Das dicke Ende

Der Skeptiker hat oft Gelegenheit, sich richtig schlecht zu fühlen. Er kann zwar manchen Shitstorm gegen seine Ansichten leicht wegstecken, aber dann, wenn sein Pessimismus wahr wird, geht seine Stimmung in den Keller. Die Wahrheit hat manchmal ein wirklich hässliches Gesicht.

Axios (Mike Allen)  schreibt gestern (13.2.25) in den Nachmittagsnachrichten davon, was Pete Hegseth soeben auf dem Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel von sich gegeben hat und was ein hoher US-Verteidigungsbeamter so unterstreicht:

Ukraine won’t become a NATO member.
U.S. troops won’t help to enforce any postwar security guarantees.
Any European troops deployed to Ukraine for peacekeeping need to be on a „non-NATO mission,“ so that the U.S. would not be obligated to protect them.

(Die Ukraine wird nicht Mitglied der NATO werden. Die US-Truppen werden nicht die Sicherheitsgarantien für die Zeit nach dem Krieg durchzusetzen helfen. Alle europäischen Truppen, die zur Friedenssicherung in die Ukraine entsandt werden, müssen in einer „Nicht-NATO-Mission“ eingesetzt werden, so dass die USA nicht sie zu schützen verpflichtet wären.)

Der Auftritt des US-Vizepräsidenten JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird für heute Nachmittag »mit Spannung erwartet«, schreibt tagesschau.de. Ich erwarte, dass er dort nichts anderes sagt, als das bereits von Pete Hegseth Ausgeplauderte. Donald Trump wirkt auf uns erratisch, aber in vielen Dingen ist er erstaunlich unbeirrt. Er hat einen Plan, ob der uns gefällt oder nicht.

Nach drei Jahren Blutvergießen habe ich kein Verständnis mehr für den Einwand, dass das alles über die Köpfe der Ukraine hinweg passiert. Ich zähle die USA wie Putin zu den Verantwortlichen für das Blutbad und es sollte niemanden verwundern, dass Donald Trump den auch für die USA kostspieligen Einsatz beenden will. Jetzt wird sich zeigen, was den Europäern die Ukraine wert ist.
Was bleibt, ist die Erkenntnis: Die Westlichen Werte haben dem realen Sturm nicht standgehalten. Weiterlesen

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Verlustaversion – eingebaute Evolutionsbremse?


Der Begriff Verlustaversion „bezeichnet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne“. Diese aus der Wikipedia entnommene Definition wird beinahe ausschließlich begleitet von Überlegungen und Erklärungen, was dieses weitgehend irrationale menschliche Verhaltensmuster für Konsequenzen hat. Zwar wird psychologisch bzw. evolutionstheoretisch begründet, warum wir lieber festhalten als riskieren. Aber dem eigentlichen Grund, warum das so ist, wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt, wahrscheinlich weil es ein so einfacher mathematischer ist.

Eine Entwicklungskurve, sei sie linear oder nichtlinear, soll einen Verlauf darstellen, also das Fortschreiten eines Vorgangs in der Zeit. Da der Zeitverlauf gerichtet ist, stellt jeder Kurvenpunkt einen jeweils singulären Verweilpunkt dar. Im Rückwärtsblick offenbart sich von dort die bis dahin erfahrene Vergangenheit, also etwas sehr Reales und womöglich auch Belegbares. Im Blick nach vorn dagegen ist immer nur Extrapolation möglich, also das anhand des Zurückblickens eventuell zu Erwartende. Dieses Vorausschauen im Zurückblicken erzeugt also nichts Reales sondern lediglich etwas mehr oder weniger Wahrscheinliches.

