Die Süddeutsche Zeitung berichtet am 12. Juni 2020, dass der Grünenchef Robert Habeck vorschlägt, den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz durch die Formulierung „rassistische Zuschreibungen“ zu ersetzen.
Darum geht es: In Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes lesen wir „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Da fehlt es nicht an Klarheit: Rassismus wird, wie all die anderen angesprochenen Diskriminierungen, geächtet. Ebenfalls unmissverständlich ist GG Artikel 116, Absatz 2, der unter anderem die Wiedereinbürgerung von Personen regelt, die von den Nazis aus „rassischen Gründen“ ausgebürgert worden waren.
Die von Habeck gewünschte Grundgesetzänderung hätte keine inhaltlichen Konsequenzen. Wird am Grundgesetz aber ohne Not herumgedoktert, verliert es an normgebender Kraft und bekommt den Beigeschmack der Beliebigkeit. Also: Finger weg davon.
Ein Freund widerspricht. Er verweist darauf, dass Rasse ein künstlicher Begriff sei, der als ideologischer Kampfbegriff bereits unsägliches Leid über die Menschheit gebracht habe. Es gebe zwar Tierrassen, aber für die Idee der Menschenrassen gebe es keine biologische Begründung.
Was den Sachverhalt angeht, pflichte ich ihm bei. Eine Handlungsnotwendigkeit ergibt sich für mich daraus aber nicht. Wörter haben es an sich, dass sie nicht vollkommen klar definiert sind. Es gibt Leute, die verbinden mit einem bestimmten Wort einen Sinn, anderen gelingt das nicht. Für alle von Bedeutung ist das daraus abgeleitete Tun, und damit ist das Wort in der Welt – für alle.
Wer im Grundgesetz aufräumen will und dabei mit dem Wort „Rasse“ anfängt, der kann mit dem Wort „Volk“ weitermachen, oder mit „Gott“. Es gibt ein großes Betätigungsfeld.
Leider ist die Wirkung solcher Säuberungsaktionen eine andere als beabsichtigt. Die Menschen lassen sich nämlich ungern von beflissenen Eliten vorschreiben, welche Wörter sie verwenden dürfen und welche nicht. Das Aufbegehren der amerikanischen Mittelklasse gegen die „politische Korrektheit“ hat zum Aufstieg des Donald Trump beigetragen.
Wenn ich mich recht erinnere, stand vor Jahren im Café Chaos an der Hochschule Fulda eine Lampe, getragen von einem Mohr (so sagte man vor langer Zeit). Das Teil zeugt nicht von feinem Geschmack; aber besonders anstößig fand es damals auch keiner. Bis Noah Sow zu einer Lesung kam. Sie reiste sofort wieder ab. Das Angebot, das Corpus Delicti zu entfernen, konnte sie nicht beruhigen. (Das Bild hat Noah Sow anlässlich ihres Besuches gemacht.)
In ihrem Blog schreibt Frau Sow, wie empörend sie es fand, dass man in diesem Wüstenkaff namens Fulda offenbar noch nie etwas von PoC gehört habe (27. Oktober 2011).
Aus der Episode haben wir, die betroffenen Bewohner des Wüstenkaffs, durchaus etwas gelernt, nämlich dass wir uns künftig mehr Gedanken darüber machen sollten, was die Mitbürger anderer Hautfarbe, anderer Herkunft oder anderer Religion verletzten könnte. Dennoch werde ich auch künftig Schwarze genau als solche bezeichnen; sie tun es ja selbst – zu Recht voller Stolz.
Dass unsere schwarzen Freunde und Kommilitonen mit dem Begriff PoC (People of Color) etwas anfangen können, ist mir noch nicht zu Ohren gekommen. Wichtiger als solche Wortklauberei ist der tatsächlich vorhandene und auf nett geschminkte Rassismus gebildeter Kreise.
Aufgrund einer Anfrage aus meinem Skeptiker-Umfeld habe ich mich erneut mit dem Evolutionären Humanismus des Julian Huxley beschäftigt. Auf dieses Werk beruft sich die Giordano-Bruno-Stiftung in ihrem „Manifest des evolutionären Humanismus“, geschrieben von ihrem Geschäftsführer Michael Schmidt-Salomon. Im letzten Kapitel von Huxleys Buch „Evolutionary Humanism“ finden wir seine Galton Lecture Eugenics in Evolutionary Perspective. Kernsätze daraus:
“The basic fact about the races of mankind is their almost total overlap in genetic potentialities. But the most significant fact for eugenic advance is the large difference in achievement made possible by a small increase in the number of exceptional individuals.”
“Thus two racial groups might overlap over almost the whole range of genetic capacity, and yet one might be capable of considerably higher achievement, not merely because of better environmental and historical opportunity, but because it contained say 2 instead of 1 per cent of exceptionally gifted men and women.”
Kurz gesagt: Die Rassen unterscheiden sich im statistischen Mittel genetisch nicht. Das spricht gegen groben Rassismus. Den Unterschied machen die außerordentlich Begabten: Manche Rassen haben ein paar mehr davon als andere. Für mich zeugen diese Aussagen von Rassismus light. Wir sollten einmal genauer hinsehen.
Ich muss sagen, dass mich dieser Beitrag ein wenig enttäuscht und aus meiner Sicht überhaupt nicht viel skeptische Substanz beinhaltet. Das einzige was hervorgebracht wird, dass das Grundgesetz an normgebender Kraft verlieren würde und irgend ein Strohmann-Argument, das keinen interessiert.
Der Begriff der Rasse ist offensichtlich wissenschaftlich veraltet und hat seinen Ursprung in kognitiven Verzerrungen. Eine Verfassung sollte im Idealfall aus bloßen Vernunftgründen ohne fehlgeleitete und veraltete Konzepte bestehen. Der Gottesbezug ist im Gegensatz dazu „nur“ in der Präambel und der Begriff des Volkes ist nicht wissenschaftlich veraltet.
Skeptische Artikel schreiben, das können Sie besser, Herr Grams!
Wer sich als Skeptiker auf die kritisch-rationale Vorgehensweise beschränkt, wird das genauso sehen wie Sie, Pablo. Für diese
Sicht habe ich, wie bereits erwähnt, große Sympathie.
Hier aber geht es darüber hinaus um Wertesysteme, Normen und um sprachliche Gepflogenheiten; die kritisch-rationale Methode kommt an ihre Grenzen. Aber Skepsis, das gründliche Untersuchen, ist weiter möglich, wenn auch nicht mit unbezweifelbarem Ergebnis. Jetzt wird auch für den Skeptiker die Toleranz wichtig.
Ich bin mit einer Meinung in den Ring gestiegen und habe solche Repliken dringend erwartet. Danke dafür. Aber kampflos verlasse ich das Feld nicht.
Wie der Begriff „Rasse“ ist auch „Volk“ ein Konstrukt; „Gott“ kommt in der Wissenschaft gar nicht vor. Aber in der Kommunikation funktionieren diese Begriffe alle – Missverständnisse inklusive. Das gilt auch für die vorgeschlagenen Ersatzlösungen.
Die Änderungsbefürworter sollten sich fragen, ob es um symbolischen Aktionismus geht oder um die wirksame Bekämpfung der Diskriminierung. Die Antwort kenne ich (noch) nicht.
Sie gewichten mein Verfassungsargument anders als ich. Aber das macht den einen nicht weniger zum Skeptiker als den anderen.
Sie schrieben, dass die kritisch-rationale Methode an ihre Grenzen kommen würde, das glaube ich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass sich der kritische Rationalismus auch auf metaphysische Dinge anwenden lässt. Man muss es auch nicht unbedingt kritischer Rationalismus nennen, es ist einfach die Überprüfung auf innere Widersprüche. Die können bspw. dadurch entstehen, indem man grundlegende Dinge akzeptiert, die mit dem Thema eigentlich nichts zu tun haben, und mit den Behauptungen, die man neu aufgestellt wurden zum Widerspruch führt.
Ich weiß nicht, was sie mit Konstrukt meinen, aber wie ich schon sagte unterscheiden sich die Begriffe „Rasse“ und „Volk“, der eine Begriff hat sich als irreführend herausgestellt, der Begriff des Volkes (noch?) nicht. Wenn Sie die Theologie und Philosophie zu den Wissenschaften zählen, dann kommt „Gott“ sehr wohl vor. Außerdem interessiert mich der Gottesbezug hier weniger, da er wie schon geschrieben nur in der Präambel gemacht wird.
Es mag sein, dass diese Begriffe alle für die Kommunikation funktionieren, das bedeutet aber nicht, dass sie in einer vernünftigen Verfassung verwendet werden sollten. Auch Begriffe wie „Neger“ oder „Schlitzauge“ funktionieren für die Kommunikation, haben aber aus guten Gründen im vernünftigen oder professionellen Sprachgebrauch verloren. Obwohl der Begriff der „Rasse“ nicht per se so herabwürdigend wie die Beispiele sein mag, beruht er auf der Annahme der grundlegenden Andersartigkeit von bestimmten Menschen, die sich bei näherer Überprüfung einfach nicht belegen ließ, sondern im Gegenteil eher widerlegen ließ.
Sie stellen ein dichotomes Strohmann-Argument auf, in dem sie schreiben, dass Änderungsbefürworter nur zwei Gründe für Änderungen hätten. Vielleicht stimmt das einfach nicht. Möglichwerweise ist es weniger symbolischer Aktionismus noch die wirksame Bekämpfung von Diskriminierung.
Ich halte Änderung nicht nur aus den schon indirekt genannten Gründen für wünschenswert, sondern auch aus dem Grund, dass sich die Demokratie als kritisch-rationale Institution im popperschen Sinne in ihrer grundlegendsten Verfassung so als lernfähig beweisen kann und sich nicht zu schämen hat, wenn sie sich irrt.
Ich weiß nicht, was sie mit Verfassungsargument meinen, aber im Grundgesetz kann sowieso nicht einfach so herumgedoktert werden, da meines Wissens eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist. Not herrscht hier gewiss nicht, aber das ist auch nicht der einzige vernünftige Grund für Verfassungsänderungen. Wieso das Grundgesetz an normativer Kraft verlieren würde, wenn veraltete Begriffe/Konzepte entfernt oder sogar durch bessere Begriffe entfernt werden würde, erschließt sich mit nicht ganz.
Mit freundlichen Grüßen,
Pablo
In diesem Blog können verschiedene Standpunkte gut nebeneinander stehen bleiben. Für den politischen Willensbildungsprozess sind andere Foren und Gremien besser geeignet. Was können wir hier tun? Wir können für mehr Klarheit der Standpunkte sorgen.
Ja, der metaphysische Überbau von Normen und Regeln ist der Untersuchung auf innere Widersprüche zugänglich. Aber darum geht es gar nicht. Wichtig ist hier nur, dass sich Normen nicht schlüssig begründen lassen. Aus dem Wissen lässt sich eben nicht das rechte Tun folgern. Die Konsequenzen der verschiedenen Standpunkte können gegeneinander abgewogen werden – in den geeignete Gremien und unter Fachleuten.
Sie verstehen schon, was unter „Konstrukt“ zu verstehen ist. Wie Sie, meide auch ich Herabsetzung durch entsprechende Wortwahl. Das Wort „Rasse“ zeugt vielleicht von falschem Denken, herabsetzend ist es nicht.
Wenn es in diesem Streit weder um symbolischen Aktionismus geht noch um die Bekämpfung der Diskriminierung, um was geht es dann?
Ihr letzter Punkt betrifft das Verfassungsargument. Einen Lerneffekt kann ich nicht ausmachen, wenn sich allein die Formulierung ändert bei ansonsten gleicher Bedeutung.
Hallo!
Das Wort Rasse ist eine soziologische Metapher geworden! Die Biologie lehrt den Unterschied von Individuum, Rasse und Art. Im Sinne der Evolution. Dass es auch hier sumpfige Grauzonen gibt, zeugt von der rationalen Unfassbarkeit von Allem und Jedem!
Weisheit ergibt sich nicht aus Gewissheit, sondern aus möglicherweise gut begründeter, aber immer nur vermuteter Wahrscheinlichkeit, die aber niemals als absolute Wahrheit im Sinne von endgültiger Erkenntnis zu stehen vermag.
* Ich stimme zu, dass sich Normen nicht schlüssig begründen lassen. Häufig tut man aber in der Diskussion so, als würde man völlig im luftleeren Raum diskutieren, ohne schon einen normativen Standpunkt zu haben. Herr Grams, ich vermute, wenn wir alle unseren normativen Standpunkte offen legen würden, dann sähe es um Ihre Position schlechter aus, denn dann würden Sie wahrscheinlich nur aus konservativen bzw. traditionellen Gründen den Begriff beibehalten. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie sonst in ihren Beiträgen und Gedankengängen solchen Gründen allzuhohen Wert beimessen.
* Das Wort „Rasse“ an sich mag vielleicht nicht per se herabsetzend sein, aber es stellt aus meiner Sicht einen Deutungsrahmen bereit, der Herabsetzungen begünstigt wenn nicht gar zwingend macht. Dies steht im Widerspruch zum Konzept der Menschenwürde, von dem ich annehme, dass dieses bei Ihnen einen hohen Stellenwert hat. Ähnlich ist es mit Deutungsrahmen, die Menschen in verschiedene Klassen oder Kasten einteilt. Diese sind ähnlich wie der Rassebegriff veraltet und auch nicht per se herabsetzend, wendet man diese Deutungsrahmen an, dann sind diese sehr wohl herabsetzend, da diese Deutungen fern von seriöser, nachprüfbarer Empirie vollzogen werden, und anders genutzt werden als die Realität besser zu beschreiben.
* Um was geht? Das habe ich ja schon angedeutet. Damit die Verfassung korrektere Begriffe verwendet, veraltete verwirft und sich stetig verbessert. So beweist die Demokratie ihre Fehlbarkeitserkenntnis.
* Es ist eben nicht nur die Formulierung, sondern die Bedeutung. Die Bedeutung des Rassebegriffs hat sich als irreführend herausgestellt, nicht der Begriff.
Der Skeptiker schwimmt gegen den Strom – so einfach ist das.
Der (wissenschaftliche) schwimmt nicht einfach gegen Strom aus Prinzip heraus. Er schwimmt nur gegen den Strom, wenn der Strom aus seiner Sicht nicht der Faktenlage entsprechend handelt. So einfach ist das.
Das hatten wir doch schon: Hier geht’s nicht allein um Fakten, sondern auch um Wertvorstellungen. Der Skeptiker lässt sich ungern vorschreiben, dass er sich nur für die Faktenlage zu interessieren hat.
Ja, dann erzähle doch mal, inwiefern deine Wertvorstellungen dazu führen, wieso man den Begriff noch im Grundgesetz behalten sollte. Bis waren die Argumente meines Wissens nach nur, dass die Verfassung an normgebender Kraft verlieren würde und einen Beigeschmack von Beliebigkeit bekommen würde, was ich kommentiert haben. Das hat aus meiner Sicht nich so viel mit Wertvorstellungen zu tun. Hatte ich also Recht, dass die Wertvorstellungen einfach auf Traditionalismus und Konservatismus basieren?
Nach der Einleitung „Ja, dann erzähle doch mal, …“ hatte ich Lust, die Mail in den Papierkorb zu tun. Aber egal. Dann drehen wir uns eben weiter im Kreis.
Die in den Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes ausgedrückten Grundrechte haben in meinen Augen einen so hohen Rang, dass der Text nur dann geändert werden sollte, wenn es etwas Wichtiges zu regeln gibt. Das ist in der Angelegenheit, ob das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz entfernt werden soll, nicht der Fall. Eine Bedeutungsänderung ist ja gar nicht beabsichtigt und wird auch von niemandem vorgeschlagen.
Das ist meine Bewertung der Sachlage, die offenbar nicht ein jeder teilt und auch nicht teilen muss. Letztlich hat ein demokratischer Prozess über die Änderung zu befinden, falls ein solcher überhaupt gestartet wird.
Die Natur der Normen ist, dass sie normativ sind. Sie sind vom Wesen her konservativ. Und das hat mit meiner Auffassung oder der Ihren nichts zu tun. Sprachgebrauch ist immer traditionsgebunden. Was gibt es dagegen zu sagen? Ich frage mich, was Ihre letzte Frage soll, es sei denn, sie ist allein in verletzender Absicht gestellt worden.
Meine Einleitung war ja auch nicht abschätzig gemeint.
Und wir drehen uns nicht im Kreis, sondern kommen langsam zum Ende. Sie sind eben der Meinung, dass es nicht wichtig wäre, den Rassebegriff aus dem Grundgesetz zu entfernen, und ich nicht. Die Gründe sind mir nicht völlig klar, aber es endet eben mit einer unterschiedlichen persönlichen Einschätzung.
Natürlich ist eine Bedeutungsänderung beabsichtigt, man möchte eben nicht die Bedeutung des Rassebegriffs im Grundgesetz haben und einige alternative Texte standen zur Diskussion, wie z. B. ein Vorschlag der Grünen (https://www.tagesschau.de/inland/gruene-grundgesetz-rasse-streichen-103.html).
Natürlich hat ein demokratischer Prozess darüber zu finden, aber dieser wird ebenfalls von Diskussionen begleitet bzw. begleitet werden, wie wir es tun. Und ich bin der Meinung, dass die besseren Argumente gewinnen sollten.
Ich bin kein Philosoph und verstehe nicht, wieso Normen im Wesen her konservativ sind. Es geht auch hier gar nicht darum, was Normen sind, sondern welche Normen Sie überhaupt teilen. Hier geht es eher um ein Widerspruch der Normen. Zum einen gibt man im ersten Grundgesetzartikel der Würde des Menschen einen hohen Stellenwert und verwendet dann später selbst einen Begriff, dessen Deutungsrahmen selbst die Würde des Menschen verletzt. Sicherlich ist der Sprachgebrauch auch traditionsgebunden, dass bedeutet aber nicht, dass dieser sich nicht auch ändern kann. Zum Mal es hier nicht nur um den Sprachgebrauch geht, sondern um eine als veraltete geltende Idee, die früher einen Sinn gemacht hat, heute nach aller Forschung eben nicht mehr.
Die letzte Frage ist nicht in verletzender Absicht gestellt worden. Ich möchte einfach wissen nachen welchen Wertvorstellungen es nicht wichtig zu sein scheint, einen veralteten Rassenbegriff aus dem Grundgesetz zu streichen. Konservative Wertvorstellungen sind für mich völlig ausreichend, um so etwas zu begründen.
Es tut der weiteren Debatte hier im Blog gut, sich auf die ursprüngliche Frage „Darf Rasse im GG stehen?“ zu beziehen. Die Fragestellung rührt schließlich von der Forderung der Partei Bündnis 90-Die Grünen her. Sie haben inzwischen für ihre Initiative einige Sympathien gewonnen, weil die Einsicht, dass es keine menschlichen Rassen gibt, nicht wegzuleugnen ist. Die evolutionsbiologische Tatsache, dass alle Menschen von Geburt an und folglich vor dem Gesetz gleich sind, muss daher die Richtschnur der aktuellen Debatte sein. Obwohl der Begriff Rasse wissenschaftlich längst überholt ist, und deshalb seine Verwendung für die Mehrheit der Menschen eine Provokation darstellt, spukt er noch in zu vielen Köpfen geistiger Brandstifter in Gesellschaft und Politik, nicht nur aus dem rechtsextremen Spektrum, herum. Beinahe reflexhaft wird er verdeckt z.B. im Begriff Heimat als Keule gegen menschliches Verschiedensein bezüglich Herkunft, Sprache, Kultur, Religion, Hautfarbe, Haarfarbe, sexueller Orientierung und Behinderung verwendet, um ein vermeintliches Territorium gegen sogenannte Fremde, die angeblich nicht hierher oder nicht dorthin gehören, nach außen sogar mit extremen Mitteln abzuschotten. Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass derlei ideologisch geschlossenes Denken zu Unterdrückung und Ausgrenzung, zu Sklaverei und Kolonialismus führten und führen, deren Folgen die Weltgemeinschaft mehr oder weniger zu verarbeiten hat. Ob man nun für den obsoleten Begriff Rasse den Begriff Hautfarbe ins Grundgesetz hereinnehmen sollte, sei dahin gestellt. Wenn es hülfe, den offensichtlich sogar in Polizei und Bundeswehr vorhandenen strukturellen Rassismus zu bekämpfen, vielleicht. Was allerdings gemäß unserer Verfassung der Gesellschaft hilft, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus immun zu sein, ist und bleibt Bildung, Bildung und nochmals Bildung, meines Erachtens mit Humanismus als Methode für sich an Demokratie und Menschenrechten orientierende Diskurse. Gerade im anthropologisch bedingt curricularen Diskurs über Werte und Normen, welche unsere Demokratie zusammenhalten und unseren Rechtsstaat stärken sollen, bedarf es daher auch kritischen Nachdenkens über den nach Art.7 GG verpflichtenden, mehr und mehr diversifizierten Religionsunterricht zugunsten eines demokratiegemäßen, allgemein verpflichtenden Lebens- und Gesellschaftskundlichen Unterrichts in Schulen, Bundeswehr und Polizei. In diesem für die friedliche Koexistenz gleicher Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen wichtigen Bereich sollten Werte und Normen aus wissenschaftlicher Sicht von Anthropologie und Kulturologie, Philosophie- und Religionsgeschichte die Kommunikation in der Gesellschaft tragen. Die Forderung von Bündnis 90-Die Grünen, der „Begriff Rasse …sollte…durch eine Formulierung wie ´rassistische Zuschreibungen`ersetzt werden“, dürfte der Debatte gegen Rechtsextremismus zuträglicher sein als ein Plädoyer für den Verbleib des falschen Begriffes Rasse im GG mit dem damals so richtigen Argument, die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten dem niedergerungenen Rassenwahn des Dritten Reiches ein klares „Nie wieder!“ entgegen setzen. Dass sich heute weltweit so viele Menschen gegen rassistische Haltungen und Verbrechen wehren, ist ein Lichtblick. Eine Schande ist die Virulenz des strukturellen Rassismus, gegen den sich unsere wehrhafte Demokratie noch klarer und unzweideutig verwahren muss. In der Debatte zur Streichung des Begriffes Rasse aus dem Grundgesetz sollte man sich an der „Jenaer Erklärung – Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“ von 2019 orientieren. „Es gibt hierfür [Rasse, FS] keine biologische Begründung, und tatsächlich hat es diese auch nie gegeben.“, heißt es dort weiter. „Jemand der – wissenschaftswidrig – glaubt, dass es sinnvoll ist, Menschen nach äußeren Merkmalen in Schubladen stecken zu können, kann deshalb weiter als `Rassist` bezeichnet werden.“, schlussfolgert Gábor Páal im Beitrag „RASSISMUS Warum gibt es keine „Menschenrassen“ – Tierrassen gibt es doch auch?“ (SWR „Wissen 1000 Antworten), und das trotz der Grundrechte auf Meinungs- und Glaubensfreiheit, einem Irrglauben anhängen zu dürfen, bei dem man allerdings in Kauf nehmen muss, dass man wegen Diskriminierung oder gar Volksverhetzung zur Verantwortung gezogen wird, meine ich. Auf jeden Fall gilt es den Begriff Rasse in jedwedem Gewand ebenso zu ächten wie daraus abgeleitete Rassismen jeglicher Art.
Für alle hier vorgebrachten Meinungen gibt es sicherlich gute Argumente. Vermutungen darüber, was in den Köpfen anderer vorgehen mag, haben aber keine große Überzeugungskraft.
@ Pablo
Unbelegte Vermutungen über „konservative Wertvorstellungen“ des anderen bringen nichts.
@ Frank
Weder im Artikel noch in einem der Diskussionsbeiträge wurde behauptet, dass „Rasse“ ein tragfähiger Begriff biologischer Klassifizierungssysteme sei. Woher aber weißt Du, dass er in „zu vielen Köpfen geistiger Brandstifter in Gesellschaft und Politik, nicht nur aus dem rechtsextremen Spektrum, herum[spukt]“? Fremdenhass braucht den Begriff nicht; er hat Begriffe wie „Heimat“ und „Flüchtling“.
