Metaphern sind Glückssache

In den sozialen Netzen kursieren Textbeiträge wie dieser, weitergeleitet mit dem zustimmenden Kommentar »ekelhaft«:

Markus Söder hat es also mal wieder geschafft, die Grenze zwischen Dummheit und Sexismus mit einem einzigen Satz einzureißen. „Ohne Auto, Maschinenbau und Chemie ist Deutschland eine Dame ohne Unterleib.“ Ja, richtig gelesen. Eine Dame. Ohne Unterleib.

Lieber Markus, was zum Teufel stimmt mit dir nicht? Seit wann ist dieses Land ein Frauenkörper, den du auf Unterleib reduzierst? Und was soll das überhaupt heißen – sind wir nur vollständig, wenn wir deine heiligen „Männerbranchen“ am Laufen halten? Ohne Blech und Giftstoffe keine Identität, ohne Motor kein Muttermund? Dein Bild ist nicht nur peinlich, es ist ekelhaft. Es zeigt, wie tief du im letzten Jahrhundert hängengeblieben bist: Frauen als Metaphern, die Wirtschaft als Penisverlängerung und das Ganze garniert mit einem dumpfen „Made in Germany“-Stolz.

Deutschland ist keine „Dame ohne Unterleib“. Deutschland ist ein Land mit Menschen, die mehr sind als deine Männlichkeitsphantasien von Auto, Maschine und Chemie. Wir sind Pflegekräfte, Erzieherinnen, Künstler, Forscherinnen, Bauern, Klimaaktivistinnen, Azubis, Menschen mit Visionen. Aber in deiner Söder-Welt zählt offenbar nur, was brummt, qualmt und stinkt. Alles andere ist für dich Beiwerk.

Weißt du, Markus, mit solchen Sätzen machst du klar: Du bist nicht der „Ministerpräsident aller“, du bist ein Karikatur-Onkel aus den 50ern, der denkt, das Land brauche keinen Unterleib, sondern einen Kofferraum. Dein Frauenbild ist so verdorben wie deine Vorstellung von Fortschritt. Und wer so redet, zeigt: Er hat aus der Zeit gefallen zu sein nicht als Schande, sondern als Programm verstanden.

Deutschland ohne Unterleib? Nein. Deutschland ohne Söder-Rhetorik wäre ein Fortschritt.

Für mich war bislang »Dame ohne Unterleib« eine zwar drastische aber nicht anrüchige Jahrmarkt-Metapher:

Die Formulierung „Dame ohne Unterleib“ hat ihre Wurzeln auf Jahrmärkten des 19. Jahrhunderts, wo mithilfe von Spiegeltricks der weibliche Unterkörper optisch verschwand.

Ich habe auch schon mal die durch großflächige Schaufenster verunstalteten Fachwerkhäuser unserer Innenstadt so bezeichnet. Ist die Reaktion »ekelhaft« auf diese Formulierung Ausdruck einer Cancel Culture oder ist auch diese Einstufung bereits übertrieben?

Eins hat Markus Söder jedenfalls erreicht: er ist in aller Munde. PT Barnum folgend ist es das, was in der PR wirklich zählt. Die Empörung über seinen Spruch hat Söder sicherlich einkalkuliert. Er wird seine Freude daran haben.
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Gegenpropaganda

Euronews: »Neue Vorwürfe gegen Selenskyj: Besitzt der Präsident der Ukraine Immobilien von 1 Milliarde Euro?«

Berichtet wird:

Im Internet kursiert ein angeblicher Nachrichtenbericht, in dem behauptet wird, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Immobilienimperium im Wert von 1,2 Milliarden Dollar (1 Milliarde Euro) besitze.

Und weiter:

Es gibt jedoch keinerlei Beweise dafür, dass irgendetwas davon wahr ist. Das Video wirkt im besten Fall zweifelhaft. Die Stimme in der Aufnahme ist eindeutig künstlich und roboterhaft, was auf die fehlende Legitimität des Videos hindeutet.

Diese Meldung ist aus dem großen Misthaufen Internet. Propaganda und Gegenpropaganda. In diesem Nebel zeichnet sich für mich eins ab: Selenskyj ist Präsident geworden mit dem Versprechen, Korruption zu bekämpfen. Selenskyj hatte bereits vor Kriegsbeginn in seinem Land stark an Beliebtheit eingebüßt, weil er unter anderem sein Wahlversprechen der Korruptionsbekämpfung nicht eingelöst hat.  Es war also nicht der Krieg, der das löbliche Tun verhindert hat. Es war offensichtlich nicht beabsichtigt.

Mir kommen Zweifel, ob Selenskyj den Frieden wirklich will. Dasselbe gilt für Netanjahu. Kriegsprofiteur ist immer die Rüstungsindustrie: »Follow the money«. Egal wohin man schaut: Überall sieht man Demonstrationen militärischer Stärke und – wie gerade in China – Militärparaden.

