Ukraine: Aufgeben als Ultima Ratio?

Christian Rieck: Soll die Ukraine kapitulieren? Hat Precht recht? (Beste Antwort und dominierte Strategie)

In diesem Video werden Hypothesen des Richard David Precht, nämlich erstens Krieg kostet Menschenleben und zweitens die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen, spieltheoretisch analysiert.

Die spieltheoretische Grundannahme ist, dass ein Mitspieler seine Strategie ändert, wenn sich dadurch seine Kosten-Nutzen-Relation verbessert. Dann macht Christian Rieck Annahmen zu den Kosten-Nutzen-Relationen der Parteien und kommt zum Ergebnis, dass Krieg dem überlegenen Angreifer weniger schadet als dem Verteidiger oder, falls eine Verteidigung unterbleibt, ihm den erwarteten Nutzen bringt.

Da in diesem Modell der Angegriffene von einer Gegenwehr nur Nachteile hat, kommt Rieck zu dem von ihm angestrebten Ergebnis: Für den überlegenen Angreifer zahlt sich Krieg aus; der Angegriffene muss zur Vermeidung noch größerer Lasten aufgeben. Modell und Annahmen sind so gemacht, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Das hat eine gewisse Beliebigkeit. Über das Modell hinausreichende Lehren lassen sich daraus nicht ziehen. Rieck verändert die Annahmen und kommt dann auch zu deutlich anderen Ergebnissen.

Spieltheorie kommt den Ökonomen entgegen. Sie gibt ihren mitunter wackligen Hypothesen ein wissenschaftliches Aussehen. Ich halte mich lieber an die Simulationsmodelle der Populationsbiologie. Das hier passende Thema: Konkurrenz der Arten und Bedingungen für Koexistenz

Kurz gefasst: Friedliche Koexistenz stellt sich ein, wenn die Kosten-Nutzen-Relation für den Angreifer schlechter ist als für den Verteidiger. (Koexistenz ist genau dann möglich, wenn jedes weitere Individuum einer Population den eigenen Lebensraum um einen höheren Bruchteil reduziert als den der konkurrierenden Population.) Übertragen in die aktuelle Situation heißt das: Friedliche Koexistenz ist grundsätzlich möglich, wenn eine Lage hergestellt werden kann, in der die Negativbilanz für den Angreifer größer ist als für den Verteidiger. Angreifen zahlt sich dann nicht aus.

Weit kommt man mit solchen Modellen nicht, denn im Krieg herrschen Emotionen, und die kommen in diesen Überlegungen nicht vor. Weiterlesen

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Globalisierung

Das Pazifisten-Dilemma, von dem Rainer Gebauer schreibt, ist genau das Dilemma, in dem unsere Politiker stecken: Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock. Er vergleicht es mit dem Dilemma, das uns Ferdinand von Schirach mit seinem Theaterstück das Urteil einst präsentierte.

Ein solcher Vergleich verweist auf gewisse Analogien. Aber es gibt auch Differenzen. Und in diesem Vergleich gibt es eine Differenz, auf die hinzuweisen, mir besonders wichtig ist.

Im Falle des Terror-Dilemmas gibt es nämlich eine dritte Instanz, einen Hegemon, repräsentiert durch den Nationalstaat. In Deutschland ist die Regierung durch das Grundgesetz gehalten, Dilemmasituationen erst gar nicht auftreten zu lassen. Dass er diese Verpflichtung tatsächlich ernst nimmt, haben wir im Laufe der Corona Pandemie gesehen: Triage-Situationen wurden vermieden.

In dem Theaterstück wird ausführlich gezeigt, dass der Staat dieser Verpflichtung in dem fiktiven Fall nicht nachgekommen ist. Anstelle des Piloten hätten die Vorgesetzten und die Führungskräfte der Bundeswehr vor Gericht stehen sollen.

Wie aber sieht es im Ukraine-Konflikt aus? Wir sehen die Konfliktparteien: die USA mit ihrer Gefolgschaft auf der einen Seite und Russland auf der anderen. Der größte Teil der Menschheit gehört zu den Zaungästen. Ein Hegemon, der das Dilemma verhindern könnte, ist nicht in Sicht. Ins Riesenhafte vergrößert wird die Situation dadurch, dass einer der beiden Kontrahenten hegemoniale Tendenzen zeigt und dass der andere eine unipolare Welt nicht akzeptieren will oder gar selbst nach der Rolle des Hegemons strebt.

