Das Folgende ist keine Kritik an Präsidium und Leitungsgremien der Hochschule Fulda. Soweit ich es beurteilen kann, tut man dort genau das, was die deutsche Hochschullandschaft zulässt; alles ist im wohlverstandenen Sinne der Studentenschaft und der Stakeholder – wohlverstanden im Rahmen der vorgefundenen Strukturen und Bedingungen. Diese sollten wir genauer betrachten. Der Blick wird geweitet und geht über den Campus dieser Hochschule hinaus.
Den noch druckfrischen Prachtband zur 50-Jahrfeier meiner Hochschule in Händen stelle ich fest: Die Hochschule hat noch immer acht Fachbereiche wie vor drei Jahrzehnten: Sozial- und Kulturwissenschaften, Wirtschaft, Angewandte Informatik, Ökotrophologie, Lebensmitteltechnologie, Sozialwesen, Elektrotechnik und Informationstechnik und Gesundheitswissenschaften. Aufgebläht wurde die Hochschule durch immerhin 66 Studiengänge. Dabei hat sie nicht ganz 150 Professoren.
Die zu enge Orientierung der Ausbildung an spezifischen Praxisfeldern halte ich für eine Fehlentwicklung. Wichtig sind die Grundlagen: Sprachen, Mathematik Naturwissenschaften und Vertrautheit mit den elementaren Werkzeugen. Was das Berufsleben verlangt, wird man nach dem Studium sehen.
Die technischen Fachbereiche Lebensmitteltechnologie, Elektrotechnik und Informatik spielen in der Festschrift so gut wie keine Rolle. Auf den folgenden Gebieten wird Exzellenz ausgewiesen: Lebensqualität und Gesundheit, Akademisierung der Pflegeberufe („Die Puppen können sogar grün erbrechen“, so wurde mir berichtet.), Diätetik, Hebammenkunde, frühkindliche Bildung.
Besonders herausgestellt wird die Diversitätskultur und die Tatsache, dass die Gleichstellungsarbeit der Hochschule Fulda deutschlandweit eine Spitzenposition einnimmt. Das Gender-Sternchen wurde erfolgreich verteidigt, entgegen den Wünschen des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein. Stolz ist man auf das Selbstlernzentrum. Es erinnert mich an die Lernmethoden nach Klippert. Eine hoffentlich vergangene Modeerscheinung.
Auf solchen Nebenkriegsschauplätzen zu reüssieren allein, wird der Leistungsfähigkeit der Hochschule Fulda m. E. nicht gerecht.
Die Ökonomisierung des Hochschulwesens in Deutschland wird vorangetrieben von der Bertelsmann Stiftung, die mit ihrem Hochschulranking immer wieder für Schlagzeilen gut ist. Der Ingenieur weiß, dass er durch Bewertungen und Messungen ein System weder effizienter noch sicherer machen kann. Diese Erkenntnis hat es nicht in die Bildungspolitik geschafft. Im Hoppla!-Blog habe ich schon einige Fehlentwicklungen und Irrtümer aufgespießt:
- Die Länge seiner Literaturliste sagt etwas über den Ideenreichtum des Forschers.
- Die in einem Aufsatz zitierten Arbeiten sind tatsächlich relevant.
- Lobeshymnen oder Verdammungsurteile sagen etwas über den Wert einer Hochschule oder eines Fachbereichs.
- Rankings und Bewertungen zeigen, was ist.
Bleiben wir beim letzten Punkt. Es ist wohl oft so, dass Bewertungen erst das erzeugen, was sie zu zeigen vorgeben. Da kommt mir eine der schönen Geschichten des Gunter Dueck in den Sinn, ein Kurzdialog mit seiner (fiktiven) Mutter (Informatik Spektrum 1/2003, S. 39):
Gunter, hast du die Zähne geputzt?
Ja, gleich, doch, ja, habe ich!
Du da drin, das Wasser hat nicht gerauscht. Außerdem sehe ich es am Verbrauch der Zahnpasta ganz genau!
Klein Gunter zeigte erste Ansätze von Managementtalent: Für das Bestehen der mütterlichen Prüfung sollte es ausreichend sein, im Bad etwas Wasser auszuspucken und regelmäßig etwas Zahnpasta in den Müll zu tun.
Befürworter des Rankings begrüßen den Wettbewerb. Sie gehen davon aus, dass Hochschulen mit Spitzenplätzen nicht nur die besten Studenten anziehen, sondern auch die meisten Drittmittel. Das Ökonomieprinzip wirkt und löst den Matthäus-Effekt aus.
Das ist gar nicht gut für die Breitenbildung. Letztere sehe ich als unerlässlich für Kreativität an. Wenn auch die Spitzenforschung besonders viel Zunder für kreative Funken bereithält, so lässt doch gerade die gut ausgebildete breite Mitte Geniales erwarten. Oft ist es die glückliche Fügung, die Unspektakuläres zu etwas Großartigem zusammenbringt. Man nennt es Serendipity.