Diese triviale, um nicht zu sagen banale Definition einer Entwicklungskurve wird erst etwas spannender, wenn man sie buchstäblich vom Anfang bzw. vom Ende her denkt. Während sie im Rückblick, im Koordinatensystem also links, ganz konkret endet (im Extremfall beim Urknall als dem Beginn der Zeit), lässt sich in der Vorausschau nach rechts kein solcher Endpunkt lokalisieren, nicht einmal unter der Annahme, dass es ihn überhaupt gibt. Der gerichtete Zeitpfeil könnte zwar ein zu errechnendes, aber eben kein erfahrenes Ende haben.
Das Leben, ob nun menschliches oder nicht, ist demnach vom Wesen her nicht in der Lage, die Zukunft allein so zu gestalten, dass sie aus seiner Sicht „richtig“ verläuft. Aber offenbar ist es ausschließlich das menschliche Leben, das die Tatsache des gerichteten Zeitpfeils nicht zu akzeptieren bereit ist. Weil wir Menschen sind, haben wir die Mathematik erfunden und könnten jene Tatsache anerkennen, eben weil wir darum wissen. Aber indem wir Lebewesen sind, fehlt uns die Fähigkeit zu dieser Akzeptanz. Die Verlustaversion ist reine Biologie, es gibt kein Mittel dagegen, auch wenn wir uns dies dereinst eingestehen würden. Wir können nicht unterlassen statt zu tun, nicht verzichten statt haben zu wollen, jedenfalls nicht, solange der Zeitpfeil aktiv ist und uns zum Handeln verpflichtet.

Ob das Universum von 3 oder 4 Grundkräften gesteuert wird, vielleicht aber auch von 5 oder gar nur von einer (Wikipedia:“ Fundamentale Wechselwirkung“): Was auch immer seine Entwicklung vorantreibt, es geschieht in der Zeit. Erfahrung macht uns klüger, aber was geschehen wird, kann niemals gewusst, sondern höchstens näherungsweise geschätzt werden. Die Verlustaversion des Lebendigen ergibt sich schlicht daraus, dass nur sicher sein kann, was man hat, aber nicht, was morgen fehlen oder zu viel sein könnte. Entwicklung gibt es nur für den Preis, dass Erreichtes auch wieder verloren geht.

Mephisto, wer sonst, bringt’s auf den Punkt: „Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Aber man muss eben Teufel sein, um das auszusprechen.

(Mehr zu dieser Thematik auch hier.)

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Medien: Der Schwindel mit der Lupe

Irreführende Statistikinterpretationen und täuschende Grafiken fand ich vor allem im stern und im SPIEGEL. Seit ich Abonnent von Welt+ bin, finde ich so etwas auch dort.

Sie mögen es nicht, manipuliert zu werden? Dann schauen Sie sich die Beispiele meiner Sammlung an. Sie offenbaren einige Tricks der Manipulanten.

Am 22.1.2025 finde ich in Welt+ diesen Artikel: »Der große Irrtum vom Eigenheim als perfekter Geldanlage fürs Alter.« Diese Aussage wird garniert mit einer Grafik, die dem Leser drastisch vor Augen führt, dass er, anstatt in Immobilien zu investieren, sein Geld auch gleich zum Fenster rausschmeissen kann.

Im begleitenden Text steht:

Investiertes Kapital in Unternehmen arbeitet im Schnitt viel besser als in „Betongold“ gestecktes Geld.

Aha, darum geht es: Der Leser soll in den Aktienmarkt gelockt werden. Weiten wir den Blick. Schauen wir uns nicht nur die Entwicklung der letzten zwei Jahre an. Gehen wir zehn Jahre zurück; schon sieht die Sache ganz anders aus.

Der Blick durch die Lupe, die Konzentration auf einen kurzen Zeitschnipsel, wie oben geschehen, engt das Blickfeld ein. Der Kontext, die Umwelt wird unsichtbar, das Urteil in eine bestimmte Richtung gelenkt.

Bei Walter Lippmann finde ich dazu die folgende erhellende Passage (Die öffentliche Meinung. 1949/2018, S. 157):

Nahezu nichts, was unter dem Namen historischen Rechts oder historischen Unrechts geläufig ist, kann als wirklich objektive Sicht der Vergangenheit bezeichnet werden. Da ist zum Beispiel die französisch-deutsche Streitfrage über Elsass-Lothringen. Die Beantwortung hängt ganz vom Ausgangsdatum ab, das man herausgreift. Beginnen wir mit den Raurakern und Sequanern, so waren diese Gebiete geschichtlich ein Teil des alten Galliens. Wenn wir stattdessen Heinrich I. an den Anfang stellen, ist Elsass-Lothringen geschichtlich ein deutsches Territorium. Nehmen wir 1273, so gehört es zum Hause Österreich. […] Mit Ludwig XIV. und dem Jahr 1688 sind diese Gebiete nahezu ausschliesslich französisch.

