Die Giordano-Bruno-Stiftung vertritt nach eigener Auskunft „die Position des ‚Evolutionären Humanismus‘, die Mitte des letzten Jahrhunderts von dem bedeutenden Evolutionsbiologen und ersten Generaldirektor der UNESCO, Julian Huxley, formuliert wurde“.
In dem vom Geschäftsführer der GBS Michael Schmidt-Salomon verfassten Manifest des evolutionären Humanismus (erschienen 2005 im einschlägig tätigen Alibri-Verlag) steht der Hinweis auf die philosophischen Grundlagen der Stiftung: „Evolutionäre Humanisten vertreten ein dezidiert naturalistisches Weltbild. Das heißt: Sie gehen von einem Bild des Kosmos aus, in dem ‚alles mit rechten Dingen‘ zugeht.“ Dabei verweist Schmidt-Salomon auf das Werk „Über die Natur der Dinge“ von Mario Bunge und Martin Mahner. Auch der Hinweis auf die Übernatur, bevölkert von Göttern, Dämonen, Hexen und Kobolden, fehlt nicht.
Man will sich also an der Wissenschaft orientieren. Esoterik, Mystizismus, metaphysisches Gedankengut und ganz besonders die Religionen sind es, die es zu bekämpfen gilt. Diese Intention der Stiftung wird durch das 1. (An-)Gebot des evolutionären Humanismus Schmidt-Salomonscher Prägung klar gemacht: „Diene weder fremden noch heimischen ‚Göttern‘ (die bei genauer Betrachtung nichts weiter als naive Primatenhirn-Konstruktionen sind), sondern dem großen Ideal der Ethik, das Leid der Welt zu mindern! Diejenigen, die behaupteten, besonders nah bei ‚Gott‘ zu sein, waren meist jene, die dem Wohl und Wehe der realen Menschen besonders fern standen. Beteilige dich nicht an diesem Trauerspiel! Wer Wissenschaft, Philosophie und Kunst besitzt, braucht keine Religion!“
Aber hoppla! Hier wird doch der Atheismus zur neuen Religion erhoben und auch über den Namensgeber Giordano Bruno haben wir doch etwas ganz anderes gehört und gelesen, als hier unterstellt wird.
Giordano Bruno – Märtyrer der Wissenschaft?
Warum gerade Giordano Bruno und nicht Galileo Galilei? Für eine kämpferische Glaubensgemeinschaft wie die GBS ist Galilei einfach nicht Märtyrer genug! Die Autoren Lawrence S. Lerner und Edward A. Gosselin schreiben in ihrem Aufsatz „Galileo Galilei und der Schatten des Giordano Bruno“: „Galileo ist eine schlechte Besetzung für Heldenrollen“ (Spektr. d. Wiss. 1/1987, S. 102-113).
Und da kommt dieser Vorgänger Galileis, Giordano Bruno, ins Spiel. Einer, der auf dem Scheiterhaufen der Inquisition landete. Dieser Mann macht sich als Märtyrer wesentlich besser. In der Begeisterung für diesen Helden des kopernikanischen Weltsystems wurde wohl übersehen, dass mit Giordano ein ausgemachter Mystiker zum Helden erwählt wurde: „Giordano versteht das kopernikanische Modell des Sonnensystems falsch“ (Lerner/Gosselin). Und weiter: „Der Wert des kopernikanischen Systems liegt für Giordano Bruno nicht in seinen astronomischen Einzelheiten, sondern in den Möglichkeiten, die es als poetisches und metaphorisches Medium für weitergehende philosophische Spekulationen bietet.“
Giordano Bruno bezieht sich, ebenso wie die heutigen Esoteriker, auf die okkult-esoterische Offenbarungs- und Geheimlehre des sagenhaften Hermes Trismegistos. Was Bruno in Schwierigkeiten brachte, war weniger sein Eintreten für das kopernikanische Weltbild, sondern eher sein Bekehrungseifer im Dienste einer hermetischen Mystik, die sich auf neuplatonische Schriften des 2. und 3. Jahrhunderts berief.
Die Naturalisten stehen in Gegnerschaft zum Mystizismus. Als Vorzeigegestalt des Naturalismus ist Giordano Bruno jedenfalls denkbar ungeeignet. Was die GBS anrichtet, ist wirres Zeug.
Sehr interessant finde ich die personelle Besetzung des GBS-Kuratoriums: Zum Vorstand gehört Dr. Michael Schmidt-Salomon. Im Leitbild der Stiftung steht: „Im Auftrag der Stiftung wurden Huxleys Ideen u.a. im ‚Manifest des evolutionären Humanismus‘ wieder aufgegriffen und auf den Stand der heutigen Forschung gebracht.“ Hier hat also jemand sich selbst einen Auftrag erteilt. Ich erkenne eine Grundfigur wieder, die in diesen Naturalisten-Kreisen hohe Wertschätzung genießt: Selbstüberhöhung durch Zirkelbezug bei gleichzeitiger Immunisierung gegen fremdes Gedankengut.
