Chaos wird zur Regel

Den Schrotthaufen Internet fand ich bisher ganz lustig. Es gelang mir, Abstand zu halten. Seit der 100-Tage-Rede von Donald Trump in Michigan am 29.4.25 wird mir aber angst und bang. Ich bekomme das Gefühl, in eine Jauchegrube hineingezogen zu werden.

Oh ja. Propaganda gibt es schon lange. Sie wurde in den USA verfeinert und zur öffentlichen Sache gemacht. Der Aufgeweckte lernte, sie zu durchschauen. Was neu ist: Das Rabaukentum des Internets. Es prägt inzwischen die gesamte Nachrichtenwelt.

Wir schauen das an und fragen dann, wie wir uns helfen können. Beginnen wir mit dem allgegenwärtigen Bullshit.

Bullshit

Mit dem Buch gleichen Titels habe ich mich im Artikel Kontrastbetonung beschäftigt und bin dabei auf ein Paradoxon gestoßen: Für den Autor Harry Frankfurt  existiert eine objektive Realität, derzufolge man die Wahrheit erkennen und folglich Bullshit entlarven kann. Für mich ist das Bullshit.

Wir befinden uns in der Lage des Barons von Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht. Freilich geht das nicht. Möglicherweise liegen aber ein paar mehr oder weniger brüchige Ästchen herum, die etwas Halt bieten.

Beutelschneiderei

Wer sich unvorsichtig im Internet bewegt, der wird sehr schnell zugemüllt. Vieles davon ist einfach nur trostlos, anderes nur langweilig, da ist der sensationell aufgemachte Flachkram. Auch die raffinierten Beutelschneider sind im Internet unterwegs. Ein Freund fragt mich: Was sagst du dazu? Er verweist auf ein Video mit dem Titel »Skandal in der Sendung: Gregor Gysi entlarvt Alice Weidels Geheimnis in Sandra Maischbergers Sendung.« Ich schaue mir das ganze ein paar Sekunden lang an. Spätestens bei diesem Satz ist meinen Argwohn geweckt:

Gregor Gysi, der bekannte Linkspolitiker und Meister der scharfen Zunge, drückte AfD-Chefin Alice Weidel an die Wand. Live im Fernsehen zwang er sie, das Geheimnis ihres finanziellen Erfolgs zu lüften.

Welcher Unbekannte will mich hier reich machen? Die Internetadresse des Beitrags ist jedenfalls nicht ARD 1 und Maischberger hatte nie Weidel und Gysi zugleich im Studio.

Derartige Bauernfängerei ist plump und ziemlich leicht zu durchschauen, dennoch richtet sie – so wird berichtet – großen Schaden an.

Chaotisierung

Unsere Demokratie basiert auf der Illusion, dass wir alle fähig sind, politische Konzeptionen zu verstehen und zu beurteilen.

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Donald Trump verteufelt die Globalisierung – aus den falschen Gründen

Im Hoppla!-Blog soll es auch um Unterhaltungsmathematik gehen. Einige Puzzles habe ich bereits gebracht. Heute wird es ernst. Ich bringe einen Gedanken, den der aktuelle Spiegel unter dem Titel »Was Donald Trump von David Ricardo lernen könnte« gebracht hat (DER SPIEGEL Nr. 18/26.4.2025). Ich sag’s einmal in meinen Worten: Zwei Länder erzeugen ein Produkt X. In einem ist die Produktivität je Person gleich x1 und in dem anderen Land gleich x2. Für ein weiteres Produkt Y sind die Produktivitäten gleich y1 bzw. y2. Die beiden Länder wirtschaften jedes für sich allein und die Beschäftigtenzahlen in den beiden Sparten mögen für ein ausgeglichenes Wirtschaftsergebnis sorgen. Wir nehmen nun an, dass die Produktivitäten je Produkt in den beiden Ländern unterschiedlich sind. Unter welchen Bedingungen lohnt sich ein Warentransfer?

Für einen Gesamtzugewinn, der dann zwischen den Ländern aufgeteilt werden kann, kann es sich lohnen, im ersten Land d1 Personen von der Y-Produktion in die  X-Produktion zu versetzen und im zweiten Land d2 Personen von der X-Produktion in die Y-Produktion. Gesucht ist eine allgemeine formelmäßige Bedingung dafür, dass der Warenaustausch für beide Länder gewinnbringend ist. Das heißt, dass beide Länder von jedem der beiden Produkte dann mehr haben. Warenaustausch kann sich für ein Land sogar dann lohnen, wenn es in allen Produktsparten produktiver als das andere ist. Das spricht gegen Trumps wirtschaftlichen Isolationismus.

Globalisierung ist nicht nur gut. Sie steigert die Macht der sowieso schon mächtigen Konzerne ins Unermessliche. Die in die Demokratie eingebaute Tendenz ihrer grenzenlosen Ausweitung ist ihr Untergang.ang. Die USA führen uns das in der kaum noch zu verhehlenden Gegnerschaft von Donald Trump (contra Globalisierung) und Elon Musk (Pro-Fraktion) vor Augen.

Spoiler: Ich mache die Rechnung, um den Spiegel-Artikel besser zu verstehen. Bei den gewählten Bezeichnungen verändert sich mit Beginn des Warenaustauschs die Gesamtmenge des Produktes X um den Wert
d1x1-d2x2.
Dieser Wert ist positiv, wenn
d2/d1<x1/x2.
Für das Produkt Y ergibt sich diese Ungleichung:
y1/y2<d2/d1

Mit den Werten aus der SPIEGEL-Grafik sind beide Ungleichungen erfüllt:
x1=6 Fl/Pe, x2=2 Fl/Pe, y1=5 Ba/Pe, y2 =4 Ba/Pe, d1=1 Pe, d2= 2 Pe.

DER SPIEGEL
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Gefühle sind grundlegend sozial

Die Überschrift habe ich aus dem letzten Abschnitt des Buches Explosive Moderne von Eva Illouz (2024). Das Buch eröffnet mir einen überraschend neuen Blick auf Themen meines Hoppla!-Blogs.

Als Ingenieur sehe ich in allem zuerst die mathematisch-naturwissenschaftliche Seite: Die Reflexion kontrolliert die Emotion, ganz so wie es Daniel Kahneman in seinem Bestseller Thinking Fast and Slow empfiehlt. Die Reflexion, das langsame Denken, ist allerdings ein träger Kontrolleur, so Kahneman.

Emotionen sind wirkmächtig. Erfolgreich ist in der Politik, wer das Spiel mit den Emotionen beherrscht. Genau darin ist der Schauspieler geschult. Es verwundert nicht, dass demokratisch gewählte Präsidenten die Schauspielerei gut beherrschen, manche haben sie sogar regelrecht professionell betrieben.
Mir fallen Ronald Reagan und Wolodymyr Selenskyj ein. Weitere Schauspieler waren in der Politik erfolgreich: Clint Eastwood und Arnold Schwarzenegger.

Fotografiert von Heinz Klingel

Hoffnung

Wir überholen auf einer Landstraße, obwohl der Zeitgewinn das Risiko eines Zusammenstoßes nicht aufwiegt; der Spatz in der Hand ist uns lieber als die Taube auf dem Dach. Da wird ein Denkmechanismus wirksam, der in der Kognitionspsychologie als Tendenz zur Überbewertung der Gewissheit bekannt ist.

Wir sehen, dass unsere rationalen Risikoüberlegungen und Entscheidungen im Kern subjektiv sind.

In dieses Erklärungsmuster passt nicht, dass Lotto so beliebt ist. Die im Vergleich zur Gewinnerwartung viel zu hohe Teilnehmergebühr passt nicht zur psychologisch verfestigten Tendenz zur Überbewertung der Gewissheit. Hier dominiert ein anderes Prinzip, nämlich das Prinzip Hoffnung.

Der Käufer erwirbt mit dem Lottoschein einen Traum. Der Traum holt das Erträumte in die Gegenwart und ist selbst bereits das Bestimmte. Der Verkäufer verspricht listig: »Nur wer teilnimmt kann gewinnen.« Die subjektive Risikobewertung mit ihrer Überbewertung der Bestimmtheit ist rational – mit der Hoffnung kommen Emotionen ins Spiel (Illouz, S.64 ff).

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Ist Wokeness die bessere Moral?

Der eine begnügt sich mit Besserwisserei, der andere will Anerkennung dafür, dass er ein guter Mensch ist. Jedenfalls ist es ein gutes Gefühl, überlegen zu sein. Reicht die Geisteskraft nicht aus, ist eben die Moral gefragt. Dann haben wir auch noch die, die es in beiden Fakultäten weit gebracht haben. Sie sitzen auf dem hohen Ross der Moral und der Wissenschaft.

Sollten sie nun Woke-Bashing nach Art der Cynical Theories erwarten – das wird es nicht geben. Anders als die Neue Rechte verwende ich Woke nicht als abschätzig gemeinte Kampfvokabel. Es ist zuallererst eine Selbstzuschreibung einer sozialen Bewegung (Black Lives Matter).

Wissenschaftlicher Fortschritt

Die Naturwissenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich mit regelmäßigen Phänomenen beschäftigen. Der Gegenstandsbereich wird durch das Postulat definiert, dass sich Gesetzmäßigkeit finden lassen, die immer und überall gelten. Kopernikus, Galilei und Newton waren auf diesem Gebiet äußerst erfolgreich. Sie haben der Vorstellung einer denkunabhängige Realität Vorschub geleistet, die hinter den Phänomene stecken muss.

Für die Fortschrittsapologeten scheint die Sache klar zu sein: Wissenschaft und Technik schreiten voran. Eine wissenschaftliche Theorie zeichnet sich dadurch aus, dass sie prinzipiell widerlegbar ist. Widerlegt und ersetzt wird sie durch eine umfassender bewährte, eine die näher an der Realität, näher an der Wahrheit ist. Das ist wissenschaftlicher Fortschrit.

Unsere Lebenswelt ist geprägt von großartigen Errungenschaften, die wir der modernen Wissenschaft verdanken: Technik, Chemie, Medizin. Der Kampf gegen Hunger und Krankheit scheint erfolgreich zu sein. Technischer Fortschritt und moralischer Fortschritt gehen Hand in Hand. So sehen es die Fortschrittsapologeten. Sie meinen, dass die Wissenschaft uns zu besseren Menschen mache. Für Paul Kurtz ist die Beziehung zwischen Wissenschaft und Wertvorstellungen von zentraler Bedeutung (1992, S. 288).

Dieser Ansicht widerspreche nicht nur ich. Die moralischen Normen lassen sich nicht wissenschaftlich begründen. Thomas Nagel drückt es so aus (2023, p. 5f.):

In the scientific case we understand our perceptual observations to be the result of causal interaction with the world we are investigating. […] However, in the moral case, we do not take our evaluative intuitions to be the result of causal interaction with the moral domain, and it is not clear what other kind of embeddedness or access to the moral truth moral judgment might involve.

Moralvorstellungen hängen mit den Lebensverhältnissen zusammen. Sie sind orts- und zeitabhängig. Und ganz ähnlich wie Wissenschaft und Technik entwickeln sich moralische Normen; sie haben so etwas wie eine Fortschrittstendenz.

Vor diesem Hintergrund will ich wissen, ob die aktuell heftig diskutierten Verhaltensempfehlungen einen moralischen Fortschritt darstellen – gemeint ist Wokeness und da insbesondere die diskriminierungsfreie Kommunikation und das Gendern.

Anders als in der Wissenschaft sind wir bei der Moral gezwungen von zwei Arten des Fortschritts zu sprechen. Die erste Art ähnelt der des wissenschaftlichen Fortschritts.

Moralischer Fortschritt der ersten Art

In den Naturwissenschaften pflegen wir die Vorstellung einer stabilen und ausgedehnten Realität, an die wir uns mit unseren Theorien immer stärker annähern. Für die Verhaltensnormen könnten Platons Ideale das Gleiche leisten. Tun sie aber nicht, wie Thomas Nagel feststellt (2023, pp 24f.):

Realism about morality, as I understand it, does not imply such a metaphysical picture. Instead, we should think of morality as an aspect of practical reason: it concerns what we have certain kinds of reasons to do and not to do. We should not think of those reasons as like chemical elements waiting to be discovered. Rather, facts about reasons are irreducibly normative truths about ourselves and other persons, and realism is simply the position that their truth does not depend on our believing them.

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Paradoxien, Gewalt und Krieg

Der Staubfaden: Vor 40 Jahren. In ihrem Wohnzimmer jagt sie verzweifelt einen Staubfaden. Der schwebt still in der Luft und muss weg. Immer wieder greift sie danach. Ohne Erfolg. Der Staubfaden weicht der heftigen Bewegung aus. Es muss der Luftzug sein. Das Fangen verhindert das Fangen. Ich trete hinzu und strecke meine Hand unter dem Staubfaden aus und warte geduldig, bis er sich auf meine Hand herabgesenkt hat. Problem gelöst, ohne Gewalt.

Jetzt wird es ernst: Unser drängendstes Problem ist die Ukrainekrise. Hier sehen wir Denkmuster, die in der Geschichte immer wiederkehren.

Die Argumentationslinien des Westens, insbesondere der USA, der EU und der NATO, basieren auf der Ablehnung der russischen Invasion in die Ukraine und der Betonung internationaler Prinzipien. Hier sind die zentralen Narrative: 1. Russland hat die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen. Ziel: Russland als Täter darstellen und Sanktionen sowie Waffenlieferungen rechtfertigen. 2. Souveränität und Selbstbestimmung der Ukraine: Die Ukraine hat das Recht, ihre eigenen Bündnisse (z. B. NATO, EU) zu wählen. Ziel: Legitimierung der westlichen Unterstützung für die Ukraine. 3. Verteidigung der regelbasierten Ordnung. 4. Russland als Bedrohung für Europa und die Weltordnung: Wenn Russland ungehindert bleibt, könnten weitere Länder (z. B. Moldau, Georgien) angegriffen werden. 5. Russische Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen (z. B. Butscha-Massaker). 6. Russlands Propaganda entlarven: Eigene Narrative als wahrheitsgemäß darstellen. 7. Energie- und Wirtschaftskrieg Russlands: Russland nutzt Gas und Getreide als Waffe gegen den Westen.

Ich habe jetzt etwas getan, was ich mir für das Hoppla!-Blog grundsätzlich verbitte: Ich habe auszugsweise eine ChatGPT-Antwort vom 13.3.25 auf meine Frage »Welchen Argumentationslinien folgt der Westen?“ wiedergegeben – allerdings nur um zu zeigen, welcher Irrsinn daraus folgt.

Die Gegenseite kann nämlich zurückschlagen und ChatGPT fragen: »Welchen Argumentationslinien folgt die russische Propaganda?« Die Antwort vom selben Tag:

Hier sind einige zentrale Narrative: 1. Der Westen, insbesondere die NATO und die USA, bedrohen Russland und provozieren Konflikte. 2. Die ukrainische Regierung ist von Neonazis durchsetzt. 3. Ukraine als Marionette des Westens. 4. Die Ukraine sei historisch und kulturell ein Teil Russlands. 5. Doppelstandards des Westens: Der Westen habe selbst in anderen Ländern völkerrechtswidrig gehandelt (z. B. Irakkrieg, Jugoslawienkriege). 6. Russland als Verteidiger traditioneller Werte 7. Inszenierte Krisen und False-Flag-Operationen: Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine seien inszeniert oder von der Ukraine selbst durchgeführt.

ChatGPT ist ein Produkt des Westens und die Argumentationslinien der russischen Propaganda werden stets relativierend kommentiert. Interessant ist auch, welches Argument der russischen Seite nicht erwähnt wird. Es betrifft das Sicherheitsinteresse Russlands und dessen Verletzung durch die USA und die NATO. Die Einleitung macht klar, wie der Text zu bewerten ist:

Die Argumentationslinie der russischen Propaganda folgt oft einem mehrschichtigen Ansatz, der auf Desinformation, Geschichtsrevisionismus und emotionaler Mobilisierung basiert.

In einer solchen KI-Schlacht würde sich die Gegenseite natürlich nicht der mit Westmaterial trainierten KI bedienen, sondern einer Ost-KI. Den Menschen bleibt in jedem Fall eigenes Nachdenken erspart.

Im Anschluss zu meinen letzten Artikeln kam es zu einer solchen Schlacht mit KI-Beteiligung. Sie wurde von einem der Beteiligten abschließend so kommentiert:

KI User könnten „gegensätzliche“ KI Texten generieren lassen, [und sich diese] gegenseitig um die „Ohren schlagen“ bis das Internet hoffnungslos „verstopft“ ist. Nach einiger Zeit wird diese Texte kein Mensch mehr lesen….

Lassen wir die KI einmal beiseite und wenden wir uns den Argumenten zu.

Ich sehe hier ein Grundmuster von These und Antithese im Sinne von Hegel. Heute würde man mit Kellyanne Conway vielleicht von Alternativen Fakten sprechen. Hegel folgend sollte man versuchen, eine Synthese zu finden. Der Skeptiker gibt sich aber schon zufrieden, wenn er eine Paradoxie aufgezeigt hat. Wir sind also in einem Schwebezustand wie beim Staubfaden.

Ich bediene mich wieder einmal beim Hegel-Mediator Karl Raimund Popper (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band 2, 1958/1980, S. 50):

Der Irrtum Kants bestand [aus Hegels Sicht] nur darin, daß ihn die Antinomien beunruhigten. Es liegt eben in der Natur der Vernunft, dass sie sich widersprechen muss

Die Auflösung des Schwebezustands müssen wir der Realpolitik überlassen.

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Verunglimpfung und Hetze

Dass dieses Hoppla!-Blog Gegenstand von Verunglimpfung und Hetze sein könnte, war bis vor Kurzem für mich unvorstellbar. Eigentlich soll es ja um verpatzte Kommunikation gehen: Denkfallen, kognitive Irrtümer, Manipulationstechniken, fehlleitende Argumentationsmuster, Statistikplunder und dergleichen – Dinge, die formal abgehandelt werden können. Dazu braucht es etwas Leidenschaft für Logik und Mathematik.

Die Gefahr lauert darin, dass wir, die emotionalen Wesen, Gefahr laufen, den neutralen Beobachterstandpunkt des Skeptikers, die Metaebene sozusagen, zu verlassen. Wir beziehen Stellung.

Auf dem Schlachtfeld locken Glücksgefühle, die durch vermeintliche Überlegenheit dem Diskussionspartner gegenüber ausgelöst werden. Wut und Verachtung übernehmen das Steuer.

Um so etwas zu erleben, musste ich mich in andere Gefilde begeben, beispielsweise in das Blog von Sebastian Bartoschek. Was ich dort erlebt habe, habe ich im Artikel Der Krieg braucht Emotionen, der Frieden kühlen Kopf verarbeitet. In Bartoscheks Blog ist es mir ergangen wie all denjenigen, die angesichts des Krieges in Europa eine differenzierte Weltsicht versuchen. Selbsternannte Proponenten der Freien Welt sind schnell dabei, diese Meinungsgegner in das Kästchen mit der Aufschrift »Putintroll« zu stecken.

Auch in der Diskussion zum letzten Artikel taucht dieses Argumentationsmuster auf, zusätzlich verstärkt durch KI-generierte Textfetzen, denen die Schulung am Mainstream anzumerken ist. Das verhindert genau das, was die freie Welt so dringend braucht: Meinungsvielfalt.

Soweit sehen wir nur Unfairness. Richtig widerlich wird es erst in dem per E-Mail geführten Briefwechsel mit mir, dem Blogger. Gestern Abend gegen Mitternacht erreicht mich die Nachricht folgenden Inhalts:

Ich habe ihnen jetzt oft genug gezeigt was [xxx] da macht, Wenn Sie nix dagegen machen ist das ihr Problem, aber wenn das der falsche liest und sieht, dann wette ich knallt es. Und zwar zwischen Ihnen und der Hochschule! […] Ich mache in Minuten Analysen von kompletten Blogs wie ihrem, was meinen Sie was los ist wenn ich das in großen Stil automatisiere und der Welt bereit stelle, jeder kann dann instant prüfen was fehlt, wo wird gelogen, was wird beschönigt, wie wird rhetorisch manipuliert usw. […] Viel Spass vor Gericht, aber nicht mit mir…
Grams./.Hochschule Fulda
wg. strategischer Kommunikation von russischer Desinformation auf Hochschulserver

Ich muss sicherlich nicht erklären, warum ich das hier zum Ausdruck gebrachte Verhalten abstoßend finde.

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Alternative Fakten sind normal

Das ifo Institut meldet am 18.02.2025:

Mehr Ausländer erhöhen die Kriminalitätsrate nicht

Migration nach Deutschland führt nicht zu einer höheren Kriminalitätsrate an den Zuzugsorten. Dies zeigen Auswertungen des ifo Instituts der Polizeilichen Kriminalstatistik nach Landkreisen für die Jahre 2018 bis 2023. „Wir finden keinen Zusammenhang zwischen einem steigenden Ausländeranteil in einem Kreis und der lokalen Kriminalitätsrate. Gleiches gilt im Speziellen für Schutzsuchende“, sagt ifo Forscher Jean-Victor Alipour.

Stehenden Fußes übernimmt der öffentlich-rechtliche Rundfunk diese Pressemeldung.

Die Tagesschau: Migration steigert laut Studie nicht die Kriminalität

ZDF: Kriminalität durch Ausländer. Neue Studie: Wohnort spielt sehr große Rolle

Auch Ricarda Lang teilt auf X die ifo Pressemeldung mit der launigen Einleitung: „Jetzt mal bitte nicht den Wahlkampf mit Fakten stören.“

Was haben wir uns seinerzeit aufgeregt, als Kellyanne Conway im Januar 2017 die vom  Pressesprecher des Weißen Hauses genannten falschen Zuschauerzahlen anlässlich von Trumps Amtseinführung beschönigend alternative Fakten nannte.

Das was die können, das können wir doch allemal. Die ifo Meldung gehört für mich in die Kategorie alternative Fakten. Dahinter steht eine moralische Haltung und eine dazu passende Interpretation der Daten.

Schauen wir uns das genauer an. Ich übernehme Teile meines Kommentars zum letzten Hoppla!-Artikel. Ein Kernsatz
aus der ifo Pressemeldung ist der folgende:

Die Annahme, dass Ausländer oder Schutzsuchende eine höhere Kriminalitätsneigung besitzen als demografisch vergleichbare Einheimische, ist nicht haltbar.

Diese Aussage ist überzogen. Eine Statistik lässt eine Kausalitätsaussage wie die zur „Kriminalitätsneigung“ grundsätzlich nicht zu. Wir haben hier einen Musterfall, an dem man schön erklären kann, dass Statistiken nicht dazu taugen, Ursache-Wirkungsbeziehungen aufzuzeigen.

Beginnen wir damit, was die Presseerklärung objektiv und durch Daten gestützt feststellt:  Überall ist die lokale Kriminalitätsrate der Ausländer nicht höher als die der Inländer.
Das ist der Hintergrund der ifo Meldung, die diese Daten im Sinne einer (fehlenden) Kriminalitätsneigung interpretiert. Aber es gibt eine naheliegende alternative Interpretation der Daten, wie man aus der ifo Pressemeldung ersehen kann:

Ausländer sind in der Kriminalstatistik gegenüber ihrem Bevölkerungsanteil überrepräsentiert. […] Migranten ziehen häufiger in Ballungsräume, wo das allgemeine Kriminalitätsrisiko höher ist – auch für Einheimische.

Könnte es nicht sein, dass es kriminell veranlagte Ausländer in die Ballungszentren zieht und ließe sich nicht so die Überrepräsentation von Ausländern in den Ballungszentren erklären? Wenn ja, dann wäre die weit verbreitete Meinung, dass Ausländer die Kriminalitätsrate erhöhen, doch nicht widerlegt. Dann läge die beobachtete nationale Kriminalitätsentwicklung tatsächlich nicht an der Stadt sondern am Menschen.

Wir haben also zwei Meinungen, die einander ausschließen und die sich dank des zugrundeliegenden Zahlenmaterials als Fakten tarnen können. Alternative Fakten eben.

Das scheint mir auch der Wesenskern von Kelleyanne Conways Vorstoß zu sein: Die Interpretation von Zahlen im Lichte der eigenen Überzeugung.

In dem Aufsatz zum simpsonschen Paradoxon habe ich die hier wirksamen Zusammenhänge ausführlich dargelegt. In einen größeren Zusammenhang gestellt und an mehreren Beispielen erläutert habe ich das simpsonsche Paradoxon im Buch Klüger irren – Denkfallen vermeiden mit System. Dahinter steckt unsere Kausalitätserwartung, ein „angeborener Lehrmeister“ (Konrad Lorenz).
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Minimalideologie

JD Vance beschwört anfangs seiner Münchner Rede die gemeinsamen Werte der westlichen Demokratien. Diese Einleitung dient offensichtlich nur dazu, den Zuhörer wohlgesinnt zu stimmen. Er beschwört ein Band, von dem er selbst nichts hält. Nach dieser geschmeidigen Einleitung legt er kräftig los und zeigt uns Trumps Zertrümmerungsstrategie. Ich habe versucht, mir einen Reim darauf zu machen.

Regelbasierte Bündnisse sind brüchig, wenn mehr als zwei Individuen, Parteien oder Staaten beteiligt sind. Es genügt wenn einer einen Vorteil im Regelbruch sieht, dann bricht ein solches Gebäude in sich zusammen. Die Arbeiten an übergreifenden Regeln und Verträgen sind folglich ihr Geld nicht wert und gehören bekämpft, so Trump und Kompanie. Als ein Musterbeispiel solch unnützer Konventionen gilt der Trump-Mannschaft das 2015 verhandelte Übereinkommen von Paris zur Begrenzung der Erderwärmung. Missfallen erregen auch die Regeln zum achtsamen Umgang miteinander; mit Inbrunst runtergemacht wird die Woke-Bewegung.

Und dann gibt es noch diesen amerikanischen Klassiker: Was keinesfalls geht, ist Kommunismus. Wir haben die regelbasierte Ordnung des Westens auf der einen und den verhassten Kommunismus auf der anderen Seite – beides im Grunde Ideologien, denen man keineswegs trauen darf. Diesen Ideologien gilt Trumps Zerstörungswut. Was aber setzt er dagegen?

Meines Erachtens baut er auf eine einfachen Prämisse: Der Egoismus des Menschen ist das Einzige, worauf man sich wirklich verlassen kann. Das begründet zwar ebenfalls eine Ideologie, aber eine äußerst einfache: eine Minimalideologie sozusagen.

Daraus ergibt sich der sehr übersichtliche Werkzeugkasten Donald Trumps: Es geht um Deals und Familie. Deals zwischen zwei Partnern sind äußerst haltbar, da beide Seiten davon profitieren. Auch Mafiakreise setzen auf Familie und folgen der mittelalterlichen Weisheit: Blut ist dicker als Wasser. Bestenfalls den Kirchen wird noch ein Bindungskraft zugetraut.

So gesehen dürfte klar sein, dass bei einem Treffen Trump-Putin nur am Katzentisch Plätze für Selenskyj oder irgendeinen Europäer frei sind.

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Das dicke Ende

Der Skeptiker hat oft Gelegenheit, sich richtig schlecht zu fühlen. Er kann zwar manchen Shitstorm gegen seine Ansichten leicht wegstecken, aber dann, wenn sein Pessimismus wahr wird, geht seine Stimmung in den Keller. Die Wahrheit hat manchmal ein wirklich hässliches Gesicht.

Axios (Mike Allen)  schreibt gestern (13.2.25) in den Nachmittagsnachrichten davon, was Pete Hegseth soeben auf dem Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel von sich gegeben hat und was ein hoher US-Verteidigungsbeamter so unterstreicht:

Ukraine won’t become a NATO member.
U.S. troops won’t help to enforce any postwar security guarantees.
Any European troops deployed to Ukraine for peacekeeping need to be on a „non-NATO mission,“ so that the U.S. would not be obligated to protect them.

(Die Ukraine wird nicht Mitglied der NATO werden. Die US-Truppen werden nicht die Sicherheitsgarantien für die Zeit nach dem Krieg durchzusetzen helfen. Alle europäischen Truppen, die zur Friedenssicherung in die Ukraine entsandt werden, müssen in einer „Nicht-NATO-Mission“ eingesetzt werden, so dass die USA nicht sie zu schützen verpflichtet wären.)

Der Auftritt des US-Vizepräsidenten JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird für heute Nachmittag »mit Spannung erwartet«, schreibt tagesschau.de. Ich erwarte, dass er dort nichts anderes sagt, als das bereits von Pete Hegseth Ausgeplauderte. Donald Trump wirkt auf uns erratisch, aber in vielen Dingen ist er erstaunlich unbeirrt. Er hat einen Plan, ob der uns gefällt oder nicht.

Nach drei Jahren Blutvergießen habe ich kein Verständnis mehr für den Einwand, dass das alles über die Köpfe der Ukraine hinweg passiert. Ich zähle die USA wie Putin zu den Verantwortlichen für das Blutbad und es sollte niemanden verwundern, dass Donald Trump den auch für die USA kostspieligen Einsatz beenden will. Jetzt wird sich zeigen, was den Europäern die Ukraine wert ist.
Was bleibt, ist die Erkenntnis: Die Westlichen Werte haben dem realen Sturm nicht standgehalten. Weiterlesen

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Verlustaversion – eingebaute Evolutionsbremse?


Der Begriff Verlustaversion „bezeichnet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne“. Diese aus der Wikipedia entnommene Definition wird beinahe ausschließlich begleitet von Überlegungen und Erklärungen, was dieses weitgehend irrationale menschliche Verhaltensmuster für Konsequenzen hat. Zwar wird psychologisch bzw. evolutionstheoretisch begründet, warum wir lieber festhalten als riskieren. Aber dem eigentlichen Grund, warum das so ist, wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt, wahrscheinlich weil es ein so einfacher mathematischer ist.

Eine Entwicklungskurve, sei sie linear oder nichtlinear, soll einen Verlauf darstellen, also das Fortschreiten eines Vorgangs in der Zeit. Da der Zeitverlauf gerichtet ist, stellt jeder Kurvenpunkt einen jeweils singulären Verweilpunkt dar. Im Rückwärtsblick offenbart sich von dort die bis dahin erfahrene Vergangenheit, also etwas sehr Reales und womöglich auch Belegbares. Im Blick nach vorn dagegen ist immer nur Extrapolation möglich, also das anhand des Zurückblickens eventuell zu Erwartende. Dieses Vorausschauen im Zurückblicken erzeugt also nichts Reales sondern lediglich etwas mehr oder weniger Wahrscheinliches.

Diese triviale, um nicht zu sagen banale Definition einer Entwicklungskurve wird erst etwas spannender, wenn man sie buchstäblich vom Anfang bzw. vom Ende her denkt. Während sie im Rückblick, im Koordinatensystem also links, ganz konkret endet (im Extremfall beim Urknall als dem Beginn der Zeit), lässt sich in der Vorausschau nach rechts kein solcher Endpunkt lokalisieren, nicht einmal unter der Annahme, dass es ihn überhaupt gibt. Der gerichtete Zeitpfeil könnte zwar ein zu errechnendes, aber eben kein erfahrenes Ende haben.
Das Leben, ob nun menschliches oder nicht, ist demnach vom Wesen her nicht in der Lage, die Zukunft allein so zu gestalten, dass sie aus seiner Sicht „richtig“ verläuft. Aber offenbar ist es ausschließlich das menschliche Leben, das die Tatsache des gerichteten Zeitpfeils nicht zu akzeptieren bereit ist. Weil wir Menschen sind, haben wir die Mathematik erfunden und könnten jene Tatsache anerkennen, eben weil wir darum wissen. Aber indem wir Lebewesen sind, fehlt uns die Fähigkeit zu dieser Akzeptanz. Die Verlustaversion ist reine Biologie, es gibt kein Mittel dagegen, auch wenn wir uns dies dereinst eingestehen würden. Wir können nicht unterlassen statt zu tun, nicht verzichten statt haben zu wollen, jedenfalls nicht, solange der Zeitpfeil aktiv ist und uns zum Handeln verpflichtet.

Ob das Universum von 3 oder 4 Grundkräften gesteuert wird, vielleicht aber auch von 5 oder gar nur von einer (Wikipedia:“ Fundamentale Wechselwirkung“): Was auch immer seine Entwicklung vorantreibt, es geschieht in der Zeit. Erfahrung macht uns klüger, aber was geschehen wird, kann niemals gewusst, sondern höchstens näherungsweise geschätzt werden. Die Verlustaversion des Lebendigen ergibt sich schlicht daraus, dass nur sicher sein kann, was man hat, aber nicht, was morgen fehlen oder zu viel sein könnte. Entwicklung gibt es nur für den Preis, dass Erreichtes auch wieder verloren geht.

Mephisto, wer sonst, bringt’s auf den Punkt: „Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Aber man muss eben Teufel sein, um das auszusprechen.

(Mehr zu dieser Thematik auch hier.)

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