Im Ranking schlechter abschneidende Hochschulen sollten eigentlich Zwänge zur Qualitätsverbesserung verspüren. Vielleicht passiert aber etwas ganz anderes: Ausweichreaktion auf Felder, mit denen man ohne größere Anstrengungen Lorbeer gewinnen kann.
Sichtbare Zeichen einer Ökonomisierung der Hochschule sind die folgenden:
- Die Novellierung des Hochschulgesetzes in Richtung einer Präsidialverfassung. Anstelle des Rektors tritt der Präsident. Gefragt sind Managerqualitäten, weniger eine Verankerung in der Wissenschaft.
- Mit dem Hochschulrat gewinnt die Wirtschaft stärkeren Einfluss auf Hochschulgeschehen und -entwicklung.
- Die Einrichtung neuer Studiengänge geht von der Verantwortung der Ministerien über auf externe Akkreditierungsagenturen.
- Über Stiftungen wie Bertelsmann, Bosch, Körber, Töpfer wirken die Reichen (Philanthropen, Oligarchen) auch unmittelbar auf das Bildungswesen ein.
- Der Bologna-Prozess sorgt für eine Entfremdung der Entscheidungsprozesse von den Betroffenen.
Mit Bologna wurde uns Ein X für ein U vorgemacht. Mit der Reform verbunden sind
- die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Hochschulraums
- eine auf Beschäftigungsfähigkeit am Arbeitsmarkt zielende Ausrichtung der Studiengänge.
Wer weiß, ob das gut ist? Ich halte viel von Föderalismus und geistiger Unabhängigkeit.
Das A und O unserer Wirtschaft ist die Propaganda, schamhaft Public Relations genannt. Zunehmend ergreift sie Besitz von unserem Bildungssystem, sichtbar beispielsweise im Wechsel der Publikationsformen meiner Hochschule. Den kritischen und sicher etwas ungehobelten Artikel „Oberflächenkompetenz und Konsumverhalten – Trends im Bildungswesen“ konnte ich noch im THEMA Hochschule Fulda 2/2006 unterbringen. In dieser Hauszeitschrift fand man Ungeglättetes auch aus anderen Fachbereichen – das war oft ziemlich interessant. Heute gibt es vor allem Werbung, langweiligen Kram ohne Ecken und Kanten.
Rainer Mausfeld bringt’s auf den Punkt (Hybris und Nemesis, 2023, S. 276):
Kapitalistisch organisierte Bereiche zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf Prinzipien einer Nutzen- und Gewinnmaximierung basieren. In Gesellschaften, in denen die Wirtschaft in die Gesellschaftsordnung eingebettet ist und somit im Prinzip noch einer demokratischen Gestaltung und Kontrolle zugänglich ist, sind zentrale gesellschaftliche Bereiche wie Ausbildung, Gesundheitswesen, Sozialversorgung, Alterssicherung oder Umweltschutz den kapitalistischen Marktkräften entzogen und unterliegen Kriterien, die sich nicht auf Konkurrenz und materiellen Gewinn reduzieren lassen. Da jedoch der Kapitalismus eine Tendenz zu einer Ökonomisierung aller menschlichen Verhältnisse aufweist, droht er, wenn er nicht gesellschaftlich eingehegt wird, seine eigenen sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen zu zerstören.
@ Grams
Zitat: „Die zu enge Orientierung der Ausbildung an spezifischen Praxisfeldern halte ich für eine Fehlentwicklung. Wichtig sind die Grundlagen: Sprachen, Mathematik Naturwissenschaften und Vertrautheit mit den elementaren Werkzeugen. Was das Berufsleben verlangt, wird man nach dem Studium sehen.“
Ich persönlich sehe es genau so und ich habe davon in meinem Berufsleben sehr profitiert. Man wurde sehr flexibel und konnte sich nach den jeweiligen „persönlichen Interessen und Gegebenheiten“ schnell umorientieren.
Nur dürften es die Arbeitgeber anders sehen. Sie möchten Arbeitnehmer, mit einer einheitlichen Berufsbezeichnung, die ohne weitere Einschulung (Zeit und Kosten) sofort „zielgenau“, womöglich „international“ einsetzbar sind.
Sie sollten möglichst keine Gelegenheit haben auf andere Berufe bequem „auszuweichen“ nur weil sie dort mehr verdienen könnten, was natürlich ein unerwünschter Kostenfaktor ist. (Außer sie studieren nebenbei ein anderes Fach).
„Flexibilität“ kann natürlich auch für das Unternehmen sehr zweckmäßig sein, z.B. ehemals bei der EDV Implementation, aber 1 „Flexibler“ und 19 „Fachspezialisten“ verursachen weniger Kosten….
Gerade flattert mir der aktuelle LobbyControl-Newsletter ins Haus:
Die Kommerzialisierung des Bildungswesens geschieht nicht im Verborgenen. Wir müssen nur die Augen aufmachen. Der Spiegel 27/2024 schreibt auf den Seiten 64 und 65 vom »Partner in Crime«, einem windigen Bildungsträger, der von einer der offiziell akkreditierten Zertifizierungsstellen zertifiziert worden ist. Werbespruch: