Alles ist Spiel
Der jüngste Artikel dieses Weblogbuchs („Quantenmystik“) hat den einen oder anderen Leser irritiert: Er liegt für sie nicht ganz auf der Linie der anderen Artikel, denn er berührt Fragen der Metaphysik und Sinnsuche, Fragen die den Rahmen des Weblogbuchs scheinbar sprengen.
Deshalb ist es an der Zeit, einmal kurz innezuhalten und über die Leitlinien dieses Weblogbuchs nachzudenken. Um „sonderbare Nachrichten und alltäglichen Statistikplunder“ soll es gehen. Die Frage ist, was an den Meldungen, die hier angesprochen werden, so sonderbar ist.
Die Antwort: Im Weblogbuch werden Meldungen aufgespießt, die gegen die Regeln des Spiels verstoßen, das zu spielen die Meldung vorgibt. Der Verstoß ist entweder dem Autor der Meldung nicht bewusst, dann ist es ein Irrtum seinerseits, oder aber er unternimmt ihn absichtlich, dann begeht er eine Täuschung. In beiden Fällen sollte der Leser und Adressat der Meldung gewarnt sein. Manchmal lassen die Regeln auch mehrere Auffassungen zu, dann geht es nicht um Irrtum oder Täuschung. Dass es sich um ein subjektives Urteil handelt, sollte vor dem Leser allerdings nicht verborgen werden.
Der Stil des Weblogbuchs ist subversiv. Es deckt Widersprüche auf, und das allein durch Bezugnahme auf die selbstverständlichen Regeln (beispielsweise der Logik und Mathematik) sowie auf die Regeln des Spiels, das der Urheber der Meldung vorgeblich oder tatsächlich spielt. Die Diskussion bleibt so innerhalb des vom Autor der irreführenden Meldung gesteckten Rahmens.
Gegenstand des Weblogbuchs ist nicht irgendwelcher Tiefsinn, irgendeine Metaphysik; Fragen nach dem Urgrund allen Seins bleiben außen vor, insbesondere die Frage, warum es etwas gibt und nicht etwa nichts. Um Spielregeln geht es hier und inwieweit diese auch eingehalten werden. Ich hoffe, dass diese Klarstellung meine Leser beruhigt.
Auf die Spielregeln kommt es an
Da sind zunächst einmal die grundlegenden Regeln der Mathematik: Logik, Arithmetik, Algebra und Grenzwertrechnung. Dazu kommen die Regeln der schließenden Statistik und die Regeln für die grafische Darstellung von Zusammenhängen. Dies alles setze ich als allgemein akzeptiert voraus. Verstöße gegen diese Basisregeln begegnen uns täglich in Tageszeitungen, Magazinen, Rundfunk- und Fernsehsendungen. Beispiel: Guter Mond…
Dazu kommen die vielen Nonsense-Meldungen aus dem Bereich der Statistik. Ein herausragendes Beispiel dafür wird im Artikel Sex ist gesund aufgespießt. Krasse Betrugsfälle und gefälschte Statistiken sind eher selten: Anders als Churchill meinte, muss man Statistiken nicht fälschen, wenn man damit betrügen will. Man braucht die Daten nur geeignet zusammenzufassen. Aber Fälschungen kommen vor, und solche finden sich sogar in amtlichen Statistiken: Ein X für ein U.
Einen aufschlussreichen Sonderfall bietet der Artikel Schöne Mathematik. Hier halten sich nämlich alle, Autoren wie Kommentatoren, an die Regeln der Mathematik. Da diese Regeln so eindeutig und klar sind, sollte ein Disput eigentlich ausgeschlossen sein. Aber nein: Der Mathematiker will nicht nur Richtiges behaupten. Er legt auch Wert auf Eleganz. Folglich gehören zum Regelkatalog der Mathematiker auch Regeln der Ästhetik. Und damit verlässt der Mathematiker den Reinraum objektiver mathematischer Beziehungen.
Es gibt objektive Kriterien für Schönheit, wie beispielsweise die Symmetrie, die wir schon aus rein biologischen Gründen mögen. Aber pure Schönheit kann langweilig sein und die Kunst kennt gezielte Verstöße gegen die Prinzipien glatter Schönheit. Umberto Eco hat dementsprechend zwei herrliche Bücher über Ästhetik herausgebracht: „Die Geschichte der Schönheit“ und „Die Geschichte der Hässlichkeit“ (2004, 2007). Das Urteil über die Eleganz mathematischer Formeln muss letztlich persönlich bleiben. Und das ist eine Regel des Spieles Mathematik: Über die Eleganz einer Formel kann und soll man streiten, Einigkeit muss nicht sein.
Im Zentrum dieses Weblogbuchs stehen die Spielregeln des Spiels empirische Wissenschaft, insbesondere die Regeln der Generalisierung, Falsifizierbarkeit und Objektivität. Der Artikel Wie wissenschaftlich ist die Homöopathie handelt von Regelverstößen auf diesem Gebiet.
Insbesondere auf die Spielregeln der empirischen Wissenschaften gehen die Erfolge von Physik, Chemie und Biologie zurück. Und diese Wissenschaften sind es, denen wir nahezu alle technischen Dinge verdanken, die heute unser Leben bestimmen. Es ist kein Wunder, dass Metaphysiker und Esoteriker, Ratgeber, Quacksalber und Beutelschneider versuchen, von der Reputation der empirischen Wissenschaften zu profitieren und ihre Angebote als Ergebnis wissenschaftlicher Bemühungen darstellen und deren vermeintliche Wirkung als streng geprüfte und gesicherte Erkenntnis verkaufen. Diese Leute beanspruchen für ihr Tun Wissenschaftlichkeit, sie lösen diesen Anspruch aber nicht ein — das kennzeichnet Pseudowissenschaft.
Die Verlockung zu Täuschung und Camouflage ist groß. Beispiele für derartige Täuschungsmanöver bieten die Artikel über Quantenmystik und Neurolinguistisches Programmieren.
Kampf der Manipulanten
Auch im Quantenmystik-Artikel geht es nur darum, Verstöße gegen die Regeln des vorgeblichen Spiels aufzuzeigen, nicht um die moralische Bewertungen dieser Verstöße. Tarnen und Täuschen gehören so sehr zum Leben auf dieser Erde (man denke nur an die Geweihe der Hirsche, die Mimikri der Schmetterlinge, die Scheinmuskeln der Männer, das Imponiergehabe in den Chefetagen und die Werbung), dass man sich generelle moralische Urteile über dieses Verhalten besser verkneift.
Wer mehr über die Mechanismen und Auswirkungen von Täuschung und Selbstbetrug erfahren will, dem empfehle ich die Lektüre des Buches „Deceit and Self-Deception“ von Robert Trivers (2011).
Täuschung und Manipulation abzuschaffen, ist schon aus Gründen des Wettbewerbs aussichtslos: Wer will schon auf große Vorteile verzichten, die zu moderaten Kosten zu haben sind. Die Alternative wäre Totalitarismus, und der ist die Supertäuschung schlechthin.
Ein Ziel dieses Weblogbuchs steht nun klar vor Augen: Waffengleichheit. Jedermann sollte grundsätzlich die Möglichkeit erhalten, manipulationstechnisch nachzurüsten, so dass er im heutigen Gewühl aus Manipulation, Manipulationsabwehr und Gegenmanipulation seine Chancen wahren kann.