Vortragsankündigung
Angekündigt hatte die Würzburger Regionalgruppe der GWUP einen Vortrag mit dem Titel „Fragen an einen Skeptiker“ und lieferte einen Katalog möglicher Fragen gleich mit: „Wer sind diese Skeptiker? Seit wann gibt es sie? Was untersuchen sie? Mit welchen Methoden tun sie das? Wissen Skeptiker mehr? Handelt es sich um eine neue Religion? Woran glauben sie? Darf ein Skeptiker auch Kirchenmitglied sein? Was sind für Skeptiker eigentlich Parawissenschaften?“
Und weiter: „All diese Fragen kann man an einen der führenden Skeptiker stellen. Herzlich willkommen zu einem Abend mit Prof. Dr. Timm Grams.“ (Termin: 30.1.2017, 19.00 Uhr in der Gaststätte Herieden in Würzburg/Heidingsfeld.)
Ich dachte mir damals: Nach der Veranstaltung sollte den Besuchern klar sein, dass die Wendung „führender Skeptiker“ ein Oxymoron ist. Ein Skeptiker, der führt, macht etwas falsch! Ich beließ es bei dem Formulierungsvorschlag der Regionalgruppe in der Ahnung, dass er zur Überhitzung manch eines empfindsamen Gemüts führen würde. Nun zur Veranstaltung selbst.
Vor Beginn der Diskussion stellte ich den Denkrahmen der Veranstaltung vor, insbesondere meinen Zugang zum Thema über meine Beschäftigung mit Denkfallen. Daran schloss sich ein Exkurs über den Skeptizismus als Ausgangspunkt aller Philosophien der Erkenntnis an. Dem folgte ein Abriss der Geschichte der Skeptikerbwegungen in den USA und in Deutschland.
Im philosophischen Skeptizismus geht es um die Frage:
Fällt der Skeptiker aus der Wirklichkeit?
Bereits die Denkfallen zeigen, dass wir nicht alles für bare Münze nehmen dürfen: Unsere Wahrnehmungs- und Denkmechanismen sind zwar bewährt, in manche Situation aber verkehrt. Es kommt zu Täuschungen. Manches Sein entpuppt sich als Schein. Unsere Sicherheit schwindet und auf nichts scheint mehr Verlass zu sein. Das Bild von der Realität zerfließt und es stellt sich die Frage, ob es diese Realität, dieses von unserem Bewusstsein unabhängige Sein, das von Recht und Ordnung stabil zusammengehalten wird, überhaupt gibt. Das Einzige, was wir erkennen, sind die Erscheinungen, das was auf unsere Sinne trifft und unsere Erfahrung ausmacht.
Und genau das ist der erste Schritt, den wohl jeder gehen muss, der über die Frage nachdenkt, was wir wissen können. Er startet als Skeptiker, genauer: als Außenweltskeptiker. Das war bei Platon so, bei Descartes, bei Kant, bei Hilary Putnam und vielen anderen. Man beachte, dass in diesem Begriff des Skeptikers bereits eine leichte Bedeutungsverschiebung steckt: Eigentlich bedeutet das aus dem Griechischen stammende Wort soviel wie „genaue Untersuchung“, die natürlich mit Zweifel einhergehen kann. Heute versteht man unter Skepsis den systematischen Zweifel.
Im Laufe der Zeit wurde eine ganze Reihe von skeptischen Szenarien formuliert. Heute findet man diese im Film wieder. Das Gehirne-im-Tank-Szenario (Hilary Putnam) wurde in den Matrix-Filmen der Wachowski-Geschwister, in „Welt am Draht“ von Rainer Werner Fassbinder, in „The 13th Floor“ von Roland Emmerich, in „Open your eyes“ und „Vanilla Sky“ (beide mit Penelope Cruz) künstlerisch umgesetzt. Das Traum-Szenario (Platon, Descartes) begegnet uns in den Filmen „Inception“ (mit Leonardo di Caprio) und in „A beautiful mind“ (mit Russell Crowe).