Im aktuellen Spiegel (30.04.2022, ab Seite 80) erklärt der Inder Pankaj Mishra, dass China und Russland zunächst durchaus ein Teil der westlichen Moderne sein wollten. Sie ließen westliches Kapital herein und investierten im Westen. „Über die Jahre aber stellte sich der Verdacht ein, dass die Globalisierung letztlich ein Mittel des Westens ist, seine Hegemonie zu sichern.“

So beleuchtet, sieht die deutsche Politik nicht gut aus. Nach der Kabinettsklausur in Meseberg am 4.5.2022 spricht Olaf Scholz von der Globalisierung  und deren Bedeutung für uns. Wir seien das Land mit der meisten internationalen Vernetzung (Scholz, Habeck und Lindner zum Ukraine-Krieg https://f7td5.app.goo.gl/hZiRUL).

Unsere Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine wird so gesehen gebraucht, um genau diese unglücksträchtige Politik zu retten. Annalena Baerbock meint sogar, aus der Position der nicht kriegsführenden Partei heraus, der Ukraine Kriegsziele definieren zu dürfen. Sie sagt im Bild-Interview vom 1. Mai 2022: „Ein Waffenstillstand kann nur ein erster Schritt sein. Für uns ist klar: Eine Aufhebung der Sanktionen gibt es nur, wenn Russland seine Truppen abzieht. Ein Frieden zu Bedingungen, die Russland diktiert hat, würde weder der Ukraine noch uns in Europa die ersehnte Sicherheit bringen. Schlimmstenfalls wäre er die Einladung zum nächsten Krieg – noch näher an unseren Grenzen.“

Nachtrag, 8.5.2022: Es ist eine Grenzüberschreitung, der Ukraine zu sagen, was sie wollen soll. Das geht von der „Pflicht zur Klugheit, einzusehen, wann man sich ergeben muss“ (Richard David Precht) über den „Abzug aller russischen Soldaten aus der Ukraine“ (Annalena Baerbock) bis hin zu „We want to see Russia weakened“ (Lloyd Austin).

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Pazifisten-Dilemma

Meine Generation – ich bin Jahrgang 1944 –, also die noch mit der Bewusstlosigkeit des Säuglings bzw. Kleinkindes in den im wahrsten Wortsinn ausblutenden 2. Weltkrieg Hineingeborenen, kennt Krieg nur im Sinne der aus ihm entstandenen Konsequenzen, also Armut, Besitz- und/oder Heimatverlust, Zerstörung, kollektive Schuldkomplexe usw. Leben als Kind nach 1945 hieß für mich mehr oder weniger unbegleitetes Aufwachsen im Mangel. Aber weil ich eben hineingeboren war in diesen Mangel und er für mich das Normale war, sind meine Kindheit und Jugend bis in die Fünfzigerjahre hinein alles andere als Leidensjahre. Ich hatte das Glück, in einem kleinen hessischen Dorf Kind und Grundschüler zu sein, und in meiner Erinnerung war mein Kinderleben vorwiegend ein großes Abenteuer mit allen Genüssen und Blessuren, die Abenteuer eben mit sich bringen.
In der Oberstufe meines Gymnasiums Anfang der 60er-Jahre waren sowohl Religion als auch Philosophie reguläre Pflichtfächer, und in beiden Fächern lernte ich dank hervorragender Lehrkräfte (wieder hatte ich Glück) einen ersten Umgang mit dem Nachdenken über Krieg, Schuld, Deutschsein und damit verwandten oder daraus abgeleiteten Themen. Und ein drittes Mal begünstigte mich das Schicksal, indem ich einen einjährigen USA-Aufenthalt erleben konnte in einer gutbürgerlichen, sehr aufmerksamen, liebenswerten Familie, in einer vorstädtischen amerikanischen Highschool. Zusätzlich gehörten zu diesem Jahr viele Begegnungen mit „Kollegen“ aus etwa 60 Ländern (von Indonesien bis Japan, Äthiopien bis Sierra Leone, Griechenland bis Norwegen, Mexico bis Chile). Sein Ende fand dieses Jahr schließlich zuerst mit einer einwöchigen Busreise bis Washington DC, wo wir alle (etwa 2000) von Präsident Kennedy empfangen wurden; danach fuhr ich mit ca. 800 europäischen und afrikanischen Glückspilzen in einer 8-tägigen Dampferfahrt zurück nach Hause. Bedeutsam ist hier der Hinweis, dass alle 2000 aus 60 Ländern, alle so um die 18, das amerikanische Schuljahr hinter sich und somit eine gemeinsame Sprache (englisch bzw. amerikanisch) hatten. Wir fühlten uns als die Welt, eine großartige Welt, nicht als Repräsentanten von irgendwelchen Nationen. Weiterlesen

