Irrglauben messen

Eine Statistik über den Glauben an Paranormales

Der Radiosender HR1 ist bei mir zuhause Standard. Manchmal ärgere ich mich über die Textbeiträge. Esoterik, New-Age-Kram, Psi-Phänomene und Alternativmedizin nehmen mir einen viel zu großen Raum ein. Ärgerlich finde ich die meist ziemlich unkritische Darstellung dieser Dinge.

Das aktuelle skeptiker-Heft belehrt mich eines Besseren. An den „wahren Skeptikern“ gibt es sicher eine Menge auszusetzen, was ich in der Vergangenheit auch ausgiebig getan habe. Aber zuweilen produzieren diese „Skeptiker“ auch wahre Highlights. Eins davon finde ich im aktuellen skeptiker-Heft 3/2021 auf den Seiten 137 bis 143. Robert Mestel und Inge Hüsgen schreiben dort zum Thema „Der Glaube an Paranormales 2021“. Sie präsentieren die Ergebnisse einer Befragung von insgesamt 2009 Personen zu „Skeptiker-Themen“. Die folgende Grafik enthält die wesentlichen Ergebnisse.

Erschrocken bin ich darüber, dass jeder Dritte der Befragten die Homöopathie für ein wirksames Heilverfahren hält. Früher soll die Zustimmung zur Homöopathie sogar noch viel größer gewesen sein. Auch Wünschelrutengänger und Hellseher erfreuen  sich einer großen Beliebtheit. Mir fällt schwer, das zu glauben. Ich muss meinen Blick auf die Gesellschaft wohl deutlich korrigieren: Der Glaube an Paranormales scheint in der Gesellschaft weit verbreitet zu sein. Gemessen daran ist er in Rundfunk und Presse sogar unterrepräsentiert. Kein Wunder also, dass viele Leute von „Lügenpresse“ sprechen.

Die Aussagen

In der Umfrage wurden den Befragten nicht nur die Stichworte der Grafik genannt. Abgefragt wurde, ob man den folgenden Aussagen zustimmen könne oder nicht:

  • Die von Elektrogeräten, Handymasten oder Stromleitungen ausgehende Strahlung ist gesundheitsschädlich.
  • Mit der Wünschelrute kann man Wasseradern oder Erdstrahlen feststellen.
  • Ohne die Erweiterung um alternative Heilverfahren kann die moderne Medizin ihren Patienten nicht wirklich helfen.
  • Homöopathie ist ebenso wirksam wie konventionelle Medizin, wenn nicht sogar besser.
  • Es gibt Menschen mit hellseherischen Fähigkeiten.
  • Es gibt Menschen und Orte, die durch Übertragung besonderer energetischer und spiritueller Kräfte heilen können.
  • Menschliche Charaktereigenschaften werden von der Stellung der Sterne und Planeten bei der Geburt beeinflusst.
  • Es gibt Menschen, die Gegenstände allein mit Gedankenkraft bewegen können.
  • Spuk ist ein reales, auf Geister zurückgehendes Phänomen.
  • Außerirdische haben die Erde mit Raumschiffen besucht oder besuchen sie noch immer.

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Bewusst bewusstlos

In früheren Artikeln habe ich mich gefragt – und mit mir taten das einige Leser – wie der Naturalist mit dem Ich, dem Bewusstsein zurechtkommt. Antwort: eigentlich gar nicht. Das Bewusstsein ist in seiner Realität nicht unterzubringen. Der Hoppla!-Artikel Vom Verschwinden des Ich handelt davon. In einem Kommentar zum Folgeartikel Statistik und Kausalität hat mich Ralf Jakobi auf das herrliche inzwischen 40 Jahre alte Lesebuch „The Mind’s I“ von Douglas Hofstadter und Daniel Dennett aufmerksam gemacht. Darin bin ich auf den ideenreichen Artikel An Epistemological Nightmare von Raymond Smullyan gestoßen, eine weitere Variation zum Thema Das fünfte Welträtsel: Bewusstsein. Ich habe den Faden aufgenommen und neu verwoben.

Der Albtraum des Naturalisten

Manfred will’s immer ganz genau wissen. Alles hat einen natürlichen Grund für ihn. Den gilt es zu erforschen. Er weiß wohl, dass er sich irren kann. Aber jeder Irrtum lässt sich beheben, meint er voller Zuversicht. Dennoch drückt er sich meist äußerst vorsichtig aus, denn er kann Irrtümer ja nicht ausschließen. Weiterlesen

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Achtes Intermezzo: Das Kuschelprinzip

Wir wissen, wer wir sind,
wenn wir wissen, wer wir nicht sind
und gegen wen wir sind.

Samuel P. Huntington

Was für ein bescheuerter Titel: „Das Kuschelprinzip“. Aber der Text ist auch nicht besser: nichts Gerades, nur Krummes und Paradoxes.

Kognitive Dissonanz

Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören unbequeme, enge Kirchenbänke. Ich plapperte nach, was die erwachsenen Nachbarn sprachen:

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, …

Und weiter:

… gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten…

So oder so ähnlich ging es mehrere Jahre, allsonntäglich. Dann diese Frage: Was machst du da eigentlich? Du sprichst von Dingen, die du nicht verstehst. Der hohe geistige Einsatz zahlt sich nicht aus. Erlösung ist nicht zu erwarten. Die Hingabe, die ordentliche Gemeindemitglieder augenscheinlich aufbrachten, ist mir immer fremd geblieben. Auf der Webseite des Bistums Würzburg finde ich aktuell dies:

Vom Nikolausberg auf der linken Mainseite, hoch über Würzburg, grüßt die wohl bekannteste Wallfahrtskirche der Diözese: das Käppele.

Besonders schön ist der Aufstieg vom Mainufer zu Fuß entlang des Stationswegs zum Gotteshaus. Insgesamt 77 Figuren und 14 Stationskapellen säumen den Aufstieg. Früher haben manche Gläubige den Weg auf den Knien zurückgelegt.

Warum tut jemand sich das alles an? Um Gott zu gefallen? Für einen guten Platz im Himmel? Weiterlesen

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Wirksamkeit der Impfungen gegen Corona

Aus Kreisen der Impfgegner erreichen mich immer wieder Äußerungen wie die folgende: Die Impfbefürworter würden die Anzahl der positiv getesteten Ungeimpften mit und ohne Symptome mit der Anzahl der Impfdurchbrüche bei Geimpften vergleichen. Die Geimpften, die positiv sind, aber keine Symptome haben, würden nicht  berücksichtigt. Damit komme man auf eine sehr viel höhere Inzidenz bei Ungeimpften als bei Geimpften. Das sei Mainstream-Propaganda.

Ein flüchtiger Blick auf die servierten Daten zeigt: Die Inzidenz der Ungeimpften ist tatsächlich viel höher als die der Geimpften. Für diesen Effekt ist – anders als unterstellt – keineswegs die Zählweise verantwortlich. Deren Effekt ist zu gering, als dass sie das Gesamtbild wesentlich beeinflussen könnte.

Wer sich über die Impfwirksamkeit informieren will, sollte bei den amtlichen Statistiken beginnen. Etwas Schulmathematik hilft bei der Interpretation. Der wöchentliche Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 02.09.2021 enthält eine Tabelle zur Impfeffektivität. Ich entnehme ihr ein paar Daten zu den Impf- und Durchbruchquoten. Dabei beschränke ich mich auf die Durchbrüche bei den hospitalisierten Fällen. Dadurch entfällt das Problem mit den Zählweisen.

Zahlen der KW 31-34
Alter 12-17 18-59 60 und älter
Impfquote q 15% 61% 81%
Durchbruchquote d 1,30% 5,70% 18,80%

Die Impfquote bezieht sich auf die gesamte Bevölkerung. Die Durchbruchquote ist der Anteil der Geimpften unter den hospitalisierten Covid-Fällen. Nun zur Schulmathematik.

Ich frage nach der Hospitalisierungswahrscheinlichkeit x für Geimpfte (das wären die schweren Impfdurchbrüche) und nach der Hospitalisierungswahrscheinlichkeit y für Ungeimpfte. Der Quotient x/y der beiden Zahlen zeigt die Impfwirksamkeit.

Bei einer Impfquote von q und einer Hospitalisierungswahrscheinlichkeit x der Geimpften ist ein Bruchteil xq der Gesamtbevölkerung sowohl geimpft als auch hospitalisiert. Der entsprechende Bruchteil der Nichtgeimpften ist gleich y(1-q). Daraus ergibt sich die Durchbruchquote der Hospitalisierten näherungsweise zu d = xq/(xq+y(1-q)). Nach x/y aufgelöst, haben wir für die Impfwirksamkeit den Quotienten x/y = (1/q-1)/(1/d-1).  Für die Jüngeren ist er gleich 0,075, für die Mittleren gleich 0,039 und für die Älteren gleich 0,054.

