Psi

Aufbruch ins dritte Jahrtausend

Gegen Ende meiner Schulzeit besorgte ich mir das Buch „Aufbruch ins dritte Jahrtausend“ von Pauwels und Bergier (1965). Ich war wissbegierig. Diese Schilderung geistiger Abenteuer der Menschheit ist bestens lesbar und sie machte mich Staunen. Die Autoren halten sich nicht mit Kritik an allzu sonderbaren geistigen Gebilden zurück: arische Physik, Astrologie, Atlantis, Yeti und Hohlweltlehre. Letztere hatte, neben der Erdscheibenlehre, bereits Martin Gardner auf dem Schirm (Fads and Fallacies in the Name of Science, 1957). Das alles schien gut abgewogen zu sein und ich nahm es erst einmal für bare Münze.

Aber mehr und mehr kam mir in den Sinn, dass da etwas nicht stimmte. Je länger ich las, desto mehr verlor sich die kritische Grundhaltung des Textes und das eigentliche Anliegen trat immer deutlicher hervor (S. 417):

Die parapsychologischen Experimente scheinen zu beweisen, dass zwischen Mensch und Universum über die gewöhnlichen, durch die  Sinne gegebenen Beziehungen hinaus noch andere Relationen bestehen. Demnach ist jeder normale Mensch imstande, weit entfernte oder hinter Wänden verborgene Dinge wahrzunehmen, die Bewegungen von Gegenständen zu beeinflussen, ohne diese zu berühren, seine Gedanken und Gefühle in das Nervensystem eines anderen Menschen zu projizieren und schließlich in einigen Fällen sogar kommende Ereignisse vorherzuwissen.

Also darum ging es: Um Psi-Phänomene und darum, dass die Menschen sie mit wissenschaftlichen Methoden erforschen sollten. Der Name des Fachgebiets: Parapsychologie (Oepen u. a. 1999). Auch in Deutschland wurde dieses Gebiet damals virulent. Hans Bender gründete im Jahr 1950 in Freiburg sein Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene.

Mir fiel zunehmend auf, dass der Text über weite Strecken in der Möglichkeitsform geschrieben ist. Hier ein paar Auszüge aus dem Abschnitt „Das Phantastische in uns“:„Möglicherweise steht [die Wissenschaft] eines Tages Resultaten gegenüber, die durch sogenannte psychische Methoden erzielt wurden.“ Die Beeinflussung des Würfelergebnisses durch Gedankenkraft gelingt in einer so großen Anzahl der Fälle, „dass bloßer Zufall ausgeschlossen erscheint“. „Wenn es, wie wir anzunehmen geneigt sind, einen höheren Bewusstseinszustand gibt“. „Das Studium der außersinnlichen Fähigkeiten und der «Psionik» […] verspricht tatsächlich praktische Anwendungsmöglichkeiten“.  „Hingegen ist es denkbar, dass die uns bisher unbekannten Fähigkeiten des menschlichen Intellekts eine direkte Wahrnehmung der letzten Strukturen der Materie und der Harmonien des Weltalls ermöglichen.“

Ziemlich unkritisch behandeln die Autoren das Nautilus-Experiment von 1959, bei dem es um die Gedankenübertragung zwischen einer Person auf dem US-amerikanischen Festland und einem Passagier des Atom-U-Bootes Nautilus ging, das sich in 2000 Kilometer Entfernung im Atlantik und hunderte Meter unter dem Wasserspiegel befand.

Wenn an den Psi-Effekten etwas dran sein sollte, dann sind die Militärs die ersten, die sich dafür interessieren, wie man sieht.

In Amerika schwand das Interesse an den parapsychologischen Experimenten im Laufe der Zeit, wohl mangels Erfolg. Das hinderte die Sowjets nicht, es den Amerikanern später gleich zu tun. Was dann in den Achtzigerjahren die US-Amerikaner erneut dazu brachte, auf die Übernatur zu setzen, wie Jon Ronson (2004) im unterhaltsamen Gonzo-Stil berichtet.

Möglich ist vieles. Mir wurde schließlich klar, dass ich im Buch von Pauwels und Bergier nichts über die Welt erfahre würde, wie sie sich der Wissenschaft damals darstellte. Ich verlor das Interesse an dem Werk.