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Krieg der Vielen für die Herrschaft der Wenigen

Auch wenn ich mich an derartigen Spekulationen über die Motive des Wladimir Putin nicht beteiligen mag, finde ich doch interessant, was die Time vom 25. April/2. Mai 2022 auf Seiten 32 über Putins mögliche Beweggründe schreibt:

Some say he’s reacting to NATO expansion; others contend that Putin can’t abide a Western-leaning Ukraine. Still others offer that Putin so laments the breakup of the Soviet Union that he wants to reassemble it. For my perspective, it’s not due to any of these reasons. It’s simply about money. Unlike most other governments, Russia’s is not there to serve the people, but to enrich senior officials through endemic corruption. The more senior you are, the richer you get. And the most senior person, Vladimir Putin, has become the richest. I estimate his wealth to be well north of $200 billion.

(Einige sagen, er reagiere auf die NATO-Erweiterung; andere behaupten, Putin könne eine westlich orientierte Ukraine nicht dulden. Wieder andere meinen, dass Putin den Zerfall der Sowjetunion so sehr bedauert, dass er sie wieder aufbauen will. Meiner Ansicht nach ist keiner dieser Gründe ausschlaggebend. Es geht einfach um Geld. Im Gegensatz zu den meisten anderen Regierungen ist die russische nicht dazu da, dem Volk zu dienen, sondern um hohe Beamte durch endemische Korruption zu bereichern. Je ranghöher man ist, desto reicher wird man. Und der ranghöchste Beamte, Wladimir Putin, ist der reichste geworden. Ich schätze sein Vermögen auf deutlich mehr als 200 Milliarden Dollar.)

Die Quelle mag dubios sein, die Aussagen halte ich jedoch, auch angesichts des Verhaltens von Gerhard Schröder, für durchaus plausibel. Der Autor des Artikels, der frühere Großinvestor Bill Browder, scheint eine schillernde Figur zu sein. Wen Details zur Person interessieren, der kann sich den Wikipedia-Artikel über die Person ansehen oder auch einen Spiegel-Recherche-Bericht.

Browders Verdikt gilt Russland. Bei uns ist es aber auch nicht wesentlich besser: Wir nehmen die Herrschaft der wenigen Superreichen in Kauf, weil sie uns mit Konsumversprechen das Leben versüßen. Zwei Namen mögen genügen: Jeff Bezos (Amazon/The Washington Post) und Elon Musk (Tesla/Twitter). Der US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampf wird bekanntlich vom Geld regiert. Ein Präsidentschaftskandidat, der nicht genügend Geld auftreiben kann, hat nicht die Chance eines erfolgversprechenden Wahlkampfes. So einfach ist das: Geld ist Macht. Kürzlich, am 26.4.22 in Ramstein, waren Blinken und Austin die Hauptantreiber hin zu einer weitestgehenden Aufrüstung der Ukraine durch die NATO. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Leute wie Besos und Musk im Geiste mit dabei waren. Das Denken der Ayn Rand ist in den USA offensichtlich stark verwurzelt.

Jetzt, wo uns der Krieg nahe kommt, wird Parteinahme von uns verlangt. Als Grund wird der Kampf für die Demokratie genannt, und dafür stehe nun einmal die Ukraine. Aber stimmt das überhaupt? Die politischen Indizes sagen jedenfalls etwas anderes. Was die Korruption angeht und die Pressefreiheit, landet die Ukraine unter allen Ländern auf den hinteren Rängen, so wie Russland, Rumänien, Bulgarien. Jedenfalls heben sich auch einige der NATO-Staaten nicht positiv von Russland ab.

Der Politologe Adam Przeworski gibt nicht viel auf solche Daten und Ranglisten (Der Spiegel vom 23.4 2022, S. 47). Er findet nur einen Index sinnvoll: zu messen welchen Einfluss Geld auf Politik hat. In dieser Hinsicht sehen sowohl der Osten wie auch der Westen nicht gut aus.

