa auf die Wahrheit schlechthin. Es handelt sich folglich um relative Wahrheitsnähe und nicht um approximative Wahrheit: „In this sense Newtonian physics is robust; it is ‚approximately true‘, and later physics tells us just how good the approximation is“ („Philosophy in an Age of Science“, 2012, Kapitel 4: „On Not Writing Off Scientific Realism“, S. 91-108).
Es würde der Klarheit dienen, wenn die „Skeptiker“ endlich einmal von dieser Selbstbezeichnung Abstand nehmen würden. Sie sehen sich offenbar als Realisten, und diese sind in der über zweitausendjährigen gemeinsamen Geschichte hinweg die direkten Gegenspieler der Skeptiker. Durch eine solche Klarstellung würde dann auch jedermann deutlich, dass die ganze Debatte auf dem Feld der Metaphysik stattfindet, also dort, wo der Skeptiker sich gewöhnlich nicht aufhält.
Außerhalb des Weblogbuchs hat sich eine sonderbare E-Mail-Debatte unter GWUPlern entsponnen. Ich habe angefangen mit einer Einladung zur Diskussion dieses Artikels. Ein „Skeptiker“ hat ausufernd geantwortet, wobei er vermied, auf die zentralen Punkte des Artikels einzugehen. Er bekam Beistand eines zweiten. Zum Schluss gesellten sich noch zwei – wohl eher undogmatische GWUPler – hinzu, die sich über die entgleiste Debatte zu Recht lustig machten.
Hier das Wesentliche der E-Mail-Debatte:
In seiner ersten Reaktion auf meinen Artikel bot der „Skeptiker“ ein Glaubensbekenntnis und schließlich die Frage: „Warum steht Realismus in ‚unauflöslichem’ Widerspruch zum Skeptizismus?“
Auf diese Frage habe ich zunächst nicht geantwortet, weil ich mich ungern wiederhole und weil ich zirkelhafte Diskussionen möglichst frühzeitig beende. Die Frage ist nämlich in diesem Weblogbuch bereits ausgiebig behandelt worden, unter anderem im Artikel GWUP: Esoterik durch die Hintertür und in den Kommentaren dazu. Außerdem hat die Frage wenig mit dem eigentlichen Thema des Artikels zu tun, dem Wahrheitsbegriff des Realismus. Es ist ein gern angewandter Trick der „Skeptiker“, den Diskussionspartner auf ein Nebengeleis zu locken und vom eigentlichen Thema abzulenken. Wer sich darauf einlässt, ist selber schuld.
Im Abspann zur Diskussion, gerichtet an die Zaungäste, von denen wohl kaum jemand die angesprochenen Hoppla!-Artikel kennt, schreibe ich:
Den zweiten „Skeptiker“ lässt meine Antwort nicht ruhen: „Wenn Du damit den naiven Realisten meinst, hast Du natürlich Recht. Ansonsten halte ich diese Behauptung, mit Verlaub, für relativistisch verseuchten, verqueren Unsinn.“
Daraufhin versuche ich es noch einmal:
Der zweite „Skeptiker“ lässt nicht locker: „Ich halte es für wenig konstruktiv, sich hinter bekannten Namen zu verstecken, anstatt zu argumentieren und auf […] Fragen einzugehen. Abgesehen davon: Auch große Denker können sich gelegentlich irren.“
Da ist sie, die Brian-Situation. Es gibt kein Entrinnen.
Zu Hilary Putnam: „And if one says that most scientific ‚findings‘ are at least approximately true, then where are the criteria by which we can determine how good the approximation is?“
Das ist auch eine Rückfrage auf eine unbefriedigende Antwort: Mit der Antwort wird plötzlich –und für ungeübte Leser sogar unbemerkt- die Bedeutung von wahr/falsch verändert, d.h. hineingebogen in die Frage, ob man überhaupt genau genug sehen, verstehen und analysieren könne („Wo ist die Grenze von Hochdruck- und Tiefdruckgebiet?“), so dass zweifelhaft wird, ob etwas überhaupt klar, präzise und eindeutig entschieden werden könne.
Hat da jemand die zweiwertige Logik in eine Fuzzy-Logik umwandelt, um sie als passend anzubieten? Er bekommt aber von Putnam die klare Ansage, dass die Richtung falsch ist, weil es nur noch mehr Fragen und Klärungsbedarf aufwerfen würde.
Pingback: Skeptizismus, Agnostizismus; oder: Wer rettet die Wissenschaft? » MENSCHEN-BILDER » SciLogs - Wissenschaftsblogs
Ein Skeptiker im eigentlichen Sinn, Heinz von Foerster, hat das Wort: „Mein Ziel ist es […], den Begriff der Wahrheit selbst zum Verschwinden zu bringen, weil sich seine Verwendung auf eine entsetzliche Weise auswirkt. Er erzeugt die Lüge, er trennt die Menschen in jene, die recht haben, und jene, die – so heißt es – im Unrecht sind. Wahrheit, so habe ich einmal gesagt, ist die Erfindung eines Lügners. Damit ist gemeint, dass sich Wahrheit und Lüge gegenseitig bedingen: Wer von Wahrheit spricht, macht den anderen direkt oder indirekt zu einem Lügner. Diese beiden Begriffe gehören zu einer Kategorie des Denkens, aus der ich gerne heraustreten würde, um eine ganz neue Sicht und Einsicht zu ermöglichen. […] Meine Auffassung ist in der Tat, dass die Rede von der Wahrheit katastrophale Folgen hat und die Einheit der Menschheit zerstört. Der Begriff bedeutet – man denke nur an die Kreuzzüge, die endlosen Glaubenskämpfe und die grauenhaften Spielformen der Inquisition – Krieg. […] Ja – und auf einmal stehen die großen Armeen der Gläubigen einander gegenüber, sie knien nieder und beten beide zu ihrem Gott, dass die Wahrheit, dass ihre Wahrheit siegen möge. – Wer hat recht? […] Um diese Frage zu entscheiden wird geschlachtet und geschlachtet.“ (Heinz von Foerster, Bernhard Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Carl Auer, Heidelberg 1998)