Gefühle sind grundlegend sozial

Die Überschrift habe ich aus dem letzten Abschnitt des Buches Explosive Moderne von Eva Illouz (2024). Das Buch eröffnet mir einen überraschend neuen Blick auf Themen meines Hoppla!-Blogs.

Als Ingenieur sehe ich in allem zuerst die mathematisch-naturwissenschaftliche Seite: Die Reflexion kontrolliert die Emotion, ganz so wie es Daniel Kahneman in seinem Bestseller Thinking Fast and Slow empfiehlt. Die Reflexion, das langsame Denken, ist allerdings ein träger Kontrolleur, so Kahneman.

Emotionen sind wirkmächtig. Erfolgreich ist in der Politik, wer das Spiel mit den Emotionen beherrscht. Genau darin ist der Schauspieler geschult. Es verwundert nicht, dass demokratisch gewählte Präsidenten die Schauspielerei gut beherrschen, manche haben sie sogar regelrecht professionell betrieben.
Mir fallen Ronald Reagan und Wolodymyr Selenskyj ein. Weitere Schauspieler waren in der Politik erfolgreich: Clint Eastwood und Arnold Schwarzenegger.

Fotografiert von Heinz Klingel

Hoffnung

Wir überholen auf einer Landstraße, obwohl der Zeitgewinn das Risiko eines Zusammenstoßes nicht aufwiegt; der Spatz in der Hand ist uns lieber als die Taube auf dem Dach. Da wird ein Denkmechanismus wirksam, der in der Kognitionspsychologie als Tendenz zur Überbewertung der Gewissheit bekannt ist.

Wir sehen, dass unsere rationalen Risikoüberlegungen und Entscheidungen im Kern subjektiv sind.

In dieses Erklärungsmuster passt nicht, dass Lotto so beliebt ist. Die im Vergleich zur Gewinnerwartung viel zu hohe Teilnehmergebühr passt nicht zur psychologisch verfestigten Tendenz zur Überbewertung der Gewissheit. Hier dominiert ein anderes Prinzip, nämlich das Prinzip Hoffnung.

Der Käufer erwirbt mit dem Lottoschein einen Traum. Der Traum holt das Erträumte in die Gegenwart und ist selbst bereits das Bestimmte. Der Verkäufer verspricht listig: »Nur wer teilnimmt kann gewinnen.« Die subjektive Risikobewertung mit ihrer Überbewertung der Bestimmtheit ist rational – mit der Hoffnung kommen Emotionen ins Spiel (Illouz, S.64 ff).

Ich halte es für möglich, unsere Entscheidungsgrundlagen zu ordnen – und zwar nach fallender logisch-mathematischer Strenge bei gleichzeitig steigender praktischer Relevanz: objektiv, rational, emotional. Dabei kommen wir von der Wissenschaft zu Politik und Moral.

Träume

In Hillbilly Elegy (2016/2024) beschreibt einer, der es geschafft hat, die Verführungskraft des amerikanischen Traums. Der heutige US-Vizepräsident entstammt den bescheidenen Verhältnissen der weißen Arbeiterklasse Amerikas. Er hatte das Glück, von seiner Großmutter ermutigt worden zu sein, sich nicht als Opfer der Verhältnisse zu sehen. Für JD Vance wurden das Versprechen der Aufwärtsmobilität wahr. Sein Buch ist durchdrungen von der Botschaft: Jeder kann es schaffen.

Bei den allermeisten Menschen bleibt es allerdings bei der Hoffnung – wie beim Lottogewinn. Und schon bin ich wieder bei Eva Illouz (S. 42):

Mit ihrer Säkularisierung der christlichen Hoffnung hatte die Aufklärung dieses Gefühl wahrscheinlich am besten systematisiert und institutionalisiert.