Später wurde ich der großen Anziehungskraft gewahr, die das Möglichkeitsdenken der Psi-Wissenschaft auf viele Menschen ausübt – damals wie heute. Und das fand ich dann doch wieder aufregend und fragte mich, warum das so ist. Ich entwickelte ein wissenschaftliches Interesse am Unwissenschaftlichen, oder besser gesagt: ein Interesse am Vorfeld der Wissenschaft. Manches aus alter Zeit, das als unwissenschaftlich und metaphysisch hätte gelten müssen, hat sich später zur Wissenschaft gemausert. Beispiele sind Demokrits Atomlehre und Platons Lehre von der Anordnung der Himmelskörper.

Karl Raimund Popper hat uns zwar das  Abgrenzungskriterium beschert, das es uns erlaubt, Wissenschaft und Metaphysik ziemlich sauber voneinander zu trennen. Aber er hat damit keine Verdammung der Metaphysik und des „Möglichkeitsdenkens“ verbunden. Für ihn spielt die Metaphysik eine wesentliche Rolle im Vorfeld der Wissenschaft („Skeptiker“ kontra Skeptiker über Kreativität in der Wissenschaft).

Aufschlussreich ist ein Interview des Skeptikers Mark Benecke (2017) mit dem heutigen Vorstandmitglied des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Eberhard Bauer. Bauer sagt: „Diese Phänomene, die wir auch im Spontanbereich kennenlernen, wie die Wahrträume, wie manche dieser Spukerfahrungen. Da würde ich immer noch so eine offene Stelle sehen, die ich momentan als nicht erklärbar einschätze. Deshalb halte ich mir einen Überschuss an Deutungsmöglichkeiten offen.“

Aus dem Leben gegriffen

Wir haben es im Leben nicht nur mit Fakten zu tun, sondern vor allem mit Menschen und deren Meinungen. Selbst wenn man sich über die Fakten einig ist, bleibt oft ein ungeklärter Rest, der alle möglichen und teilweise miteinander unvereinbaren Meinungen zulässt. Das wurde mir durch ein Erlebnis im Freundeskreis sehr deutlich vor Augen geführt. Ich wurde vor ein paar Tagen Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Torsten, einem eher wissenschaftlich orientierten Typ, und seiner Freundin Patricia, die an die Wirkung geistiger Kräfte glaubt.

Eine Unterhaltung entgleist

Torsten: Du hast die Quantenphysik mit übersinnlichen Erscheinungen in Verbindung gebracht. Ich nenne so etwas Quantenmystik. Der Mathematikprofessor Claus Peter Ortlieb und der Sozialwissenschaftler Jörg Ulrich nennen es „Quantenquark“. Das war in einem Artikel der Frankfurter Rundschau.

Patricia: Oh – „Quantenquark“. Du bist eben provokant. Quanten sind ein Mysterium; Du kannst nicht wissen, ob Du mit Deiner Auffassung richtig oder auch daneben liegst. Letztendlich ist alles Vermutung. Du hältst Dich an den jetzigen Stand des Wissens. Morgen kann sich eine vollkommen neue Sicht ergeben. Alles fließt. Du bist in zwei Minuten nicht mehr der, der du jetzt bist. Nichts ist sicher, nur der körperliche Tod. Der steht fest.

Torsten: Die Bezeichnung „Quantenquark“ ist nicht von mir. Ich nenne so etwas Quantenmystik. Die Quantenmystik ist viel zu unscharf und beliebig, als dass sie zu einer begründeten und prüfbaren neuen Sicht auf die Welt führen könnten. Jeder phantasiert da auf seine Weise: Fritjof Capra, Hans-Peter Dürr, Michael König, Rupert Sheldrake, … Und natürlich gewinnen wir neue Einsichten. Aber Du erwartest nicht, dass morgen Deine Kaffeetasse gen Zimmerdecke entschwebt. Es kommt darauf an, was UNS die Wissenschaft über das tatsächlich überindividuell Erfahrbare sagt. Mystik betrifft demgegenüber DEINE individuelle Vorstellung.

Patricia: Uri Geller kann Löffel verbiegen – mit Willenskraft. Ich morgen vielleicht auch, oder vielleicht auch nicht. Es gibt sie schon, diese Menschen mit dem Zugang zu Unerklärbarem.

Torsten: Uri Geller ist ein ganz normaler Zauberkünstler und längst gründlich entlarvt. Entweder Du veräppelst mich oder Du hast das wirklich nicht mitgekriegt. Es gibt eine ganze Reihe von Videos, in denen James Randi die Tricks von Uri Geller sichtbar macht. Sie sind jederzeit auf Youtube abrufbar.