Immer geht es darum, dass wir die uns im Traum oder von einem Computer vorgespiegelte Wirklichkeit nicht von der „wirklichen Wirklichkeit“ unterscheiden können – falls es letztere überhaupt gibt. Diese Szenarien sind unwiderlegbar. Wir landen im „Abgrund des Skeptizismus“ (Immanuel Kant). Für den Skeptiker ist die Vorstellung einer bewusstseinsunabhängigen Realität das unbegreifliche Jenseits. Davon wendet er sich ab.
Und über die Jahrhunderte stellten sich Philosophen immer wieder die Frage, wie man diesem „Abgrund des Skeptizismus“ am besten entkommen könne.
Descartes hatte für sich einen Ausweg gefunden. Er meinte, „dass die Dinge, welche wir sehr klar und sehr deutlich begreifen, alle wahr sind, aber dass allein darin einige Schwierigkeit liege, wohl zu bemerken, welches die Dinge sind, die wir deutlich begreifen.“ (Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs, viertes Kapitel, 1637). Er sah es als erwiesen an, dass „es vollkommener sei, zu erkennen als zu zweifeln“. Er schreibt: „Denn vor allem ist selbst jener Satz, den ich eben zur Regel genommen habe, dass nämlich alle Dinge, die wir sehr klar und sehr deutlich begreifen, wahr sind, nur deshalb sicher, weil Gott ist oder existiert und weil er ein vollkommenes Wesen ist und alles in uns von ihm herrührt.“ Ich sage es etwas flapsig: Es muss einen Gott geben, der uns – dank seiner Vollkommenheit – nicht hinters Licht führen kann.
Für den Skeptiker gibt es andere Auswege. Er findet vielleicht Trost bei Immanuel Kant, für den die Welt der Erscheinungen selbst bereits die Realität bildet. Kant wendet sein Denken ganz dem Diesseits zu und formuliert den empirischen Realismus, also den allein auf Erfahrung basierenden Realismus.
Wir wollen diese veränderte Bedeutung des Wortes Realismus gleich wieder vergessen und bleiben bei der Gleichsetzung von Realität und Jenseits. Der Gedanke von Kant erscheint in modernisierter Version in Karl Raimund Poppers Logik der Forschung, der er später den Namen kritischer Rationalismus verpasste. Der kritische Rationalismus ist vollkommen dem Diesseits zugewandt und er kommt ohne die Vorstellung einer Realität aus. Er bildet die methodische Basis aller Erfahrungswissenschaft: Kühne Vermutungen über die Zusammenhänge zwischen den Phänomenen sind die rationale Seite, und die Prüfung dieser Theorien anhand der Fakten die kritische. Wissenschaftliche Aussagen zeichnen sich dadurch aus, dass sie prinzipiell widerlegt werden können. Mit diesem Kriterium der Falsifizierbarkeit grenzt Popper die Wissenschaft von der Metaphysik ab.
Wir haben also eine Methode für den Wissenserwerb. Dieses Wissen ist objektiv in dem Sinne, dass es intersubjektiv überprüfbar ist. Wir haben die tröstliche Einsicht gewonnen, dass der Skeptiker vielleicht aus der Wirklichkeit fällt, aber dass er sich in seinem Diesseits sehr gut zurechtfinden kann.
Das moderne skeptische Denken ist wissenschaftsorientiert; es bewegt sich vollständig im Rahmen der oberen Hälfte der folgenden Tabelle. Ein gutes Anwendungsbeispiel für skeptisches Denken, das es erlaubt Wissenschaft von Pseudowissenschaft zu trennen, bietet die Homöopathie.
Darüber hinaus möchte manch ein Skeptiker mehr Halt, auch sucht er nach einer Verbindung des Alltagsrealismus mit seiner Denkwelt: Wir sagen ja nicht: „Diese Erscheinung, der wir alle den Namen Tasse geben, enthält eine Erscheinung, die wir Tee nennen.“ Wir sagen: „Das ist eine Tasse Tee.“
Dieser Skeptiker – nicht jeder Skeptiker braucht das – erhält Halt durch Karl Raimund Popper, den wohl ein ähnliches Unbehagen mit der Realitätslosigkeit beschlichen hat. Er führt ein regulatives Prinzip ein, nämlich die Vorstellung einer Realität, an die sich der Forscher mit seinen Theorien immer stärker annähert. Dabei bleibt bei Popper offen, wie diese Realität aussieht und wie nah man bereits an ihr dran ist.