Und weiter auf S.45:

Die vorausschauende Vorstellungskraft wurde zu einem wesenhaften Bestandteil der Praxis des Individualismus. Ehrgeiz, Streben, Erwartung, Zweck, Ziel, Bestimmung, Berufung, Plan, Lebensziel, Lebenstraum – all diese Ideen zur Ausrichtung des Selbst bezeichnen eine gleichermaßen emotionale und kognitive Eigenschaft eines im Wesentlichen zukunfts- und fortschrittsorientierten Individuums. Die Hoffnung wurde zu dem Pfeilbogen, der die Individuen unsichtbar auf sozialen Pfaden vorantrieb, die ihnen im Prinzip offenstanden und sich ihren Absichten fügten.

Als eindringliches Beispiel für die Auswirkungen einer aufgeklärten Hoffnung auf das politische Handeln bringt Eva Illous die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 – die ja die Grundierung der Memoiren des JD Vance bildet.

Nun zur Kehrseite, zu den enttäuschten Hoffnungen (S. 74 f.):

In einem Land der »Träume« wie den USA aber bildet Hoffnung einen grundlegenden Charakterzug eines kompetenten Selbst. Der Tod aus Verzweiflung trifft junge Männer und solche mittleren Alters, also genau die Altersgruppen, für die Hoffnung eine entscheidende Quelle ihrer sozialen Existenz ist.

Destatis:

Die Suizidrate in Deutschland lag im Jahr 2019 laut WHO bei 8,3 je 100 000 Personen. Im Vergleich der G7 -Staaten wiesen die USA die höchste Suizidrate auf (14,5).

Zorn

Seit Kindheitstagen ist mir diese energiegeladene Szene vor Augen: Weit ausgreifend und mit viel Schwung zerschmettert Mose die Gesetzestafeln (2. Mose 32,19):

Als Mose aber nahe zum Lager kam und das Kalb und das Tanzen sah, entbrannte sein Zorn, und er warf die Tafeln aus der Hand und zerbrach sie unten am Berge.

Das ist das grandiose Bild eines zornigen Mannes. Und der Zorn gereicht Mose zur Ehre (Illouz S. 151):

In ihrem Zorn verteidigen Moses und Jesus höhere Prinzipien. Sie verteidigen nicht ihre eigene männliche Ehre, sondern Gottes kompromisslose moralische Botschaft.

Es hat einen Zug von Genialität, wenn Donald Trump den zornigen alten weißen Mann gibt. Sehr männlich, durchsetzungsstark und zum Duell bereit. Alles für die gute Sache. So lieben ihn seine Anhänger. Im Schwanen-Bild habe ich sofort Donald Trump gesehen.

Die tiefsten Schichten unseres Seins werden durch Schaustellerei berührt, die bloß Oberfläche anbieten muss. Meister der Meinungsbeeinflussung sind PT Barnum, Ronald Reagan, Donald Trump.

Es fügt sich

Unsere Entscheidungen sind objektiv, subjektiv-rational, emotional. Und was sonst noch? Eva Illouz schließt den Kreis. Ausgehend von der Idee, dass unsere Emotionen ein Abbild der sozialen Verhältnisse sind, macht sie deren Wirkung auf eben diese Verhältnisse deutlich.

Illouz schreibt auf Seite 152:

Zorn hält somit die Schwebe zwischen Dominanz und Moral. Er ist sowohl diejenigen Emotion, durch die sozialer Status behauptet oder verteidigt wird, als auch eine Reaktion auf die Verletzung einer moralischen Ordnung.

Der Zorn mag unter den Gefühlen herausstechen. »Die Macht der Gefühle« aber ist ein weites Feld. Von der gesellschaftlichen Wirkung der Hoffnung war eingangs die Rede. Neid, Gier und Eifersucht sind politisch und sozial hochwirksame Triebkräfte und Schmiermitteln des Kapitalismus. Angst und Furcht wurden in der Coronakrise von interessierten Politakteuren instrumentalisiert.

Coda

Demokratie ist ohne formende Propaganda undenkbar. Propaganda dient der Bewirtschaftung der Gefühle. Sie wird in der Marktwirtschaft perfektioniert. Suchmaschinen und soziale Netzwerke sind gigantische Werbeportale. AI-Chatpots sind der bisherige Höhepunkt und mögliche Schlusspunkt dieser Entwicklung. Ein wohl unaufhaltsamer Drang hin zu Oberflächlichkeit. Der Schein schlägt das Sein. Die Demokratie trägt den Keim ihres Untergangs in sich – Explosive Moderne.