Patricia: Lieber Torsten, Uri Geller hat bei meinen Eltern zuhause durch das Fernsehen Löffel verbogen. Ob du dies wahrhaben willst oder nicht. Und das waren ganz normale Kaffeelöffel. Sorry. Mehr sage ich dazu nicht. Dies ist eine Tatsache, die ich und mein Vater und meine Mutter miterlebt haben.

Torsten: Eine Frage nur. Habt ihr die Löffel noch? Wenn der Uri Geller sie via TV verbogen hat, dann sind es ja äußerst spektakuläre Stücke. So etwas hebt man doch auf. Ich bin sicher, dass Du nicht lügst. Frag mal Deine Mutter und Deinen Vater, wie sie sich an das Ereignis erinnern. Das interessiert mich.

Patricia: Torsten, ich frage sie, wenn wir telefonieren. Aber das mit der Lüge, ich hoffe, das war ein Witz; dass du überhaupt so darüber denken kannst.

Torsten: Ich will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Dafür ist der Sachverhalt zu interessant. In Kürze meine Thesen: 1. Du hast wahrheitsgemäß von deinen Eindrücken berichtet. 2. Löffel wurden nicht verbogen. 3. Die Thesen 1 und 2 widersprechen sich nicht. Mir fallen drei mögliche Erklärungen für die Gültigkeit aller drei Thesen ein. Vermutlich gibt es weitere. Um der Sache auf den Grund zu gehen, bitte ich um Deine Mithilfe. Der Anruf bei Deinen Eltern könnte uns des Rätsels Lösung näher bringen. Ich erwarte jedenfalls ein hochinteressantes Ergebnis.

Damit war erst einmal Schluss der Debatte. Patricia wies Torsten noch auf ein YouTube-Video des Seminaranbieters und Esoterikers Robert Betz hin. Dies verstand Torsten als Ablenkung vom Thema; das hat ihn sehr verstimmt. Man könne zwar verschiedener Meinung sein, aber über die Fakten sollte man sich schon verständigen, habe er der Patricia gesagt. Daraufhin sei auch Patricia eingeschnappt.

Ein harmloses Gespräch führte demnach zu etwas, das man eine kleine menschliche Katastrophe nennen könnte: Ein Freundschaft drohte zu zerbrechen.

Fragen

lch teile Torstens Auffassung: Es ist nicht zu akzeptieren, wenn die Spielregeln der modernen Gesellschaft achtlos verändert werden. Zu diesen Regeln gehört nun einmal, dass man sich auf Fakten verständigt, auf Meinungen nicht notwendigerweise. Auch wenn Donald Trump das anders sieht: Diese Regel und der gegenseitige Respekt gehören zu den Voraussetzungen gelingender Kommunikation.

Torsten, der Skeptiker, stand also vor einem quälenden Widerspruch, nämlich dass 1. Patricia nicht lügt, was für ihn selbstverständlich ist, und dass 2. die Löffel nicht durch Geisteskraft verbogen wurden, was er für wissenschaftlich geboten hält. Er suchte nach des Rätsels Lösung und fragte sich, ob der Widerspruch eine natürliche Erklärung hat. Ihm gingen die folgenden Erklärungsmöglichkeiten durch den Sinn.

Hat sich vielleicht einer der Anwesenden einen Spaß gemacht und selber gezaubert? Haben die Eltern ihrer Tochter nur eine schöne Geschichte wie die vom Osterhasen erzählen wollen? Hält Patricia einen Traum für wahr? So etwas kann passieren, wie die meisten von  uns sicher schon erfahren haben. Könnte es sich um einen Erinnerungsirrtum (False Memory) handeln?  Um die kognitive Dissonanz zwischen den suggestiven Aussagen einer „Autorität“ (Uri Geller) und der Beobachtung (nichts biegt sich) zu lösen, erfindet der Kopf zuweilen harmonisierende Geschichten (Steller, 2015).

Des Rätsels (teilweise) Lösung

Patricia und Torsten wollten die Sache dann doch noch einmal etwas ruhiger angehen. Ihr Gespräch führte zu einer Einigung, was die Beschreibung des Sachverhalts angeht. Damit wurde der Sachverhalt zu beider Bedauern leider nicht dingfest gemacht. Eine Einigung ist es trotzdem, eine von beiden Seiten akzeptierte (aber möglicherweise falsche) Beschreibung des Faktums. Ich hole etwas aus, um das zu verdeutlichen.