Diese Realitätsannahme erlaubte es, von einer Annäherung an die Wahrheit zu sprechen und von relativer Wahrheitsnähe. Diese Annäherung an die Wahrheit – ich habe sie durch mein Stöckchen-Beispiel veranschaulicht – entspricht genau dem Erkenntnisfortschritt, den Popper bereits in seinem kritischen Rationalismus beschrieben hat und der sich auch ohne Realitätsannahme genau fassen lässt.
Da sich die Realitätsannahme nicht prüfen lässt, gehört sie in das Reich der Metaphysik. Die Realität bleibt wesentlich unbestimmt. Der schwache Realismus Poppers erhält in der folgenden Tabelle ein Sternchen (*). Es steht für einen schwachen Anteil an Metaphysik.
Manch ein Skeptiker sucht nach mehr Gewissheit. Ihm steht der wissenschaftliche Realismus (Scientific Realism) des Hilary Putnam zur Verfügung. Er geht davon aus, dass sich die Wahrheit wenigstens approximativ bestimmen lässt. Und er behauptet, dass sich auch ein Maß für die Wahrheitsnähe finden lasse. Die Vorstellung, dass sich die Wahrheitsnähe an der Natur ablesen lässt, ist eine weitere metaphysische Hypothese. So etwas hat eine Art Offenbarung zur Voraussetzung. Deshalb: zwei Sternchen für diesen starken Realismus.
Noch weiter geht der Naturalismus. Er behauptet, dass es eine reale Welt gibt und dass diese auch – zumindest partiell – erkannt werden kann. Und er setzt auf das „Keine-Übernatur-Prinzip“: Die Welt ist kausal geschlossen und es gibt keine Wechselwirkung mit einer Übernatur. Das sind weitere metaphysische Hypothesen, sie sind drei Sternchen wert.
Die Tabelle ist analog zu den russischen Puppen-in-Puppen aufgebaut: Im Innersten steckt der Skeptizismus. Darüber kommen Kants und darauf Poppers Erkenntnissystem. Auch die Glaubenssysteme sind additiv zu sehen: Der Naturalismus impliziert den starken, und dieser wiederum den schwachen Realismus. Aber für alle bildet der kritische Rationalismus des Karl Raimund Popper die Basis. Deshalb stehen bei allen dieser Denksysteme in der letzten Spalte als Methode die kritische Prüfung und das Abgrenzungskriterium der Falsifizierbarkeit. Der Erwerb von Wissen wird immer darauf zurückgreifen.
Der Meinungsaustausch über Glaubensangelegenheiten bringt demgegenüber keinen Erkenntnisgewinn: Dort stehen unprüfbare Aussagen gegen andere, ebenfalls unprüfbare Aussagen. Zirkuläre Diskussionen sind die Folge.
Die Skeptikerbewegung
Die Skeptikerbewegung, die vor etwa 40 Jahren in den USA entstanden ist, bewegt sich gedanklich in dem von mir aufgezeigten Raster. Das Committee for Skeptical Inquiry (CSI) wurde 1976 – damals noch unter dem Kürzel CSICOP – gegründet mit der Zwecksetzung, einer unkritischen Akzeptanz und Verbreitung paranormaler Behauptungen entgegenzuwirken und zum kritischen und wissenschaftlichen Denken zu ermutigen. Die deutsche Skeptikerbewegung, organisiert in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), entstand etwa ein Jahrzehnt später, nämlich 1987.
Bereits in der Gründungsphase kam es zu einem bemerkenswerten Konflikt. Er zieht sich durch die gesamte Geschichte dieser Bewegung, in deren Verlauf es immer wieder zu Zerwürfnissen und spektakulären Austritten kam. Trotzdem blieb die Bewegung über die Zeit gesehen ziemlich stabil.
Damals ging es um eine Stellungnahme gegen die Astrologie. Diese „Objections to Astrology“ von 1975 wurden von 186 führenden Wissenschaftlern unterschrieben. Die konfliktträchtigen einleitenden Sätze dieser Erklärung sind die Folgenden: “Scientists in a variety of fields have become concerned about the increased acceptance of astrology in many parts of the world. We, the undersigned – astronomers, astrophysicists, and scientists in other fields – wish to caution the public against the unquestioning acceptance of the predictions and advice given privately and publicly by astrologers. Those who wish to believe in astrology should realize that there is no scientific foundation for its tenets.