Um auf den Welt+-Artikel zurückzukommen: Nach dem knalligen Eingangsstatement wird einiges wieder zurechtgerückt. Aber es ist eine gut bestätigte Weisheit, dass der erste Eindruck der prägende ist. Nachfolgende Korrekturen bewirken demgegenüber nur wenig. Dieser Verankerungseffekt tritt in meiner Halbkreisaufgabe deutlich zutage.

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Was ist faul an Zuckerbergs Community Notes Model?

Wie bereits vorgestern angemerkt, übernimmt Mark Zuckerberg für Facebook Elon Musks Modell der Community Notes. Er kündigt an, das derzeitige Programm zur Überprüfung von Fakten durch Dritte in den Vereinigten Staaten zu beenden und stattdessen zu einem Programm für Community Notes überzugehen. Er bezieht sich darauf, dass dieser Ansatz bei X funktioniere. Die Community entscheidet, wann ein Beitrag potenziell irreführend ist und mehr Kontext benötigt, und die Menschen aus den unterschiedlichsten Perspektiven entscheiden, welche Art von Kontext für andere Nutzer hilfreich ist.

Schauen wir uns an, wie Musks Modell Kollektive Anmerkungen auf X funktioniert.

Wenn eine Anmerkung von ausreichend Mitwirkenden mit verschiedenen Ansichten als hilfreich bewertet wurde, wird die Anmerkung zu einem Post öffentlich angezeigt. 

Der Guide für X Notes präzisiert: Nur Bewertungen, die von Leuten mit unterschiedlichen Sichtweisen als hilfreich bewertet wurden, erscheinen mit den Posts.

Das Modell Kollektive Anmerkungen funktioniert nicht nach dem Mehrheitsprinzip. Zur Identifizierung von Anmerkungen, die für zahlreiche verschiedene Menschen hilfreich sind, müssen sich Mitwirkende, die bei früheren Bewertungen manchmal unterschiedlicher Meinung waren, über die Anmerkungen einig sein. Das hilft, einseitige Bewertungen zu verhindern.

Unter dem Titel Vielfältige Sichtweisen wird erläutert, wie das Modell Kollektive Anmerkungen mit unterschiedlichen Sichtweisen umgeht.

Kollektive Anmerkungen möchte Anmerkungen identifizieren, die wahrscheinlich viele Leute auf X hilfreich finden, auch Leute mit verschiedenen Sichtweisen.

Bei der Suche nach Anmerkungen, die möglichst verschiedene Leute hilfreich finden, berücksichtigt Kollektive Anmerkungen nicht nur, wie viele Mitwirkende eine Anmerkung als hilfreich oder nicht hilfreich bewertet haben, sondern auch, ob die Leute, die sie bewertet haben, unterschiedliche Sichtweisen haben.

Soweit die Verlautbarungen der Plattform X.

Nehmen wir uns einmal ein konkretes Beispiel vor: Donald Trump ist der Ansicht, dass ihm der Wahlsieg im Jahre 2020 gestohlen worden sei. Obwohl es überzeugende Hinweise gibt, dass dies nicht stimmt, haben sich viele Leute dieser Ansicht angeschlossen. Solche Leute gehören zu den Mitwirkenden bei den Community Notes und müssten bei einer negativen Berurteilung zustimmen, was sie in diesem Fall verständlicherweise nicht tun werden. Die Katze beißt sich in den Schwanz.

Bei dieser Sachlage ist es nahezu ausgeschlossen, dass bereits verbreitete Falschmeldungen negativ notiert werden. Das System ist zahnlos und strukturbedingt ungeeignet, der Falschmeldungen Herr zu werden.

In der neuen Informationsweltordnung

haben die Menschen mit den größten Plattformen und Anhängern mehr Macht denn je, die Realität zu gestalten. Das ist eine seismische Verschiebung in der Art und Weise, wie Realitäten in Echtzeit geformt werden,

schreibt Mike Allen auf Axios (übersetzt von DeepL).

Kurzum: Wir müssen lernen, mit Falschmeldungen zu leben. Jeden Einzelnen von uns betrifft das. Das einzige, was uns hilft, ist kritisches Denken, Skepsis.

Nachtrag, 15.1.2024: Was Europas Presse dazu schreibt.