Könnte es sein, dass es im Krieg nur um die Einflussbereiche der Reichen und Mächtigen dieser Erde geht? Jedenfalls wissen diese Leute, die Empathiefähigkeit und die Emotionalisierbarkeit der Massen für ihre Zwecke auszunutzen. Wenn man das alles einmal außer Acht lässt, bleibt das übrig: Das Opfer einer Aggression, der Angegriffene, hat das Anrecht auf Beistand und nicht nur auf Mitgefühl. Für jeden Helfer gilt die Pflicht zum Eigenschutz. Nur ein unverletzter Helfer kann helfen, sonst vergrößert er das Problem. Konkret: Es gibt Kräfte, die Deutschland in Richtung Krieg treiben. Ramstein hat das deutlich gemacht. Hoffentlich passiert das nicht. Wir würden zu hilflosen Helfern. Weiterlesen

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Der Krieg braucht Emotionen, der Frieden kühlen Kopf

Der Spiegel gibt seinem aktuellen Heft (23.4,2022) den Titel „Wovor haben Sie Angst, Herr Scholz?“

Hoppla! Das kann nur eine rhetorische Frage sein, denn der Bundeskanzler hat ja klar ausgedrückt, dass er eine Eskalation des Krieges in der Ukraine fürchtet und er vermeiden will, dass Deutschland und auch die NATO in den Konflikt hineingezogen werden. Das Unheil könnte durch die Lieferung von schweren Waffen größer werden. Ob die Furcht berechtigt ist – wer weiß das schon? Mir scheint das Zögern des Bundeskanzlers eine vernünftige Reaktion angesichts der Umstände zu sein.

Aber diese rhetorische Frage soll offenbar Druck erzeugen. Der Spiegel wird genauer: „Seit Tagen drängen Kiew, die Bündnispartner und Politiker Ihrer Koalition bis hin zur Außenministerin auf die Lieferung schwerer Waffen. Warum tun sie das nicht?“ Damit schwenkt der Spiegel auf die von einigen Meinungsmachern wie dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk lautstark vertretene Linie ein: möglichst schnell Panzer und anderes schweres Gerät in das Kriegsgebiet liefern. Wer das nicht tut, verrät die Werte des Westens. Denn: „Europas Freiheit wird in der Ukraine verteidigt.“ So jedenfalls gibt Paul Ronzheimer von der Bild-Zeitung eine derzeit virulente Erzählung wieder (16.1.2022). Der Krieg braucht Emotionen. Pathos.

Im Laufe der Diskussion meines letzten Artikels kommt es zu einer bemerkenswerten Entgleisung.

Sebastian Bartoschek stellt auf Facebook fest, „dass bewußtes menschliches Handeln aus Gefühlen erwächst. Ja, diese Gefühle sind in Abwägung zu bringen, und nicht ungebremst auszuleben. Ich habe auch weder von Michael Roth, Agnes Strack-Zimmermann, von Anton Hofreiter, oder gar von Andre Melnyk, oder Wolodymyr Selenskyj eine rein emotional bedingte Forderung, wie die Bombardierung von Moskau, aus Wut und Vergeltung, gehört.“ Und weiter: „Was ich aber gehört habe ist eine generelle Abwertung emotionaler Zustände. Vielleicht ist es eine typisch deutsche Eigenart: die Überzeugung, dass das beste Handeln kalt sei. Dass Abwägungen und Entscheidungen am besten sind, wenn sie unabhängig menschlicher Gefühle gefällt werden. Wenn man mit ihnen, unabhängig persönlicher Gefühle, einem höheren Ziel zuarbeitet. Diese Haltung hat viel Leid über Menschen durch deutsche Hand gebracht, und es führt derzeit Leid weiter.“

Den Artikel Kopf oder Bauch? erinnernd antworte ich: „Der Skeptiker hält sich in dieser Frage eher an Daniel Kahneman (schnelles/langsames Denken) und weniger an Gerd Gigerenzer (Bauchentscheidungen). Emotionen gegen das rationale Denken zu wenden, finde ich irgendwie unangemessen. Das Bemühen um rationale Bewältigung der Situation ist nicht notwendigerweise mit Gefühlsarmut verbunden.“

Bartoschek erspart sich Argumente und meint: „Haben wir´s langsam, Putintroll?“

Das ist feindselig und niederträchtig. Eine frei erfundene Anschuldigung, eine reine Gefühlsäußerung ohne sachliche Begründung, wird ins Feld geführt. Anlass ist eine im Grunde unbedeutende Meinungsverschiedenheit. Ungebremste Emotionen vertiefen Konflikte und schüren Hass. So entstehen Kriege.