In ancient times people believed in the predictions and advice of astrologers because astrology was part and parcel of their magical world view. They looked upon celestial objects as abodes or omens of the gods and, thus, intimately connected with events here on earth; they had no concept of the vast distances from the earth to the planets and stars. Now that these distances can and have been calculated, we can see how infinitesimally small are the gravitational and other effects produced by the distant planets and the far more distant stars. It is simply a mistake to imagine that the forces exerted by stars and planets at the moment of birth can in any way shape our futures.”
Die treibende Kraft hinter dieser Erklärung war Paul Kurtz, der bald darauf mit Gründung des Skeptikerkomitees auch dessen Vorsitz übernahm. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben ihm James Randi, Marcello Truzzi, Ray Hyman, Martin Gardner, Carl Sagan, Isaac Asimov. Weitere Wissenschaftler von Rang und Namen waren dabei.
Der berühmte Philosoph Paul Feyerabend („Anything goes“) monierte bereits den ersten Satz der Erklärung und verglich ihn mit der Einleitung zum Hexenhammer, einem berüchtigten Machwerk, das Kirchenleute über Hexerei informieren sollte: “The book has an introduction, a bull by Pope Innocent VIII, issued in 1484. The bull reads ‚It has indeed come to our ears, not without afflicting us with bitter sorrow, that in …‘ – and now comes the long list of countries and counties – ‚many persons of both sexes, unmindful of their own salvation have strayed from the Catholic Faith and have abandoned themselves to devils… ‚ and so on.”
Carl Sagan verweigerte die Unterschrift unter die Stellungnahme, weil er ihren Ton für autoritär hielt und er schreibt über seine damaligen Beweggründe: „Die Frage ist doch nicht, aus welchen unsicheren und rudimentären Wissensquellen die Astrologie stammt, sondern worin ihre gegenwärtige Gültigkeit besteht.“ Weiter meint Sagan: Dass wir uns keinen Mechanismus vorstellen können nach dem die Astrologie funktionieren könnte, sei sicher ein wichtiger Punkt, aber an sich noch kein überzeugendes Argument („Der Drache in meiner Garage“, Kapitel 17. Original: The Demon-Haunted World, 1996).
Ich erinnere daran, dass Isaac Newton einst auch auf dem Feld der Alchemie gearbeitet hat und daran, dass das heliozentrische Weltsystem, wie Karl Raimund Popper im 8. Kapitel seiner Vermutungen und Widerlegungen „Über die Stellung der Erfahrungswissenschaft und der Metaphysik“ schreibt, religiös-neuplatonische Wurzeln hat.
Ein Skeptiker der ersten Stunde, Marcello Truzzi, kennzeichnet die von Sagan angeprangerte Art des Skeptizismus so (1987): „Weil sich der Begriff ‚Skeptizismus‘ korrekterweise auf den Zweifel und nicht auf eine Verneinung (also einen Unglauben anstelle eines Glaubens) bezieht, sind Kritiker, die statt einer agnostischen eine negative Haltung einnehmen und sich trotzdem ‚Skeptiker‘ nennen, in Wirklichkeit Pseudoskeptiker.“
Der Naturalist, der seinen (Nicht-)Glauben in dieser Weise gegen die Homöopathie beispielsweise in Stellung bringt, ist ein solcher Pseudoskeptiker. Er pflegt eine Art „Skeptizismus für Faulpelze und Dummköpfe“: Anstatt sich in die Niederungen der wissenschaftlichen Arbeit zu begeben und sich mit Testplanung, Testauswertung und der Interpretation von statistischen Kennzahlen zu quälen, führt er einfach seinen Glaubenssatz „Es gibt keine Übernatur“ gegen die ebenfalls metaphysischen Begründungen der Homöopathieanhänger ins Feld. Das Beharren der Homöopathen auf „geistartige Kräfte“ steht dann der ebenfalls metaphysischen Aussage gegenüber, dass solche Kräfte zur Übernatur zu rechnen seien und dass es eine solche nicht geben könne.
Der Skeptiker muss nicht Naturalist sein. Aber nach meiner Kenntnis sehen sich wohl die meisten Skeptiker, die über derartige Grundlagen nachdenken, als Realisten oder Naturalisten. Aber in der praktischen Arbeit merkt man davon im besten Falle nichts. Ein gutes Beispiel ist der Psi-Test der GWUP, der seit einiger Zeit jährlich in Würzburg durchgeführt wird (skeptiker 3/2016, S. 125-129).
Zu diesen Tests mit Aussicht auf ein Preisgeld können sich Personen melden, die sich für Psi-begabt halten: Wünschelrutengänger, Wahrsager usw. Im vergangenen Jahr war unter den Kandidaten eine Homöopathin, die angab, Verunreinigung in Pflanzenerde erkennen zu können.
Die Versuchsleiter sind bekennende Naturalisten. Aber Metaphysisches wurde ausschließlich seitens der Kandidatin geäußert: Sie führt ihre Fähigkeit darauf zurück, dass sie ihre Informationen im Dialog mit „Besserwissern“ aus einer anderen Welt erfahren könne und dass sich richtige Antworten dadurch bemerkbar machten, dass es „wie Wellen durch meinen Körper“ gehe.
Davon geben sich die Versuchsleiter ziemlich unbeeindruckt und sie schreiten zur wissenschaftlichen Tat. Sie füllen zehn Petrischalen mit Blumenerde, in einer davon ist – für die Kandidatin unsichtbar – kontaminierte Erde. Die Kandidatin muss nun ihre Fähigkeit nachweisen, indem sie die Schale mit kontaminierter Erde herausfindet. Das wird dreizehn Mal gemacht. Schließlich hat die Kandidatin zwei Treffer zu verzeichnen, was sich sehr gut mit der Annahme verträgt, dass es ein Zufallsergebnis ist und dass sich ihre Psi-Fähigkeit zumindest hier nicht gezeigt hat.
Die Versuchsleiter belassen es bei dieser Mitteilung und überlassen es der Kandidatin, mit ihren „Besserwissern aus der anderen Welt“ zu hadern. So funktioniert guter Skeptizismus.
Beantwortung der Fragen und Diskussion
Wer sind diese Skeptiker? Jeder, der sich das kritische Hinterfragen zur Regel macht, insbesondere die Anhänger der Skeptikerbewegungen.
Seit wann gibt es sie? In den USA seit 1976 und in Deutschland, Österreich und Schweiz seit 1987.
Was untersuchen sie? Außergewöhnliche Ansprüche, die mit der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis unvereinbar scheinen.
Mit welchen Methoden tun sie das? Sie führen den Stand der Wissenschaft ins Feld; sie schauen nach, ob es bereits qualifizierte Testberichte zum Thema gibt und sie führen selbst Tests auf wissenschaftlicher Grundlage durch.
Wissen Skeptiker mehr? Besserwisserei ist dem Skeptiker fremd. (Beim Pseudoskeptiker bin ich mir da nicht so sicher.) Zu bevorzugen ist der dialogische Prozess der Erkenntnisgewinnung, wie das auf dem Feld der Wissenschaft üblich ist.
Handelt es sich um eine neue Religion? Auch wenn viele Skeptiker dem Glauben an den Naturalismus anhängen, ist diese „Religion“ nicht verbindlich. Solange man sich auf die wissenschaftliche Arbeitsweise verständigen kann, ist Pluralismus angesagt: Gottgläubige, Naturalisten, Agnostiker usw. – alle finden hier eine geistige Ankerstelle.
Woran glauben sie? An alles Mögliche, mancher auch an nichts oder fast nichts. Der Glaube setzt auf Behauptungen. Der Skeptiker hingegen setzt auf den Zweifel. Der gläubige Skeptiker gibt seinen Glauben an der Tür zum Labor ab. Dann geht es nur noch darum, Sachverhalte zu prüfen und nicht deren jenseitige Ursachen.
Darf ein Skeptiker auch Kirchenmitglied sein? Ein prominentes Gründungsmitglied der amerikanischen Skeptiker, Martin Gardner, hat sich zum Glauben an Gott bekannt, was ja bekanntlich mit dem Naturalismus unverträglich ist. Auch ein Kirchenmitglied kann Skeptiker sein.