Der Auslöser des Ganzen wird von Judith Liere  so dargestellt (2014):

Am 17. Januar 1974 ging ein Knick durch Deutschland. An jenem Donnerstagabend trat in der ZDF-Show „Drei mal Neun“ ein 27-jähriger Israeli mit dichten dunklen Locken auf. Der Mann behauptete, Gabeln allein mit der Kraft seiner Gedanken verbiegen oder zerbrechen zu können und stehengebliebene Uhren wieder zum Laufen zu bringen. Der Auftritt des jungen Uri Geller bei Showmaster Wim Thoelke versetzte das Land in Aufregung. Allerdings nicht, weil die Zuschauer sich von einem Scharlatan auf die Schippe genommen fühlten. Zumindest nicht nur.

Fast 13 Millionen Zuschauer sahen die Sendung – und zahlreiche Menschen meldeten sich nach der Ausstrahlung beim Sender. Fassungslos berichteten sie von krummem Besteck in ihren Küchenschubladen, manche verlangten sogar Schadensersatz.

Und der Wahnsinn ging weiter: „Uri Geller verbiegt ganz Deutschland“ titelte die „Bild“ daraufhin und forderte ihre Leser außerdem zu einem Experiment auf: Pünktlich um 17.30 Uhr sollten sie eine Gabel, einen Löffel oder eine kaputte Uhr auf die Zeitung legen und konzentriert an Uri Geller denken – mehrere hundert Briefe erreichten danach die Redaktion, von Menschen, die schrieben, das Besteck sei „weich wie Butter“ geworden. Anscheinend glaubten Massen an das Unglaubliche, das Unerklärliche

Patricia erklärt,  dass sie beim häuslichen Löffelbiegen gar nicht dabei war, sondern das Ereignis nur vom Hörensagen kenne. Sie erinnert sich, dass von einer Essgabel und einem Löffel die Rede war. Die Gabel sei von ihrem Vater verbogen worden. Außerdem sei die Zimmeruhr stehen geblieben. Die Teile wurden nicht aufgehoben, weil es „für uns nicht so wichtig war“.

An der Wahrheitstreue der Eltern bestehen keine Zweifel. Zum Zeitpunkt der  Sendung war Patricia ein Kind, noch nicht Teenager.

Torsten muss zugeben, dass er für die Ereignisse und deren Beschreibung keine schlüssigen Erklärungen hat, nur Vorschläge. Für ihn ist alles mit „rechten Dingen“ zugegangen und damit meint er, dass sie sich mit dem derzeitigen Stand der Wissenschaft erklären lassen (Naturgesetze: metaphysisch oder wissenschaftlich?). Da mehrere Köpfe im Spiel waren, ist für ihn klar, dass es zu Täuschungen gekommen sein muss, zu Vorstellungen, die von den Beteiligten wahrheitsgetreu weitergegeben wurden.

Letztlich bleibt ein ungeklärter Rest. Patricia fühlt sich ebenfalls bestätigt und bleibt bei ihrer Auffassung, dass Geisteskräfte im Spiel waren.

Die beiden vertragen sich wieder.

Nachgang

Als ich die Sendung mit Wim Thoelke und den Auftritt Uri Gellers seinerzeit sah, fragte ich mich: Wie kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk einem Aufschneider eine solche Bühne bieten? Ich hielt, und halte immer noch, Uri Geller für einen ganz normalen Zauberkünstler, der sich übernatürliche Fähigkeiten attestiert und der diesen Anspruch mit einiger Genialität vermarktet.

Ich habe die Sache denn auch gleich wieder vergessen. Die Zunft der Zauberkünstler aber hatte ein Problem. Es drohte Rufschädigung. Einige Magier machten sich an die Entzauberung des Zauberers. Thomas von Randow hat sich in einem ZEIT-Artikel von 1974 dem Thema gewidmet. Einer der Entzauberer ist der Skeptiker James Randi. 1982 erschien dessen Buch „The Truth About Uri Geller“.

Es hat dem Uri Geller nicht gefallen. Er strengte drei Klagen gegen James Randi an. Alle drei Klagen blieben erfolglos.