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13 Antworten zu Gefühle sind grundlegend sozial

  1. Timm Grams sagt:

    Wer nicht so recht glauben mag, dass durch AI-Chatbots die Diskussion verflacht, der möge die Diskussion zum zitierten Artikel Alternative Fakten sind normal sorgsam studieren. Der stromlinige Diskutant ist durchaus erkennbar.

  2. KinseherRichard sagt:

    Die Medien haben in den letzten Jahrzehnten einen sehr deutlichen Wandel durchgeführt. Bei Medienberichten liegt der Schwerpunkt nun nicht mehr auf der Weitergabe korrekter Sachinformationen – sondern man will die Leser/Zuhörer/Zuschauer emotional mitnehmen.

    Kurzfristig kann man mit dieser wertlosen Strategie mehr Umsatz erzielen – aber langfristig verliert man die Kunden wenn man auf Vertrauenswürdigkeit verzichtet.

  3. Realo sagt:

    Als besonders neugieriger ehemaliger Techniker, möchte ich natürlich wissen, wie es zu Empfindungen (z.B. „rot“ Empfindung) und Gefühlen überhaupt kommt, zumal sie zweifellos existieren.

    Da liefert C. Koch mit seinem Konzept und den Bezeichner „Psychismus“ als Eigenschaft, die auch winzigste Mengen von entsprechend „sensorischer Materie“ haben können, (aber vermutlich nicht immer haben müssen), eine plausible Antwort, ganz unabhängig davon, wie es sich „physikalisch“ verhält.

    Um nicht unnötig zu provozieren, möchte ich nur andeuten, dass es in der Technik völlig üblich war, nicht „Qualia empfindenden“ Sensoriken, in technischen Information verarbeitenden Systemen  zu nutzen…..

    Der aus der Kognitionspsychologie als Tendenz zur „Überbewertung der Gewissheit“ bekannte Denkmechanismus, dient vermutlich der „Systemoptimierung“. Fährt ein „Feigling“, der es nicht wagt zu überholen, einer Autokolonne voran, wird er sofort durch wütende „Hupkonzerte“ zur „Ordnung gerufen“….. 

    Viele Menschen genießen es, sich mit geringen Gebühren „süße Gedanken an Reichtum“ zu erkaufen.
    […]
    Propaganda dient nicht nur der Bewirtschaftung der Gefühle. Sie wird in der Marktwirtschaft derart  „perfektioniert“, dass sie praktisch zum Betrug entartet.

    Ich lese mir derartige Propaganda Texte im Internet neugierig durch und habe den Eindruck, es geht  nur mehr darum, den Menschen ihr Geld abzunehmen, indem man ihnen Anlagegewinne vorgaukelt und sie dabei unglaublich belügt.

    Es verhält sich ungefähr so verrückt, wie es mir ehemals mein Vater erzählt hat und wie es sich um 1929 verhalten haben soll. Die Dummheit stirbt nicht aus, sie nimmt eher täglich zu…

    Allerdings scheint es so, dass auch wegen der „KI Flut“ immer weniger gelesen wird.

    [Kommentator: stark gekürzt]

  4. Mussi sagt:

    Seit ca. 15 Jahren gilt die Zielgruppenorientierung und deren Bespielung wie deren Bespielungen.

  5. KinseherRichard sagt:

    @Realo

    Wir HABEN keine Emotionen, Erfahrungen, Gedanken – sondern wir SIND Emotionen, Erfahrungen, Gedanken.
    In anderen Worten: Wir SIND Qualia = denn ´wir´ sind das Ergebnis unserer neuronalen Aktivitäten. Ein von unserem Gehirn getrenntes ´ICH´ gibt es nicht.

    Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass wir immer sofort vergleichbare eigene Erfahrungen reaktiveren, wenn wir einen neuen Reiz, eine neue Situation Wahrnehmen (Fachbegriff: predictive coding/processing).
    D.h. auf Grundlage unserer eigenen Erfahrungen verstehen wir, was wir erleben. Dies ist auch ein Grund, warum wir sehr intensiv auf emotionale Situationen reagieren: denn zu deren Verarbeitung wurden auch sofort unsere eigenen Emotionen reaktiviert.

    Wichtig ist es aber auch zu wissen, dass dieses schnelle Reaktivieren eigener Erfahrungen zwar unsere allerwichtigste Überlebensstrategie ist – weil damit eine sofortige Reaktion möglich ist. (Eine ERFAHRUNG besteht zu unterschiedlichen Anteilen aus den Komponenten a) Faktenwissen, b) Körper-Reaktion, c) Sinnes-Reaktion, d) Immunsystem-Reaktion und e) Emotionen.)
    Wenn wir aber nicht sofort auf einen neuen Reiz, eine neue Situation reagieren müssen – dann haben wir Zeit, um diese erste Reaktion zu überdenken und zu korrigieren, indem wir dazu unseren Verstand und unser Wissen benutzen.
    Aus diesem Grund sind Entscheidungen meist besser, wenn man dazu gründlich überlegt hat – der Volksmund empfielt ´eine Nacht darüber schlafen´.

    Prof. Daniel Kahneman bezeichnete diese beiden Strategien der Reizverarbeitung als System 1 = schnelles Denken und als System 2 = langsames Denken.

  6. Timm Grams sagt:

    Ganz in Monistenart beginnen Sie:

    Wir HABEN keine Emotionen, Erfahrungen, Gedanken – sondern wir SIND Emotionen, Erfahrungen, Gedanken

    und benennen im selben Atemzug die Emotionen als einen Teil des Ich. Damit haben Sie die Hin-und-Hergerissenheit der sogenannten Realisten in einem Satz zusammengebracht. Vor einigen Jahren hat Rainer Wolf dieses Spannungsverhältnis sichtbar gemacht. Nach wie vor lässt sich das Gedachte und Gefühlte nicht auf die Materie reduzieren. Das Fünfte Welträtsel bleibt ungelöst. Dabei sollten wir es erst einmal belassen.

  7. Realo sagt:

    @ KinseherRichard 21. April 2025 um 04:23 Uhr

    Zitat: „Wir HABEN keine Emotionen, Erfahrungen, Gedanken – sondern wir SIND Emotionen, Erfahrungen, Gedanken.“

    Mit „SIND“ wird besonders hervorgehoben, dass „Emotionen, Erfahrungen, Gedanken“ besonders das eigene Sein eines Menschen „mitbestimmen“.

    In „poetischer Sprache“ wäre diese Aussage legal. Aber aus Sicht der Informatik wäre diese Aussage nicht korrekt. Abgesehen davon, dass wir offensichtlich mehr sind, als nur Emotionen,……

    Es wird ignoriert, dass wir (Menschen) ein System, bestehend aus (allen) 3 grundsätzlichen Kategorien aus eng verknüpften Prozessoren (Körper), Prozessen (Gedanken,…) und Information (Gene, Meme,…) sind.

    Ein streng logisch arbeitender Computer (ohne KI) könnte z.B. schließen, dass für jeden einzelnen Gedanken, jede Emotion, … jeweils ein einzelner Mensch „existieren“ könnte. Das wäre offensichtlich Blödsinn.

    Die Realität, dass einzelne Menschen, auch noch zu unterschiedlichen Zeiten, verschiedene Emotionen, Gedanken, Erfahrungen haben können, würde ignoriert.

    Derartige Gleichsetzungen, „SIND“ ist meiner Meinung nach eine „Gleichsetzung“, auch noch dazu über Kategorien Grenzen hinweg, sind jedenfalls in der Informatik (und in der strengen Logik), nicht gestattet. Die KI (Copilot) räumt ausdrücklich selbst ein, dass die KI aus systemischen Gründen logische Fehler machen kann.