Im Stiftungsbeirat finden wir einige uns bereits vertraute Personen: Bernulf Kanitscheider, Gerhard Vollmer und Martin Mahner. Sie sind eingefleischte Atheisten und sie fühlen sich in der GBS sicherlich gut aufgehoben. Warum diese Leute, nachdem sie in der GBS ein lohnendes Tätigkeitsfeld gefunden haben, auch noch die rein wissenschaftsorientierte GWUP auf Linie bringen wollen, bleibt mir ein Rätsel.
Julian Huxley und Eugenik
Da sich die GBS auf Julian Huxley als Namensgeber des Evolutionären Humanismus beruft, sollte sich die Stiftung in Julian-Huxley-Stiftung (JHS) umbenennen. Allerdings bekäme die Stiftung dann ein Problem: Sie müsste sich wortreich von Huxleys Eugenik („Eugenics in Evolutionary Perspective“) distanzieren. Schauen wir uns ein paar Zeilen aus Huxleys Werk „Evolutionary Humanism“, 1964, an.
Die Menschheit sei unvollkommen, meint Huxley, und das in zunehmendem Maße, wenn wir nicht dagegen steuerten. Letzteres gelinge, wenn erst einmal klar sei, was den genetischen Verfall verursacht und indem man fehlerhafte und minderwertige Typen davon abbringe, sich zu vermehren. („The obverse of Man’s actual and potential further defectiveness is the vast extent of his possible future improvement. To effect this, he must first of all check the processes making for genetic deterioration. This means reducing man-made radiation to a minimum, discouraging genetically defective or inferior types from breeding, reducing human overmultiplication in general and the high differential fertility of various regions, nations and classes in particular.“)
Solcherart Auslese brauche Verhütungs- und Sterilisierungsmethoden in Kombination mit künstlicher Befruchtung oder anderen Methoden stellvertretender Elternschaft. („The implementation of negative eugenics […] in practice will depend on the use of methods of contraception or sterilization, combined where possible with A.I.D. (artificial insemination by donor) or other methods of vicarious parenthood.“)
Es sei zwingend, das genetische Niveau des Menschen hinsichtlich der geistigen und handwerklichen Fähigkeiten anzuheben. In der Praxis lasse sich das wohl mittels künstlicher Befruchtung durch ausgewählte Spender erreichen. (We „must rely increasingly on raising the genetic level of man’s intellectual and practical abilities […] Artificial insemination by selected donors could bring about such a result in practice“.)
Nur insoweit, als diese Überzeugungen auf wissenschaftlichem und überprüftem Wissen beruhen, seien sie geeignet, die menschliche Evolution in die gewünschte Richtung zu lenken. („Only in so far, as those purposes and beliefs are grounded on scientific and tested knowledge, will they serve to steer human evolution in a desirable direction.“)
Wem jetzt noch nicht schlecht geworden ist, der kann sich ja das letzte Kapitel von Huxleys Buch reinziehen.
Der Zweck heiligt die Mittel
Mit dem Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“ hat man schon manche Schandtat gerechtfertigt. Folter scheint erlaubt. Der Totalitarismus ist nicht weit. Aber auch der evolutionäre Humanismus hat da einiges zu bieten. Fündig wird man im 4. (An-)Gebot des evolutionären Humanismus: „Du sollst nicht lügen, betrügen, stehlen, töten – es sei denn, es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten, die Ideale der Humanität durchzusetzen.“
Mich irritiert, dass hier keine Einschränkung gemacht wird. Nur ein paar Beispiele werden genannt: Lügen zugunsten verfolgter Juden und der Tyrannenmord seien erlaubt. Jedoch geht es um etwas anderes, es geht um die „Ideale des Humanismus“ ganz allgemein. Nun tauchen ein paar ganz zentrale Fragen auf: Wer formuliert den Kanon der humanistischen Ideale? Wer soll ihn durchsetzen? Und vor allem: Wie soll das geschehen? Auch mit Lug und Trug?
In welche Zwickmühlen man bei diesem Vorhaben geraten kann, ist den Äußerungen selbsternannter Humanisten zu entnehmen. Peter Singer ist ein solcher. Er hat im Jahr 2011 als einer der Ersten den von der GBS verliehenen Ethikpreis der GBS erhalten.
Utilitarismus
Um der Geisteshaltung des Peter Singer, eine Spielart des Utilitarismus, etwas näher zu kommen, zitiere ich aus einem SPIEGEL-Interview mit der Überschrift „Nicht alles Leben ist heilig“. Kommentieren kann ich das Interview nicht; das würde mich überfordern. Eins zumindest – so meine ich – wird dennoch klar: Die ethischen Normen sollten niemals Angelegenheit nur einer gesellschaftlichen Gruppierung oder nur einer Weltanschauungsgemeinschaft sein.