Die Europäische Union liegt ganz im Trend, wie LobbyControl schreibt: »Einfluss der Waffenlobby: EU-Kommission will Rüstungsanlagen als nachhaltig erklären«

Selbst wenn es die Möglichkeit der gütlichen Einigung zwischen Russland und dem Westen gegeben hat, hätten wir Normalos sie niemals sehen können. Die Propaganda seitens der interessierten Kreise ist zu mächtig. Das Volk leidet in der Realität, aber es glaubt an das Wort: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort« (Johannes 1, 1).

Was mir bleibt, ist Ratlosigkeit. Vielleicht hilft es ein wenig, Artikel auf belegbare oder belegte Tatsachenbehauptungen abzuklopfen, auch diejenigen von Euronews. Euronews widerlegt im Fall Selenskyj Behauptungen, von denen ich noch nie gehört habe. Das mag daran liegen, dass ich Meldungen unklarer Herkunft grundsätzlich wegklicke.

Nun kommt mir der Verdacht, dass die Widerlegung der Nachricht die eigentliche Nachricht ist. Sie vermittelt den Eindruck, dass Selenskyj ein untadeliger Politiker ist. Für den Persilschein braucht es nicht einmal Belege. Es werden nur Beschuldigungen widerlegt, die leicht zu widerlegen sind, weil sie idiotisch oder substanzlos sind. Die Netzwerkhygiene gebietet eigentlich, derartige Beschuldigung zu ignorieren. Es sei denn, man nutzt deren Widerlegung als Gegenpropaganda zur Etablierung einer eigenen »Wahrheit«.

Ein einfaches Beispiel für die Denkfalle, die dabei wirksam wird: Max hat das Ding gedreht (A), also ist Max ein krummer Hund (B). Kurz: Aus A folgt B. Stellt sich nun heraus, dass Max das Ding nicht gedreht hat, folgt daraus im voreiligen Schluss, dass Max ein feiner Kerl ist. Korrekt angewendet, lässt der Modus Tollens aber nur den Schluss zu, dass Max das Ding nicht gedreht hätte (﹁A), wenn er kein krummer Hund ist (﹁B).

Der verallgemeinernde und falsche Umkehrschluss bezieht seine Überzeugungskraft aus unserer Anlage zur Induktion. Für Arthur Schopenhauer gehört die »Übertreibung« zum Kunstgriff 1 aus seinem Büchlein »Die Kunst, Recht zu behalten« (Eristische Dialektik).

Wer jetzt meint, dass mein Text ukrainefeindlich sei und die Aggression Russlands verteidige, der hat ihn nicht verstanden. Er begeht eine unzulässige Verallgemeinerung. Von Fehlschlüssen dieser Art war gerade die Rede.
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Menschenwürde: höchstes Gut oder Worthülse?

Das Grundgesetz ist für alle da, nicht nur für Fachphilosophen und Politikwissenschaftler.

Die Idee

Im Hoppla!-Blog sind wir bereits mehrfach auf einen Begriff gestoßen, der im Grundgesetz ganz oben steht (Art. 1):

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Weiterhin wird die Menschenwürde sogar zur Basis der allgemeinen Menschenrechte erklärt:

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Dass »Menschenwürde« nicht nur so hingesagt ist, sondern ein vor Gericht einklagbares Gut, stellt der Schlusssatz des Artikels fest:

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Wir hatten schon damit zu tun

In der Diskussion mit Realo über Künstliche Intelligenz spielte ich letzthin mit dem Gedanken, dass die KI im Gegensatz zum Menschen keine Würde besitzt. Die Stärke des Konzepts der Menschenwürde wurde mir durch die Diskussion des Theaterstücks
Terror des Ferdinand von Schirach erst richtig nahegebracht.

In der Diskussion zum Fall Brosius-Gersdorf antwortet Frank Wohlgemut auf Pablo:

Da Du die Haltung vertrittst, dass direkt nach dem Text zu urteilen sei, bist Du bestimmt in der Lage, uns zu sagen, was sich denn genau hinter dem Begriff der Menschenwürde verbirgt. Es scheint ja etwas zu sein, was wir alle besitzen. Ab wann eigentlich: Direkt nach der Befruchtung? Nach 2 Wochen, nach 3 Monaten oder nach der Geburt? Aber was es ist, ist damit noch nicht gesagt, geschweige denn, was diese Würde verletzt und was nicht.

An das von Mussi empfohlene Buch »Menschenwürde« des Dietmar von der Pfordten von 2016 knüpfe ich hier an.

Universell gültig?

Von der Pfordten schreibt auf Seite 104:

Die Eigenschaft der Selbstbestimmung über die eigenen Belange also der sekundären Wünsche und Ziele gegenüber primärer Belangen, ist ein wesentliches Merkmal der Menschen aller Zeiten und Kulturen.

»Menschenwürde« im Sinne von Selbstbestimmung ist genauso universell wie die Aussage »Der Mensch hat zwei Ohren«. Moralisch bindend wird sie erst, wenn man den Begriff ausdrücklich derartig auflädt, und in diesem Sinne fährt von der Pfordten fort:

Da die Eigenschaft der Menschenwürde neben der faktischen auch eine normative Dimension hat, bedeutet das: Die große Menschenwürde besteht nicht nur faktisch universell. Sie gilt auch normativ-ethisch universell in allen Zeiten und Kulturen.