    Dass „Qualia-“, als auch „Ich Funktionen“ eng mit neuronalen Aktivitäten verknüpft sind, wird kaum bestritten.

    Ihre weiteren Ausführungen scheinen dem Mainstream der Neurologen zu entsprechen.

  8. Realo sagt:

    @ Timm Grams 21. April 2025 um 10:21 Uhr

    Zitat: „Das Fünfte Welträtsel bleibt ungelöst. Dabei sollten wir es erst einmal belassen.“

    Welche ins Detail gehende Frage „des Fünfte Welträtsel“ genau, außer das „Empfindungs- Gefühlsphänomen“, wollen sie wissenschaftlich ausreichend beantwortet sehen?

    • Timm Grams sagt:

      Über das fünfte Welträtsel haben wir ausgiebig diskutiert. Der aktuelle Artikel bietet keinen Anlass, das Thema wieder aufzugreifen.

      Bei scilogs Menschenbilder gab es 757 Kommentare zum Thema: Abschlussstatement. Bei den Nachfolgeartikeln sind es 3.457 (Stand 22.4.2025).

      Der Originalartikel hier im Hoppla!-Blog erfuhr 68 teilweise sehr ausführliche Kommentare.

  9. Timm Grams sagt:

    @ Realo 21. April 2025 um 13:13 Uhr
    @ KinseherRichard 21. April 2025 um 04:23 Uhr

    Sie sprechen meines Erachtens ein zentrales Problem an: Dürfen wir Personen als Objekte sehen? Ich lese Artikel 1 des Grundgesetzes so, dass man das nicht darf. Beispielsweise ist Sklavenhandel geächtet. So sind unsere Regeln.

    Auf Seite 315 f. fragt Eva Illouz zum Thema Eifersucht:

    Was bedeutet es, ein Individuum zu besitzen, da es ja nicht nur über einen Körper, sondern auch über ein Selbst verfügt? Wie genau besitzt man den Körper einer Person? Besitzen wir auch ihre Gefühle und Wünsche?

    Richard David Precht fragt wohl zurecht: »Wer bin ich und wenn ja, wie viele?«

    In der Dystopie Brazil von Terry Gilliam (1985) wird die Eigenständigkeit des Geistes in der Hauptfigur Sam Lowry fantastisch überhöht.

  10. KinseherRichard sagt:

    @Grams
    […]
    Bei der Frage nach dem ´ICH / Idividuum / Selbst´ gibt es ein Problem:
    Wir lernen erst ab dem 2. Lebensjahr uns als eigenständige Person zu erleben, von der Umwelt abzugrenzen und unsere Erfahrungen mit Sprache auszudrücken. Zu diesem Zweck werden unsere EIGENEN AUTOBIOGRAPHISCHEN Erfahrungen mit einem ´ICH-/mein-Code´ versehen und so im Gedächtnis abgespeichert. Wenn wir später EIGENE Erlebnisse erinnern wollen, ist dies deshalb nur für solche Erfahrungen möglich, welche mit einem ´ICH-/mein-Code´ als EIGENE Erlebnisse versehen sind. D.h. der ´ICH-/mein-Code´ ist eine essenzielle Grundlage für die Arbeitsweise unseres Gehirns.

    Wir können uns deshalb nicht an EIGENE Erfahrungen vor dem 2.-4. Lebensjahr absichtlich erinnern – weil es davor keine solche EIGENEN Erfahrungen gibt (Stichwort: infantile/frühkindliche Amnesie).

    Ich hoffe, dass damit verständlich wird, wieso die Frage – Was ein ´ICH / Individuum / Selbst´ ist. – nicht einfach beantwortbar ist:
    z.B. Wer/Was sind wir als Fetus, Babys, Kleinkind bevor wir eine ´ICH-Identität´ entwickelt haben.
    z.B. Was ist ein Baby/Kleinkind – in dem Lebens-Zeitraum bevor eine ´ICH-Identität´ erlernt wurde.