Die europäischen Regeln für digitale Dienste: DSA

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The Pursuit of Happiness

Tragende Säulen des amerikanischen Way of Life sind die vermeintlich gottgegebenen unveräußerlichen Rechte Life, Liberty and the Pursuit of Happiness, Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit. Dort ist es aufgeschrieben: The Declaration of independence.

Ideologieverdacht

Es war 1982, da habe ich mir Gedanken über die Ziele der Politik gemacht und notiert:
– Möglichst viele zufriedene Menschen
– Mehr zufriedene als unzufriedene Menschen
– Möglichst wenige unzufriedene Menschen.

Zwanzig Jahre später habe ich Mary Douglas gelesen und Jeremy Benthams Prinzip des »größten Glücks der größten Zahl« kennengelernt. Manch einer hält den damit verbundenen Utilitarismus für einen Fortschritt gegenüber Immanuel Kants kategorischen Imperativ.

Sowohl Kants Gesinnungsethik als auch Benthams Utilitarismus kennzeichnet das Bestreben, die Glückseligkeit auf viele, möglichst auf alle auszudehnen.
Aber, o Schreck, schnell wird Philosophie zur Ideologie. Ich erinnere an die Pädagogik Kants und den Utilitarismus Peter Singers. Derartige Idealisierungen und Überdehnungen können das Denken vernebeln.

Die in der Unabhängigkeitserklärung genannten unveräußerlichen Rechte sind nämlich nur dem Individuum zugerechnet. Sie sind Rechte des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und nicht etwa umgekehrt. Sehen wir uns zunächst genauer an, welcher Ärger droht, wenn wir das Recht auf Glückseligkeit überdehnen. Weiterlesen

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Geld herrscht

Die USA sind die Vorzeigedemokratie der Welt, zumindest wenn man ihrer Propaganda Glauben schenkt.

Dabei lag den Gründungsvätern der USA – insbesondere James Madison (1751 bis 1836) und Alexander Hamilton (1755 oder 1757 bis1804) – nichts ferner als die Einrichtung einer wirklichen Volksherrschaft, einer »Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk«, wie es der 16. Präsident der USA Abraham Lincoln im Jahr 1863 ausdrückte. Das Ganze sollte nur so aussehen.

In einer Bundesversammlung machte Hamilton die folgende Bemerkung zum Charakter einer »guten Regierung«:

Alle Gesellschaften teilen sich in die Wenigen und die Vielen. Die Ersteren sind die Reichen und die aus guter Familie, die anderen sind die Masse des Volkes. Man nannte die Stimme des Volkes Gottes Stimme: Aber wie selbstverständlich diese Maxime auch zitiert und geglaubt worden ist, sie ist freilich nicht wahr. Das Volk ist unruhig und wechselhaft; selten treffen seine Urteile und Auffassungen zu. Wenn man allerdings der oberen Klasse einen deutlichen und dauerhaften Anteil an der Regierung verschafft, so wird sie die Unbeständigkeit der anderen in Schach halten. Und da sie keinen Vorteil durch einen Wechsel erlangen kann, wird sie stets an einer guten Regierung festhalten.

Das Volk braucht die Illusion von Demokratie. Die Kluft zwischen dem was ist und dem was sein soll schließt die Propaganda. Darin sind die US-Amerikaner Meister. Sie haben die moderne Werbung vervollkommnet. Wie diese funktioniert, erleben wir tagtäglich in der Presse, in Funk, Fernsehen und im Internet. Man sollte sich dabei immer die Fragen stellen, wer wohl hinter der gerade gehörten oder gelesenen Meldung steckt und wie sie demjenigen nützen könnte und vor allem warum vieles andere, das für einen genauso wichtig und interessant wäre, nicht berichtet wird.

Dass die Eliten ihre Fähigkeiten zur Volksbeeinflussung ständig weiterentwickeln, lässt sich an den Wirtschaftsnobelpreisen ablesen. Schon die Bezeichnung »Wirtschaftsnobelpreis« ist Hochstapelei, denn dieser »Alfred-Nobel-Gedächtnispreis« war nicht im Sinne Alfred Nobels und wurde von ihm auch nicht gestiftet. Preisträger des Jahres 2017 ist Richard Thaler. Sein Buch Nudge ist eine Anleitung zur wirksamen Beeinflussung der Massen, vorzugsweise ruhiggestellter Konsumenten, die vermeintlich einen freundlichen Schubs in die richtige Richtung brauchen.