SPIEGEL: Schon einmal, in der Aufklärung, gab es den Versuch, eine Weltsicht auf die Vernunft zu gründen. Aber damals setzten die Philosophen, anders als Sie, die Würde des Menschen an den Anfang all ihrer Überlegungen.
Singer: Es stimmt, Sie finden diesen Gedanken Ende des 18. Jahrhunderts in der Erklärung der Menschenrechte. Aber nehmen Sie zum Beispiel Kant: Er sagt, der Mensch sei stets als „Zweck an sich selbst“ zu betrachten. Doch wenn Sie sich seine Argumentation genauer ansehen, dann stellen Sie fest, dass er sich auf die Fähigkeit zu Vernunft und Autonomie beruft. Dieser Gedanke ist dann missbraucht worden, um allen menschlichen Wesen diesen Status zuzusprechen – obwohl es keine 30 Sekunden Nachdenken braucht, um sich klar zu machen, dass es durchaus menschliche Wesen gibt, die weder vernunftbegabt noch autonom sind.
SPIEGEL: Lassen Sie uns versuchen, Ihr Denkmodell auf Embryonen anzuwenden. Zunächst: Wann beginnt in Ihren Augen menschliches Leben?
Singer: Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen – aber unter ethischem Gesichtspunkt ist es gar nicht furchtbar wichtig, für welche davon man sich entscheidet.
SPIEGEL: Nein? Über keine Frage wird in der gegenwärtigen Debatte um embryonale Stammzellen so erbittert gestritten wie über diese.
Singer: Das ist eben falsch. Moralisch wichtig ist doch nicht, ob ein Embryo menschliches Leben ist, sondern einzig die Frage, welche Fähigkeiten und Eigenschaften er hat. Denn auf diese gründet sich sein moralischer Status.
SPIEGEL: Ein früher Embryo hat aber kaum höhere Fähigkeiten als ein Bakterium oder, sagen wir, eine Kartoffelpflanze. Also steht er mit ihnen auf einer moralischen Stufe?
Singer: Der Unterschied besteht aber darin, dass der Embryo leibliche Eltern hat, denen dieser Embryo etwas bedeuten könnte. Und die hat eine Kartoffelpflanze nicht.
SPIEGEL: Solange aber diese Eltern damit einverstanden wären, könnte man diesen Embryo für jeden beliebigen Zweck verwenden – selbst wenn man Embryos zu einer Schönheitscreme oder einem Potenzmittel verarbeiten wollte?
Singer: Ein ethisches Problem hätte ich damit nicht
[…]
SPIEGEL: Wann wachsen dem Embryo denn, nach Ihrer Auffassung, erstmals irgendwelche Rechte zu?
Singer: Ein wesentlicher Punkt ist das Einsetzen von Schmerzempfinden. Ab diesem Zeitpunkt verdient der Embryo einen gewissen Schutz – ähnlich wie ihn ein Tier auch verdient.
SPIEGEL: Das heißt: Vorher gleicht der Embryo, ethisch betrachtet, einer Kartoffel, nun steigt er auf zum moralischen Wert einer Ratte?
Singer: Was den Embryo selbst betrifft, würde ich die Frage mit „Ja“ beantworten – allerdings mit der Einschränkung, dass es, wie schon gesagt, eine Sicht der Eltern gibt, die es zu berücksichtigen gilt.
[…]
SPIEGEL: Sie koppeln also das Lebensrecht, das höchste aller menschlichen Rechte, an einen Zeitpunkt, den Sie allenfalls sehr vage benennen können?
[…]
Singer: Ich habe einmal den Vorschlag gemacht, eine Phase von 28 Tagen nach der Geburt festzusetzen, nach der dann das volle Lebensrecht erst in Kraft tritt. Das ist zwar ein sehr willkürlicher Zeitpunkt, den wir einer Idee aus dem antiken Griechenland entlehnt haben. Aber es würde den Eltern Zeit für ihre Entscheidungen geben.
[…]
SPIEGEL: Bisher haben wir weitgehend über gesunde Babys gesprochen. Wie aber steht es mit schwer behinderten Babys, die möglicherweise nie volles Bewusstsein ihrer selbst erlangen werden. Kommen die nie im Laufe ihres Lebens in den Genuss eines vollwertigen Rechts zu leben?
Singer: In derartigen Fällen bin ich der Auffassung, dass sie selbst kein derartiges Recht haben. Aber sie können Eltern haben, denen sie etwas bedeuten, die ihnen Liebe geben und die sich um sie kümmern.