Das Risiko der Hospitalisierung geht durch die Impfung demnach auf etwa 5% zurück. Das entspricht einem Schutz vor Hospitalisierung von etwa 95%. Das steht so auch im Abschnitt „Impfeffektivität“ des Lageberichts.

Leider wird auch dieser eigentlich überflüssige Aufklärungsversuch an der Haltung hartgesottener Impfgegner nichts ändern.

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Statistik und Kausalität

Wie viel Wissenschaft darf es sein?

Gern lese ich die Kolumne der Meike Winnemuth. Kürzlich schrieb sie vom Mut zur Lücke. Es geht ihr „um ein Plädoyer für das Halbwahrgenommene, Halbverstandene, mit dem wir uns ohnehin durch die Welt bewegen.“ Und weiter: „Bei nahezu allen Themen, über die wir reden und gelegentlich streiten, handelt es sich eher um Gewissheit als Wissen und am Ende auch nur um Glauben. Es geht einfach nicht anders.“ (stern 5.8.2021, S. 48)

Bei einem populärwissenschaftlich orientierten Blog wie diesem hier bleibt es nicht aus, dass Gewissheiten unterschiedlicher Herkunft und Ausprägung aufeinandertreffen. Ungebremst kann das zu endlosen und zirkelhaften Debatten führen. Das konnten wir am vorletzten Hoppla!-Beitrag „Vom Erscheinen und Verschwinden des Ich“ sehen. Dort lesen wir im Kommentarteil von der „kausalen Emergenztheorie“, die Eric Hoel „mathematisch dargestellt“ und gar „bewiesen“ haben soll. Das klang für mich so interessant, dass ich mir die Theorie etwas genauer ansehen wollte. Vom Ergebnis meiner Bemühungen lesen Sie gerade.

Ein kurzer Blick in Hoels Werk genügt, um zu erkennen, welchen Anspruch die kausale Emergenztheorie vertritt. Es geht um nicht weniger als um den Nachweis von Kausalitäten mittels Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Aber Hoppla! Unter den Kennern ist vorherrschende Meinung, dass Statistiken nichts über Kausalitäten aussagen. Für diese Einstellung sind Bertrand Russell und Karl Pearson prominente Zeugen (Pearl, 2000, Epilogue). Dennoch kommt es immer wieder zu Versuchen, die Ursache-Wirkungsbeziehungen dieser Welt mittels Statistiken zu erklären. Eric Hoel scheint einen weiteren solchen Versuch zu unternehmen: “Demonstrating causal emergence requires causally analyzing systems across a multitude of scales. Luckily, causal analysis has recently gone through an efflorescence. There is now a causal calculus, primarily developed by Judea Pearl, built around interventions represented as an operator, do(X=x).”

Genau diesen Interventions-Kalkül will ich mir zunächst genauer ansehen. Weiterlesen

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Täuschen mit Prozenten

Winston Churchill wird dieses Zitat in die Schuhe geschoben: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“ Wer sich auch nur oberflächlich mit Statistiken und deren grafischen Repräsentationen befasst hat, der weiß, dass er zum Zweck der Lüge eine Statistik gar nicht fälschen muss. Offenbar genügt es,

  1. die Daten geeignet zu gruppieren (wie beim simpsonschen Paradoxon),
  2. die „passenden“ Kennzahlen zu wählen (Prozent, Mittelwert, Median, …) oder
  3. die Grafik nur ausschnittsweise oder mit verzerrten Maßstäben zu zeichnen.

Dem Einsteiger in das Manipulieren mit Stastistik ist immer noch das herrliche Bändchen „How to Lie with Statistics“ von Darrell Huff zu empfehlen, aber auch dem, der sich vor Manipulationen schützen will.

In DER SPIEGEL 30/2021 finden wir auf S. 27 die Grafik „Nachgezählt“. Sie ist ein Musterbeispiel für die Rubrik ‚So lügt man mit Statistik‘.  Hier kommt der zweite Punkt zum Tragen. Links ist die Spiegel-Grafik abgebildet und rechts eine von mir vorgeschlagene Alternative.