In dieser uns vertrauten Welt des Scheins geschieht nun Ungeheuerliches. Donald Trump – soeben zum 47. Präsidenten in der USA gewählt – geht unter die Oberfläche. Der Großmeister des Humbugs serviert uns die Wahrheit ungeschminkt. Donald Trump hat superreiche Unterstützer, alle mehrere Milliarden Dollar schwer: Elon Musk, Larry Ellison, Jeff Bezos, Peter Thiel, … Der Einfluss des Geldes auf die Politik wird nicht etwa verschämt zugegeben. Nein, man trägt die Verbindungen offen zur Schau und ist stolz darauf.

In vielem sind die USA für uns Europäer und insbesondere uns Deutsche Vorbild. Vor allem die Checks and Balances haben es uns angetan. Die Gewaltenteilung funktioniert bei uns derzeit recht gut und vielleicht sogar besser als in den USA. Auch den Föderalismus verdanken wir den USA. Ich halte ihn für ein wichtiges Element der Gewaltenteilung.

Die USA führen uns auch die Gefahr vor Augen, dass sich die Demokratie als Plutokratie entpuppt. Dagegen anzugehen, halte ich für verdienstvoll. Eine Organisation, die genau das tut, ist LobbyControl. Ihr aktuelles Thema: Parteispenden.

Quelle des von Alexander Hamilton stammenden Zitats ist Joseph Vogls Buch Der Souveränitätseffekt (2015, S. 153 f.).

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Vorsicht Statistik!

Wenn der Hochschulpräsident „die neuen Studierenden willkommen heißt“, dann wendet er sich an Leute, die sich zwar für ein Studium eingeschrieben haben, die möglicherweise auch vorhaben zu studieren, aber es gerade eben nicht tun, die folglich zur Zeit der Ansprache gar keine Studierende sein können.

Das Gendern ist gar nicht so einfach, es ziert eigentlich nur Leute, die ein bereits hochentwickeltes Sprachgefühl besitzen. Ich jedenfalls fühle mich überfordert und nicht inkludiert.

Das macht nichts. Was mich aber wundert, ist die Fürsprache, die das Gendern in akademischen Kreisen und unter Nachrichtensprechern genießt. In meinem Alltag kommt es nicht vor. Auch meine dem Gendern zugeneigten Freunde sprechen eher unauffällig.

Mir stellt sich die Frage: Wie verbreitet ist das Gendern eigentlich? Was sagt die Statistik dazu? Und damit bin ich bei meinem Thema.

Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung werteten im Rahmen der Deutschland-Erhebung 2017/18 insgesamt 1439 Onlinefragebögen in Bezug auf die angebotenen Möglichkeiten zum Ausfüllen eines Satzes aus. Fast fünfzig Prozent Zustimmung findet dieser Satz: „Die neu gestalteten Gruppenräume in der Bibliothek bieten den Studierenden optimale Arbeitsbedingungen.“

Weit abgeschlagen sind Alternativen anstelle der „Studierenden“ wie Doppelnennungen, Gender* und dergleichen. Auch das generische Maskulinum hat in dieser Umfrage keine Chance.

Dieser Umfrage nach ist das Gendern also sehr beliebt und das Pro offenbar längst entschieden. Oder ist es vielleicht so, dass diese Umfrage genau diesen Eindruck erwecken will?

Bei den Gruppenräumen in der Bibliothek geht es ja tatsächlich um die Leute, die dort studieren wollen. Auch ich würde in diesem Fall von Studierenden sprechen – egal ob Studenten oder nicht. Demgegenüber ist die Formulierung des Hochschulpräsidenten – streng genommen – schlechtes Deutsch.

Die Umfrage ist ein schönes Beispiel für die Grenzen der Wissenschaft: Das Objekt der Beobachtung lässt sich vom Denkrahmen und den Wertvorstellungen des Beobachters nicht trennen. Objektivität im klassischen Sinn ist bei gesellschaftlichen Fragestellungen nicht erreichbar. 

Für Michel Foucault ist das ein Kennzeichen der Moderne (Die Ordnung der Dinge, 1974, S. 439):

Die abendländische Kultur hat unter dem Namen des Menschen ein Wesen konstituiert, das durch ein und dasselbe Spiel von Gründen positives Gebiet des Wissens sein muß und nicht Gegenstand der Wissenschaft sein kann.