Was sind für Skeptiker eigentlich Parawissenschaften? Alles, was sich als Wissenschaft ausgibt und diesen Anspruch nicht oder möglicherweise nicht einlösen kann.
In der Diskussion sprach ein Naturalist die Frage an, ob die „Keine-Übernatur-Hypothese“ nicht vielleicht doch falsifizierbar sei. Er meinte, wenn sich über ihm die Wolken auftäten und zwischen ihnen ein Bild Gottes (was auch immer er sich darunter vorstellt) erschiene, dann könne ihn das in seiner Ansicht schwanken lassen. Ich frage mich: warum eigentlich? Diese Erscheinung hat für ihn ja nur widerlegt, dass es nicht passieren könne, dass sich die Wolken teilen und zwischen ihnen ein Gottesbild erscheint. Weitergehende Schlüsse hinsichtlich einer Übernatur lässt die Beobachtung nicht zu. So lässt sich die Keine-Übernatur-Hypothese jedenfalls nicht widerlegen. Soweit ich sehen kann, entgeht sie unter allen Umständen der Falsifizierung. Sie ist nicht wissenschaftlich.
Nachtrag vom 11. Juni 2018
Der etwas skurrile Feodor-Text Skepsis, Wissenschaft und Skeptikerbewegung ist offenbar eine Replik auf den vorstehenden Artikel.
Was der Feodor-Text soll und inwieweit er sein Ziel erreicht, möge jeder Leser selbst herausfinden. Ich bin über sonderbare Begriffsbestimmungen gestolpert und habe mich über ein paar waghalsige Schlussfolgerungen gewundert. Mit den folgenden Bemerkungen habe ich versucht, das Ganze für mich in Reih und Glied zu bringen.
Die antike Skepsis verneint die Möglichkeit einer zureichenden Begründung („Letztbegründung“). Diese Auffassung ist ziemlich modern und prägt auch die heutige Wissenschaft.
Urteilsenthaltung ist keineswegs eine Konsequenz dieser Ansicht. Die antike Skepsis zeigt sogar, dass die Empfehlung einer universalen Urteilsenthaltung paradox ist (Markus Gabriel, Antike und moderne Skepsis, 2008, S.83 ff.).
Normale Wissenschaft unterliegt dem Wandel. Das Anomale steht definitionsgemäß im Widerspruch zur Normal-Wissenschaft. Folglich unterliegt auch die Auffassung vom Anomalen dem Wandel. Genau die Anomalien sind es nämlich, die den Fortschritt der Wissenschaft bewirken (Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. IX. Das Wesen und die Notwendigkeit wissenschaftlicher Revolutionen):
Wenn eine existierende Theorie den Wissenschaftler nur in Bezug auf existierende Anwendungen bindet, dann kann es keine Überraschungen, Anomalien oder Krisen geben. Aber gerade dies sind die Wegweiser, die den Pfad zur außerordentlichen Wissenschaft zeigen.
Ich halte es für einen Fehler, den wissenschaftlichen Skeptizismus über die normale Wissenschaft definieren zu wollen. Das wäre letztlich dogmatisch und dann doch wieder eine Art zureichende Begründung. Thomas Kuhn hat eine solche statische Auffassung von Wissenschaft jedenfalls nicht gemeint.
Die streng agnostische Annahme (am 12.6.18 umbenannt in streng skeptische Annahme) ist ein Popanz: Der Agnostiker enthält sich eines Urteils in Angelegenheiten der Metaphysik und nicht notwendigerweise auch im Allgemeinen. Der Skeptiker — meist in Personalunion — tut es ihm gleich.
Psi meint etwas Übernatürliches und wird beispielsweise der Gedankenübertragung und der Wünschelrutengängerei zugeschrieben. Das aber sind keine Anomalien. Diese Effekte verschwinden beim näheren Hinsehen. Und wo kein Effekt, da keine Anomalie. Für derartige effektfreie Bemühungen gibt es eine gut definierte Sammelbezeichnung: Pseudowissenschaft (oder Anwartschaft darauf).
