Zeitenwende

Relativist oder Wahrheitssucher

In meinen 15 Jahren bei der Skeptikerbewegung habe ich eine Menge gelernt. Am Anfang stand für mich die erste kantsche Frage: Was kann ich wissen? Darüber gerieten zwei Parteien in Streit: die Relativisten und die Wahrheitssucher. Relativismus ist in diesen Kreisen ein Schimpfwort. Ich gestehe, dass ich mich dieser Partei zurechnen muss. Ich habe gelernt zu differenzieren. Herausgekommen ist eine Ehrenrettung des Relativismus.

Wenn von Relativismus die Rede ist, denkt kaum noch jemand an Protagoras („Der Mensch ist das Maß aller Dinge“), eher kommt einem Einsteins Relativitätstheorie in den Sinn. Damals wie heute: der Relativismus verweist auf die Grenzen unserer Erkenntnis.

Der Relativismus sieht die Wahrheit von Aussagen, Forderungen und Prinzipien grundsätzlich als von etwas anderem bedingt an. Nehmen wir beispielsweise die Mathematik: Die Wahrheit eines Satzes hängt immer von Axiomen und von vorab postulierten Rechenregeln ab. Ein Mathematiker wird niemals fragen, ob diese Axiome in einem höheren Sinne wahr sind, ob sich ihre Wahrheit aus einem kosmischen Gesetz ergibt. Er setzt sie einfach als wahr voraus. Und solange sich kein Widerspruch daraus ergibt, ist das auch in Ordnung. Derartige Axiomensysteme sind nicht einander gleichwertig. Es gibt bessere und schlechtere und sogar völlig ungeeignete. Für einen Ingenieur oder einen Naturwissenschaftler hängt ihr Nutzen davon ab, was man damit erklären kann, das heißt, welche Beziehung zwischen physikalischen Größen sie herzustellen gestatten.

Insofern ist der Mathematiker ein Musterbeispiel für einen Relativisten. Obwohl Wahrheit für ihn ein Begriff ist, sucht er nicht nach der allumfassenden Wahrheit. Er versucht nicht, das Wesen dieser Welt zu ergründen. Extreme Exemplare dieser Spezies verlangen von ihren Gedankengebäuden sogar, dass sie keinerlei Nutzen haben, so wie Godfrey Harold Hardy: „Ich habe nie etwas gemacht, das ‚nützlich‘ gewesen wäre. Für das Wohlbefinden der Welt hatte keine meiner Entdeckungen – ob im Guten oder im Schlechten – je die geringste Bedeutung, und daran wird sich vermutlich auch nichts ändern. Ich habe mitgeholfen, andere Mathematiker auszubilden, aber Mathematiker von derselben Art, wie ich einer bin, und ihre Arbeit war, zumindest soweit ich sie dabei unterstützt habe, so nutzlos wie meine eigene.“ Mathematik, die ein Ingenieur voller Stolz anwendet, bedeutet Hardy nichts; er nennt sie „trivial“ (Davis, Hersh, 1985, S. 85).

So gesehen ist Mathematik Relativismus in Reinstform. Sie ist geradezu das Gegenteil von Wahrheitssuche im großen Maßstab. In ihr geht es nicht um die Erkenntnis des Wesens dieser Welt, nicht um das Absolute.

Naturalisten und Realisten behaupten unermüdlich, dass die Hauptaufgabe des Wissenschaftlers das Streben nach Wahrheit sei. Wahrheit ist für sie die Übereinstimmung unserer Aussagen mit dem was ist. Sie geben zu, dass es Wahrheitskriterien nicht gibt. Zur Beschreibung dessen, was ist, haben sie nur die Aussagen der Wissenschaft zu bieten. Wahrheit wäre demnach die Übereinstimmungen der Aussagen mit genau diesen Aussagen. Das finde ich unbefriedigend.

Es ist wohl eher so: Der Wissenschaftler strebt nach Erkenntnis, nicht aber nach der Wahrheit. Unsere Erkenntnis, unser Wissen setzt sich aus all den Hypothesen zusammen, die eine strenge Prüfung bestanden haben. Also auch in der Wissenschaft gibt es keine unbedingten oder absoluten Wahrheiten. In der Wissenschaft kommt der Relativismus darin zum Ausdruck, dass unter konkurrierenden Theorien immer die besser bestätigte gewinnt. Also: sowohl in der Mathematik als auch in der Wissenschaft gibt es keine voraussetzungslose Erkenntnis oder Wahrheit. Alles ist relativ.

