Die Vereinigung der Kausalität als Freiheit mit ihr als Naturmechanismus,
davon die erste durchs Sittengesetz, die zweite durchs Naturgesetz,
und zwar in einem und demselben Subjekte, dem Menschen, fest steht,
ist es unmöglich, ohne diesen in Beziehung auf das erstere als
Wesen an sich selbst, auf das zweite aber als Erscheinung,
jenes im reinen, dieses im empirischen Bewusstsein vorzustellen.
Ohne dieses ist der Widerspruch der Vernunft mit sich selbst unvermeidlich.
Immanuel Kant
Aus der Vorrede zur Kritik der praktischen Vernunft, 1788
Warum der GWUP beitreten?
Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften (GWUP) hat sich der Entlarvung vorgeblich paranormal Begabter verschrieben; mit besonderer Inbrunst widmen sich einige Mitglieder des Vereins der Verhöhnung von Anhängern alternativer, insbesondere homöopathischer Heilverfahren. Zur Zielgruppe der GWUP gehören Leute, die nicht immer und überall dem Credo der Wissenschaft oberste Geltung einräumen wollen – was vielen GWUPlern scheinbar gründlich missfällt.
Es fragt sich, ob das publizistische Getöse der relativen Harmlosigkeit der Zielgruppe angemessen ist: Der Markt der allopathischen Mittel ist etwa hundertmal größer als derjenige der homöopathischen. Wenn man dazu bedenkt, dass die homöopathischen Mittel keine Wirkung entfalten (außer dem Placeboeffekt vielleicht) und daher wohl auch keine schädliche, dann muss man die Risiken der Allopathie um mehrere Größenordnungen höher einschätzen als jene der Homöopathie.
Ja, es gibt auch die redlich um Aufklärung und Fairness besorgten Skeptiker. Sie finden es beispielsweise schwer erträglich, dass die pseudowissenschaftliche Homöopathie staatliche Förderung genießt. Die wachsende Präsenz von Pseudowissenschaften an Hochschulen aufgrund von Drittmitteln und Stiftungsprofessuren ist für sie besorgniserregend. Und sie möchten, im Sinne der Verbraucheraufklärung, sachliche Informationen zu außerordentlichen Vorgängen und Geltungsansprüchen bieten. Für diese Skeptiker ist die GWUP eine Heimstatt.
Trotz mancher offensichtlichen Übertreibungen gibt es gute Gründe, dem Verein beizutreten. Ich fand diese in der Selbstdarstellung des Vereins: „Wir sind Frauen und Männer mit unterschiedlichen Biografien, Berufen und Fachrichtungen: Wissenschaftler, Journalisten, wissenschaftlich Interessierte. In unseren Weltanschauungen sind wir sehr verschieden. Uns verbindet jedoch die Überzeugung, dass Wissenschaft und kritisches Denken für die gesellschaftlichen Herausforderungen von heute und morgen wichtiger sind denn je. Wir nennen uns Skeptiker. Das heißt, wir betrachten ungewöhnliche Behauptungen zwar mit Skepsis, lehnen sie aber nicht vorschnell ab, sondern prüfen sie mit wissenschaftlichen Methoden und den Instrumenten des kritischen Denkens.“
Schon lange interessiert mich die Frage, was wir Menschen überhaupt wissen können. In der GWUP wird augenscheinlich um Antworten gerungen. Mit Beginn des Jahres 2006 wurde ich Vereinsmitglied.
Was stutzig macht
Aber Hoppla! Es kam zu Ereignissen, die mich an der Aufrichtigkeit der Selbstdarstellung der GWUP zweifeln ließen. Der erste Kontakt mit dem Hausphilosophen der GWUP – eine Art Torwächter – verlief, wenn ich mich recht erinnere, so:
– Sie sind Herr Grams, neu hier.
– Ja.
Dann kam die Gretchenfrage. Meine Antwort: Ich bin Agnostiker.
– Aha, weichgespülter Atheist.
– Nein, überzeugter Agnostiker.
Der missbilligende Gesichtsausdruck ließ in mir den Verdacht aufkeimen, hier fehl am Platze zu sein. Am Büchertisch zeigte und empfahl mir der Torwächter sein neuestes Werk; das war ein unmissverständlicher Hinweis darauf, wie man hier zu ticken hat. Allein der stramme Atheist ist gern gesehen. Weltanschauliche Toleranz sieht anders aus.
Auf einer der ersten Jahreshauptversammlungen, die ich besuchte, gab es den Antrag, in die Satzung die Möglichkeit der Vereinsmitgliedschaft von Kindern aufzunehmen. Mutig wagte ich meine erste Wortmeldung: Führen wir dann auch die Kommunion ein? Glücklicherweise war der vom Vorstand unterstützte Antrag dann erst einmal vom Tisch. Ein seltsames Gebaren zeigte sich da: Vehement gegen Weltanschauungen kämpfen und dann flugs die eigene in die entstehende Lücke stopfen.
