Motiv
Im Sinn liegt mir nicht, eine allseits bekannte Liste von Argumentationsfiguren abzuarbeiten und systematisch anzuordnen. So etwas findet man problemlos im Internet; auch „Die Kunst, Recht zu behalten“ von Arthur Schopenhauer ist eine gern genommene Sammlung. Vorbild ist mir eher die problemorientiert fokussierte Behandlung des Themas im Büchlein „Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren“ von Hubert Schleichert (1997).
Mein Ansatz ist noch etwas enger: Ich nehme mir nur solche Argumentationsfiguren vor, die mir im Laufe der letzten vier Jahren in meiner Auseinandersetzung innerhalb der Skeptikerbewegung begegnet sind. Sie werden meine Verblüffung verstehen darüber, dass mir in diesem Zirkel genau die Argumentationsweisen begegnet sind, die diese Leute ihren Lieblingsfeinden vorwerfen.
Das muss einen nun tatsächlich nicht um den Verstand bringen. Ich trete ein paar Schritte zurück und freue mich über die wirklich herrliche Sammlung an selbst erlebten Beispielen fehlleitender Argumentation. Und an dieser Freude sollen Sie, mein Leser, teilhaben.
Die Sammlung ist wirklich praxisnah und enthält nichts, was man sich nur ausdenkt oder bloß angelesen hat. Insofern bin ich meinen Kontrahenten dankbar. Immerhin haben sie ja einigen Zeitaufwand in die Auseinandersetzung gesteckt.
Eine ganze Reihe von Beispielen fehlleitender Argumentation habe ich bereits im Artikel Argumentationsfehler des ontologischen Naturalismus nach ihrer Herkunft benannt und aufgespießt. Wiederholungen erspare ich Ihnen. Interessant sind die Grundmuster der sich daran anschließenden Verteidigung durch Vertreter der Skeptikerbewegung. Weiteres Quellenmaterial ergab sich in der Diskussion in demselben Kreis zum Hoppla!-Artikel Hochstapelei im Namen der Wissenschaft und zum Artikel Das Elend des Instrumentalismus von Martin Mahner.
Argumentationsmuster
Petitio principii: Begging the Question, logischer Kurzschluss
Dieser Argumentationsfehler ragt besonders heraus, weil sich die Skeptikerbewegung solchermaßen begründet: In der Skeptikerbewegung wird die Beschränkung auf Pseudowissenschaften wie Homöopathie und Wahrsagerei als Hauptziel ihrer Angriffe als unbefriedigend empfunden. Um irgendwie auch eine Handhabe gegen die Religionen zu bekommen, legt man sich eine mit der Religion unverträgliche Philosophie zu: den Naturalismus.
Im aktuellen Buch zum Thema klingt das dann so: „Unsere These lautet daher, dass jeder, der Beobachtungen, Messungen und Experimente als realwissenschaftliche Methoden akzeptiert, auch diese vorgeordneten ontologischen Prinzipien akzeptieren muss, weil diese Methoden sonst unanwendbar, wenn nicht gar sinnlos, wären.“ Zu den vorgeordneten Prinzipien gehört der Realismus, nach dem es eine strukturierte und erkennbare Welt außerhalb unseres Denkens gibt.
Demnach habe man im Rahmen dieser Philosophie so zu denken: Nur wenn es die strukturierte Realität (A) gibt, können wir Beobachtungen machen (B). Da wir Beobachtungen machen, muss es die Realität geben. Kurz: Aus B impliziert A zusammen mit B folgt A. Da die Implikation zu beweisen war, greift der Beweis auf den zu beweisenden Satz zurück. So führt man Leute an der Nase im Kreis herum.
Wer den logischen Kurzschluss nicht als solchen erkennt, sollte sich von der Wissenschaft fern halten.