In Mathematik und Naturwissenschaft kann man von Wissensfortschritt sprechen. In der Wissenschaft werden Theorien durch bessere ersetzt. In der Mathematik kommt mit jedem Erkenntnisschritt nur etwas hinzu, vorausgesetzt dass nichts vergessen wird. Da der Wissensumfang immer größer wird, stellt sich früher oder später das Problem, dass Wissen – unter anderem aufgrund schlechter Kopien  – verschüttet wird und damit unauffindbar bleibt. Dann geht doch etwas verloren.

In Mathematik und Wissenschaft haben wir es mit einer Aufwärtsbewegung und zuweilen mit einer Abwärtsbewegung zu tun. Ganz anderes auf dem Gebiet der Moral. Dort geht es nicht auf und ab, sondern eher hin und her.

Was soll ich tun?

Der wissenschaftliche Fortschritt sorgt für veränderte Lebensverhältnisse und Moralvorstellungen. Die Moralvorstellungen früher Generationen mögen aus der Mode gekommen sein – schlechter als unsere sind sie deshalb nicht.

Jeder fragt sich wohl irgendwann einmal, was der Sinn des Lebens ist. Was sind die Werte, die für uns alle verbindlich sind? Meine Antwort ist lapidar: Der Sinn des Lebens ist das Leben, weiter nichts. Sogar einem Empiriker wie Ian Morris ist das zu wenig. Er rechnet zu den menschlichen Grundwerten Fairness, Gerechtigkeit, Liebe und Hass, Selbstschutz und die gemeinsame Vorstellung, dass manche Dinge heilig sind. Für ihn sind das aber keine unverrückbaren Wahrheiten, sondern sie werden in Abhängigkeit von den sich ändernden Lebensverhältnissen unterschiedlich interpretiert. Das ist zweifellos ein relativistischer Standpunkt („Beute, Ernte, Öl“. 2015, S. 315). Passenderweise zitiert er Bert Brecht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Seine Theorie der moralischen Flexibilität macht er an drei aufeinander folgenden grobkörnigen Kulturen deutlich, derjenigen der Wildbeuter (Jäger und Sammler), der Bauern und der Fossilenergienutzer (Industriegesellschaft).

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Jede der heutigen demokratischen Parteien hat diesen Wahlspruch in irgendeiner Form in ihr Programm übernommen. Morris lenkt den Blick auf die letzten beiden Werte und fragt, wie Ungleichheit und Gewalt von den ins Auge gefassten Gesellschaften jeweils interpretiert und akzeptiert werden.

Wirtschaftliche Ungleichheit war unter Wildbeutern kein großes Thema, anders als in der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft, in der Eigentum akkumuliert werden konnte, das geschützt werden musste. Wirtschaftliche Ungleichheit, Hierarchien und Herrschaft wurden die Regel.

Arm und Reich

In der heutigen Gesellschaft der Fossilenergienutzer werden die negativen Werte auch tatsächlich als schlecht bewertet, mit einer Ausnahme: Wirtschaftliche Ungleichheit wird durchaus akzeptiert und sogar als Zeichen der Freiheit begriffen (Hayek, 1944/2007). Laissez-faire-Liberale und insbesondere Neoliberale sprechen am liebsten von Chancengleichheit. Das macht sich gut und es ist lastenfrei: Chancengleichheit ist ein sehr biegsamer und vager Begriff. Dafür muss sich der Staat nicht großartig ins Zeug legen (Mearsheimer, S.45; Morris, S. 164). Was den Politiker vor allem interessieren muss, ist die Ergebnisgleichheit und ihr Gegenstück, die Ergebnisungleichheit. Eine der Aufgaben der Wirtschaftspolitik ist, das richtige Maß an Ungleichheit zu finden.

Przeworski schreibt, dass es zu Beginn der Demokratie die Trennung von Arm und Reich gab und dass diese auch konstituierend ist. Reich regiert, Arm schafft. In Großbritannien wurde das allgemeine Wahlrecht erst 1918 eingeführt. Vorher war es den Begüterten und dem Adel vorbehalten. Frauen mussten auch dann noch eine Eigentumsqualifikation vorweisen.

