GWUP: Esoterik durch die Hintertür

Die Vereinigung der Kausalität als Freiheit mit ihr als Naturmechanismus,
davon die erste durchs Sittengesetz, die zweite durchs Naturgesetz,
und zwar in einem und demselben Subjekte, dem Menschen, fest steht,
ist es unmöglich, ohne diesen in Beziehung auf das erstere als
Wesen an sich selbst, auf das zweite aber als Erscheinung,
jenes im
reinen, dieses im empirischen Bewusstsein vorzustellen.
Ohne dieses ist der Widerspruch der Vernunft mit sich selbst unvermeidlich.

Immanuel Kant
Aus der Vorrede zur Kritik der praktischen Vernunft, 1788

Warum der GWUP beitreten?

Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften (GWUP) hat sich der Entlarvung vorgeblich paranormal Begabter verschrieben; mit besonderer Inbrunst widmen sich einige Mitglieder des Vereins der Verhöhnung von Anhängern alternativer, insbesondere homöopathischer Heilverfahren. Zur Zielgruppe der GWUP gehören Leute, die nicht immer und überall dem Credo der Wissenschaft oberste Geltung einräumen wollen – was vielen GWUPlern scheinbar gründlich missfällt.

Es fragt sich, ob das publizistische Getöse der relativen Harmlosigkeit der Zielgruppe angemessen ist: Der Markt der allopathischen Mittel ist etwa hundertmal größer als derjenige der homöopathischen. Wenn man dazu bedenkt, dass die homöopathischen Mittel keine Wirkung entfalten (außer dem Placeboeffekt vielleicht) und daher wohl auch keine schädliche, dann muss man die Risiken der Allopathie um mehrere Größenordnungen höher einschätzen als jene der Homöopathie.

Ja, es gibt auch die redlich um Aufklärung und Fairness besorgten Skeptiker. Sie finden es beispielsweise schwer erträglich, dass die pseudowissenschaftliche Homöopathie staatliche Förderung genießt. Die  wachsende Präsenz von Pseudowissenschaften an Hochschulen aufgrund von Drittmitteln und Stiftungsprofessuren ist für sie besorgniserregend. Und sie möchten, im Sinne der Verbraucheraufklärung, sachliche Informationen zu außerordentlichen Vorgängen und Geltungsansprüchen bieten. Für diese Skeptiker ist die GWUP eine Heimstatt.

Trotz mancher offensichtlichen Übertreibungen gibt es gute Gründe, dem Verein beizutreten. Ich fand diese in der Selbstdarstellung des Vereins: „Wir sind Frauen und Männer mit unterschiedlichen Biografien, Berufen und Fachrichtungen: Wissenschaftler, Journalisten, wissenschaftlich Interessierte. In unseren Weltanschauungen sind wir sehr verschieden. Uns verbindet jedoch die Überzeugung, dass Wissenschaft und kritisches Denken für die gesellschaftlichen Herausforderungen von heute und morgen wichtiger sind denn je. Wir nennen uns Skeptiker. Das heißt, wir betrachten ungewöhnliche Behauptungen zwar mit Skepsis, lehnen sie aber nicht vorschnell ab, sondern prüfen sie mit wissenschaftlichen Methoden und den Instrumenten des kritischen Denkens.“

Schon lange interessiert mich die Frage, was wir Menschen überhaupt wissen können. In der GWUP wird augenscheinlich um Antworten gerungen. Mit Beginn des Jahres 2006 wurde ich Vereinsmitglied.

Was stutzig macht

Aber Hoppla! Es kam zu Ereignissen, die mich an der Aufrichtigkeit der Selbst­darstellung der GWUP zweifeln ließen. Der erste Kontakt mit dem Hausphilosophen der GWUP – eine Art Torwächter – verlief, wenn ich mich recht erinnere, so:

– Sie sind Herr Grams, neu hier.

– Ja.

Dann kam die Gretchenfrage. Meine Antwort: Ich bin Agnostiker.

– Aha, weichgespülter Atheist.

– Nein, überzeugter Agnostiker.

Der missbilligende Gesichtsausdruck ließ in mir den Verdacht aufkeimen, hier fehl am Platze zu sein. Am Büchertisch zeigte und empfahl mir der Torwächter sein neuestes Werk; das war ein unmissverständlicher Hinweis darauf, wie man hier zu ticken hat. Allein der stramme Atheist ist gern gesehen. Weltanschauliche Toleranz sieht anders aus.