Literaturhinweise

Benecke, Mark: Überschuss an Deutungsmöglichkeiten. Interview mit Eberhard Bauer. skeptiker 3/2017, S. 147 – 153. https://home.benecke.com/publications/mark-benecke-trifft-eberhard-bauer-in-freiburg-igpppicture

Liere, Judith: TV-Magier Uri Geller und sein Löffeltrick bei „Drei mal Neun“. Spiegel online. 17.01.2014.  https://www.spiegel.de/einestages/tv-magier-uri-geller-und-sein-loeffeltrick-bei-drei-mal-neun-a-953262.html

Oepen, Irmgard (Hrsg.); Federspiel, Krista (Hrsg.); Sarma, Amardeo (Hrsg.); Windeler, Jürgen (Hrsg.): Lexikon der Parawissenschaften: Astrologie, Esoterik, Okkultismus, Paramedizin, Parapsychologie kritisch betrachtet. 1999

Pauwels, Louis; Bergier, Jacques: Aufbruch ins dritte Jahrtausend. 1965

Randow, Thomas von: Uri und die Wissenschaft. 8.11.1974. https://www.zeit.de/1974/46/uri-und-die-wisschenschaft/komplettansicht

Ronson, Jon: The men who stare at goats. 2004

Steller, Max: Nichts als die Wahrheit? Warum jeder Unschuldige verurteilt werden kann. 2015

Ortlieb, Claus Peter; Ulrich, Jörg: Quantenquark: Über ein deutsches Manifest Eine kritische Stellungnahme zu „Potsdamer Manifest“ und „Potsdamer Denkschrift“. Frankfurter Rundschau (28.10.2005). http://www.netzwerk-zukunft.de/tl_files/netzwerk-zukunft/dokumente/zukuenfte/51/Beitraege_Potsdamer%20Manifest.pdf

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5 Antworten zu Psi

  1. Timm Grams sagt:

    In Skeptikerkreisen stellte ich das Problem zur Diskussion und gab drei Punkte zu bedenken:

    1 Was hat Geller im Fernsehstudio tatsächlich gemacht?
    2 Was ist in den Wohnstuben passiert?
    3 Wie sind die Berichte zustande gekommen?

    Punkt 1 ist hinreichend geklärt: Es handelt sich um Zaubertricks. Über 2 wissen wir bestenfalls aus den Berichten. Im Zentrum steht also Punkt 3. Es geht hier um die „Wunderberichte“ und deren Analyse.

    Ein Skeptiker meint, dass die Menschen immer etwas krummes Besteck im Schrank haben und nach Aufforderung des Uri Geller nachschauen und merken, dass die Gabel nicht ganz gerade ist oder der Löffel etwas krumm. Und dann denkt man, dass Uri Geller die Quelle sein müsse.

    Diese Erklärungen erledigt sicherlich viele der Berichte. Im vorliegenden Fall aber wurde das Besteck zuerst herausgeholt und auf Festigkeit geprüft. Danach soll Gellers Geist eingewirkt haben. Daraufhin erst erfolgte die erneute Prüfung mit dem Resultat: weich. So jedenfalls lautet der Bericht.

    Das alles ist schon eine Weile her. Und damit haben wir einen weiteren Grund für die phantastischen Berichte: Im Laufe der Zeit hat sich die Erinnerung fast notgedrungen verändert (False Memory). Aus etwas Ungewöhnlichem könnte etwas Unfassbares und schließlich ein Wunder geworden sein.

    Rainer Wolf (Wahrnehmungsforscher, Biozentrum der Universität Würzburg) sagt dazu (Skeptiker 4/2008): „Dass man Augenzeugenberichte von Geistererscheinungen nicht kategorisch verwerfen solle, versteht sich von selbst. Aus deren Schilderungen indes zu schließen, ‚wenn etwas da war, dann war es da‘, ignoriert das riesige Täuschungspotenzial von uns Menschen, das den meisten gar nicht bewusst ist.“