In der Zeitschrift skeptiker und auch auf den Jahrestagungen kommen immer wieder dieselben Leute zu Wort. Die Veranstaltungen haben den Charakter der Selbstvergewisserung. Die Bestätigungssucht und das Ausschließen von Selbstzweifeln gehören aber sicherlich nicht zu den Skeptikertugenden. Sie sind charakteristisch für das hermetische Denken, wie es so typisch für die Esoterik ist.
Solche Beobachtungen haben mich irritiert. Aber erst mit der Zeit schwante mir, dass da mehr dahinter steckt, nämlich ein System.
Ein Irrglaube macht sich breit
Als ich mich für meinen Hoppla!-Artikel Was ist Pseudowissenschaft? auf die GWUP-Definitionen der Begriffe Parawissenschaft und Pseudowissenschaft berufen wollte, stellte ich fest, dass die offizielle Begriffsbestimmung in der GWUP-Information zum Thema Parawissenschaft – Pseudowissenschaft nicht mit derjenigen übereinstimmt, die ich aus der Satzung kenne.
In der Satzung wird die Abgrenzung zwischen Wissenschaft, Para- und Pseudowissenschaft so definiert: „Unter Pseudowissenschaften werden Aussagesysteme verstanden, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, ohne ihn einzulösen; unter Parawissenschaften solche, bei denen Zweifel besteht, ob sie diesem Anspruch genügen.“
Die GWUP-Information zum Thema „Parawissenschaft – Pseudowissenschaft“ hingegen gibt eine Neudefinition: „Eine Parawissenschaft […] ist ein außerhalb der Wissenschaften […] angesiedelter Erkenntnisbereich, dessen Theorie und Praxis weitgehend auf illusionärem Denken beruhen […] ‚Parawissenschaft‘ ist daher eine neuere, an die Bezeichnung ‚Parapsychologie‘ angelehnte Wortbildung, die es erlaubt, den Begriff ‚Pseudowissenschaft‘ auf seine engere Bedeutung zu beschränken.“
In dieselbe Richtung geht die Präambel der Vereinszeitung: „Aus einer interdisziplinären Perspektive hinterfragt [der Skeptiker] den Wahrheitsgehalt von parawissenschaftlichen Behauptungen kritisch, undogmatisch und mit wissenschaftlichen Methoden.“
Beim flüchtigen Lesen werden die harten Konsequenzen dieser Definitionen und ihr Widerspruch zur Satzung nicht ins Auge fallen. Aber hoppla: Wenn es heißt, dass „Wahrheitsgehalt“ hinterfragt werde, dann unterstellt man, dass wir so etwas wie die Wahrheit erkennen können, und dass die Hüterin dieser Wahrheit die GWUP bzw. deren Vereinsorgan ist.
Offenbar steht die Neudefinition auf einer weltanschaulichen Grundlage, einer Ontologie, die über das Wesen der Dinge Auskunft gibt. Wenn man genauer hinsieht, findet man den ontologischen Naturalismus, der auf den Philosophen Mario Bunge zurückgeht.
Mario Bunge suchte nach den Prinzipien der Realität. Letztere sind für ihn und seine Adepten Martin Mahner und Gerhard Vollmer zumindest partiell erkennbar; sie erhalten den Rang von Postulaten, Forderungen also, die sachlich notwendig, wenn auch nicht beweisbar sind. Unter anderem will Martin Mahner das Kausalitätsprinzip als der Realität anhaftend ausgemacht haben.
Und wer solche ewigen Wahrheiten erst einmal erkannt hat, der kann sich auch ein Urteil darüber erlauben, inwieweit andere dieser Wahrheit nahe kommen, inwieweit ihr Denken wahre Erkenntnis liefert oder ob es illusionär ist.
Diese Attitüde ist unbegründet – eine unverstellte Anmaßung. Und von dieser Anmaßung ist die Satzung der GWUP frei. Ihr Anliegen ist unabhängig von Weltanschauungen formuliert und hat allein Wissenschaftsbezug. Das ist der von mir gemeinte Widerspruch zwischen offiziellen Verlautbarungen und Satzungstext.