Soweit ich sehe, ist das Wort „Rasse“ nicht in Mode, auch nicht bei den extremen Rechten – eben weil man von dessen Ächtung durch Wissenschaft und Gesellschaft weiß. Das spricht eher dafür, den Begriff im Grundgesetz zu belassen.
@Timm: Deswegen frage ich Sie ja direkt. Das würde mein Verständnis um einiges verbessern.
Und: Nur weil der Begriff nicht in Mode ist bedeutet das ja nicht, dass er weniger entfernenswert sei. Man könnte genau so auch behaupten, dass wenn der Begriff in Mode ist, er eben in Verfassung stehen zu bleiben hat.
Zu Ihrem Verständnis kann ich nichts erhellend Neues beitragen: Das Gesagte muss reichen. Was im eigenen Kopf vorgeht, weiß man selber nicht so recht; andere geht es schon gar nichts an. Alice Schwarzer meinte einst zu Recht (Der Spiegel 3/2016, S. 32): „Mich interessieren Motive schon lange nicht mehr. Mich interessiert, was jemand tut.“
Und: Ja. Wir landen in der Beliebigkeit. Genau das stört mich an Franks Erwiderung. Dabei kann ich sein Gefühl durchaus nachempfinden.
In der Diskussion zum Blogbeitrag wurde schon vieles Wichtige gesagt. Und dem Argument, dass der Begriff Rasse einen Deutungsrahmen liefert, der Herabsetzung begünstigt, kann ich mich anschließen. Der Beitrag offenbart aber zusätzlich etwas, worauf ich dringend hinweisen will und was der gesamten philosophischen Diskussion vielleicht nochmal eine Lebenspraktische Wendung gibt.
Unser aller latenter Rassismus zeigt sich darin, dass wir nicht wissen und nicht wissen wollen, was es bedeutet als Schwarzer oder Person of Color in Deutschland zu leben, sondern dass wir uns lieber um die Befindlichkeit der weißen Mehrheitsgesellschaft sorgen, wenn es um zeitgemäße Sprachregelungen geht.
Dass Donald Trump aufgrund der Gängelung der Mittelschicht durch die so genannten „Bildungseliten“ so viel Zuspruch erhalten hat, hielt ich schon immer für eine sehr gewagte These. Offener Zuspruch zu einem Rassisten speist sich m.E. immer aus einem unterschwellig vorhandenen Rassismus.
Unterschwelliger Rassismus betrifft uns alle – mich eingeschlossen. Es ist nicht die offene Anfeindung und die Gewalt einzelner, sondern der blinde Fleck in unserer Wahrnehmung.
Selbstverständlich kann man einwenden, dass jemand, der willkürlich und zu Unrecht mehrmals von der Polizei kontrolliert wurde, der bei jeder Wohnungsbesichtigung ein ungutes Gefühl hat und der im öffentlichen Raum jederzeit mit Anfeindungen rechnen muss, nicht auch noch jeden Abend über das Grundgesetz nachdenkt und sich über den Begriff Rasse aufregt. Das Problem wirkt also erstmal klein.
Irgendwo muss die Politik aber anfangen, etwas zu ändern. Im grundlegenden Gesetzestext unserer Gesellschaft Formulierungen und Begriffe zu entfernen, welche Raum für bestimmte Zuschreibungen und Deutungen geben, ist nur ein Anfang aber dennoch nicht unwichtig.
Zunächst habe ich mich köstlich über den Blog- Eintrag von Noah Sow amüsiert.
Rassismus ist wirklich ein ernstzunehmendes Thema, das steht außer Frage.
Die Grundgesetz- Debatte allerdings ist aus meiner Sicht eine politische Veranstaltung, um genau die Anhänger von Noah Sow an die Wahlurnen zu bekommen, um ein Kreuz bei den „Grünen“ zu machen und nicht bei den „Linken“.
Frau Sow will Bücher verkaufen und da kommt ihr die Polarisierung des aus Ihrer Sicht reaktionären Fulda und dem gar so hippen Hamburg bzw. genau so coolen Brooklyn (!) gelegen.
Würde die Lampe in einer Szene Bar in St. Pauli/oder Bushwick (!) stehen und Frau Sow dort einen Leseabend mit Heinz Strunk machen dürfen, wäre Sie wahrscheinlich nicht heimgefahren.
Aus welchem Grund eine Debatte über rassistische Begriffe und Symboliken angestoßen werden, ist unerheblich . Die banale Erkenntnis , dass jemand Bücher verkaufen will oder Wählergruppen gewinnen möchte reicht nicht um diejenigen zu diskreditieren, die die Debatte anstoßen.
Menschen die unbedacht und ohne böse Absicht Symbole und Worte verwenden die aus einem historischen Machtverhältnis entstanden sind, welches wir überwunden haben wollen, sollte man darauf hinweisen dürfen.
Ich als Weißer kann nur ahnen, was Generationen von Menschen erleiden mussten in der Zeit in der die Begriffe und Symbole entstanden sind und genutzt wurden um die bestehenden Machtverhältnisse zu zementieren. Es kann auch sein, dass ich selbst einiges überbewerte. Aber man sollte offen für die Diskussion sein, ohne reflexhaft darüber nachzudenken, welches Eigeninteresse hinter jeder Meinungsäußerung steckt.
Ja: Aus Spekulationen über die Motive der Aktivisten lassen sich keine weitreichenden Schlüsse ziehen. Über ihren Stil, ihr Auftreten und ihr Wirken darf man sich aber schon seine Gedanken machen.
Sicherlich sind Handlungen bedeutender, um Motive zu verstehen als direkte, eigene Stellungnahmen zu den Motivaten. Da Sie aber anscheinend nicht besonders als Aktivist auffallen, und ihre Handlungen eher im Verfassen von Schriften besteht, kann man sie nur auf Basis dessen beurteilen. Natürlich ist es zu Verbesserung des gegenseitiges Verständnis förderlich, wenn man seine Motive und Wertvorstellungen explizit macht. Das ist nur Redlichkeit und erlaubt auch die Überprüfung des Gesagten/Geschriebenen mit den Wertvorstellungen.
Damit habe ich Verständnisprobleme: Woran erkennen Sie einen Aktivisten? Wie qualifiziert er sich dafür?