Wir Bürger, im Allgemeinen keine Fachleute für globale Strategien und Militärwesen, sind der Propaganda ausgeliefert – der des Gegners und der der eigenen Seite  – einschließlich Gegenpropaganda. In der freien Welt haben wir freien Zugang zu den Medien. Deshalb sollte es uns gelingen, die Propaganda des Gegners zu entlarven. Schwieriger wird es bei der Propaganda in den eigenen Reihen. Die Propagandisten kennen nämlich die Regeln der liberalen Presse und nutzen sie. Ein wesentliches Element der Propaganda ist die Emotionalisierung. Wer nicht Opfer werden will, sollte seine Intuition durch Reflexion kontrollieren.

Propaganda als solche zu identifizieren, kann auf zwei Weisen gelingen: durch das Aufzeigen innerer Widersprüche und durch gut bestätigte falsifizierende Fakten. Manchmal gelingt das gut, manchmal weniger.

Ich bringe ein paar Beispiele dafür, wo meines Erachtens kritisches Denken angezeigt ist.

Bilder wirken unter Umgehung des kritischen Verstandes direkt aufs Gemüt. Warum also bringt man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Schreckensbilder aus den Kriegsgebieten mit dem Hinweis, dass diese nicht von unabhängiger Seite verifiziert sind? Was bei den Leuten hängen bleibt, sind die Bilder und die Schuldzuweisungen. Der Haftungsausschluss geht in der Gefühlswallung unter. Das ist voraussehbar und von den Redakteuren offenbar auch gewollt.

Die Stimmungslage wird in den Debatten genutzt. Ich frage nach Argumenten für Waffenlieferungen und bekomme als Antwort Videos von den Kriegsverbrechen. Wir sehen die herzzerreißenden Bilder aus der Ukraine und wissen: Dieses Sterben muss aufhören. Ob das am besten gelingt, wenn man Leopard-Panzer liefert, ist eine Frage, die aber unabhängig von den Schreckensbildern beantwortet werden muss.

Für Jahrzehnte galt: keine Waffen in Krisengebiete. Jetzt soll diese Regel nicht mehr gelten. Der Blick auf das Elend berührt uns. Die Bilder aus der Ukraine erregen unsere Empathie. Die Emotionen überwältigen uns und gewinnen die Oberhand über das rationale Denken, über die Reflexion. Dadurch öffnet sich das Einfallstor für Manipulation, Propaganda und Hetze. So können wir leicht auf die schiefe Bahn geraten und uns ins Verderben stürzen.

Wenn wir uns fragen, wie es zur Katastrophe kommen konnte oder wie wir aus diesem Elend wieder herausfinden können, dann hilft es uns nicht weiter, wenn wir uns ständig die Bilder des Elends vor Augen führen. Das mag gefühlskalt klingen. Die rationale Aufarbeitung aber ist der einzige gangbare Weg heraus aus der Katastrophe.

Mit der Emotionalisierung haben wir schon unschöne Erfahrungen gemacht. Peter Struck verlautbarte am 4. Dezember 2002 diese Begründung des Afghanistan-Einsatzes: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Das schmähliche Ende der Operation ist noch nicht lange her. Haben wir die Lehren daraus schon wieder vergessen? Heute heißt es unverdrossen „Europas Freiheit wird in der Ukraine verteidigt.“ Nein, wird sie nicht. Selenskyj hatte vor Kriegsbeginn in seinem Land stark an Beliebtheit eingebüßt, weil er unter anderem sein Wahlversprechen der Korruptionsbekämpfung nicht eingelöst hat. (Bereits vor drei Jahren, am 22.05.2019, schrieb Heiko Pleines diesen Kommentar: Wie sich die Ukraine unter Präsident Selenskyj entwickeln könnte.)

Olaf Scholz ist zuzutrauen, dass er einen kühlen Kopf bewahrt. Genau ein solcher wird momentan dringend gebraucht Weiterlesen

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Selenskyj, Melnyk, Baerbock, Hofreiter: auf abschüssiger Bahn?

Melnyk und Selenskyj agitieren wirkungsvoll. Es ist ihr Metier. Jetzt folgen sogar die Grünen, einst eine Friedenspartei, ihren Forderungen und wollen schwere Waffen liefern.

Der Grundsatz „keine Waffen in Krisengebiete“ wurde bereits mit der Lieferung von schultergestützten Abwehrwaffen gegen Panzer und Flugzeuge durchbrochen. Angesichts eines skrupellosen Aggressors ist dagegen kaum etwas einzuwenden. Jetzt aber geht es um schweres Gerät, um Panzer und Flugzeuge, also um Angriffswaffen.

Bei der russischen Übermacht und Putins Entschlossenheit, wie sie in praktisch allen Kommentaren zum Ausdruck kommen, kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Aktion zu einem frühen Ende des Krieges führt. Ich rechne mit einer Ausweitung des Leides, wenn man auf diesem Wege fortfährt. Mir scheint er eine abschüssige Bahn in noch größeres Unglück zu sein.

Melnyk und Selenskyj führen sich vor dem schrecklichen Hintergrund von Putins Verbrechen wie Kriegstreiber auf. Sie äußern Sympathien für die neonazistische Asow-Truppe und auch für den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera. Ihr Verhalten gegenüber Steinmeier finde ich unangemessen und beleidigend. Mit Diplomatie hat das nichts zu tun. Frieden lässt sich so nicht erreichen.

Dass  Selenskyj und seine Truppe sich derartig laienhaft aufführen und uns alle in höchste Gefahr bringen, liegt vermutlich an der fehlenden Qualifikation für ihr Amt und an der uns weitgehend verborgenen Agenda ihrer Unterstützer.

Florian Hassel (SZ) schreibt am 22. April 2019, 11:23 Uhr: „Wolodymyr Selenskys kometenhafter Aufstieg ist ebenfalls Ausdruck des kranken ukrainischen Systems: Er war nur möglich, weil ukrainische Medien von Oligarchen dominiert werden, die bestimmen, wer in ihre Fernsehsender kommt – und wer nicht.“ Weiterlesen

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Unscharfe Sprache

Unschärferelation und Sprache

Nach Heisenberg wissen wir, dass es prinzipiell unmöglich ist, gleichzeitig den Ort und die Geschwindigkeit eines Elementarteilchens zu bestimmen. Der Grund leuchtet sofort ein: Die Lichtquanten, die bei der Beobachtung eines Teilchen auf dieses treffen, wirken auf es ein. Daraus folgt, dass dieses Teilchen sich durch Beobachtung anders als unbeobachtet verhält.

Man muss sich bewusst machen, dass dies nur im subatomaren Bereich gilt, wo das Beobachtete und das Mittel der Beobachtung in der gleichen Größenordnung sind. Der Fußball, dessen Flug verfolgt wird, schert sich wahrhaftig nur theoretisch um die auf ihn gerichteten Blicke.

Als die Menschheit das Sprechen erfand, war das zunächst nur ein praktisches Hilfsmittel, die Welt und ihre Dinge in dem Sinne handhabbarer zu machen, dass man nicht mehr auf alles, worüber man Informationen austauschen wollte, deuten oder es berühren musste. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich Sprache, die Zusammenhänge zwischen den benannten Dingen herstellte, und durch die fortwährende Erweiterung sprachlicher Zusammenhänge löste sich das Informationsübertragungsmittel Sprache zunehmend von diesem ursprünglichen Zweck. Es ist nicht mehr getan mit „Me Tarzan – you Jane“, weil es irgendwann beispielsweise Beziehungsfragen zu klären gilt.

Über die Jahrtausende ist Sprache dann letztendlich zum Selbstzweck geworden, Stichwort Literatur, und zum Forschungsgegenstand, Stichwort Linguistik. Sie ist aber auch zum Kampfsport geworden, zum Zeitvertreib, zum Problemlöser, aber auch zum Manipulationswerkzeug bis zu dem Punkt, weltzerstörerische Gefahren heraufzubeschwören und sie dem eigenen Volk zugleich als berechtigt darzustellen, wie der Ukrainekrieg gerade zeigt. Wie leicht das Regierenden immer wieder gefallen ist, wissen wir Deutsche nur zu gut. Weiterlesen

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Normale Irrtümer

Frank-Walter Steinmeier hat, wie viele andere auch, auf Putin gesetzt. Damals war er Außenminister. Aus heutiger Sicht war diese Entscheidung ein großer Fehler.