Auf einer der ersten Jahreshauptversammlungen, die ich besuchte, gab es den Antrag, in die Satzung die Möglichkeit der Vereinsmitgliedschaft von Kindern aufzunehmen. Mutig wagte ich meine erste Wortmeldung: Führen wir dann auch die Kommunion ein? Glücklicherweise war der vom Vorstand unterstützte Antrag dann erst einmal vom Tisch. Ein seltsames Gebaren zeigte sich da: Vehement gegen Weltanschauungen kämpfen und dann flugs die eigene in die entstehende Lücke stopfen.

In der Zeitschrift skeptiker und auch auf den Jahrestagungen kommen immer wieder dieselben Leute zu Wort. Die Veranstaltungen haben den Charakter der Selbstvergewisserung. Die Bestätigungssucht und das Ausschließen von Selbstzweifeln gehören aber sicherlich nicht zu den Skeptikertugenden. Sie sind charakteristisch für das hermetische Denken, wie es so typisch für die Esoterik ist.

Solche Beobachtungen haben mich irritiert. Aber erst mit der Zeit schwante mir, dass da mehr dahinter steckt, nämlich ein System.

Ein Irrglaube macht sich breit

Als ich mich für meinen Hoppla!-Artikel Was ist Pseudowissenschaft? auf die GWUP-Definitionen der Begriffe Parawissenschaft und Pseudowissenschaft berufen wollte, stellte ich fest, dass die offizielle Begriffsbestimmung in der GWUP-Information zum Thema Parawissenschaft – Pseudowissenschaft nicht mit derjenigen übereinstimmt, die ich aus der Satzung kenne.

In der Satzung wird die Abgrenzung zwischen Wissenschaft, Para- und Pseudowissenschaft so definiert: „Unter Pseudowissenschaften werden Aussagesysteme verstanden, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, ohne ihn einzulösen; unter Parawissenschaften solche, bei denen Zweifel besteht, ob sie diesem Anspruch genügen.“

Die GWUP-Information zum Thema „Parawissenschaft – Pseudowissenschaft“ hingegen gibt eine Neudefinition: „Eine Parawissenschaft […] ist ein außerhalb der Wissenschaften […] angesiedelter Erkenntnisbereich, dessen Theorie und Praxis weitgehend auf illusionärem Denken beruhen […] ‚Parawissenschaft‘ ist daher eine neuere, an die Bezeichnung ‚Parapsychologie‘ angelehnte Wortbildung, die es erlaubt, den Begriff ‚Pseudowissenschaft‘ auf seine engere Bedeutung zu beschränken.“

In dieselbe Richtung geht die Präambel der Vereinszeitung: „Aus einer interdisziplinären Perspektive hinterfragt [der Skeptiker] den Wahrheitsgehalt von parawissenschaftlichen Behauptungen kritisch, undogmatisch und mit wissenschaftlichen Methoden.“

Beim flüchtigen Lesen werden die harten Konsequenzen dieser Definitionen und ihr Widerspruch zur Satzung nicht ins Auge fallen. Aber hoppla: Wenn es heißt, dass „Wahrheitsgehalt“ hinterfragt werde, dann unterstellt man, dass wir so etwas wie die Wahrheit erkennen können, und dass die Hüterin dieser Wahrheit die GWUP bzw. deren Vereinsorgan ist.

Offenbar steht die Neudefinition auf einer weltanschaulichen Grundlage, einer Ontologie, die über das Wesen der Dinge Auskunft gibt. Wenn man genauer hinsieht, findet man den ontologischen Naturalismus, der auf den Philosophen Mario Bunge zurückgeht.

Mario Bunge suchte nach den Prinzipien der Realität. Letztere sind für ihn und seine Adepten Martin Mahner und Gerhard Vollmer zumindest partiell erkennbar; sie erhalten den Rang von Postulaten, Forderungen also, die sachlich notwendig, wenn auch nicht beweisbar sind. Unter anderem will Martin Mahner das Kausalitätsprinzip als der Realität anhaftend ausgemacht haben.

Und wer solche ewigen Wahrheiten erst einmal erkannt hat, der kann sich auch ein Urteil darüber erlauben, inwieweit andere dieser Wahrheit nahe kommen, inwieweit ihr Denken wahre Erkenntnis liefert oder ob es illusionär ist.