Diese normative Dimension halte ich für wünschenswert, zwingend ist sie nicht.

Wir haben nichts Besseres

Dabei bleibe ich: Die
Universalisierung der Menschenrechte ist Ideologie! Für uns in Europa sind die Menschenrechte die Basis des Zusammenlebens. Auch wenn das Konzept der Menschenwürde nicht universalisierbar ist: Wir haben nichts Besseres. Rainer Gebauer bleibt dem Univalisierungsgedanken zugeneigt. In der Diskussion zum Artikel Aufklärung paradox drückt er es so aus:

Wenn ein verabsolutierter Wert an der Realität scheitert, glauben wir aber trotzdem, das nicht zulassen zu dürfen, weil wir das ganze Wertesystem zu gefährden meinen. Das ist das humanistische Denken. Wer sich das nicht zu eigen macht, ist auf dem Holzweg. Der mit dem Stichwort „Bevormundung“ verlinkte Artikel versucht, diese Problematik anzusprechen, aber die universellen Menschenrechte stehen zum Schluss selbstverständlich weiterhin nicht zur Disposition.

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Gewaltenteilung und der Fall Brosius-Gersdorf

Seit Tagen erhalte ich über Google Newsfeed ostentativ die Meldung: »Uni Hamburg prüft Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf.« Das scheint mir ein Fall von Meinungsmache zu sein, ein Beispiel für den Artikel Mit der Moderne kam die Gier

In dem Artikel geht es nur um die technischen Möglichkeiten solcher Meinungsmache. Der Fall Brosius-Gerdorf zeigt, wie man damit die Axt an die Wurzeln unserer Demokratie legen kann. Diese Bestrebungen gibt es von rechts und von links.

Was steht auf dem Spiel?

Im Artikel Quantenmystik schreibe ich:

Wir erinnern uns an die Gesellschaftsentwürfe des letzten Jahrhunderts mit ihren katastrophalen Konsequenzen. Auch diese beriefen sich jeweils auf ein neues Denken und auf absolute Ideen. Was dem einen System das »innerste Wollen der Natur« war, boten dem anderen die »Bewegungsgesetze der modernen Gesellschaft«.
Dass das Zusammenleben der Juden, Christen, Moslems, Atheisten, Esoteriker und der vielen anderen Menschen bei uns heute halbwegs störungsarm funktioniert, liegt an der durch Gewaltenteilung und durch Checks and Balances doch ziemlich oberflächlich strukturierten pluralistischen Gesellschaft. Jedwede Metaphysik, die alle bewegen und vereinnahmen will, ist aus der Mode gekommen und zunehmend ins Private abgedrängt worden.

Das Paradoxon der Demokratie

Gewaltenteilung steht in direktem Widerspruch zum Grundsatz der Demokratie, (Art 20 GG): »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.«

Nach unserem Verständnis gehört aber die Gewaltenteilung genauso wie die allgemeine geheime Wahl der Repräsetanten und die Freiheitsrechte zu den unabdingbaren Grundsätzen der Demokratie. Das ist paradox und gut so. Hegel freut’s.

Die Richterwahl muss weitgehend aus den tages- und parteipolitischen Zusammenhängen herausgelöst werden. Allein juristischer Sachverstand und die Bindung ans Grundgesetz sind gefragt. Das klingt vertrackt, aber es gibt Lösungen; diese sind in den USA und in Deutschland verschieden.

Nach welchen Regeln wird gespielt?

Christian Rieck nähert sich der Sache über die Spieltheorie. Bei der Wahl im Richterwahlausschuss gelten andere Regeln als für die Bundestagswahl. Rieck erklärt es am Ultimatumspiel. Die Parteien sind abwechselnd am Zug und können Vorschläge machen. Da der Vorschlag zur Annahme einer Zweidrittelmehrheit des Gesamtausschusses bedarf, ist die Partei bemüht, einen für die anderen Partein zustimmungsfähigen Vorschlag zu machen. Findet ein Vorschlag keine allgemeine Zustimmung, verstreicht das Ultimatum, was für alle hohe Kosten zur Folge hat. Man sieht, dass bei einem solchen Vorgehen für die Parteipolitik nicht viel zu holen ist. Was für den Ausschuss gilt, setzt sich im Bundestag fort. Dort ist ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Anders läuft die Sache in den USA. Dort werden die Richter des obersten Gerichtshofs vom Präsidenten berufen – und zwar auf Lebenszeit. Auch dadurch wird eine gewisse Unabhängigkeit von der Tagespolitik hergestellt: Richter erleben aufgrund ihrer Amtsdauer im Normalfall mehrere Präsidenten und auch verschiedene politische Strömungen.