„Es sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen.“ Spätestens seit Immanuel Kant diese starken Worte geäußert hat, müssen wir einsehen, dass der ontologische Naturalismus niemals die erhofften Antworten liefern kann. Mario Bunges Suche nach den Prinzipien der Realität war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Dabei hat ein Vertreter des ontologischen Naturalismus vor vielen Jahren selber klar gemacht, was von den Postulaten dieser Philosophie zu halten ist. In seinem Büchlein „Evolutionäre Erkenntnistheorie“ aus dem Jahre 1983 hat Gerhard Vollmer uns die kantschen Aprioris, sie entsprechen den Postulaten, mittels Evolutionstheorie sehr schön erklärt. Sie seien stammesgeschichtlich erworbene Anpassungen: phylogenetisch a posteriori und ontogenetisch a priori. Derartige Anpassungen erweisen sich durch ihren Überlebenswert. Sie haften nicht einer objektiven und von uns erkennbaren Realität an; sie sind unserem Erkenntnisapparat zuzurechnen. Konrad Lorenz spricht in diesem Zusammenhang von angeborenen Lehrmeistern. Und diese angeborenen Lehrmeister sind keineswegs ewig gültig und richtig; manchmal müssen wir ihnen sogar widerstehen, wie das System der Denkfallen zeigt.
Bereits Immanuel Kant lokalisierte die Möglichkeiten des Erkennens in der Vernunft und nicht etwa in den Offenbarungen einer absoluten Realität. Er unterschied sogar zwei Arten der Vernunft. Einmal kann Erkenntnis gewonnen werden durch Spekulation und Erfahrung unter Anleitung der Aprioris. So funktioniert es in den Naturwissenschaften.
Andererseits muss man ohne Empirie auskommen und hat als Prüfstein für die Spekulation nur das Handeln. So liegen die Verhältnisse in Sachen Freiheit und Moral. Diese beiden Denkweisen wurden von Kant in verschiedenen Büchern abgehandelt, nämlich zum einen in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ und zum anderen in der „Kritik der praktischen Vernunft“.
Amardeo Sarma, der Vereinsvorsitzende, hält „eine GWUP-Arbeit ohne die Annahme zumindest eines ontologischen Realismus für nicht möglich“ und schreibt: „Dabei wäre ich vermutlich sogar mit vielen Theologen einig. Streit hätte ich mit ihnen ‚nur‘ bezüglich der Zahl der angenommenen realen Entitäten. Sich nur auf einen intersubjektiven Konsens zu berufen halte ich für abwegig.“
Dass die Theologen das so sehen müssen, ist wohl klar. Für sie existiert ja auch Gott. Aber sie geben auch nicht vor, empirische Wissenschaft zu treiben; deshalb werden sie nicht in Argumentationsnöte geraten. Aber wenn wir Skeptiker uns auf diese Schiene setzen lassen, kommen wir in dieselben Begründungsnöte wie die Kreationisten oder Intelligent-Design-Leute mit ihrem Wissenschaftsanspruch.
Mit dem Ausspruch, dass „Prüfbarkeit […] die Existenz des zu Prüfenden voraus[setzt] und nicht nur, dass wir uns aufgrund von Prüfungen (von was denn eigentlich?) einigen“ steht Sarma außerhalb der heute weithin akzeptierten Epistemologie. Natürlich prüft der Wissenschaftler nicht die „Existenz des zu Prüfenden“, sondern er prüft Theorien, also Aussagen über Zusammenhänge zwischen Erscheinungen. Ich glaube, dass – außer Theologen, Esoterikern und ontologischen Naturalisten vielleicht – kein ernstzunehmender Forscher die Existenz einer Energie beispielsweise nachweisen will.
Die grafische Gegenüberstellung der Definition laut GWUP-Satzung und der Neudefinition des Begriffs der Parawissenschaft führt uns vor Augen: Die GWUP-Satzung ist bescheiden und lässt Glaubenssysteme und Religionen außen vor. Sie beschränkt sich allein auf den Aspekt der Wissenschaftlichkeit von Erkenntnissystemen, insoweit sie einen solchen Anspruch vertreten.
Die Neudefinition des Begriffs der Parawissenschaft weitet das Zielgebiet der GWUP drastisch aus, und zwar auf alles, was nicht der wahren Erkenntnis dient. Mahner geht dann so weit und sagt, dass „schließlich auch Religionen … unter den Begriff Parawissenschaften“ fallen. Meine Kritik an Mahners Vorschlag habe ich seinerzeit mit Viel Feind, viel Ehr? überschrieben.
Da der ontologische Naturalismus wegen seiner unbeweisbaren Postulate selbst ein Glaubenssystem ist, manövriert er, insoweit er Grundlage der Arbeit sein soll, die GWUP in eine aussichtslose Lage: Sie beruft sich auf ein Glaubenssystem, um Glaubenssysteme ausgrenzen zu können. Das ist paradox.