Ein Argument für die Deregulierung der Märkte ist, dass dadurch zwar die Ungleichheit wächst, aber dass vom so bewirkten allgemeinen Wachstum auch für die Ärmsten etwas abfällt.

Wohin des Wegs?

Die Werte sind wandelbar. Wir haben keinen Anlass, von universalen und unveränderlichen Werten auszugehen oder auch nur zu vermuten, dass uns die Wissenschaft zu besseren Menschen macht, wie Michael Shermer uns einzureden versucht.

Wären Wachstum und Moral tatsächlich derartig eng miteinander verknüpft, dann könnte man erwarten, dass mit einem Wachstum der Wissenschaft ein entsprechender Zugewinn an Moral einhergeht. Es gibt eine Vielzahl an Beispielen, die zeigen, dass es eine solche Verknüpfung nicht gibt. Wir brauchen nur auf die Kommunikationskultur im Internet zu schauen.

Andererseits sehen wir, dass das Zeitalter der fossilen Energien nach nur zwei Jahrhunderten zu Ende geht. Die Werte der freiheitlichen Demokratien verlieren ihre Tragfähigkeit. Aber was kommt danach? Von welchen Werten wird die postindustrielle Gesellschaft getragen? Ian Morris meint, dass wir das erst wissen können, wenn sich die Lebensverhältnisse bereits geändert haben. Eine illiberale Demokratie, wie sie Viktor Orbán vorschwebt, gehört jedenfalls nicht zu den Denkunmöglichkeiten (Przeworski, 2020, S. 17). In nicht allzu ferner Zukunft könnte es ziemlich ungemütlich werden, gemessen an den heutigen Standards der westlichen Welt.

Ergänzung, 4. August 2022:

Im 11. Kapitel seines Buches The Road to Serfdom beschreibt Friedrich August von Hayek, wie der Wahrheitsbegriff in totalitären Regimen verdreht wird:

The word „truth“ itself ceases to have its old meaning. It describes no longer something to be found, with the individual conscience as the sole arbiter of whether in any particular instance the evidence (or the standing of those proclaiming it) warrants a believe; it becomes something to be laid down by authority, something which has to be believed in the interest of the unity of the organized effort and which may have to be altered as the exigencies of this organized effort require it.

Literatur

Davis, Philip J .; Hersh, Reuben: Erfahrung Mathematik. 1985

Hayek, Friedrich August von: The Road to Serfdom. 1944/2007

Mearsheimer, John Joseph: The Great Delusion. Liberal Dreams and international realities. 2018

Morris, Ian: Beute, Ernte, Öl. Wie Energiequellen Gesellschaften formen. 2015

Przeworski, Adam: Krisen der Demokratie. 2020

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33 Antworten zu Zeitenwende

  1. nicht der echte Scheer Hermann sagt:

    Now we are talking :-)

    Bei der medialen (Des)(Über)informations Kulisse die um uns rum im „Sinne der Wahrheit“ aufgebaut/etabliert wurde, was können wir da noch als Wahr oder Falsch bewerten.

    Wer von uns, kann als biologisch/menschliches Staubkorn auf dieser Welt, was wir immer noch sind im Vergleich zur Kugel, alles nachrechen oder prüfen?

    Viele Dinge lassen sich ja nicht mal rechnen im Sinne von Formeln und damit hat es sich.
    Gerade die politischen Themen, je nach Lebenseinstellung/Erfahrung sieht doch jeder im Kopf etwas anderer es, legt es sich anders zurecht oder biegt oder interpretiert.

    Sprache ist unglaublich einfach zu manipulieren, wir selbst sind durch Wörter, Sprache, mediale Artikel Bilder Videos doch unglaublich leicht zu manipulieren, jeder glaubt doch am Ende in diesem postfaktischen Zeitalter, was er er gerne glauben will.

    Es ist zehn Jahre her das ich in Australien war und was hab ich von dem Land gesehen?
    Fast nichts, vielleicht steht es schon nicht mehr.
    Vielleicht befinden wir uns schon in einer ähnlichen virtuellen Desinformationsblase wie in der Trumann Show, viele Menschen sitzen doch nur noch vor ihren Smartphones oder Computern, und selbst wenn sie rausgehen, dann flitzen sie nur mit Autos/Flugzeugen (egal ob ein CO2 Closed loop E Auto oder einem Verbrenner) durch die Lande und meinen dann sie hätten die Welt gesehen.