Es scheint paradox zu sein: Die Entscheidung für einen Irrweg kann durchaus richtig sein. Stehen zum Entscheidungszeitpunkt nur lückenhafte und schlecht quantifizierbare Informationen zur Verfügung, gehören Irrtümer zur Normalität. (Einiges wollte man in kollektiver Geschlossenheit aber auch gar nicht sehen: Tschetschenien, Georgien.)

Das gilt nicht nur für Entscheidungen unter Ungewissheit, sondern passiert sogar bei Entscheidung unter Risiko, wie ein einfaches Beispiel zeigt:

Angeboten wird Ihnen, auf den Wurf eines Würfels zu wetten. Bei einem Sechserwurf müssen Sie 3 € zahlen, ansonsten bekommen Sie 1 € ausgezahlt. Aufgrund der Gewinnerwartung von 33 Cent gehen Sie die Wette ein. Der Sechser kommt und Ihre im Grunde richtige Entscheidung war im Nachhinein gesehen falsch.

Mancher Verkehrsunfall beruht auf einer Entscheidung, die erst im Nachhinein gesehen falsch war.

Angesichts der Ereignisse von Butscha ist dieser nüchterne Ton kaum auszuhalten. Tatsächlich fällt mir schwer, das zu schreiben. Aber falsche Schuldzuweisungen und Schuldbekenntnisse bringen uns nicht weiter.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in der Tagesschau vom 4.4.2022: „Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler. Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben.“

Für den Fehler sind die Politiker nicht zu tadeln. Die Schuldfrage stellt sich aber schon, wenn Warnzeichen übersehen oder gar geleugnet worden sind.

Was wir tun müssen ist, aus den Fehlern der Vergangenheit möglichst viel zu lernen. Wenn ich nach Katar blicke, habe ich Zweifel, dass uns das gelingt. Noch mehr Sorge bereitet China. Das Exportvolumen mit China ist viermal so groß wie das mit Russland. Weiterlesen

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Möglichkeitswissenschaft

Verschwörungstheoretiker formulieren ihre Behauptungen oft sehr vage und im Konjunktiv. So kann sich jeder seine eigene Verschwörungstheorie zusammenbasteln und sich im Glauben daran bestärkt fühlen. Ich nenne so etwas Möglichkeitswissenschaft und meine damit nichts Gutes.

Die Verführungskraft der Möglichkeitswissenschaft wird darüber hinaus von den Quantenmystikern genutzt, von den Psi- Forschern und von Pseudowissenschaftlern.

Ich finde es verwerflich, wenn die Möglichkeitswissenschaft auch in den sogenannten seriösen Nachrichtenquellen um sich greift, beispielsweise im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wo das im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg zurzeit geschieht. Es werden vermeintlich aktuelle Bilder von Kriegshandlungen gezeigt mit Verweis auf deren ungeklärte Herkunft.  So werden Feindseligkeit und Hass einerseits und unziemliche Heldenverehrung andererseits verstärkt. Die Emotionen regieren ungebremst.

In dieser Zeit ist es gut, wenn uns jemand zeigt, wo die Bremsen sind. Frederik von Castell tut das. Er sagt uns: Nachrichten, die sich nicht überprüfen lassen, sind keine. Weiterlesen

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Die Wahrheiten des Krieges

Im Alter von gerade einmal acht Jahren machte ich erstmals Bekanntschaft mit den Wahrheiten des Krieges – des Kalten Krieges. Die Lehrerin fragte uns, wie wir uns die innerdeutsche Grenze erklären. Ich antwortete ganz naiv, vom „antifaschistischen Schutzwall“ wusste ich ja nichts: Die Amerikaner und die Russen waren mit uns im Krieg. Sie haben gesiegt und das Land unter sich aufgeteilt. Darauf antwortete die Lehrerin: Wenn du erwachsen wärst, würdest du dafür ins Gefängnis kommen. Diese Episode hat sich dem kleinen Timm unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Das war anfangs der 50er Jahr in der DDR.