Links: Spiegel-Grafik, rechts: meine Version

Die folgende Tabelle enthält die Daten zu beiden Grafiken. Die Spiegel-Grafik „Nachgezählt“ zeigt die Daten der letzten Spalte. Ich habe die Spaltensummen hinzugefügt, um zu zeigen, wie unsinnig es ist, diese Spalte zu Vergleichszwecken heranzuziehen. Besser scheint mir zu sein, die Rohdaten zu nehmen und es dem Leser zu überlassen, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Er erkennt schnell, dass – anders als in „Nachgezählt“ zur Schau gestellt – eine gesteigerte Innovationslust der Deutschen nicht auszumachen ist. Weiterlesen

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Vom Erscheinen und Verschwinden des Ich: das Verschwinden

Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten,
sie fliegen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

Hoffmann von Fallersleben

Wir wollen wissen, wie es zum inneren Erleben, zur subjektiven Repräsentation der Welt kommt. Für Emil du Bois-Reymond galt dies als „Das fünfte Welträtsel“ (1880). Das habe ich in diesem Hoppla-Blog aufgegriffen und dadurch eine größere Diskussion angefacht, die auch die SciLogs-Blogs erfasst hat. Das regte mich an, diesen zweiteiligen Artikel zu verfassen, dessen erster Teil vom Erscheinen des Ich handelt. Vom Verschwinden des Ich will ich nun erzählen.

Als Metapher dient uns der Spiegel, der die Erkenntnis der Erkenntnis, dieses Ich-Erleben verdeutlichen soll, der an dieser Aufgabe jedoch kläglich scheitert. Was wir bisher gesehen haben, waren Repräsentationen; die Rückseite des Spiegels, das Wesen der Sinnesempfindungen, war nicht auszumachen. Alle Versuche, das Ziel zu erreichen, liefen auf Seitwärtsbewegungen hinaus und brachten uns dem Ziel nicht näher.

Elf Neurowissenschaftler haben dazu gesagt: „Einzelne Gehirne organisieren sich aufgrund genetischer Unterschiede und nicht reproduzierbarer Prägungsvorgänge durch Umwelteinflüsse selbst – und zwar auf sehr unterschiedliche Weise, individuellen Bedürfnissen und einem individuellen Wertesystem folgend. Das macht es generell unmöglich, durch Erfassung von Hirnaktivität auf die daraus resultierenden psychischen Vorgänge eines konkreten Individuums zu schließen.“ (Monyer, 2004)

Auch die Computersimulation gekoppelter neuronaler Netzwerke stimmt nicht optimistisch: „Selbst wenn es gelingen würde, den umfangreichen Algorithmus auf einem Computer zu implementieren, ließe sich immer noch nicht eindeutig nachweisen, ob das System wirklich bewusst ist. Es könnte kognitives Verhalten bloß sehr gut imitieren“ und weiter: „Solange unklar ist, wie man die Existenz des menschlichen Bewusstseins naturwissenschaftlich belegt, wird das bei Maschinen ebenso wenig gelingen“ (Krauß, Maier 2021).

Welträtsel Bewusstsein

In diesem und dem folgenden Kapitel zitiere ich auch aus der 757 Beiträge umfassenden Diskussion des SciLogs-Artikels Das fünfte Welträtsel: Bewusstsein. Über die Suchfunktion lassen sich Kontext und Urheber leicht ermitteln.

Auf meine Frage, ob mein Nachbar die Farbe Rot genauso empfindet wie ich, oder ob sich sein Erleben derselben Situation von dem meinen unterscheidet, kommt die Bemerkung: „Das kann man in der Tat nicht wissen. Noch weniger kann man wissen wie ein Tier, das die Farbe Rot erkennen kann, dies erlebt. Wir wissen aber auch nicht wie ein künstliches neuronales Netz, das gelernt hat, rote von blauen Bällen zu unterscheiden, diese Farben/Farbunterschiede intern repräsentiert. Unterschiedliche neuronale Netze können das unterschiedlich handhaben.“

„Ohne Materie/Energie kann Information nicht dargestellt, nicht übertragen und nicht gespeichert werden.“ Das sei „eine Widerlegung des metaphysischen Dualismus“. Dieser Auffassung schließe ich mich nicht an, denn: Metaphysik ist mathematisch-naturwissenschaftlichen Widerlegungsversuchen grundsätzlich nicht zugänglich.