    Alleine unsere Sinnesorgane sind nur fähig langsame Geschwindigkeiten beim Fahrradfahren oder Wandern zu verarbeiten. 24 Bilder/Sekunde oder?

    Ich war mir bis vorgestern sicher die Saudis bauen in großem Stil Solar und PV aus, bin ich mir heute nicht mehr so ganz ;-).
    Vielleicht pressen sie auch den letzten tropfen Fracking Gas und Öl raus wenn man OurworldinData und den Energy Footprint von Ländern vergleicht…
    Vielleicht bildet sich ein fossiler Energieträger wie Öl oder Kohle schneller nach als uns gelehrt wurde, ich bin kein Chemiker.

    Fakt ist wohl nur, Energie ist leben und Wohlstand und idealerweise täten wir im Sinne der Negentropie gut daran endlich die solare Energie zu nutzen in Echtzeit und nicht immer die über viele Jahrtausende(stimmt das überhaupt) entstandenen fossil/atomaren Quellen auszubeuten.

    Aber weis ich es wirklich, ganz genau bis ins letzte Detail?
    Ich denke nicht…..
    Ich mag ja dazu eher Wittgenstein:
    https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_Gewi%C3%9Fheit

    Mein Fazit:
    Ich weiß das ich nichts weiß, und ich lasse mir aber definitiv keine Lebenszeit mehr durch die Aufmerksamkeitsökonomie stehlen, fällt morgen der Meteorit vom Himmel oder die (Atom)bombe explodiert, dann werde ich es definitiv mitbekommen.

    Glücklose Think Tanks wie die GWUP und ihre Schreiberlinge sind doch selbst das beste Beispiel, sie sind Opfer ihrer eigenen Aufmerksamkeitsökonomie.
    :-)

    Ansonsten ist doch unser reales kurze Leben viel zu schön um es im digitalen Müllhaufen zu verbringen.

    Das schönste an diesem „freien demokratischen“ Land ist, wir können und dürfen uns (limitiert durch gesetzliche und „moralische“ selbst auferlegte Regeln) frei entscheiden.

    Und das ist gut so!

    P.S. ich geh wieder mehr zu fuss und fahre mit dem Rad… und es ist wunderschön um uns rum jetzt 25.7.22 ist es ein bischen sehr warm, aber im Winter wird mir wieder kalt genug werden…

    Beobachten wir weiter, genießen den Zustand und blicken skeptisch hoffnungsvoll das es am Ende immer etwas besser wurde in die Zukunft und geben unser Bestes dafür.

  2. Sonnenstratege sagt:

    https://youtu.be/B-29RrgdF_A
    und
    https://youtu.be/15DspfSsTXs

    Wir müssen das mit der Energiewende nur machen und umsetzen…

    Insbesondere der erste Vortrag beleuchtet auch die aktuellen Entwicklungen Ukraine und Energie und weltpolitik mit.

    am Ende geht es uns allen gut mit solarer Energie oder niemand mehr…

    Jahrhundertprojekt voraus…..

    Die weltweite Dimension ist unvorstellbar, ich muss es in meinem Kopf in kleine häppchen und EU aufteilen…

  3. Bloggeist sagt:

    Statt Wahrheit ja/nein können wir auf Wissen ja/nein umstellen. Wissenschaftliches Wissen ist begründetes Vermuten auf dem letzten stand der Erkenntnistheorie. Das mag dann dahin anzweifelbar sein, dass es immer noch nicht den Wahrheitsanspruch hat, aber Alternativen sind trotzdem dürftig. Es bliebe auch jedem selbst überlassen, ob er den letzten Wissensstand als Wahrheit definiert, man bräuchte darüber nicht länger streiten.

    • Timm Grams sagt:

      Ja, das kann man so machen. Das ist die relativistische Auffassung. Karl Raimund Popper spricht in diesem Zusammenhang von relativer Wahrheitsnähe. Wahrheit in diesem Sinne ändert sich mit dem Erkenntnisfortschritt. Aber genau das ist es, was die Wahrheitsucher, von denen ich rede, nicht akzeptieren können. Für sie ist Wahrheit etwas Unveränderliches, gegeben durch die – wie sie meinen – ewigen und unwandelbaren Naturgesetze.