Was ist schief gelaufen

CDU und CSU haben die Richterwahl in die parteipolitische Diskussion gezerrt. Nicht die juristische Qualifikation der Kandidatin wird diskutiert. Es geht auch nicht um schwerste Verfehlungen. Ihre Auffassung zum Abtreibungsrecht wird zur Debatte gestellt, also etwas, das in die parteipolitische Diskussion gehört und nichts mit der Qualifikation als Richterin zu tun hat.

Wie in anderen Fällen wird auch mit Plagiatsvorwürfen öffentlich Jagd gemacht. Dass das schlimme Konsequenzen haben kann, haben wir im Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg gesehen.

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Bill Gates, der Oligarch

Der Elektrotechniker und Informatiklehrer neigt dazu, die Welt durch eine besondere Brille zu sehen. Durch diese gesehen, war Bill Gates – der Popularisierer des Computers – für mich eine Lichtgestalt. Über das ruppige auf Marktbeherrschung gerichtete Auftreten von Microsoft habe ich mir zunächst nicht genug Gedanken gemacht. Im Laufe der Corona-Krise verdüsterte sich das Bild. In der Diskussion zum Hoppla!-Artikel Die Corona-Verschwörung wird Bill Gates von einigen Diskutanten zum Verschwörer erklärt, der eine neue Weltordnung anstrebe. Dem habe ich widersprochen – und dabei bleibe ich, da dem Treiben von Gates und anderen Superreichen die Merkmale einer Verschwörung fehlt. Vor allem spricht dagegen, dass diese Leute ihre Motive und vor allem ihre Gier ganz offen zur Schau stellen.

Der Wohltäter

Die WHO und ihre Finanzierung:

Wichtige nichtstaatliche Geldgeber sind neben der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die 2021 rund 9,5 Prozent zum Gesamtbudget der WHO beitrug: die Schweizer Stiftung ‚Gavi, die Impfallianz‘ mit knapp 6,5 Prozent, deren größter privater Spender wiederum die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung ist

Am 15.09.2020 berichtete der Evangelische Pressedienst Berlin (epd) über neue Strategien für Corona-Impfungen:

„Um den Impfstoff 7 Milliarden Menschen zur Verfügung zu stellen, brauchen wir fast 14 Milliarden Dosen. Das wurde zuvor noch nie gemacht“, sagte Gates. Er sprach von einer Notfallmaßnahme, die ganz neue Strategien erfordere.

Die Globale Impfallianz (Gavi) ist eine öffentlich-private Partnerschaft, in der sich Regierungen, Pharmakonzerne, private Geber, Unicef, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Weltbank zusammengeschlossen haben. Ziele sind, Impfstoffe kostengünstig zur Verfügung zu stellen und den Auf- und Ausbau von Gesundheitssystemen zu unterstützen. Unter anderem wurde in den vergangenen Jahren der Ankauf von Impfstoffen gegen Ebola, Cholera, Hirnhautentzündung und Gelbfieber finanziert.

Seit der Gavi-Gründung haben Regierungen und private Geber knapp 21 Milliarden Dollar bereitgestellt. Deutschland förderte Gavi bisher mit insgesamt knapp 905 Millionen Dollar. Die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung ist mit einem Sechstel des Budgets zweitgrößter Geber nach Großbritannien.

Aufgrund seines finanziellen Engagements steht Gates im Zentrum von Verschwörungstheorien rund um die Corona-Pandemie.

Der Oligarch

Für Bill Gates gilt sinngemäß dasselbe wie das, was ich zu Elon Musk gesagt habe:

Was ich für ungeheuerlich halte ist, dass hier ein superreicher Privatmann [weitreichende gesundheitspolitische] Entscheidungen treffen kann. Das ist Politik ohne parlamentarische Kontrolle.

Tim Schwab schreibt auf Seite 52 und zitiert dabei das American Journal of Public Health:

Das Retten von Menschenleben durch Impfungen ist seit jeher Gavis oberstes Ziel und nicht etwa, Länder ihre eigenen Prioritäten setzen zu lassen.

Und weiter auf Seite 76:

Es ist schwer, dass Offensichtliche zu ignorieren: die Gates Foundation agiert wie eine Pharmafirma.

Mein Verdacht, dass mit dem zur Schau gestellten Gutmenschentum des Bill Gates etwas nicht stimmt, wurde durch die Veröffentlichung seines Buches von 2021 »Wie wir die Klimakatastrophe verhindern« und dem dazu nicht passenden Verhalten geschürt: Bill Gates feierte seinen 66. Geburtstag mit reichlich Champagner auf einer 107-Meter-Yacht und lässt seine fünfzig Gäste mit dem Hubschrauber zu einem Beachclub fliegen.

Der amerikanische Traum

Das sollte man nicht verlogen nennen. Im Gegenteil: Es ist offen und ehrlich. Gates lebt den amerikanischen Traum: Alle Menschen haben die gleichen Chancen auf Erfolg. Jeder kann es schaffen. Bei den allermeisten Menschen bleibt es allerdings bei der Hoffnung. Die Chancen eines Normalos zu den Superreichen aufzuschließen sind etwa so groß wie die Aussichten auf den Hauptgewinn beim Lotto.

Die US-Amerikaner sind eben ehrlich: Die Distanzierung der Superreichen vom Rest der Welt wird genüsslich zelebriert, anders als in Europa, wo der Milliardär sein Glück lieber im Verborgenen genießt. Jedermann soll glauben, dass er es ja auch so weit bringen könne.

Das Klima-Buch von Gates zeigt seine Überheblichkeit: Er glaubt wohl, dass er nicht nur über ein bestimmtes Gebiet mehr weiß als andere, sondern dass er über alles mehr weiß als jeder andere (Schwab, S. 66). Das ist auch der Grund, weshalb ich sein Buch anführe, obwohl ich nicht vorhabe, es zu lesen. Mir genügt die Rezension vom Spektrum der Wissenschaft (20.03.2021).

Ein Verschwörer wird Bill Gates durch all das nicht. Im Zuge der Abwehr des Verschwörungsvorwurfs, habe ich das tieferliegende Problem vor fünf Jahren leider vernachlässigt, das der Oligarchien.

Am Rande bemerkt. Förderung der Impfstoffentwicklung durch das BMF:
Leuchtturm-Projekte

Literaturhinweise

Tim Schwab: Das Bill Gates Problem. 2023

Bill Gates: Wie wir die Klimakatastrophe verhindern. 2021

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KI – das süße Gift

I wonder if one day that,
you’ll say that, you care
If you say you love me madly,
I’ll gladly
Be there
Like a puppet on a string
Sandie Shaw

Once bitten, the apple was irresistible
Shoshana Zuboff

Fortschrittsapologeten wie Steven Pinker und Hans Rosling versuchen unermüdlich, uns davon zu überzeugen, dass es dank Aufklärung mit der Menschheit anhalten bergauf gehe. Schlagendes Beispiel sei die Lebenserwartung, die seit zwei Jahrhunderten ständig wachse (Pinker, Chapter 5). In den letzten zwei Jahrzehnten ist das Wachstum ins Stocken geraten und es gibt sogar eine Abwärtstendenz, zumindest in den USA und in Europa. Das mag Zufall sein, aber es fällt zusammen mit der Spätphase der Globalisierung und der Dominanz von Suchmaschinen im WWW.

Jetzt erreicht uns die generative künstliche Intelligenz, erst einmal in der Form von ChatGPT (Domingos, 2017). Im Hoppla!-Blog stehe ich in einem fast aussichtslosen Kampf gegen Robotertexte, wie man an vielen Kommentaren sehen kann.

Erste Widerstände gegen eine Vergötterung der Computers kamen aus dem inneren Kreis der Informatik und gehen zurück auf Joseph Weizenbaum und seine ELIZA. Aber es kam wie beim Lied »Zwei Täler weiter«: Die Parodie wurde vom Publikum nicht als solche erkannt. (Ich hoffe, ich habe Fred Rauch da richtig verstanden.)

Viele gebildete Personen haben in ELIZA eine intelligente Maschine gesehen. (Ich kann mich an einen vergnüglichen Abend mit Joseph Weizenbaum erinnern, das müsste am 27. Oktober 1999 gewesen sein. Er hatte an unserer Hochschule einen Vortrag zum Jahr-2000-Problem gehalten.)

Was treibt den Ingenieur und Informatiklehrer zum Widerstand? Wenn Sie etwas Zeit mitbringen, dann lassen sie sich das von Joseph Weizenbaum im Film Plug & Pray erklären.

Die Gefahr, dass die Maschinen wie Menschen werden könnten, besteht vermutlich nicht. Eher werden die Menschen wie Marionetten, nur dass, anders als in Sandie Shaws Lied, kaum Hoffnung auf Erfüllung der Träume und Wünsche besteht.

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Hat Donald Trump für den Friedensnobelpreis noch zu wenig Dreck am Stecken?

Dass für den Friedensnobelpreis viel Dreck am Stecken sein muss, stimmt sicherlich nicht. Willy Brandt hat es auch ohne geschafft und viele andere auch. Neben diesen untadeligen Laureaten gibt es aber zu viele unwürdige: Henry Kissinger und Yasir Arafat. Besonders beeindruckt hat mich Barack Obama. Ich erinnere mich noch gut an die Situation, als Barack Obama am 2. Mai 2011 im »Situation Room« des Weißen Hauses die Jagd auf Osama bin Laden verfolgte. Das fand ich widerlich.

In meiner Welt war ich ziemlich allein mit diesem Urteil. Nur in einer Gruppe hiesiger Juristen fand mein Einspruch Zustimmung: Das war alttestamentarische Rache im Widerspruch zu rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Regeln. Den völkerrechtlich nicht abgedeckten War on Terror hat Barack Obama zwar von George W. Busch geerbt. Die versprochene Schließung des Lagers von Guantanamo hat er aber auch nicht hingekriegt. Und dann gab es noch die enorme Ausweitung des Drohnenkriegs:

Während der Präsidentschaft von Barack Obama wurden Tötungen per Drohne zur Staatsdoktrin, jede Woche unterschrieb er die sogenannte „Kill List“. Und in Zukunft wird ein Donald Trump das tun – dank seines Vorgängers, den Friedensnobelpreisträger Obama.

Es ist üblich, für Verdienste zu ehren und nicht für die Erwartung derselben. Für den Friedensnobelpreis gilt diese Regel nicht. Daher die Fehlgriffe.

Im Blog der Republik beklagt Alfons Pieper, dass Netanjahu Donald Trump für den Friedensnobelpreis vorschlägt:

Gegen Benjamin Netanjahu liegt ein Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor: ihm werden Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung sowie für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Mord, Verfolgung und anderen unmenschlichen Taten während des Kriegs in Israel und Gaza seit 2023 zur Last gelegt. 125 Länder, darunter Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind verpflichtet, Netanjahu zu verhaften, wenn er das Territorium der genannten Länder betritt. Und exakt dieser Netanjahu hat nun Trump für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Da bleibt einem die Spucke weg.

Nimmt man für die Ehrung Maß an Barack Obama, dann ist an Netanjahus Vorschlag kaum etwas auszusetzen.

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Satiriker – Hände weg von KI!

Die Simulationen sind heute so gut, dass wir sie von der Realität nicht mehr unterscheiden können.

Elon Musk

Sinan hat in satirischer Absicht Bilder von der KI erzeugen lassen. Eins davon betraf die AfD und zeigte ein Symbol, für das Sinan ins Fadenkreuz des Staatsschutzes geriet. In Sinans Woche berichtet uns Sinan Kurtulus von dieser unglaublichen Affäre.

»Unglaublich«? Hier stocke ich.

Auch ich als Blogger schaffe es kaum, die Kommentare, die mit KI-Hilfe entstanden sind, richtig einzuschätzen. Deshalb verbitte ich mir solche Texte. Mit einem der Hoppla!-Kommentatoren hatte ich deswegen einen ordentlichen Krach.

Ich fürchte, auch für eine Staatsanwaltschaft ist es schwer, den KI-Brei von der aufrichtigen Meinungsäußerung einer Person zu trennen. Dieser Punkt fehlt in der ansonsten erhellenden Darstellung Sinans.

Mein Rat: Hände weg von KI! Vor allem bei öffentlichen Meinungsäußerungen und Satire.

 

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Systemsturz von rechts, von links oder selbstgemacht

Unsere Welt wird zunehmend unordentlich. Sie ist, wenn wir nichts dagegen tun, dem Untergang geweiht. Dieser Eindruck beruht auf Fakten und auf medieninduzierter Panikmache.

Rechts und links

Die Rechten sehen unsere Kultur durch die Migration bedroht. Bei den Linken ist es der menschengemachte Klimawandel, der die gesamte Menschheit auslöschen wird.

Beide Seiten geben dem System die Schuld und entwickeln ihre jeweils eigenen Umsturzfantasien. Die eine Seite spricht von »Regime Change«, die andere von »Systemsturz«.

Der Regimewechsel von rechts war bereits mein Thema: Die Neue Rechte wird grundsätzlich – und irrt herum. Meine derzeit aufrechterhaltene Schlussfolgerung ist, dass dieser Umsturz ausfallen wird, weil sich die Probleme mit rechtsstaatlichen Mitteln im Rahmen unserer Demokratie nahezu schmerzfrei lösen lassen. Was Donald Trump in den USA zelebriert, sieht nicht nach Umsturz aus, sondern nach Einsturz.

Die Grenzen des Wachstums

Die andere Seite widmet sich Problemen, die wesentlich tiefer liegen und die schmerzfrei nicht zu bewältigen sein werden. Sichtbar gemacht wurde der Konflikt 1972 mit »Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit« (The Limits to Growth).

Die seinerzeit voll aufblühende Kritik an diesem Buch hat aus meiner Sicht nie den Kern getroffen. Sagen die Autoren doch selbst:

The model we have constructed is, like every other model, imperfect, oversimplified, and unfinished.

Besonders berührt hat mich damals das Buch Ein Planet wird geplündert von Herbert Gruhl. Der darin propagierte Lösungsansatz »weniger ist mehr« erschien mir jedoch als zu autoritär: Als Trümpfe im weltweiten Spiel gelten militärische Macht, Bevölkerungsplanung, Bedürfnislosigkeit und Leidensfähigkeit.

Meine Sympathie galt damals dem Small is Beautiful, das Ernst Friedrich Schumacher 1973 propagierte. Der Gedanke hat mich seither nicht verlassen, wie man vielen meiner Artikel ansieht (Stichwort: »Fortschrittsapologeten«).

Systemsturz von links

Das Buch »Systemsturz: Der Sieg der Natur über den Kapitalismus« von Kohei Saito ist Ende letzten Jahres erschienen. Es scheint an mein »Glaubensbekenntnis« anzuschließen und ist Anlass, dieses zu überprüfen. (Die folgenden Seitenangaben in runden Klammern beziehen sich auf dieses Buch.)