    [Moderator:gekürzt]

  11. Realo sagt:

    @ Timm Grams
    @ KinseherRichard

    Zitat: „Sie sprechen meines Erachtens ein zentrales Problem an: Dürfen wir Personen als Objekte sehen?“

    Es läuft eher auf die Doppelbedeutungen von Worten hinaus, die gleich klingen und geschrieben werden, aber unterschiedliche Bedeutungen haben.

    Es geht eigentlich auch, wieder einmal, um „Glaubenszwänge und Denkverbote“, um eine „Epoche“ die eigentlich überwunden sein sollte. Darüber haben wir uns ehemals bei Diskussionen in unser 68 er WG grundsätzlich nicht geschert, „die Gedanken sind frei“…..

    Selbstverständlich kann man über „Objekte“ philosophisch diskutieren.

    Nur können einem „philosophische Verknüpfungen“ um „die Ohren“ fliegen, wie Computerprogramme, wenn man die genutzten „Begriffe“, besser „Objekte“ nicht ordentlich „deklariert“ hat und sie womöglich nicht gemäß der „strengen Regeln“ verknüpft.

    Es war die wichtigste Aufgabe der Informatiker ehemals, dafür zu sorgen, dass Computerprogramme eindeutige Ergebnisse abliefern, sonst wären sie völlig untauglich…. und hätten sich niemals durchgesetzt. „Computersprachen“ fördern diesen Aspekt.

    KI Systeme nutzen Konzepte der „Musterverarbeitung“, wie auch die „menschliche Denke“. Da gibt es die bekannten „Fehlerquellen“.

    Man könnte, besonders in der objektorientierten Programmierung, im Prinzip „Objekte“ vom Typ „Mensch“ deklarieren, so dass letztlich auch wesentliche menschliche Eigenschaften und Sehnsüchte berücksichtigt werden, dass z.B. „Sklavenhandel geächtet“ ist……

    Das Risiko der Entmenschlichung dürfte auch in der Informatik ein wiederkehrendes Diskussionsthema sein.

    Zitat: “Richard David Precht fragt wohl zurecht: »Wer bin ich und wenn ja, wie viele?«“

    Richard David Precht will Aufsehen erregen, ist provokativ und fordert uns auf, unsere Vorstellung vom „Selbst“ kritisch zu hinterfragen. Das „Ich“ ist nicht einheitlich, sondern veränderbar, von Kindheit an, …. vor der ersten Liebe, …. danach das Leben ….. oder nach der Scheidung, …. der ersten das Leben bedrohenden Erkrankung,…. alles ist stets im Wandel, ……

    Unser Bewusstsein und Selbstgefühl scheinen das Resultat komplizierter Prozesse in komplexen neuronalen Netzwerken.

    Herr Kinseher steuert einige detaillierte Erkenntnisse zur kindlichen Entwicklung aus der Neurologie bei, die auch R.D. Precht bestätigen dürften.

  12. Timm Grams sagt:

    @ Realo

    Die Körper-Geist-Trennung ist für mich Ergebnis einer Klassifizierung, also eine rein sprachliche Angelegenheit. Richard Rorty folgend kommt man dabei ohne Metaphysik aus.

    Nun zu Ihrem Einwand:

    Man könnte, besonders in der objektorientierten Programmierung, im Prinzip „Objekte“ vom Typ „Mensch“ deklarieren, so dass letztlich auch wesentliche menschliche Eigenschaften und Sehnsüchte berücksichtigt werden

    Ihre Computermetapher erfasst nur das Körperliche, das Objekthafte. Dazu gehören natürlich die Programme. Man kann sie besitzen und verkaufen. Auch die objektorientierte Programmierung bleibt ganz in diesem Rahmen. Wer Daten und Programme mit dem Geist, mit dem Bewusstsein also identifiziert, kann die Bemerkung von Eva Illouz zum Thema Eifersucht nicht verstehen. Computer mit Bewusstsein sind nach wie vor Science Fiction.

    Spekulative Ansätze wie der Panpsychismus tragen zu Lösung der hier diskutierten praktischen Problemen nichts bei. Das Geistige wegerklären, wie es die Materialisten tun, hilft auch nicht weiter.

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