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Angela Merkel: Teufel oder Heilige?

Angela Merkels Buch Freiheit habe ich mir sofort nach Erscheinen am vergangenen Dienstag, den 26.11.24 besorgt. Mehr als den Prolog habe ich noch nicht geschafft, denn der Wälzer braucht Zeit. Die werde ich mir nehmen. Schon die auch bei mir auf DDR und BRD aufgeteilte Biografie schafft Verbundenheit.

Einmal, so erinnere ich mich, habe ich Angela Merkel auch gewählt. Ich bin halt Wechselwähler. Jedenfalls fand ich seinerzeit, dass sie einiges richtig gemacht hat: Im nachbarschaftlichen Verhältnis zu Russland und in der Flüchtlingskrise 2015/2016. Ihren Gebrauch des Wortes „alternativlos“ fand ich aber schon immer grässlich. Dann kamen die AfD und Putins Angriffskrieg. Die „Wahrheit“ wurde neu kalibriert.

Abgesehen vom Prolog ist mein Informationsstand zum Buch gegeben durch die Videos der Interviews mit Anne Will am Vortag und am Tag der Buchvorstellung im Deutschen Theater.

Was mich heute schon zu einem Artikel provoziert, sind die stante pede erschienenen 38 Rezensionen bei Amazon – so der Stand heute, zwei Tage nach Erscheinen des Buches.

Aktuelle Amazon-Rezensionen

Über die Hälfte davon sind Verrisse in dieser Tonlage:

Wie banal kommt sie daher, ohne kritische Reflexion, ohne ein Eingeständnis ihrer Fehler.

Eine andere:

Merkel vermeidet konsequent, Fehler einzugestehen. Weder die umstrittene Energiewende noch die Herausforderungen der Eurokrise oder die Polarisierung der Gesellschaft durch ihre Migrationspolitik werden kritisch beleuchtet.

Es geht noch toller:

Sowohl der Titel als auch der Preis für dieses Schundwerk sind eine Frechheit.

Auf der Gegenseite heißt es:

Einen so tiefen und ehrlichen Einblick, ohne sich zu bemitleiden oder zu bejubeln, habe ich selten seitens eines Politikers gelesen.

Und:

Frau Merkel war das beste Staatsoberhaupt das wir je hatten.

Den meisten Rezensenten geht es nicht um das Buch, sondern um die Politik. Sie müssen das Buch also gar nicht gelesen haben. Die Rezensionen spiegeln Zerrissenheit und Polarisierung unserer Gesellschaft. Darin sind die USA Vorreiter und kein gutes Vorbild.

Der Tumult um das Buch führt uns einen weiteren Irrtum vor Augen, nämlich das, was ich die Erinnerungsfalle nenne. Der Volksmund sagt: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Die Verzerrung der Wirklichkeit kann sich in die eine oder die andere Richtung auswirken, als Beschönigung oder als Übertreibung. Dabei ist das, was man im Nachhinein für falsch hält, oftmals nur ein ganz Normaler Irrtum. Ich neige dazu, auch die Nord Stream Pipeline für einen solchen zu halten. Was das Buch selbst angeht, werde ich mich später noch einmal melden.

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Who Watches the Watchmen?

Ein gewisser Guy Foxx hat im Facebook-Forum „Mathematik & Physik“ den folgenden Kommentar zum letzten Artikel abgeliefert:

Timm Grams Bist du wirklich so dumm? Ich habe doch gerade klar gesagt: „Klassiker mit Hüten oder Gesichtern sind sinnvoller.“

Und was machst du? Du schickst mir ein Beispiel mit den Muddy Faces. Muss ich meinen Kommentar echt noch übersetzen, weil du selbst nicht in der Lage bist, mitzudenken?

Die Originalaufgaben wie „Hats“ oder „Muddy Faces“ sind sinnvoller als deine idiotische Umschreibung mit Rückennummern. Der Grund ist simpel: In den Originalen kann jede Person den Hut oder das Gesicht aller anderen sehen – nur eben nicht den eigenen.