Psi gehört ins Reich der Metaphysik und ist daher kein Thema für den Agnostiker. Folglich sind auch alle Gedankenspiele, in denen Psi vorkommt, für den Agnostiker sinnlos. Dasselbe gilt auch für den Skeptiker, denn der übt Urteilsenthaltung zwar nicht allgemein, jedoch in Angelegenheiten der Metaphysik und des Glaubens. Insofern ist er auch Agnostiker.
Nachtrag vom 2.8.2020
Aktuelle Hoppla!-Artikel zum Thema sind
Hier gibt es offenbar ein Missverständnis. Mein Artikel bezieht sich *nicht* auf den obigen Artikel. Parallelen in der Thematik ergeben sich nämlich ganz automatisch, wenn man sich mit dem gleichen Thema beschäftigt.
Eine Replik ist bei mir ganz anders strukturiert und sieht etwa so aus: http://feodor.de/node/12
Demnächst gibt es eine kleine (!) Überarbeitung des „skurrilen“ Textes. So wird z.B. der offenbar irreführende Terminus „’normale‘ Wissenschaft“ ersetzt, um das Problem der Homonymie mit dem Kuhnschen Terminus zu umgehen. Ich bitte um Geduld. Der Original-Link auf den Artikel ist: http://feodor.de/node/25
Oben wird auf eine lokale PDF-Kopie meiner Seite verlinkt.
Ich kann Timm Grams nur zustimmen, wenn er in einem Kommentar schreibt, dass „jeder Leser selbst herausfinden“ möge, welche Qualitäten ein Text hat.
Der Vollständigkeit halber weise ich auf den Hoppla!-Artikel GWUP: Esoterik durch die Hintertür hin – insbesondere auf die anschließende Diskussion. Dort war die Feodor-Replik bereits Gegenstand.
Manfred Feodor Körkel schreibt: „Solange Ψ nicht widerlegt sei, so Truzzi, müsse weiter geforscht werden.“
In dem zitierten Truzzi-Aufsatz geht es um außergewöhnliche Behauptungen empirischer Natur – um Anomalien also. Zu Psi konnte ich darin nichts finden.
Dass es Behauptungen gibt, die sich der wissenschaftlichen Prüfung entziehen oder die die wissenschaftlichen Tests nicht bestanden haben und erwarten lassen, dass sie diese auch zukünftig nicht bestehen werden, wird wohl auch Marcello Truzzi kaum bestritten haben. Er betonte sogar die Notwendigkeit von Urteilen auf unvollkommener Grundlage und er schrieb in seinem kurzen Text „On Pseudo-Skepticism“ von 1987: „Some proponents of anomaly claims, like some critics, seem unwilling to consider evidence in probabilistic terms, clinging to any slim loose end as though the critic must disprove all evidence ever put forward for a particular claim. Both critics and proponents need to learn to think of adjudication in science as more like that found in the law courts, imperfect and with varying degrees of proof and evidence.“
Im Laufe der weiteren Diskussion drängte sich mir der Gedanke auf, dass gewisse Leute versuchen könnten, entlang der Argumentationslinie des Feodor-Papiers das unliebsame Etikett „Pseudoskeptiker“ loszuwerden.
Sie könnten starten mit diesem Zitat: „Mario Bunge merkte an, dass radikaler und konsequenter Zweifel zum skeptischen Paradoxon führt: Da der Skeptiker keine Argumente abwägen kann, weil ihm nichts als unmöglich gilt, sind ihm naivste Vorstellungen und bewährteste Theorien völlig gleichwertig.“ Konsequenter Zweifel hieße dann, an allen Konzepten gleichmäßig zu zweifeln.
So etwas macht aber niemand. Jeder wägt irgendwie ab. Insbesondere der Skeptiker Moses Maimonides legt auf den abgewogenen Zweifel allergrößten Wert. Davon ist im Hoppla!-Artikel Basics für Skeptiker die Rede.
Da es den wahren Skeptiker im Sinne von Mario Bunge nicht gibt, würde jede skeptische Regung zum Pseudoskeptizismus erklärt; damit wäre dann der Begriff des Pseudoskeptikers endlos verwässert. Der Begriff würde letztlich aus dem Diskurs eliminiert. Man bräuchte ihn nicht mehr zu fürchten.