  4. Kalle sagt:

    Zitat:
    „Für sie ist Wahrheit etwas Unveränderliches, gegeben durch die – wie sie meinen – ewigen und unwandelbaren Naturgesetze.“

    Haben das die Leute bei der GWUP auch mal zur Kenntnis genommen? Dort scheint egal was, durch Studien untermauert sein zu müssen, selbst denken und anerkennen, dass in 2022 immer noch nicht alles zähl- mess- und wiegbar sein kann/muss scheint dort nicht mehr zu anzukommen und alles was nicht ins eigene Welt und Meinungsbild passt wird zumindest in dem Blog wegignoriert. Die Beweggründe dafür sind mir unklar.

    Haben Sie das dort auch immer wieder zum Thema gemacht?
    Verstehe ich das so richtig?

  5. Mussi sagt:

    Wie wäre es mal mit ‚ja UND nein‘? Was wäre dann?

  6. Mussi sagt:

    Ich bin,das ist eine absolute Wahrheit. Ich bin aber auch Zeit und Raum bzw. Quantenmechanik,relativ.
    Mir drängt es nur zu auf,dass wir den Phasenwechsel nicht fassen können.

    Hegel kannte Einsteins Äquivalenzprinzip nicht.

    Wir bewegen uns an der Grenze zu negativer und positiver Logik,auch lapidar in positiven oder negativen Denken,könnte man auf Hegels Dialektik übertragen oder bereits auf den Daoismus.
    Das MPG hat im April veröffentlicht,die elektrische Synapse vernachlässigt zu haben.

    • Timm Grams sagt:

      Hegels Umgang mit den Antinomien, Einsteins Äquivalenzprinzip, der Gegensatz von Sein und Nicht-Sein als Grund des Seins, Quantenmechanik und elektrische Synapsen: alle Bröckelchen in einen Topf und gut verrühren. Damit kann ich nicht viel anfangen. Mich interessiert, was genau Sie als Gemeinsamkeiten sehen und wo es Unterschiede gibt – ganz konkret und mittels Literaturstudium nachvollziehbar. Mir würde helfen, wenn sich das auf ein oder zwei Gedankenstränge konzentrieren ließe.

  7. Mussi sagt:

    Lediglich auf die Wechselwirkung der Aussagenlogik an sich.

  8. Mussi sagt:

    Wenn ich das richtig verstehe, dann haben die Adjunktion, Disjunktion und Implikation Kategorien für Sie für sich.
    Aber sie wechselwirken. Das war auch Gödels Problem.

    Sie wechselwirken in der Praxis, aber nie in der Theohrie, weil wir den Phasenwechsel nicht beschreiben können,im Zeipfeil.

    Konsequenz: es ist unlösbar

    • Timm Grams sagt:

      Bevor wir weiter diskutieren, sollten wir uns erst einmal darauf einigen, was wir unter Kausalität verstehen wollen. Dann können wir uns den konkreten Aussagen widmen – beispielsweise von Gödel und belegt durch Zitate.

  9. Mussi sagt:

    Auch Sie trennen Diesseits und Jenseits.
    Ich versuche die Verbindung.
    Ich sehe eine Deckung in der Aussagenlogik und der Fundamentalen Wechselwirkung als grundlegendst.

    Wenn ich das richtig überblicke,hat die westliche Philosophie über die ‚Spaltung‘ von Jenseits und Dieseits versucht Zugang zur Welt zu finden. Die ‚Fusion‘ beider ergibt Ihre Wirklichkeit. Spaltung und Fusion sehe ich komplementär.
    So sehe ich auch Wechselwirkung!

    • Timm Grams sagt:

      Sie schreiben:

      Wenn ich das richtig überblicke, hat die westliche Philosophie über die ‚Spaltung‘ von Jenseits und Dieseits versucht, Zugang zur Welt zu finden. Die ‚Fusion‘ beider ergibt Ihre Wirklichkeit. Spaltung und Fusion sehe ich komplementär. So sehe ich auch Wechselwirkung!“

      So mögen Sie das sehen. Anders als Sie hier unterstellen, hat die Fusion von Jenseits und Diesseits in meinen Vorstellungen keinen Platz.