  2. Timm Grams sagt:

    Jetzt erreicht mich noch der Hinweis eines Skeptikers auf das Buch „Paranormalität“ von Richard Wiseman (2012). Wiseman betont: „Die wahren Geheimnisse der Magie sind psychologischer und nicht physikalischer Natur“ (S. 127). Es mag bei Fernwirkungserlebnissen ähnlich zugehen wie bei Gespenstererlebnissen. Um deren Entstehung auf die Spur zu kommen, verfertigten Psychologen einen kurzen Zeichentrickfilm, „in dem ein großes Dreieck, ein kleines Dreieck und ein Kreis sich in eine Schachtel hinein- und wieder herausbewegen. Dann zeigten Sie den bedeutungslosen Streifen Versuchspersonen und baten sie, die Geschehnisse zu beschreiben. Die meisten Menschen produzierten sofort ausführliche Geschichten, um den Zeichentrickfilm zu erklären.“ (S. 249)

  3. T.W. sagt:

    Ich habe mich mit Uri Geller als Student in Zusammenhang mit einer wissenschaftstheoretischen Arbeit zu PSI und Täuschung in den Achtzigern beschäftigt.

    Bereits im Jahre 1979 führte Milbourne Christopher in seinem Buch „Geister, Götter, Gabelbieger. Die Tricks der PSI- Begabten“ an, dass diese Phänomene – verbogenes Besteck bei den Fernsehzuschauern etc. – auch nach einer Fernsehsendung am 15. Januar 1974 in England auftraten, obwohl diese Show bereits vor dem November 1973 aufgezeichnet wurde und Geller zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in England war. (S. 56f.)

    Einige Erklärungsmöglichkeiten – bereits verbogene, aber bisher unentdeckte Gabeln – sind ja hinlänglich bekannt. Auch Witzbolde, die ihre Familienmitglieder hinters Licht führen wollten und selbst manipulierten, sind vorgekommen.

    Für die zentrale Fehlerquelle halte ich hier allerdings unsere Kognition. Unsere Wahrnehmungen und Erinnerungen werden laufend neu konstruiert und umgebaut. Geschichten verselbstständigen sich, werden ergänzt und auch gerne dramatisiert.

    Das hat keinen Grund in irgendwelchen mentalen Fehlern oder gar in einer mangelnden Ehrenhaftigkeit der Berichterstatter, es liegt einfach an der menschlichen Kognition.

    Ich selbst war als Zauberkünstler oft erstaunt, wenn mein Publikum später erzählte, was ich so alles gezeigt hätte. Vieles davon war schlicht tricktechnisch unmöglich und war so nie passiert.

    Später nutzte ich das dann auch bewusst aus und legte suggestive Formulierungen vor: „die Karte hätte auch in Ihrer Tasche erscheinen können“, „ich kann auch während des Experimentes den Raum verlassen“, „natürlich sind die Karten gemischt“, „probieren sie es zu Hause selbst, es klappt auch bei Ihnen“

    Relativ zuverlässig tauchten diese Elemente dann in späteren Schilderungen durch die Zuschauer wieder auf, als ob genau das so passiert wäre, insbesondere wenn mehrere Erzähler sich dabei ergänzten und möglicherweise auch unbewusst versuchten sich zu übertrumpfen.

    Und um es zu wiederholen: Erzählte Unmöglichkeiten – wie beispielsweise das Verbiegen von Gabeln während einer Uri Geller Show zu Hause bei den Zuschauern – haben nichts mit Lügen oder mangelnder Beobachtungsfähigkeit der Zuschauer zu tun und schon gar nichts mit PSI-Kräften, es ist einfach ein Attribut unserer Wahrnehmungsorganisation.