Argumentum ad lapidem
So klingt der Naturalist: Ihren Texten entnehme ich, dass sich die weltbezogene Wissenschaft ausschließlich mit „Erscheinungen“ und „Beobachtungsbündeln“, d.h. allgemeiner mit menschlichen Sinnesdaten oder vielleicht besser Sinneserlebnissen beschäftigt. Wenn ich gegen eine Straßenlaterne laufe, kollidiere ich dann mit meinem eigenen Beobachtungsbündel?
Das Argument ähnelt dem, das dem Bischof George Berkeley (1685-1753) entgegengehalten wurde, der ja die Existenz einer abstrakten Idee wie die einer denkunabhängigen Außenwelt verneinte. Sein Kontrahent stieß einen Stein (lat. lapis) weg und meinte: „Damit ist es widerlegt.“
Ad-lapidem-Aussagen sind insofern fehlerhaft, als sie das Strittige gar nicht ansprechen, sozusagen am Punkt vorbeizielen und so den Adressaten vom Thema ablenken. Das ist ganz ähnlich dem nächsten Argumentationsmuster.
Ablenkung hin zum Nebensächlichen: Red Herring, Definitionsfragen
Im Artikel über Argumentationsfehler schreibe ich unter dem 6. Punkt von einem klassischen Dilemma-Argument: Es wird so getan, als gäbe es nur Erkenntnis der Realität und Wahrheit einerseits und alternativ dazu einen bedeutungsarmen Diskurs und Pseudowissenschaft. Das ist auch eine Art Strohmann-Argument. Die Alternative kommt so abschreckend daher, dass man sie ablehnen muss. Selbstverständlich gibt es weitere Alternativen, und darunter sind weit plausiblere als die hier präsentierte. Meine Lieblingsalternative ist der kritische Rationalismus des Karl Raimund Popper.
Die Entgegnung darauf stellt heraus, dass der kritische Rationalismus gar keine Alternative zum erkenntnistheoretischen Realismus sein könne, da eine Alternative das ursprüngliche Konzept ersetzen können müsse. Das sei hier aber nicht der Fall, da Realismus und kritischer Rationalismus miteinander vereinbar sind. Was vereinbar ist, kann nicht zugleich eine Alternative sein.
Um dieses Argument überhaupt wirksam zu machen, muss erst einmal die ursprüngliche Aussage, nämlich die von der „Lieblingsalternative“, aus dem von mir stets betonten Zusammenhang gerissen werden: Der kritische Rationalismus bedarf keiner philosophischen Überhöhung. Insofern ist er tatsächlich eine Alternative zu den philosophisch aufgemotzten Begründungssystemen.
Was aber schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass mit diesem Geplänkel vom ursprünglichen Argument abgelenkt wird, nämlich dem, dass es weitere Alternativen gebe. Dem Argument wird nichts entgegengehalten. Es wird nur so getan, als ob.
Wer behauptet, dass der Gegensatz zur Erkennbarkeit der Realität doch nur eine im Großen und Ganzen bestehende Nicht-Erkennbarkeit sein kann, der übergeht die Haltung des Agnostikers, der weder die Erkennbarkeit noch die Nicht-Erkennbarkeit postulieren mag.
Eine beliebte Methode der Gegenwehr durch Ablenkung ist auch das Ausweichen auf Definitionsfragen, selbst dann, wenn allen klar sein sollte, worum es geht.
Ein Diskussionsteilnehmer schrieb einmal über Risiko in Sachen grüner Gentechnik: „Bitte erst nachschlagen was Risiko ist, dann darüber reden. Solange bleibt ihr Text einfach nur unnütz.“ Dann kommt er mit einer total verunglückten Formel zum Risiko und zeigt, dass er vom modernen Risikobegriff keine Ahnung hat. Im Gefolge kommt es zu ausgiebigen Belehrungen hin und her. Dabei wird das ursprüngliche Argument völlig aus den Augen verloren, nämlich, dass bei der Risikobewertung zuweilen völlig außen vor gelassen werde, „dass auch ein geringes Risiko anders bewertet werden muss, wenn die Folgen eines Eintritts massiv sind“. So funktioniert Ablenkung durch Ausweichen auf Definitionsfragen.