Orthodoxe Marxisten kritisieren das von Kohei Saito angepriesene Ideal, den Degrowth-Kommunismus:

Der Glaube an die Unveränderlichkeit von Grenzen – sei es der Grenzen von Bevölkerungsentwicklung oder Grenzen der nutzbaren Ressourcen – verkennt […] die Lebensrealität der Menschen […] Wissenschaft und Technologie, in Kombination mit Egalitarismus (oder wie es der Marxist Hal Draper Mitte des Jahrhunderts ausdrückte: »Prometheus plus Spartakus«), ermöglichen es uns […], diese Grenzen zu überwinden.

Die Zukunftsvision dieser orthodoxen Marxisten ist der ihrer politischen Gegenspieler verblüffend ähnlich. Sie erinnert an die neo-liberalen Beschwichtigungen und Ausflüchte in die Zukunft (Carbon Capture) und in ferne Räume (Musks Mars-Projekt und Longtermismus).

Utopia

Die fundamentalmarxistische Kritik an Saitos Buch halte ich nicht für stichhaltig. Ich wende mich nun den Stellen in Saitos Buch zu, in denen es um die Auswege aus der Krise geht. Da sehe ich Lücken und Widersprüche.

Saito betrachtet die vier Zukunftsalternativen des folgenden Bildes (S. 209).

Klimafaschismus: Die Superreichen sind vom Klimawandel weniger betroffen als andere. Er bietet ihnen sogar neue Möglichkeiten der Geschäftemacherei. Der Staat schützt die Interessen dieser privilegierten Schicht.

Barbarei: Durch die Rebellion der Massen kollabiert die Staatsgewalt, die Welt versinkt im Chaos.

Klima-Maoismus: Eine zentralistische Diktatur setzt effektive und egalitäre Klimaschutzmaßnahmen durch (S. 87).

Und schließlich die von Saito bevorzugte Lösung

Degrowth-Kommunismus: Überwindung des Kapitalismus; Gleichheit und Nachhaltigkeit sorgen für Überfluss statt Knappheit.

Hier fängt es an, nach Agitation und Propaganda zu klingen. Diese Art leninscher Agitprop war das unangenehme Zeug in meiner Kindheit in der DDR.

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Mit der Moderne kam die Gier

Die Gier kam nicht erst mit der Moderne, mit der Industrialisierung, in die Welt. Sie war schon immer menschlich. Wohlgelitten war sie nicht. In den letzten 200 Jahren wurde sie popularisiert, auf die Spitze getrieben und letztendlich ziemlich schamlos zur Schau gestellt. Sichtbar wird das mit Larry Page, Elon Musk, Peter Thiel und weiteren kalifornischen Multimilliardären. »Die Utopie der Gier« (Ayn Rand) ist nahe.

Das Aufbrechen der Ordnung, in der ein jeder seine Platz hat und sich damit bescheidet, lässt sich grob mit der Erfindung des Buchdrucks datieren: 1451. Die Neuzeit beginnt und die Gier wird mit der »Eroberung des Paradieses« 1492 weltbewegend. Gier und Vorsehung genanntes Sendungsbewusstsein (Manifest Destiny) sind die formenden Kräfte Nordamerikas.

Gier zieht

John Locke hatte eine moderne Vorstellung davon, wie Eigentum entsteht. Eigentum wird vom Grundgesetz geschützt: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet (Art 14  GG).

Man kann den Freiheitsbegriff für die grundlegende Errungenschaft der Aufklärung halten. Es ist eine starke Idee, die bei uns im Westen die Macht des Staates einschränkt und dem Schutz des Bürgers dient. Die Reichweite des Freiheitsbegriff ist auf die Verfassung eines Volkes beschränkt. Für bedeutender halte ich die materielle Basis, den Eigentumsbegriff. Eigentumsverhältnisse und -ansprüche, nicht etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, bilden das Gewebe für die Beziehungen zwischen den Völkern.

Gier ist auf dem Meinungsmarkt nicht verkäuflich, Freiheit dagegen schon. Der Slogan »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« benennt die Ideale der Aufklärung. Wir sind gefordert, dahinter die kollektiv konstruierte Realität auszumachen.

In den Literaturhinweisen habe ich einige der mir wichtigen Bücher (und eine Fernsehserie) zum Verhältnis von Schein und Sein zusammengestellt.

Moderne

Damit kommen wir zur von Shoshana Zuboff so genannten Moderne. (Seitenzahlen in runden Klammern beziehen sich auf ihr Buch The Age of Surveillance Capitalism von 2019.) Sie schreibt, dass die erste Moderne den Zeitpunkt markiere, als sich das Leben vieler Menschen individualisierte, indem es sich von traditionellen Normen, Sinngebungen und Regeln löste (S. 33).