„Der Körper Geist Dualismus beruht in Wirklichkeit auf der Verwechslung der Perspektiven. Spreche ich vom Körper, dann bewege ich mich im Bereich der Physik, Chemie oder Biologie. Spreche ich vom Geist, bewege ich mich im Bereich der Psychologie oder Philosophie. Ich thematisiere also zwei unterschiedliche Blickwinkel auf ein und denselben Gegenstand und meine, es wären zwei unterschiedliche Welten. Der Dualismus findet also im Kopf des Betrachters statt, nicht im Gegenstand.“ – Das kann man wohl so sehen, meine ich.

Das Ich wird gewaltsam entfernt: Daniel Dennett

Im Hauptartikel zum fünften Welträtsel schrieb ich, dass der von mir ins Auge gefasste Naturalismus für das Bewusstsein keinen Platz findet und dass die Philosophen das Problem einfach leugnen anstatt es mit einer Lösung zu versuchen.

Dem widerspricht der Naturalist mit diesem Kommentar: „Jedenfalls sind weder Gerhard Vollmer noch ich so blöd zu behaupten, unser Denken gehöre nicht zur Welt.“ Und weiter: „Als ontologische Naturalisten sagen wir vielmehr, dass Denken und Bewusstsein keine immateriellen, eigenständig existierenden Objekte sind, sondern (emergente) Eigenschaften neuronaler Systeme, die dann im Sinne eines Innenaspekts auftreten, wenn diese Systeme bestimmte hochspezifische Prozesse durchmachen.“ Weiterlesen

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Skeptikerbewegung skeptisch gesehen

Das Heft 1/2021 der Zeitschrift für Anomalistik ist erschienen und online abrufbar.

Aus dem Editorial von Gerhard Mayer

Wissenschaft, Glaube, Wissenschaftsglaube

Organisierter Skeptizismus

Das Hauptthema dieser Ausgabe der Zeitschrift für Anomalistik beschäftigt sich mit dem organisierten Skeptizismus. Zwei ehemalige prominente Mitglieder der deutschen Skeptikerorganisation Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP), Edgar Wunder und Timm Grams, setzen sich mit der internen Dynamik dieser Vereinigung und vor allem mit dem vereinspolitischen Selbstverständnis und den zugrundeliegenden weltanschaulichen Prägungen und Prämissen des Vorstands auseinander. Dieser orientiert sich stark an dem Vorbild des amerikanischen Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal (CSICOP, heute CSI= Committee for Skeptical Inquiry). Die beiden Autoren zeigen mit ihren Beiträgen, dass der Name der Vereinigung mit seinem Bezug auf die Wissenschaftlichkeit („wissenschaftliche Untersuchung“) einen Euphemismus, wenn nicht gar eine glatte Lüge darstellt, denn was sich mit dem Mäntelchen der Wissenschaft kleidet, stellt „im Kern eine als Lobbygruppe agierende Weltanschauungsgemeinschaft“ dar (Wunder, 2021b: 172, in dieser Ausgabe).
Eine skeptische und selbstkritische Haltung sollte generell zur Grundausstattung eines jeden Wissenschaftlers gehören, weshalb der Frage, wo förderliche Skepsis in wissenschafts- und erkenntnisbehindernden Skeptizismus umschlägt, eine hohe Relevanz zugemessen werden muss. Dies gilt in besonderem Maße für die Anomalistik, weil hier ein unreflektierter und/oder weltanschaulich angetriebener Skeptizismus den größten Schaden anrichtet, wie es schon bei Galilei der Fall war. Das wissenschaftliche Streben nach Erkenntnisgewinn wurde aus Ignoranz oder machtpolitischem Kalkül behindert. Aus der Perspektive des damaligen orthodoxen Wissens und der vorherrschenden kulturellen Macht vertrat Galileo als Vertreter eines neuen, von der offiziellen und akzeptierten Lehrmeinung abweichenden Weltbildes, nämlich des kopernikanischen, gewissermaßen eine „anomalistische“ Position. Heute haben Religionen in den westlich-orientierten Kulturen nicht mehr die Macht, tiefgreifenden Einfluss auf die Wissenschaft auszuüben. Man kann jedoch in der bei „Skeptikern“ und auch etlichen Wissenschaftlern vorherrschenden szientistischen Wissenschaftsgläubigkeit eine „neue Religion“ sehen, die eine ähnlich destruktive und fortschrittsbehindernde Wirkung wie die Religion in dem prominenten Beispiel Galileos hat. Dies ist dem Soziologen und Mitbegründer der GWUP, Edgar Wunder, bald aufgefallen. Er hat sich schon während seiner aktiven Zeit die Frage gestellt: „Wer sind die Skeptiker?“ (Wunder, 1996) und 1998 seine Beobachtungen in seiner Schrift „Das SkeptikerSyndrom“ niedergelegt. Diese interessante Analyse wurde bislang nicht formell in einer Zeitschrift veröffentlicht und war nur online verfügbar. Dennoch wurde sie gefunden und zitiert. Im letzten Jahr kam es zum Austritt von Prof. Timm Grams aus der GWUP, der aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit Wunder in Kontakt trat. Dieser Austausch führte zur Idee, den schon über 20 Jahre alten Text „Das Skeptiker-Syndrom“ noch einmal genau anzuschauen und zusammen mit einer persönlichen Einschätzung des Autors aus zeitlicher Distanz und einem Erfahrungsbericht von Grams in der ZfA zu veröffentlichen und zur Diskussion zu stellen. Weiterlesen