Sie bringen eine Wiederholung Ihres Standpunkts, den ich ausdrücklich nicht teile. Aber das ist ja ebenfalls bereits klar geworden. Ich wiederhole mich: Ich halte es für ausreichend, wenn die Motive und Wertvorstellungen im Reden und Handeln zum Ausdruck kommen. Ihr Verlangen nach moralischer Einstufung des Gegenübers („Redlichkeit“) geht mir deutlich zu weit. Aber das hatten wir auch schon.
Vielleicht müsste man fragen, welche Risiken durch welches Vorgehen entstehen. Ein Risiko bei der Streichung verstehe ich so, dass das die Hemmschwelle, das Grundgesetz zu ändern, langfristig aufgeweicht wird. Welche Risiken bringt das mit sich? Dem müsste man gegenüberstellen, welche Risiken damit einhergehen, den Begriff drinnen zu lassen. Wenn es nur um eine formale Aktualisierung zwischen Schrift und Lebenswirklichkeit geht, wäre das ein schwaches Argument den Risiken gegenüber. Seitens der Rechtswissenschaften wird geklagt (Wortwitz!), dass der Begriff Rasse den Richter*innen Probleme bereitet. Das wäre ein konkreteres Risiko. Ich glaube, welches Risiko schwerer Wiegt, lässt sich gar nicht richtig objektivieren.
Vorweg: Ich bitte um Entschuldigung für diese Länge. Aber ich halte es für richtig, eine Außenseitermeinung, die so nicht zitierbar ist, zu begründen.
Timm Grams am 28.Juli 2020
Ich pflichte dem nicht einmal historisch bei, denn es war nicht der Rassebegriff, der zur Sklaverei führte, die gab es bereits im Altertum: Sklaven waren potentiell alle Völker, die man militärisch unterwerfen konnte. Probleme gab es erst bei der Entdeckung der neuen Welt mit einer neuen Auslegung des Christentums bzw. der beginnenden Neuzeit / Aufklärung irgendwann durch den den Druck, die unbedingte Herrschaft über andere Menschen neu legitimieren zu müssen: durch Andersartigkeit, die eine Minderwertigkeit begründen sollte. Gleichzeitig gab es einen großen Bedarf an billigen Arbeitskräften bei der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Großbetriebe in den neuen Gebieten. Die Muslime hatten diesen Druck nicht, bei ihnen reichte als Merkmal der Andersartigkeit schon lange die Religion. In der Christenheit musste nun die Hautfarbe als das Merkmal der Minderwertigkeit herhalten. Dabei handelte es sich wirtschaftlich um die Fortsetzung der feudalen Leibeigenschaft mit einer neuen Begründung. Dieser wirtschaftliche Aspekt wird auch in den Handelsketten sichtbar, die wir historisch erkennen können. Die wurden zwar hauptsächlich von Europäern geführt, aber ein großer Teil der Sklavenfänge wurde von Afrikanern anderer Stämme gemacht, also von Menschen mit der selben Hautfarbe, die aber trotz dieser Hautfarbe problemlos als Handelspartner akzeptiert wurden. Der „Kampfbegriff Rasse“ war also nicht die Ursache des Leids der Sklaverei, er war nur eine pseudowissenschaftliche Begleitung der scheinbaren wirtschaftlichen Notwendigkeiten.
Weiter gibt es da ein formales Argument, dass, wenn wir von Rassen sprächen, wir die Zuchtformen der Haustiere meinten. Bei Menschen gäbe es aber keine derartige Zucht. Dass eine bewusste Zucht existiert, kann ich sofort beim europäischen Adel zeigen, für den regelrechte Zuchtbücher geführt werden. Aber auch in der Abstraktion wird klar, dass dieser formale Unterschied nicht existiert: Unsere Haustierzucht findet nach von Menschen gemachten, also kulturell entstandenen, Regeln statt. So mobil wie der Mensch ist, gibt es kaum geografische Heiratsschranken, dafür sehr wirksame kulturelle, so dass man auch da von Zucht – nämlich der Verpaarung nach von Menschen gemachten, kulturell entstanden Regeln, sprechen kann.
Rein genetisch ist es natürlich nicht möglich, die verschiedenen Völker nur nach der Hautfarbe trennen, weil die dunkle Hautfarbe mehrfach entstanden ist. Sobald ich aber ein paar weitere Merkmale hinzufüge, bekomme ich trennscharfe Unterscheidungen bis weit unterhalb der historischen Rassegrenzen.
Aber das sind alles nur Randgeplänkel. Deshalb jetzt zur zoologischen Seite dieses Streits:
Ob Rasse ein wissenschaftlicher Begriff oder ein wissenschaftliches Konzept ist, hängt davon ab, wie man diesen Begriff benutzt:
Wenn er synonym zu Subspezies (Unterart) benutzt wird, gehört dieser Begriff in die Taxonomie und ist damit wissenschaftlich.
Die Speziation (Artbildung) ist für jede Art ein einzigartiger historischer Prozesse. Damit ist auch klar, dass selbst die Art schwer allgemein zu fassen ist – der Artbegriff ist theoretisch nicht eindeutig zu begrenzen, ist also gewissermaßen auch künstlich. Das trifft natürlich auf die Unterart noch stärker zu. Die Einteilung in Unterarten ist also noch problematischer als die in Arten, kann aber aus praktischen Gründen sinnvoll sein, z.B. wenn man den Eindruck hat, dass hier eine Art kurz vor der Aufspaltung steht. Letzteres ist für Homo sapiens mit Sicherheit nicht der Fall, hier könnte man höchstens Gruppen trennen, die historisch über einen langen Zeitraum über einigermaßen stabile Paarungsgrenzen verfügten.
Zum Rassebegriffs beim Menschen:
Wir gehen heute davon aus, dass der Neandertaler von einer Linie des h. erectus stammt, die Afrika von ca. 800 000 Mio Jahren verlassen hat. Homo sapiens entsteht ca. 300 000 Jahre später aus dem afrikanischen h. erectus, aber als die beiden sich dann später in Europa getroffen haben – es gibt auch Gebiete, in denen sie länger nebeneinander lebten – kam es zu einem geringen aber erfolgreichen Genfluss zumindest vom Neandertaler zum modernen Menschen. Nach dem klassischen Artbegriff, der sich über die Fruchtbarkeit von Kreuzungen definiert, müsste man hier also von einer Art reden – tut man aber nicht; der Artbegriff ist heute komplizierter.