Zirkelschlüsse und Selbstwidersprüche zuhauf
Der ontologische Naturalismus ist unhaltbar. Zirkelschlüsse und Selbstwidersprüche sind unvermeidlich. Eine dieser Zwickmühlen konnten wir schon im letzten Abschnitt besichtigen, hier folgen ein paar weitere.
Selbstimmunisierung
Der ontologische Naturalismus nimmt in den Denkvoraussetzungen, den Postulaten, das an, was er eigentlich erst zeigen will. Gerhard Vollmer spricht beschönigend von einem Circulus Virtuosus, einem Wunderzirkel sozusagen. Meine Traumsatire macht die Widersprüchlichkeit dieses Ansatzes deutlich.
Selbstwiderspruch
Wenn Martin Mahner und Gerhard Vollmer von einer zumindest partiell erkennbaren Realität sprechen und den Wahrheitsbegriff benutzen, der die Nähe unseres Wissens zu dieser Realität angibt, dann können diese Postulate gar nicht Hypothesen im wissenschaftlichen Sinn sein: Die Postulate bilden ja die Messlatte der Wahrheitsnähe von Theorien. Sie selbst zum Gegenstand der Widerlegungsversuche zu machen, läuft auf einen unlösbaren Selbstwiderspruch hinaus.
Dieser dem ontologischen Realismus innewohnende Selbstwiderspruch wurde von Gerhard Roth in einem Streitgespräch mit Gerhard Vollmer deutlich gemacht: „Entweder man ist Realist und sagt, die Welt ist zumindest partiell erkennbar, oder man sagt, alles ist hypothetisch, dann ist man Konstruktivist.“ (In „Wahrheit und Wirklichkeit – Wirklichkeit und Wahrheit“, Protokolle der Evangelischen Akademie Braunschweig, 4./5. Juni 1993, erschienen 1994)
Roth lehnt den Realismus im Sinne von Vollmer, Mahner und Bunge jedenfalls ab, und zwar aus rein logischen Gründen, zwingend also.
Und was ist mit der Freiheit?
Nach dem ontologischen Naturalismus gibt es eine Realität, die wenigstens teilweise erkennbar ist. Zu den Gesetzmäßigkeiten dieser Realität gehört das Kausalitätsprinzip („Alles was geschieht hat eine Ursache“). Nun ist der Mensch selbst Bestandteil dieser Realität und gemäß dem ontologischen Naturalismus kausal bestimmt. Wie steht es dann mit der Freiheit? Kausalitätsprinzip und Entscheidungsfreiheit lassen sich nicht miteinander vereinbaren. Lässt sich die Idee der Freiheit aufgrund dieser einfachen Argumentation eliminieren? Wohl nicht.
Das Kausalitätsprinzip muss angepasst werden. Auch die Quantenphysik legt eine Abänderung nahe. Unausweichliche Konsequenz ist, dass das „Prinzip“ dem Wissensfortschritt folgt und nicht starr sein kann. Es ist plastisch. Demzufolge kann es gar nicht der objektiven Realität anhaften, sondern es ist unserem Erkenntnisapparat zuzuordnen. Das „Prinzip“ wird gelernt!
Hier wäre Gelegenheit, sich mit dem Kant-Zitat eingangs dieses Artikels zu beschäftigen: Kant entgeht dem fatalen Zirkel, indem er Kausalität und Freiheit verschiedenen Betrachtungsweisen zuordnet: dem empirischen Bewusstsein einerseits und dem reinen praktischen Bewusstsein andererseits. (Lassen Sie sich von Kants gewundener Schreibe nicht abschrecken: Die Gedanken sind von außerordentlicher Klarheit.)
Die Rettung: Rückbesinnung
Anders als die Neudefinition der Begriffe Para- und Pseudowissenschaft sind die Definitionen der GWUP-Satzung weltanschaulich neutral. Es geht nur um epistemologische Fragen und nicht um Fragen nach dem Wesen der Dinge (Onotolgie). Und dabei sollte es bleiben. Übrigens gibt auch Gerhard Vollmer, obwohl bekennender Realist, in seiner jüngsten Schrift „Gretchenfragen an den Naturalisten“ die satzungsgemäße Definition der Begriffe an.
Der ontologische Naturalismus wird – wie jede andere Ontologie auch – für die GWUP-Arbeit nicht gebraucht. Er führt sie weg von ihrem Kerngeschäft.
Die satzungsgemäße Begriffsbestimmung ist klar und leistungsfähig und sie lässt Spielraum für differenzierende Analysen. Die Neudefinition hingegen basiert auf einem Glaubenssystem, das die Asymmetrie von Behauptung und Widerlegung ersetzt durch die Symmetrie von Behauptung und Gegenbehauptung. Letzteres führt zu fruchtlosen zirkelhaften Debatten. Lassen wir die Finger davon!