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Vom Erscheinen und Verschwinden des Ich: das Erscheinen

Es gibt eine Welt. Ich gehöre dazu. Das klingt unschuldig, aber es ist ungeheuerlich. Das merkt einer aber erst, wenn er genauer hinschaut und fragt, was „Welt“  und „Ich“ eigentlich bedeuten. Jedenfalls haben sich schon viele klugen Leute die Köpfe darüber zerbrochen und sind bisher zu keinem überzeugenden Ergebnis gekommen. Aber langsam voran. Ich fange damit an, wie ich auf dieses Problem gekommen bin.

Vor mehr als fünfzehn Jahren stieß ich auf einen Verein, der mir gleich sympathisch war: die sich selbst so bezeichnenden „Skeptiker“. Aber bald kam die Ernüchterung. Der weltanschauliche Kern dieser Gruppierung – eine Spielart des Materialismus und dessen ideologische Ausprägung – widersprach allem, was mir am Skeptizismus lieb und teuer ist.

Diese Leute glauben an eine Welt, die unerschaffen ist und die unabhängig von unserem Denken existiert (Vollmer 2013). Da für sie nur diese eine Welt existiert, die sie darüber hinaus für erkennbar halten, habe ich mir gesagt: Es gibt also eine Welt W und meine Gedanken G über diese Welt. Voraussetzungsgemäß sind W und G voneinander unabhängig, folglich kann G nicht in W enthalten sein. Andererseits soll diese eine Welt W allumfassend sein, muss G also doch enthalten. Ich war perplex. Das klang mir nach veritablem Kokolores. Ich wusste damals noch nicht, dass es so wie mir schon besser gerüsteten Köpfen ergangen ist. Ich hatte etwas zu entdecken und fragte mich: Wo in aller Welt steckt das Bewusstsein?

Die gottlose Welt der Atome

Sehen wir uns die heute in Kreisen der Wissenschaft vorherrschende Geisteshaltung an, den Materialismus. Den gibt es bereits seit der Antike. Heutige Spielarten sind der Realismus und der Naturalismus. Das wesentliche Dokument wurde im Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung vom Römer Lukrez verfasst, war dann verschollen und wurde im Jahre 1417, vermutlich im Kloster Fulda, wieder gefunden (Greenblatt, 2012). Dieses Jahr markiert den Beginn der Renaissance. Der Titel des bahnbrechenden Werkes lautet: Über die Natur der Dinge (De rerum natura).

Wenn ich mein Schulwissen recht erinnere, waren die griechischen Philosophen vornehmlich damit beschäftigt, den verbreiteten Glauben an Götter zu bekämpfen. Sie propagierten eine fließende (Herklit) oder auch eine durch feste Ideale begründete Welt (Platon), in der alles Sein auf wenige Grundelemente oder gar nur auf Zahlen (Pythagoras) zurückgeführt werden kann. Eine der Lehren, die das Funktionieren der Welt erklärt und dabei ohne Gott auskommt, ist der Atomismus. Genau diese Atomlehre beschreibt der Römer Lukrez und nennt als Quelle den Griechen Epikur, der sich wiederum auf Demokrit beruft.