Seit 1955 lebe ich nun im Westen. Meine Eltern hatten mich „verschleppt“, so hieß das im DDR-Jargon, für mich war es eine Freude. Die Ereignisse von 1989 und 1990 haben mich sehr bewegt. Für die Wiedervereinigung bin ich dankbar. Heute besonders interessant sind die Gründe der damals Handelnden, gerade im Hinblick auf die immerfort anstehende NATO-Osterweiterung. Ich zitiere aus dem Artikel „Eiserne Garantien“ (DER SPIEGEL 7/2022, S. 28f.): „Clinton beschloss, das Bündnis zu erweitern. Der Westen brach damit keinen Vertrag, doch unwohl war manchem Beteiligten schon. Jahre später sagte Genscher, formal sei das alles in Ordnung, aber man solle sich nichts vormachen. Gegen den Geist der Absprachen von 1990 verstoße man sehr wohl.“ Immerhin hatte die Bundesregierung damals sogar einen Sonderstatus der neuen Länder hingenommen: „Streitkräfte der NATO-Partner oder anderer Staaten dürfen dort grundsätzlich nicht stationiert werden.“

Wir sind die Adressaten von wahren Verschwörungen und von falschen Verschwörungstheorien. Nicht immer fällt es ist leicht, die einen vom den anderen richtig zu trennen. Angesichts der Bilder und Erzählungen zum Ukraine-Krieg ist es praktisch zwingend, sich für eine Seite zu entscheiden. Zwischen den Stühlen sitzt es sich nicht gut. Ist die Entscheidung getroffen, droht die Gefahr, blind für die andere Seite zu werden. Beide Seiten wähnen sich im Besitz der Wahrheit. Eine objektive Entscheidung erscheint momentan unmöglich. Ein sachliche Bewertung der Beweggründe des Gegners ist jedoch überlebensnotwendig.

In unseren Hauptmedien wird Putins Anspruch der Entnazifizierung der Ukraine als absurd hingestellt. Verwiesen wird auf die Shoa-Opfer in Selenskyjs jüdischer Familie. Bei diesem starken Argument verbietet sich eigentlich jeglicher Widerspruch. Dennoch: Es gibt rechtsextremistische Freiwilligenbataillone, beispielsweise eins mit dem Namen „Asow“, das im Ukraine-Konflikt gegen prorussische Separatisten kämpft. „Das ukrainische Regiment Asow wirbt mit Flyern auf Neonazi-Veranstaltungen um neue Mitglieder – offenbar erfolgreich: Immer mehr Söldner schließen sich an, um ‚Europa vor dem Aussterben‘ zu bewahren.“ (SPIEGEL Panorama, 11.11.2017)  Putin übertreibt maßlos, aber ganz grundlos ist sein Ansinnen der Entnazifizierung der Ukraine nicht.

Dass es der NATO und der EU weniger um die edle freiheitliche Gesinnung geht, sondern eher um die Ausweitung des Einflussbereichs, sieht man am Beispiel Bulgarien. Dieses EU- und NATO-Mitglied liegt in puncto Pressefreiheit auf einem der hinteren Plätze, nämlich auf Platz 112 von insgesamt 180 Ländern. Auch das Ausmaß der Korruption in diesem Land macht das Land nicht gerade zu einem Vorzeigestaat der Union. Da ist Russland hinsichtlich Pressefreiheit auf Platz 150 etwa gleichauf mit dem NATO-Staat Türkei (Platz 153) nicht abgrundtief schlechter und die Ukraine auf Rang 97 auch nicht deutlich besser  (https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nahaufnahme/2021).

Aber auch das ist falsch: In einem Buch über Denkfallen, überwiegend verfasst von Autoren der Querdenker-Szene, ist zu lesen, dass sich Russland, im Gegensatz zu den USA, „durchgängig an alle internationalen Verträge und Vereinbarungen hält“. Acht Jahre nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Putins Russland ist das eine Ungeheuerlichkeit. (Bedauerlicherweise tauche auch ich in der Liste der Autoren dieses Werkes auf. Aber es ist eine bewährte Taktik der Manipulanten: Greife die Argumente deines Kritikers auf und wende sie gegen ihn.)

„Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Jan Rathje ist es durchaus erklärbar, dass ausgerechnet einige Impfgegner und Querdenker den Krieg Russlands gegen die Ukraine rechtfertigen. Verschwörungsideologische Gruppierungen würden sich in ihren Bestrebungen gegen die ‚offizielle Darstellung‘ richten, so der Experte für Verschwörungstheorien. Da sich der Westen nun global gesehen eher auf die Seite der Ukraine schlage, würden nun auf einmal russische Informationen als diejenigen erscheinen, die gegen diese offizielle Darstellung stehen.“ (Deutschlandfunk, 05.03.2022) Weiterlesen

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