Werte spielen in der internationalen Politik nur dann eine Rolle, wenn’s den eigenen Interessen dient. Das führen uns die USA gerade vor Augen: im Ukraine-Konflikt und mit dem Inflation Reduction Act. Im ersten Fall werden die gemeinsamen Werte beschworen, im zweiten geht’s auch mal ohne diese. Diese Instrumentalisierung der Werte in der Außenpolitik hat Tradition. Ich will nicht missverstanden werden: den Wert der Freiheit schätze ich sehr hoch ein, nicht aber dessen Missbrauch für eine missionierende Außenpolitik. Darum geht es in dieser Streitschrift.
Ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet, aber ein paar Beispiele fallen mir ein. Meinen Hintergrund habe ich in Moralisierung und politische Lagerbildung dargelegt. Noch einmal ganz kurz: Werte werden durch Narrative, durch Erzählungen, präzisiert. Hauptsache ist, dass ein jeder der Gemeinschaft sich zu ihren Narrativen bekennt, so fadenscheinig sie auch sein mögen. Die Wirkung solcher Narrative habe ich während meiner Mitgliedschaft in der Skeptikerbewegung studieren können. Ein inzwischen klassisches Beispiel ist The American Dream: Vom Tellerwäscher zum Millionär. Wie wenig dieses Versprechen eingelöst wird, sieht man an der gewaltigen Einkommensungleichheit in den USA. Es ist wie beim Lotto: Jeder hofft auf den Hauptgewinn, der glücklich macht. Fast immer wird diese Hoffnung enttäuscht. Die Einkommensungleichheit ist es, die die Demokratie bedroht, nicht etwa irgendeine zufälligerweise in Spitzenpositionen agierende Person.
Bei Freiheit denke ich in erster Linie an den schöpferischen Prozess. Die Freiheit hat in ihm zentrale Bedeutung. Ihr entgegen wirkt die Planung. Bei uns im Westen ist das Wort Freiheit zur Kampfvokabel im politischen Prozess geworden. Beim genaueren Hinsehen ist es die Freiheit der Oligarchen, der Geldaristokratie (Patrick Deneen, Why Liberalismus Failed, 2018, S. 135-141).
Wie biegsam der moderne Freiheitsbegriff ist, dafür steht schon einer seiner Erfinder: John Locke. Seine Begründung für die Vertreibung der Indianer von ihrem Grund und Boden ist, dass sie ihn nicht landwirtschaftlich nutzen. Wer seinen Boden nicht ausbeutet, dem gehört er auch nicht. So gesehen war die „Eroberung des Paradieses“ eine werteorientierte Außenpolitik (mehr darüber im Kapitel Eigentumstheorien der Wikipedia).
Den Aufruf unserer Außenministerin Annalena Baerbock zu einer werteorientierten Außenpolitik empfinde ich als Schaufensterdekoration. Eigentlich geht es für uns Bürger darum, die Russen an Landnahme zu hindern, die auch uns bedroht. Aber auch darüber hinausgehende Aggressionen werden durch diesen Aufruf vorgeblich gerechtfertigt. Ich erinnere an Lloyd Austin, der in Ramstein sagte: „Wir wollen Russland in dem Ausmaß geschwächt sehen, dass es die Art von Dingen, die es mit dem Einmarsch in die Ukraine getan hat, nicht mehr machen kann.“
Für uns Deutsche wäre es sicher von Vorteil, wenn wir uns nicht länger den Blick auf die Realpolitik durch Wertegesülze verstellen ließen.
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