  4. Haben Sie besten Dank für Ihre Anfragen, die ich auch namens unseres Beratungsteams am Institut beantworten darf. Wie Sie dem Interview mit Herrn Benecke entnommen haben, war ich noch Assistent bei Prof. Hans Bender (1907-1991), unserem Institutsgründer, insofern löste Ihre Schilderung respektive Frage nach den „Nebenwirkungen“ von Uri Gellers damaligem Auftritt im ZDF 1974 ein nahezu nostalgisches déjà vu bei mir aus.
    Ich kann mich kurz fassen, denn das Freiburger Institut hatte die außerordentliche Reaktion des damaligen TV-Publikums – ein sozialpsychologisches und wahrscheinlich auch parapsychologisches Unikum – zum Gegenstand einer Interview- und Fragebogenuntersuchung gemacht, deren Ergebnisse in einer dreiteiligen Publikation in unserer Institutszeitschrift nachzulesen sind. Ich kenne das Material, darunter Zeugenberichte, recht genau, und ich habe für mich nicht den geringsten Zweifel, dass – ähnlich wie die Eltern Ihrer Freundin – eine Anzahl von Berichterstattern glaubwürdig über spontane Löffelverbiegungen berichtet hat, manchmal ohne taktile Berührung. Das hat meines Erachtens nichts mit ‚Psi-Gläubigkeit‘ der Betreffenden (oder Betroffenen) zu tun, überhaupt ein recht törichter Begriff, sondern mit der schlichten phänomenologischen Beschreibung einer lebensweltlichen ‚Anomalie‘, wie wir sie auch aus Spukexplorationen kennen. Ein Ansatzpunkt für eine mögliche Erklärung liegt darin, dass manche Berichterstatter – stimuliert durch Gellers Vorbild – die Phänomene via PK (Psychokinese) selbst unbewusst induziert haben, quasi in Form eines ‚Mini-Spuks‘. Das ist vielleicht für manche ’starker Tobak‘, allerdings bin ich der Meinung, dass es – jenseits aller ‚psi wars‘ um die Herren Geller und Randi, wobei ich weder dem einen noch dem anderen über den Weg traue -, experimentelle Evidenz für die PK-Hypothese gibt, nachzulesen in der entsprechenden Forschungsliteratur (siehe Anhang). Ob man diese als „convincing“ einstuft, ist eine epistemische Frage, abhängig vom Wissenschaftsverständnis. Als Einstieg möchte ich empfehlen:

    (1) Broderick, D. & Goertzel, B. (eds.) (2015). /Evidence for Psi. Thirteen Empirical Research Reports/. Jefferson, NC & London: McFarland;
    (2) Cardeña, E. (2018). The Experimental Evidence for Parapsychological Phenomena: A Review. /American Psychologist,/ 73 (5), 663-677. doi: 10.1037/amp0000236.

    Das heutige IGPP ist pluridisziplinär aufgestellt und umfasst ganz unterschiedliche Aufgabenbereiche und Forschungsfelder. Eine Basisinformation über die Entwicklung, Struktur und thematischen Schwerpunkte der Institutsarbeit enthalten unsere Tätigkeitsberichte.

  5. Timm Grams sagt:

    Auch der Skeptiker fällt hin und wieder herein. Ich habe den Bericht über das „Nautilus-Experiment“ von Pauwels und Bergier, zumindest was die Fakten angeht, all die Jahre ernst genommen. Nur die Interpretation im Sinne der außersinnlichen Wahrnehmung habe ich als Meinung der Autoren abgetan.

    Im Laufe der Recherchen hat mich das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) darauf aufmerksam gemacht, dass es sich wohl um eine Ente handelt: The Great „Nautilus“ Hoax. (Psychic Warfare. Threat or Illusion. Martin Ebon, 1983.)

    Interessant ist, was der Nautilus-Bericht – ob wahr der Fälschung – angerichtet hat. Im Artikel Parapsychologische Forschung im Zeichen des Gruselns von Wilhelm Keilbach, Münchner Theologische Zeitschrift, MThZ 23(1972)1, finde ich die folgende Textpassage: „Im Jahre 1959 erregten französische Zeitschriften mit der Schlagzeile »US-Marine arbeitet auf Atom-Unterseeboot mit Telepathie« großes Aufsehen. Man berichtete vom Funktionieren einer Schiff-Ufer-Telepathie, die sich auch dann bewährt habe, als das amerikanische Atom-Unterseeboot »Nautilus« getaucht war. Der Berichterstattung lag die Vermutung zugrunde, dem amerikanischen Militär sei die Lösung des Geheimnisses paranormaler Seelenkräfte bekannt und Telepathie könne in einer künftigen Kriegführung als »Geheimwaffe« Verwendung finden. Genauer gesagt, durch Telepathie könnten Erkenntnisse gewonnen und vermittelt werden, die zum vernichtenden Schlag verhelfen. Zwar wurden die französischen »Nautilus«-Berichte von der US-Marine mit Entrüstung dementiert, doch verfehlte der Hinweis des sowjetrussischen Psychologen Leonid Wassiliew, die Entdeckung der ASW-Energie (ASW: außersinnliche Wahrnehmung) werde von der gleichen Bedeutung sein wie die Atomenergie, seine Wirkung nicht. An der Universität Leningrad entstand in Kürze unter der Leitung Wassiliews ein Speziallaboratorium für Parapsychologie, das erste in den Ostblockstaaten und bis heute das auf diesem Gebiet führende Institut der UdSSR.“

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