Holzhammermethode: nicht sachdienliche Wiederholung des Immergleichen
Eine in dem von mir besuchten Kreis sehr beliebte Methode ist, den Kontrahenten dadurch weich zu kochen, in dem man dessen Argumente konsequent überhört und die eigenen immer wieder auftischt. Am besten funktioniert das mit unwiderlegbaren selbstbezüglichen Behauptungen, logischen Kurzschlüssen und Ad-lapidem-Argumenten. Beispielsweise tritt die Realitätsannahme auch in diesem Gewand auf: „Unsere Sinne informieren uns tatsächlich – wenn auch fehlbar – über die Außenwelt.“
So etwas nennt man Mentizid oder Holzhammermethode. Aus psychologischen Gründen funktioniert sie gut; wer ihr widerstehen will, braucht einiges an Kraft und Stehvermögen. Es ist die gemeinste Methode, die außerdem an den, der sie anwendet, die geringsten kognitiven Ansprüche stellt.
Sich-dumm-stellen
Diese Methode tritt in Erscheinung, wenn einer der Naturalisten schreibt: Till scheint für den Begriff des „Erkenntnisfortschritts“ zu plädieren. Hier stellt sich aber gleich die Frage: Erkenntnis von was? Dies führt er nicht weiter aus. Sollte sich der Erkenntnisfortschritt auf Sinnesdaten beziehen? Ist die empirische Kosmologie eine Wissenschaft, die von Sinnesdaten handelt, wie jede andere Wissenschaft auch? Kosmologie als Sinnesdatenwissenschaft ergibt aber kaum Sinn und Kosmologie als reine Mathematik greift wegen des empirischen Anteils zu kurz. Wenn man von Beschreiben spricht, sollte auch erläutert werde, was da eigentlich beschrieben werden soll. Till bleibt es unbenommen, an seinen Haltungen festzuhalten, die mir persönlich jedoch nicht klar sind.
Allen Beteiligten an der Diskussion muss klar gewesen sein, dass Till den Erkenntnisfortschritt im Sinne Karl Raimund Poppers gemeint hat. In Poppers Logik der Forschung geht es von vorn bis hinten um den Fortschritt der Wissenschaft, um Erkenntnisfortschritt also. Und Popper lässt das nicht undefiniert. Die obigen Fragen haben als einzigen erkennbaren Zweck: Sie sollen Till verunsichern und ihn dazu bewegen zu erklären, was eigentlich längst klar ist. Damit wäre er dann hinreichend beschäftigt und nicht weiter störend tätig; außerdem würde auf diesem Weg klar, dass sich Till wohl doch nicht richtig ausdrücken kann und nachbessern muss.
Der Hinweis auf die Kosmologie ist ein Ablenkungsmanöver von der weiter oben beschriebenen Art: Um Welterklärung geht es beim Erkenntnisfortschritt zunächst einmal nicht. Wer sich mit Kosmologie beschäftigt, wird sich auch mit Erkenntnisfortschritt auseinandersetzen müssen. Ein Zwang in entgegen gesetzter Richtung existiert nicht, auch wenn die Naturalisten nicht müde werden, genau das zu behaupten. Es handelt sich um den oben beschriebenen logischen Kurzschluss.
Moralisieren
Wer moralisiert, will verletzen. Die Täuschungsabsicht ist im Allgemeinen daran zu erkennen, dass derjenige, der die Einhaltung von Anstandsregeln anmahnt, bei deren Verletzung ganz vorne mit dabei ist.
Beispiele: Das beharrliche Vertreten eines Standpunkts wird als Renitenz angekreidet. Wer kritisiert, wird als Stänkerer gebrandmarkt. Wer Toleranz einfordert, dem wird der Wille zur Zensur unterstellt. Eine abweichende Meinung ist ein Zeichen dafür, dass es an der „skeptischen Redlichkeit“ mangelt. In all diesen Fällen wird auf unanständige Weise mehr Anstand eingefordert. Aber das sind noch die harmloseren Verstöße gegen die Anstandsregeln.