Bei deiner Version mit Rückennummern ist das völlig unbrauchbar. Wie soll denn jede Person die Rückennummer aller anderen sehen? Genau deshalb gibt es das Rätsel im Original mit Hüten und Gesichtern – weil es dann funktioniert. Darum meine Kritik: Denk doch mal über die Machbarkeit deiner Umschreibung nach, die wirklich selten dämlich ist.

Ergo: Wenn du schon Klassiker kopierst (was allein schon nicht gerade ein Zeichen von Kreativität ist), dann sorg wenigstens dafür, dass deine Abwandlung auch Sinn ergibt.

Den übergriffigen Tonfall kenne ich von GWUP-internen Diskussionen, die mich eigentlich hinreichend hätten abhärten sollen. Dennoch habe ich mich zu einer Meldung an die Gruppenadministratoren hinreißen lassen, was ich aber sofort bereut habe. Von Tugendwächtern halte ich nämlich gar nichts. Guy Foxx will offenbar mitspielen, die Frage ist nur, in welcher Rolle. Spielt er den Tugendwächter oder ist er ein Fall für Tugendwächter?

Ein weiteres Beispiel: Wenn jemand harte Strafen für Klimakleber fordert, widerspreche ich vehement: Eine kalkulierte Übertretung strafbewehrter Regeln muss in einer Demokratie möglich sein. Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit.

Der Skeptiker stellt Autoritäten infrage und hält das für eine Tugend. Er hat verinnerlicht, dass Irrtum grundsätzlich möglich ist und vor Autoritäten nicht haltmacht. In den Basics für Skeptiker schreibe ich darüber.

Eine grassierende Unsitte ist derzeit, Meinungen als Faktenchecks zu verkaufen. So etwas machen auch die öffentlich-rechtlichen Medien. Einer solchen Verlautbarung sollten wir grundsätzlich misstrauen. Woher soll Vertrauen auch kommen: Die Faktenchecker sind in den irrtumsträchtigen Prozess des Wissenserwerbs genauso eingebunden wie jeder andere. Wir sollten stets davon ausgehen, dass auch der Faktencheck interessengeleitete Meinung ist.

Das lässt sich nicht verhindern, vor allem nicht durch übergeordnete Überwachungsapparate. Diese sorgen nur für Machtballung und für die weitere Erschwernis der Kontrolle.

Wer diesen Faden weiterspinnen will, der wird seinen Spaß an dem im Titel angesprochenen Superheld*innen-Comic haben. Auch die Youtube Videos des Wirtschaftswissenschaftlers Christian Rieck nähern sich dem Thema auf unterhaltsame Art, beispielsweise wenn Rieck vom Vertrauenswürdigen Hinweisgeber spricht und fragt: „Wer kontrolliert den Kontrolleur?“

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Auf den Schlag – Denksport

Die Zahl der Bewerber für ein begehrtes Logikseminar übersteigt die Zahl der freien Plätze. Der Professor hält alle Bewerber für gleichermaßen hochbegabt und trifft eine Zufallsauswahl.

Für die endgültige Zulassung müssen die Kandidaten aber noch eine Prüfung bestehen. Er heftet allen Bewerbern einen Zettel auf den Rücken. Auf den Zetteln der Ausgewählten steht ein X und auf den anderen ein O. Keiner der Kandidaten weiß, ob er ausgewählt wurde oder nicht, aber er sieht all die anderen Zettel und er weiß folglich, welche der anderen Bewerber ausgewählt wurden.

Der Professor sagt den Bewerbern nicht, wie viele er insgesamt ausgewählt hat, aber wenigstens einer sei es ganz bestimmt. Er greift sich einen Gong und sagt: „Ich schlage jetzt etwa alle fünf Sekunden den Gong. Wer beim Gongschlag weiß, dass er ein X auf dem Rücken trägt, verlässt den Raum. Gibt er auch noch eine stichhaltige Begründung dafür, bekommt er einen Platz im Seminar.“ Damit beginnt er, den Gong zu schlagen. Tatsächlich verlassen alle Auserwählten gleichzeitig den Raum. Beim wievielten Gongschlag geschieht das?

Nachtrag

Die Teilnehmer dürfen sich während der Prozedur untereinander weder durch Wort noch Tat verständigen. Andernfalls wäre das Rätsel witzlos.

Wer Musterlösungen vermisst, der findet auf der Seite Denksport die Gründe dafür.

Weiter geht’s in den Kommentaren.

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