Diese Attitüde ist unbegründet – eine unverstellte Anmaßung. Und von dieser Anmaßung ist die Satzung der GWUP frei. Ihr Anliegen ist unabhängig von Weltanschauungen formuliert und hat allein Wissenschaftsbezug. Das ist der von mir gemeinte Widerspruch zwischen offiziellen Verlautbarungen und Satzungstext.

„Es sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen.“ Spätestens seit Immanuel Kant diese starken Worte geäußert hat, müssen wir einsehen, dass der ontologische Naturalismus niemals die erhofften Antworten liefern kann. Mario Bunges Suche nach den Prinzipien der Realität war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Dabei hat ein Vertreter des ontologischen Naturalismus vor vielen Jahren selber klar gemacht, was von den Postulaten dieser Philosophie zu halten ist. In seinem Büchlein „Evolutionäre Erkenntnistheorie“ aus dem Jahre 1983 hat Gerhard Vollmer uns die kantschen Aprioris, sie entsprechen den Postulaten, mittels Evolutionstheorie sehr schön erklärt. Sie seien stammesgeschichtlich erworbene Anpassungen: phylogenetisch a posteriori und ontogenetisch a priori. Derartige Anpassungen erweisen sich durch ihren Überlebenswert. Sie haften nicht einer objektiven und von uns erkennbaren Realität an; sie sind unserem Erkenntnisapparat zuzurechnen. Konrad Lorenz spricht in diesem Zusammenhang von angeborenen Lehrmeistern. Und diese angeborenen Lehrmeister sind keineswegs ewig gültig und richtig; manchmal müssen wir ihnen sogar widerstehen, wie das System der Denkfallen zeigt.

Bereits Immanuel Kant lokalisierte die Möglichkeiten des Erkennens in der Vernunft und nicht etwa in den Offenbarungen einer absoluten Realität. Er unterschied sogar zwei Arten der Vernunft. Einmal kann Erkenntnis gewonnen werden durch Spekulation und Erfahrung unter Anleitung der Aprioris. So funktioniert es in den Naturwissenschaften.

Andererseits muss man ohne Empirie auskommen und hat als Prüfstein für die Spekulation nur das Handeln. So liegen die Verhältnisse in Sachen Freiheit und Moral. Diese beiden Denkweisen wurden von Kant in verschiedenen Büchern abgehandelt, nämlich zum einen in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ und zum anderen in der „Kritik der praktischen Vernunft“.

Amardeo Sarma, der Vereinsvorsitzende, hält „eine GWUP-Arbeit ohne die Annahme zumindest eines ontologischen Realismus für nicht möglich“ und schreibt: „Dabei wäre ich vermutlich sogar mit vielen Theologen einig. Streit hätte ich mit ihnen ‚nur‘ bezüglich der Zahl der angenommenen realen Entitäten. Sich nur auf einen intersubjektiven Konsens zu berufen halte ich für abwegig.“

Dass die Theologen das so sehen müssen, ist wohl klar. Für sie existiert ja auch Gott. Aber sie geben auch nicht vor, empirische Wissenschaft zu treiben; deshalb werden sie nicht in Argumentationsnöte geraten. Aber wenn wir Skeptiker uns auf diese Schiene setzen lassen, kommen wir in dieselben Begründungsnöte wie die Kreationisten oder Intelligent-Design-Leute mit ihrem Wissenschaftsanspruch.

Mit dem Ausspruch, dass „Prüfbarkeit […] die Existenz des zu Prüfenden voraus[setzt]  und nicht nur, dass wir uns aufgrund von Prüfungen (von was denn eigentlich?) einigen“ steht Sarma außerhalb der heute weithin akzeptierten Epistemologie. Natürlich prüft der Wissenschaftler nicht die „Existenz des zu Prüfenden“, sondern er prüft Theorien, also Aussagen über Zusammenhänge zwischen Erscheinungen. Ich glaube, dass – außer Theologen, Esoterikern und ontologischen Naturalisten vielleicht – kein ernstzunehmender Forscher die Existenz einer Energie beispielsweise nachweisen will.

Parawissenschaft (Satzung kontra Neudefinition)

Parawissenschaft (Satzung kontra Neudefinition)

Die grafische Gegenüberstellung der Definition laut GWUP-Satzung und der Neudefinition des Begriffs der Parawissenschaft führt uns vor Augen: Die GWUP-Satzung ist bescheiden und lässt Glaubenssysteme und Religionen außen vor. Sie beschränkt sich allein auf den Aspekt der Wissenschaftlichkeit von Erkenntnissystemen, insoweit sie einen solchen Anspruch vertreten.