Eine Frau F. meint, einen Kritiker als „hochmütig, penetrant und überheblich“ charaktierisieren und dabei darauf verzichten zu dürfen, der sachlichen Kritik so etwas wie einen sachlichen Einwand entgegenzusetzen.
Eine Krönung diesbezüglich liefert Herr S. Es geht ihm um den gerade eben beschriebenen Vorwurf des Sich-dumm-stellens, das man durchaus als Gesprächsstrategie auffassen kann, ohne damit eine moralische Wertung verbinden zu müssen. Herr S. kontert den Vorwurf so: „Für solchen Umgangston gibt es die anderen ca. 99.999999% des Internets, wo ein aggressiver, abwertender Umgangston üblich ist. Ich bitte hier um Beachtung der Netiquette.“ Dabei scheut sich Herr S. bei einer späteren Gelegenheit nicht, eine Sachdiskussion auf die persönliche Ebene zu hieven mit dem Satz: „Ich schlage Herrn G. als Kandidaten für die Wahl des Listentrolls vor.“
Die Lehren
Ich halte es übrigens nicht für eine gute Idee, die täuschenden Argumentationen mit einer moralischen Bewertung zu beladen. Meinen Standpunkt dazu habe ich einst in einem vhs-Kurs kundgetan:
Tarnen und Täuschen gehören so sehr zum Leben auf dieser Erde (man denke nur an die Geweihe der Hirsche, die Mimikri der Schmetterlinge, die Scheinmuskeln der Männer, das Imponiergehabe in den Chefetagen und die Werbung), dass man sich generelle moralische Urteile über dieses Verhalten besser verkneift. Täuschung und Manipulation abzuschaffen, ist schon aus Gründen des Wettbewerbs aussichtslos: Wer will schon auf große Vorteile verzichten, die zu moderaten Kosten zu haben sind?
Ein Ziel des Kurses ist das Herstellen von Waffengleichheit. Jedermann sollte grundsätzlich die Möglichkeit erhalten, manipulationstechnisch nachzurüsten, so dass er in der durch Manipulation, Manipulationsabwehr und Gegenmanipulation bestimmten Kommunikation seine Chancen wahren kann.
Allgemeine Nachrüstung auf diesem Gebiet hat paradoxe Auswirkungen: Können es alle, wird Täuschen unrentabel und kommt entsprechend seltener vor.
Kurze Frage: Was sind denn „realwissenschaftliche“ Methoden, im Gegensatz zu den mir schon eher bekannten „wissenschaftlichen“ Methoden ? Oder gibt es gar „irrealwissenschaftliche“ Methoden?
Kann ein Leser weiterhelfen? Ich bin da nämlich auch ziemlich ratlos.
Wenn „realwissenschaftlich“ soviel bedeuten sollte wie „auf die im Rahmen der Ontologie postulierte Realität bezogene Wissenschaft“, dann müssen sich „realwissenschaftliche Methoden“ aus rein logisch-sprachlichen Gründen auf „diese vorgeordneten ontologischen Prinzipien“ beziehen. Die Tautologie und letztlich die Sinnlosigkeit des Geltungsanspruchs tritt hier noch deutlicher zutage, als wenn man „realwissenschaftlich“ und „wissenschaftlich“ als bedeutungsgleich hinnimmt.
Die Worte „Realwissenschaftliche Methoden“ sind dem linguistischen Trick mit dem Totschlagargument von den „Alternativen Fakten“ ebenbürtig, wenn man nicht mehr weiter weiß. Sie reichen nicht einmal für ein Gardez!
Neben dem Begriff der Realwissenschaften gibt es noch den Begriff der Formalwissenschaften, wie Logik und Mathematik. Nur erstere haben empirischen Gehalt.