      Im Hoppla!-Artikel Der Realismus erklärt nichts schreibe ich dazu:

      Wenn wir für eine Erscheinung eine Begründung im Jenseits suchen, können wir wieder nur auf Erscheinungen, also auf Diesseitiges, zugreifen. Das Diesseits definiert den Bereich und die Grenze unseres Denkens. Wir drehen uns im Kreise.

  10. Mussi sagt:

    Eben,ich bin ja bei Ihnen.Sie haben meine Zustimmung nicht herausgelesen. Ich komme nur zu einem anderen Ergebnis.
    Beispiel: Wenn wir standardmäßig den Goldenen Schnitt nehmen,dann sehe ich übertragen die Aussagenlogik und die Fundamentale Wechselwirkung in Deckung.
    Die wesentlichste Deckung ist der Phasenwechsel mit dem Paradoxon als Zentrum der Logik. Es wäre eine ’neue Ansicht/Definition‘ der Komplementarität.
    Ich löse mich von Bohr und Welle-Teilchen und verorte es in die wirklich unterste Ebene.
    Zum Paradoxon/zur Ambivalenz gehört eben die zumindest ‚Zweiheit‘ eines Umstandes.
    Das ist die Regression.
    Meine Lösung ist lediglich anders begründet als Ihrer und somit sehe ich Wahrheitist und Relativist als beides für existent.
    Genau hier befinden wir uns nach meiner Ansicht an der Grenze zwischen Wissen und Glauben.

  11. Mussi sagt:

    Was soll man da zitieren, wenn die Synthese aus Göbel und Einstein die Gleichzeitigkeit von: Gott würfelt nicht und Gott würfelt doch ist?

  12. Mussi sagt:

    Der Relativismus begründet seine eigene,somit grundsätzliche, Wahrheit.
    Frage in die Runde: wer akzeptiert seine eigene Bedingheit?

  13. Mussi sagt:

    Man…Grams…
    Sie begründen sich selbst und merken es nicht

    Dilemma der Wissenschaft: in diesem Fall ist ‚Klüger irren‘ ein fail.

  14. Timm Grams sagt:

    @Mussi
    Sie versuchen, ein Wahrheitsbekenntnis aus mir herauszuquetschen. Das ist schon Martin Mahner und Manfred Feodor Körkel misslungen. Zur Erinnerung: Der Agnostiker weiß nichts von einer unbedingten Wahrheit. Er weiß noch nicht einmal, ob es eine solche nicht gibt. Insofern bin ich meinem Plagiator dankbar. Er hat meinen Buchtitel gemopst und ich hatte dadurch Gelegenheit von „Klug irren will gelernt sein“ auf „Klüger irren – Denkfallen vermeiden mit System“ umzusteigen. Letzterer trifft meine Absichten viel besser. Er ist relativistisch.

  15. Mussi sagt:

    Nochmal: wenn Relativismus gilt, ist er wahr. Oder?

  16. Mussi sagt:

    Ja, da liegen wir auseinander: das Dieseits ist Physis = Psyche, wie dargelegt.

    • Timm Grams sagt:

      Mit dem Satz „Alles ist relativ“ ist kein absoluter Wahrheitsanspruch verbunden. In einem Denkrahmen, in dem die Logik gilt und Selbstbezüge erlaubt sind, ist der Satz „Alles ist relativ“ gültig. Er ist also selbst relativ und keineswegs paradox.

  17. antireichsbürger sagt:

    Zum Thema Fakt oder Fiktion:

    https://www.heise.de/tp/features/Was-ist-und-soll-eigentlich-unsere-Demokratie-7443507.html

    (Moderator: Redaktionell bearbeitet.)

    • Timm Grams sagt:

      Wie von Antireichsbürger angedeutet und von Timo Rieg in seinem Heise-Artikel ausgeführt, ist die Demokratie in der Krise. Die Grundforderung eines hinreichend aufgeklärten Volkes ist nicht erfüllt. Schon die Minimalbedingung, dass die Aufklärung wenigstens auf dem Vormarsch ist, wird verfehlt. Der grenzenlose Informationsmarkt führt in die Beliebigkeit. Die Lauten und die Reichen dominieren.

      Um sie zu retten, muss die Demokratie neu gedacht werden. Auf spielerische Weise bin ich, der Amateursoziologe, auf die Idee gekommen, die Entscheidungsträger nicht zu wählen, sondern auszuwürfeln. Nun habe ich einen Artikel gefunden, der diese Idee unter dem Begriff aleatorische Demokratie präzisiert:

      https://www.boell.de/de/2011/11/02/repraesentative-partizipatorische-und-aleatorische-demokratie

    • antireichsbürger sagt:

      das Thema wurde mir auch schon öfter angedient,

      ich sehe das gerade heute in den sehr komplexen themen ziemlich kritisch, da gewürfelte Leute in der spitzenpolitik zu haben…

      habeck und lauterbach erscheinen mir sehr kompetent!

    • Timm Grams sagt:

      Für mich stellt sich schon die Frage, wie wir den Einfluss des Geldadels auf die Parlamente transparent machen und vielleicht sogar reduzieren können. Der Artikel von Hubertus Buchstein zeigt, dass Reformen im Sinne einer aleatorischen Demokratie auch im Rahmen unserer westlichen Demokratien möglich sind.

    • John Solar sagt:

      ja beim Geldadel, der gerade um sein Überleben und seine Wohlstandssicherung kämpft aber im Egoistischen Sinne gehe ich mit.

      Diesen Damen und Herren gehört langsam richtig eins zwischen die Hörner… but we are working on it…. und auch hier kann ich nicht alle über einen Kamm scheren, evtl. gehört auch mal eher den ganzen Beratern/Consultern/Steuertricksern Wirtschaftsprüfern usw mal gehörig auf den Sack, den profitlobbyisten auch…

    • Timm Grams sagt:

      Aktuelles zur aleatorischen Demokratie:
      Bundestagspräsidentin Bas sieht in „Bürgerräten eine Möglichkeit, das Vertrauen in die Politik wieder zu stärken und die Demokratie zu beleben.“

    • Timm Grams sagt:

      @antireichsbürger  3. Januar 2023 20:29 Uhr

      Sie schreiben

      ich sehe das gerade heute in den sehr komplexen themen ziemlich kritisch, da gewürfelte Leute in der spitzenpolitik zu haben

      Ein Freund meint ebenfalls, dass „Lösungsansätze nicht dem Zufall überlassen werden (können)“. Zunächst einmal das: Es geht nicht um Spitzenpolitiker, sondern um Bürgerforen. Die aleatorische Demokratie will ja den Bindungen an Lobbyisten entgehen durch Zufallsauswahl aus der betroffenen Bevölkerung. Diese Zufallsauswahl hat zwar ein Zufallsergebnis zur Folge. Dieses kann aber ein verlässlicheres Abbild des Volkeswillens sein als ein durch Lobbyismus bestimmtes. Je größer die Gruppe ist, umso genauer ist das Ergebnis.

      Ich mache es mal am Würfel klar: wenn Sie einmal würfeln, kommt als „Mittelwert“ ein Zufallsergebnis zustande und der Mittelwert ist genau dieser Wert: 1, 2, 3, 4, 5 oder 6. Dabei ist der eigentlich zu ermittelnde Erwartungswert gleich 3,5. Die Standardabweichung ist sehr groß, nämlich etwa gleich 1,7.

      Wenn Sie hundertmal würfeln, ergibt sich ein Mittelwert von etwa 3,5 und die Standardabweichung reduziert sich auf ein Zehntel, nämlich 0,17. Nach den Regeln der Statistik liegen 95% der Werte nicht weiter als die zweifache Standardabweichung vom Erwartungswert entfernt. Für die „Gruppe“ aus einem Mitglied, von denen jedes (nämlich genau eins) der Mitglieder seine Aussage erwürfelt, lässt sich also keiner der möglichen Werte von 1 bis 6 ausschließen. Bei der Gruppe aus 100 Mitgliedern wird der ermittelte Wert mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen 3,16 und 3,84, also nahe am gesuchten Erwartungswert liegen.

      In meiner Veranstaltung Problemlösen haben wir alle Probleme mit evolutionären Optimierungsverfahren, also durch konsequente Nutzung des Zufalls gelöst. Einer meiner Studenten zweifelte an der Genauigkeit des Verfahrens. Ein Computerexperiment konnte ihn dann davon überzeugen, dass das „Zufallsergebnis“ durch deterministische Verfahren nicht zu verbessern ist. Das numerische Rauschen des Computers setzt dem Erreichbaren eine Grenze und es ist gleichgültig, ob man sich dieser Grenze deterministisch oder per Zufall nähert.

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