Bevor Sie meine Provokation mit wütenden Entgegnungen kommentieren, widerspreche ich mir vorauseilend gleich selbst. Die Denksportaufgaben habe ich in Büchern gefunden, die ich für wertvoll halte. Darin sind interessante Problemstellungen zu finden und die vorgeschlagenen Lösungsverfahren sind in technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen von großem Nutzen. Nur sind sie den zu lösenden Aufgaben nicht angemessen. Es wird sozusagen mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Und darin liegt ein weiterer Wert dieser Bücher: Sie regen dazu an, nach besseren und einfacheren Lösungen zu suchen nach dem Motto: „Es geht immer noch einfacher.“ Das ist meine Basisheuristik. Mathematik sollte glücklich machen, eine Art Denksport sein. Diese Absicht verfolge ich auch in Klüger irren – Denkfallen vermeiden mit System (2020).
Den Wahnsinn sehe ich dann um die Ecke kommen, wenn die mathematische Beschäftigung zur Routine wird oder auch, wenn prima Konzepte mittels nervtötender Beispiele eingeführt werden. Darum geht es im ersten Teil von „Denksport am Rande des Wahnsinns“. Im zweiten Teil wende ich mich dann dem Unendlichen zu, das ja in der Mathematik sein Zuhause hat und in der Natur praktisch nicht vorkommt. Das hat schon etwas Unheimliches, einen Anflug von Wahnsinn.
Schulmathematik
Vor nunmehr fast zwei Jahrzehnten fiel mir auf, dass meine Kollegen Mathematikkurse für Studienanfänger anboten, in denen sie Schulstoff vermittelten. Sie boten den Schülern also das an, was bei den Adressaten bereits in der Schule keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte: Die meisten der Studienanfänger waren auf ein technisches Studium nicht vorbereitet worden. Ihnen fehlte es an Fertigkeiten im Rechnen und am Verständnis für grundlegende mathematische Sachverhalte.
Das Problem wurde von den üblichen Brückenkursen nicht gelöst. Ich dachte über ein neues Konzept nach, das im Fuldaer Brückenkurs Mathematik (FBΣ) dann auch umgesetzt wurde. Im Zuge der Vorbereitung hatte ich ein ernüchterndes Erlebnis. Ich studierte die Lehrpläne einiger Bundesländer für ihre Gymnasien und fand nirgendwo das Thema vollständige Induktion, mit Ausnahme Bayerns. Aber auch dort rangierte es ganz hinten: „Die Vollständige Induktion [..] sollte nicht zu sehr vertieft werden“.
Dabei ist die vollständige Induktion etwas, das die Leistungsfähigkeit und Schönheit der Mathematik besonderes sinnfällig macht. Den Schülern wird Wichtiges vorenthalten. Stattdessen quält man sie unablässig mit Optimierungsaufgaben, die sich mittels Differentialrechnung nach festem Schema abhandeln lassen. Im nächsten Abschnitt bringe ich Beispiele dafür, wie diese Sekundarstufen-II-Routine Kreativität bremst.
Bleiben wir zunächst bei der vollständigen Induktion. Soweit ich dem Internet entnehmen kann, wird sie auch heute noch an Beispielen eingeführt, die nur zu zeigen scheinen, dass das Werkzeug eigentlich überflüssig ist. Ein gern genommenes Beispiel ist der Beweis dafür, dass die Summe der ersten n natürlichen Zahlen gleich n(n+1)/2 ist. Weiterlesen
			
Wenn ich mich recht erinnere, stand vor Jahren im Café Chaos an der Hochschule Fulda eine Lampe, getragen von einem Mohr (so sagte man vor langer Zeit). Das Teil zeugt nicht von feinem Geschmack; aber besonders anstößig fand es damals auch keiner. Bis Noah Sow zu einer Lesung kam. Sie reiste sofort wieder ab. Das Angebot, das Corpus Delicti zu entfernen, konnte sie nicht beruhigen. (Das Bild hat Noah Sow anlässlich ihres Besuches gemacht.)