Bei Rassen / Subspezies des heutigen Menschen können wir es uns einfach machen und uns auf wissenschaftliche Manifeste beziehen, die sagen, dass es so etwas wie Rassen beim Menschen nicht gibt, und fertig. Aber wir brauchen uns nur anzusehen, wer diese Manifeste alles unterzeichnet hat, bei einem ist z.B. der prominente Physiker und Philosoph Lesch dabei, der nicht unbedingt für taxonomischen Kompetenz berühmt ist. Dann ist klar, dass es sich hier weniger um wissenschaftliche als um politische Manifeste geht. Wer bei uns gesellschaftlich anerkannt bleiben oder gar wissenschaftliche Karriere machen will, darf das Wort Rasse im Zusammenhang mit dem Menschen nur ablehnend in den Mund nehmen.
Auf der anderen Seite (des Teiches) ist so, dass amerikanische Gerichtsmediziner an einem Skelett mit hoher Sicherheit die Hautfarbe feststellen können, die dieser Mensch zu Lebzeiten hatte – es ist also mitnichten so, dass man Schwarzamerikaner nur an der Hautfarbe erkennt (dazu muss man allerdings noch bemerken, dass Schwarzamerikaner genetisch erheblich einheitlicher sind als die Schwarzafrikaner, weil nicht aus allen afrikanischen Völkern in gleicher Weise versklavt wurde – es handelt sich auch hier um historische Prozesse).
Ich halte es auch für vorstellbar, dass wir „rassistische“ Medikamente finden, die bei Schwarzamerikanern anders wirken als bei Europäern und hielte es für dümmlich, nicht auch dazu zu forschen, genauso wir wir heute beginnen, die Medizin der Frau in bestimmten Bereichen von der Medizin des Mannes zu trennen.
Dabei sollte man aber eines im Kopf behalten: Alle wissenschaftlichen Untersuchungen der Vergangenheit, in denen man beweisen wollte, dass „Neger dümmer sind als Menschen“ (Zitat eines Studienkollegen vor ca 50 Jahren) litten unter gravierenden wissenschaftlichen Mängeln (Nichtbeachtung von Abhängigkeiten einzelner Messgrößen u.Ä.). Nachdem man diese Fehler in den Auswertungen korrigiert hatte, waren die geistigen Unterschiede zwischen genetisch unterscheidbaren Populationen/Ethnien/Rassen nicht mehr vorhanden. Wer also nach all diesen Untersuchungen noch meint, genetisch unterscheidbare Gruppierungen des Menschen (die gibt es ganz sicher, wenn wir uns hierbei nicht auf ein einzelnes Merkmal begrenzen) als minder- oder höherwertig erkennen zu können, tut mir nur leid.
Es ist schon von der Artbildung des Menschen nicht anzunehmen, dass wir geistige Differenzen in den unterschiedlichen Gruppen finden werden. Im Gegensatz zu dem, was uns die Wissenschaft sehr lange vorzumachen versuchte, sind wir eine hochgradig spezialisierte Art: Wir sind körperlich in extremer Weise an die Tätigkeit des Werfens und an die Ausdauerjagd angepasst (das ist aber ein anderes Thema) und geistig an die Existenz als Kulturwesen: Wir haben als Art einen großen Teil unseres praktischen Wissens von der Welt aus der Genetik in die Kultur verlagert. Auf diese allgemeine Fähigkeit wurden wir alle selektiert, der Buschmann wie der Eskimo oder der sich in dummen Exemplaren als etwas Besseres dünkende Europäer.
Wer also meint, mit dem Begriff der Rasse etwas über die Wertigkeit von Menschen aussagen zu können, benutzt in dem Moment keinen wissenschaftlichen Begriff, sondern demonstriert nur seine eigene Begriffsstutzigkeit. Aber gerade deshalb, um diesem Blödsinn entgegenzuwirken, fände ich es gut, wenn die Wissenschaft sich des Begriffes Rasse wieder bemächtigen würde.
Zusammenfassend haben wir es bei dem Streit um den Begriff Rasse also mit dem selben Irrtum zu tun wie in der sexualisierten („gendergerechten“) Sprache, nämlich dass das Böse aus der Sprache entstanden sei, und dass das Festhalten an den „bösen Begriffen“ in die Fortführung des Bösen führe.
Aber Begriffe, die man nicht durch die Einführung einer politisch korrekten Sprache künstlich in ihrer Bedeutung fixiert, unterliegen dem Wandel. Was hilft, ist Bildung – bei den „Bösen“ wie bei den „Guten“. Das willkürliche Festlegen der Sprache durch kleine Eliten wie dem Klerus hat früher einmal funktioniert, da wurden alle, die nicht folgten, auch ausgeschlossen, wenn sie nicht gleich verbrannt wurden. Heute führt es bei einem Teil der Bevölkerung nur zur Lächerlichkeit dieser Eliten oder im schlimmsten Fall zu einer Zweiteilung der Gesellschaft.
Bis auf wenige Ausnahmen begleitet Sprache die Realität – sie verursacht sie nicht.
Unlogisch finde ich auch, dass zwar behauptet wird, es gäbe bei Menschen keine „Rassen“, gleichzeitig aber ein vorherrschender „Rassismus“ angeprangert wird. Kann es ohne Rassen denn Rassismus geben?
@ Andreas Hildebrandt
Natürlich kann es Rassismus ohne Rassen geben, genauso wie es den Begriff der Höflichkeit gibt, obwohl es die Höfe, an denen das Verhalten stattfand, an dem man sich mit dieser Höflichkeit orientiert, schon lange nicht mehr gibt. Sprache ist immer eine Akkumulation über den gesamten Zeitraum ihrer Benutzung und beinhaltet zwangsläufig Relikte aus einem viele Generationen umfassenden Zeitraum. Jeder Blick in ein etymologisches Wörterbuch demonstriert sowohl den Umfeldwechsel als auch den Bedeutungswandel vieler Begriffe.
Rassismus wird heute soziologisch unabhängig von Rassen / Ethnien als Gruppenfeindlichkeit definiert. Sehr verbreitet ist die Definition von Memmi
„Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen“. Zitiert aus Wikipedia>Rassismus.