Wie gesagt: Es gibt mehrere Spielarten des Materialismus. Aber sie haben Gemeinsamkeiten, die bereits im Werk des Lukrez angelegt sind. Mehr oder weniger allen Spielarten gemeinsam dürfte sein:

  • Nichts entsteht aus nichts.
  • Alle Materie besteht aus unsichtbaren und unteilbaren Elementarteilchen (Atomen).
  • Das Universum insgesamt besteht aus Körpern und Leere. Ein Drittes gibt es nicht.
  • Nichts kann wirken, das nicht körperlich ist.
  • Die Welt ist weder Schöpfung noch für den Menschen gemacht.
  • Die Elemente sind unaufhörlich in Bewegung.
  • Sie sind von vielfältiger Gestalt. Die Zahl der Gestalten ist begrenzt.
  • Unterschiedlich zusammengesetzt können Urelemente ganz Unterschiedliches bilden.
  • Geist und Seele sind körperlich und sterblich.
  • Leib und Seele gehören zusammen, sind nicht voneinander zu trennen.
  • Die Elementarteilchen der Materie sind bereits immer da und sie dauern ewig fort.

Einiges ist nur aus dem Wissensstand der damaligen Zeit heraus zu verstehen: „Wenn wir in Spiegeln, auf dem Wasser oder auf blanker Oberfläche, Bilder sehen, die den jeweils gespiegelten Dingen gleich sind, so müssen diese aus Bildchen bestehen, welche die Dinge ausgesandt haben.  Es gibt sie also, diese hauchfeinen Bildchen, die uns die Dinge in ihrer Gestalt zeigen, auch wenn sie einzeln, eines ums andere, niemandem sichtbar sind.“ (Lukrez, S. 138)

Abgesehen von der gelenkten Aufmerksamkeit spielt die Wahrnehmung keine aktive Rolle. Der Grund des Sehens muss in den Bildchen liegen, die passiv empfangen werden:  „Nicht die Sinne trügen, sondern der denkende Verstand“ (S. 145)  Dass die erlebte Welt im Kopf aktiv konstruiert wird und dass sie mit dem Ich untrennbar verbunden ist, dieser Gedanke hat in diesem Materialismus keinen Platz. Das Ich gerät in diesem materialistischen Weltbild erst gar nicht ins Blickfeld.

Die Hoffräulein: Wo steckt das Ich?

In der gottlosen Welt der Atome kommt das Ich nicht vor. Die Sinneseindrücke beschreiben einen Fluss von draußen nach drinnen.  Die Rolle des Betrachters bleibt im Dunkeln, sie ist unbegreiflich. Michel Foucault schreibt: „Vor dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts existierte der Mensch nicht[…] Es gab kein erkenntnistheoretisches Bewusstsein vom Menschen als solchem.“ (2012, S. 373)

Auf der Suche nach dem Ich lasse ich mich auf Foucault ein und betrachte das Bild Die Hoffräulein, das Diego Velásquez im Jahr 1656 gemalt hat. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf, angeregt durch Foucaults Bildbeschreibung. Weiterlesen

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Humanisten kontra Richard Dawkins über Rassen und Identitäten

Dass sich die AHA, die American Humanist Association, von Richard Dawkins distanziert, ist folgerichtig.

Established in 1953, the Humanist of the Year Award is conferred annually by the American Humanist Association (AHA), recognizing the awardee as an exemplar of humanist values. Communication of scientific concepts to the public is an important aspect of advancing the cause of humanism. Richard Dawkins was honored in 1996 by the AHA as Humanist of the Year for his significant contributions in this area.

Regrettably, Richard Dawkins has over the past several years accumulated a history of making statements that use the guise of scientific discourse to demean marginalized groups, an approach antithetical to humanist values. His latest statement implies that the identities of transgender individuals are fraudulent, while also simultaneously attacking Black identity as one that can be assumed when convenient. His subsequent attempts at clarification are inadequate and convey neither sensitivity nor sincerity.

Consequently, the AHA Board has concluded that Richard Dawkins is no longer deserving of being honored by the AHA, and has voted to withdraw, effective immediately, the 1996 Humanist of the Year award. (APRIL 19, 2021  NEWS)

Dawkins hat mit seinem aggressiven Atheismus noch nie ins Bild gepasst. Das ist diesen Leuten wohl zu spät aufgefallen. Die guten alten Gründe für eine Distanzierung sind nun jenseits des Verfallsdatums. Da müssen neue her, seien sie  auch noch so schlecht. Weiterlesen

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