Arbeitsteilung, Serienfertigung und Massenproduktion machen vielen vieles erschwinglich: Autos Waschmaschinen, Kühlschränke. Neue Freiheitsräume werden sichtbar. Gier wird gesellschaftsfähig. Andererseits: Das T-Modell von Ford hat vermutlich mehr zur Emanzipation der Frauen beigetragen als irgendwelche feierlich vorgetragenen Erklärungen zur Gleichberechtigung.

Die technische Basis

Das Internet und die Suchmaschinen sind die materielle Basis dessen, was Shoshana Zuboff die zweite Moderne nennt. Von zentrale Bedeutung ist das Ranking von Suchergebnissen. Es verlangt die Bewertung der Relevanz von Informationsangeboten bezogen auf die Benutzeranfrage.

Im World Wide Web gibt es viele Milliarden Web-Seiten. Suchmaschinen wie Google sind die Navigationsgeräte in diesem riesigen Informationsangebot. Sie legen fest, in welcher Reihenfolge die Suchergebnisse in der Ergebnisliste
erscheinen.

Je weiter oben eine Seite erscheint, umso eher wird sie vom Adressaten auch tatsächlich wahrgenommen. Jeder Anbieter von Werbung ist darauf erpicht, eine möglichst gute Bewertung seiner Seiten durch die Suchmaschine zu bekommen.

Die Bewertungsverfahren sind sehr komplex. Die Suchmaschinenbetreiber tun gut daran, sie nicht im Detail bekannt zu geben. Informationsanbieter können nämlich die Eigenheiten der Berechnungsverfahren ausnutzen, um so mittels Search Engine Optimization (SEO) eine möglichst hohe Bewertung zu bekommen. Es wird also – anders als der Name sagt – nicht die Suchmaschine optimiert, sondern die Webpage.

Überwachungskapitalismus

Die Erfolgsgeschichte von Google beginnt mit dem von Larry Page
entwickelten PageRank-Algorithmus (1997), der einzig die Vernetzung der Webpages in Rechnung stellt und vom Verhalten der Nutzer und deren Vorlieben nichts wissen will.

Ziel war die Verbesserung der Suchergebnisse für den Nutzer. Geld wurde durch die Lizenzierung von Dienstleistungen an Portale wie Yahoo! verdient. Google war der Goldstandard des Gewerbes.

Nach der Jahrtausendwende kam der Richtungswechsel. Der Blick richtete sich auf das im Datenmeer verborgene Benutzerverhalten – ein Schatz, der gehoben werden wollte. Die Gier sorgte dafür, dass dies dann auch geschah, und zwar unter konsequenter Geringschätzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Kein Grund zur Klage? Niemand wird gezwungen mitzumachen. Ja, aber die Abstinenz hat einen hohen Preis. Sie geht gegen die menschliche Natur: Erst einmal angebissen, ist der Apfel unwiderstehlich (S. 341).

Heute gibt es AdWords, das die Wünsche des Webseitenanbieters berücksichtigt und das sich gute Platzierungen bezahlen lässt (Targeted Advertising). Die Platzierung, bezogen auf Schlüsselwörter der Anfrage, wird durch eine Art Auktion festgelegt. Abgerechnet wird nach Anzahl der Klicks auf die Seite (S. 76).

Viele Klicks senken die Kosten je Klick (S. 83 ff.) . Das scheint dem Profitinteresse von Google zuwiderzulaufen. Andererseits aber soll das Google‐System Leute anziehen und bei der Stange halten; genau das gelingt mit Seiten mit hohen Klickzahlen. Deshalb wird sich ein Seitenanbieter bemühen, seine Seite besonders attraktiv zu gestalten. Das zahlt sich dann für ihn und für AdWords aus.

Und so kommt das Benutzerverhalten ins Spiel: Je besser ein Seiteninhalt zum prognostizierten Benutzerverhalten passt, umso besser wird die Seite platziert. Das sorgt für mehr Klicks und verbessert den Profit für AdWords und den Seitenanbieter.

Totalitarismus

Der Überwachungskapitalismus ist eine neue Wirtschaftsordnung, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für versteckte kommerzielle Praktiken der Ausbeutung, Vorhersage und des Verkaufs beansprucht. Resultat ist eine beispiellose Konzentration von Reichtum, Wissen und Macht. Das Volk wird seiner Souveränität und wichtiger Menschenrechte beraubt.

Damit entsteht die Vorstellung eines unkorrigierbaren totalitären Staates als Träger ewiger Wahrheiten. Für Larry Page sind die totalistischen Ambitionen von Google eine logische Konsequenz des Engagements für die Perfektionierung der Gesellschaft (S. 401).

Die Idee ist in der Geschichte schon mehrfach gescheitert. Es gibt keinen Grund für die Vermutung, dass das diesmal anders sein wird.

Literaturhinweise

Phineas Taylor (PT) Barnum: The True Life of the World’s Greatest Showman. 1888

Edward Bernays: Propaganda. 1928

Gustave Le Bon: Psychologie der Massen. 1895/2009

George Orwell: 1984. 1948

Ayn Rand: Atlas Shrugged. 1957

Shoshana Zuboff: The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power. 2019

Mad Men. Fernsehserie 2007 – 2015

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