Wobei es anscheinend niemanden stört, dass durch die Formulierung „Wertung tatsächlicher … Unterschiede zum Nutzen des Anklägers“ auch der Antirassismus zum Rassismus wird.
Wörter wie Hofstaat, Fürstenhof und so weiter beziehen sich auf Vergangenes, sind aber durchaus noch gebräuchlich und keinesfalls geächtet. Die Jenaer Erklärung von 2019 schließt mit den Worten: „Der Nichtgebrauch des Begriffes Rasse sollte heute und zukünftig zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehören.“ Das geht dann doch etwas weiter.
Die Ächtung des Begriffs der Rasse unter Beibehaltung des Begriffs des Rassismus ist auch für mich ein Widerspruch: Wer den Rassismus als Pseudowissenschaft entlarven will, braucht den Begriff der Rasse.
Ich weiß nicht: die Debatte führt doch auf ein Abstellgleis. Und wir. Bahnfahrer oder nicht, Stellwärter oder nicht, wir wissen doch, was dort angestellt wird: Züge, die nicht mehr oder, okay: zunächst nicht mehr benötigt werden. Man könnte eine Debatte darüber initiieren, wie gefüllos es ist, das nicht mehr oder zunächst (!) nicht mehr Benötigte skrupellos abzustellen. Das ist eine besondere Form des Ab-Bestellens, wie wir es von Zeitungen oder, früher, von wegen elektrischer Heizungenabbestellter Steinkohle kennen.
Ein Begriff fehlt in der Debatte der Redner vor mir: das Rassige, das wir doch an mancher Spanierin schätzen. Niemand würde den Blick auf schwarzhaarige Schönheiten rassistisch nennen, außer ein paar Bekloppten vielleicht.
Das wollte ich nur mal anmerken.
[Moderator: Verwarnung. Geplapper wird hier nicht akzeptiert.]
@ Frank Wohlgemuth
Die Zustimmung zu den Einlassungen meines Freundes habe ich ein Jahr später im Dawkins-Artikel eingeschränkt.
Für mich sind Rassen die Elemente eines Klassifikationssystems, also grundsätzlich kontingente Zuschreibungen. Erst wenn man die Klassen miteinander in Beziehung setzt, mögen sie zum selben System gehören oder zu verschiedenen, kommen wir zu den wissenschaftlichen Hypothesen des Rassismus: Schädelformen oder Hautfarbe des Menschen auf der einen und Intelligenz auf der anderen Seite. Derartige Hypothesen gelten in der Wissenschaft schon lange als unhaltbar. Wer sie dennoch vertritt, betreibt Pseudowissenschaft.
Wie darf man dann Hunde sehr unterschiedlichen Aussehens , aber doch gut in ihrer Zugehörigkeit zu erkennen und alle zur gleichen Art gehörend, weil sie sich untereinander fertil paaren können, dann bezeichnen?
Muss da auch der „Rassebegriff“ gecancelt werden.
„Rasse“ bezeichnet da eine Diversität innerhalb von Arten.
Für gezüchtete Unterarten innerhalb der Haus- und Nutztiere (englisch: breed) sagt niemand etwas gegen den Begriff Rasse. Man möchte ihn nur außerhalb der Zuchtformen nicht mehr als Synonym für Unterart benutzen, speziell für den Menschen streitet man auch nur die Möglichkeit von Unterarten ab. Aber das ist eigentlich eine taxonomische Frage, also eine innerhalb der Biologie, weshalb mich die Entschiedenheit, mit der einige Leute mitreden, die von Taxonomie kaum eine Ahnung haben dürften, etwas wundert.
Deshalb ja auch mein etwas hinterlistiger Einwand, dass es sich auch bei den Ethnien der Menschheit im Grunde um Zuchtformen handelt, deren Stabilität auf einer kulturellen Paarungssteuerung beruht, die teilweise – wie bei der Leistungszucht der Nutztiere – fast bis in die gezielte Inzucht geht, wie es beim Hochadel bis vor wenigen Jahren noch Standard war.
Also: Der Dackel, das Pinzgauer Rind und das vietnamesische Hängebauchschwein bleiben Rassen.
@ Frank Wohlgemuth
Sie bemängeln, dass
Das Klassifizieren gehört zu meinem Job, auch wenn ich kein Biologe bin. Zugespitzt hat sich eine Klassifizierungsfrage seinerzeit in einem Streit um sichere Zustände technischer Systeme, insbesondere KKW. Dazu schrieb ich den Aufsatz „Risikooptimierung kontra Risikobegrenzung – Analyse eines alten und andauernden Richtungsstreits“ (atp 45 (2003) 8, S. 50-57). Ich halte mich darin an diesen Satz von Mary Douglas: Eine Theorie muss mit dem Trennen anfangen, nicht mit dem Messen und Abwägen.
Jedermann hat seine Klassifizierungssysteme und ist, sofern er sich auf die Metaebene begibt, auch Experte in Taxonomie.
Beim Erstellen meines Systems der Denkfallen habe ich gemerkt, an welche Grenzen man beim Aufbau einer Taxonomie stoßen kann.
Allein um diesen Punkt geht es mir im Zusammenhang mit Rassen bei Mensch und Tier: Wer den Rassismus als Pseudowissenschaft entlarven will, der braucht auch den Begriff der (Menschen-)Rasse.
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Viel zu spät zur Party, trotzdem kann ich mir zu dieser faszinierenden Diskussion einen Beitrag nicht verkneifen. Wenn man ellenlang den Begriff Rasse für nichtig erklärt, hat man praktischerweise Rassismus „falsifiziert“? Zur Erinnerung: Der nationalsozialistische Rasse-Begriff war „logisch sauber“. Es ging ja gerade darum eine Herren- und eine Sklaven-„Rasse“ zu züchten. Nach Zuchtmerkmalen. In beide Richtungen. Die „Vernichtung unwerten Lebens“: eine unappetitliche Notwendigkeit. Einzigartig ist die widerwärtige Menschenfeindlichkeit- die gerade in unserer Sprache- mit dem Wort Rasse verbunden ist. Daran darf/soll/muss das Grundgesetz doch erinnern?