Die Neudefinition des Begriffs der Parawissenschaft weitet das Zielgebiet der GWUP drastisch aus, und zwar auf alles, was nicht der wahren Erkenntnis dient. Mahner geht dann so weit und sagt, dass „schließlich auch Religionen … unter den Begriff Parawissenschaften“ fallen. Meine Kritik an Mahners Vorschlag habe ich seinerzeit mit Viel Feind, viel Ehr? überschrieben.

Da der ontologische Naturalismus wegen seiner unbeweisbaren Postulate selbst ein Glaubenssystem ist, manövriert er, insoweit er Grundlage der Arbeit sein soll, die GWUP in eine aussichtslose Lage: Sie beruft sich auf ein Glaubenssystem, um Glaubenssysteme ausgrenzen zu können. Das ist paradox.

Zirkelschlüsse und Selbstwidersprüche zuhauf

Der ontologische Naturalismus ist unhaltbar. Zirkelschlüsse und Selbstwidersprüche sind unvermeidlich. Eine dieser Zwickmühlen konnten wir schon im letzten Abschnitt besichtigen, hier folgen ein paar weitere.

Selbstimmunisierung

Der ontologische Naturalismus nimmt in den Denkvoraussetzungen, den Postulaten, das an, was er eigentlich erst zeigen will. Gerhard Vollmer spricht beschönigend von einem Circulus Virtuosus, einem Wunderzirkel sozusagen. Meine Traumsatire macht die Widersprüchlichkeit dieses Ansatzes deutlich.

Selbstwiderspruch

Wenn Martin Mahner und Gerhard Vollmer von einer zumindest partiell erkennbaren Realität sprechen und den Wahrheitsbegriff benutzen, der die Nähe unseres Wissens zu dieser Realität angibt, dann können diese Postulate gar nicht Hypothesen im wissenschaftlichen Sinn sein: Die Postulate bilden ja die Messlatte der Wahrheitsnähe von Theorien. Sie selbst zum Gegenstand der Widerlegungsversuche zu machen, läuft auf einen unlösbaren Selbstwiderspruch hinaus.

Dieser dem ontologischen Realismus innewohnende Selbstwiderspruch wurde von Gerhard Roth in einem Streitgespräch mit Gerhard Vollmer deutlich gemacht: „Entweder man ist Realist und sagt, die Welt ist zumindest partiell erkennbar, oder man sagt, alles ist hypothetisch, dann ist man Konstruktivist.“ (In „Wahrheit und Wirklichkeit – Wirklichkeit und Wahrheit“, Protokolle der Evangelischen Akademie Braunschweig, 4./5. Juni 1993, erschienen 1994)

Roth lehnt den Realismus im Sinne von Vollmer, Mahner und Bunge jedenfalls ab, und zwar aus rein logischen Gründen, zwingend also.

Und was ist mit der Freiheit?

Nach dem ontologischen Naturalismus gibt es eine Realität, die wenigstens teilweise erkennbar ist. Zu den Gesetzmäßigkeiten dieser Realität gehört das Kausalitätsprinzip („Alles was geschieht hat eine Ursache“). Nun ist der Mensch selbst Bestandteil dieser Realität und gemäß dem ontologischen Naturalismus kausal bestimmt. Wie steht es dann mit der Freiheit? Kausalitätsprinzip und Entscheidungsfreiheit lassen sich nicht miteinander vereinbaren. Lässt sich die Idee der Freiheit aufgrund dieser einfachen Argumentation eliminieren? Wohl nicht.

Das Kausalitätsprinzip muss angepasst werden. Auch die Quantenphysik legt eine Abänderung nahe. Unausweichliche Konsequenz ist, dass das „Prinzip“ dem Wissensfortschritt folgt und nicht starr sein kann. Es ist plastisch. Demzufolge kann es gar nicht der objektiven Realität anhaften, sondern es ist unserem Erkenntnisapparat zuzuordnen. Das „Prinzip“ wird gelernt!

Hier wäre Gelegenheit, sich mit dem Kant-Zitat eingangs dieses Artikels zu beschäftigen: Kant entgeht dem fatalen Zirkel, indem er Kausalität und Freiheit verschiedenen Betrachtungsweisen zuordnet: dem empirischen Bewusstsein einerseits und dem reinen praktischen Bewusstsein andererseits. (Lassen Sie sich von Kants gewundener Schreibe nicht abschrecken: Die Gedanken sind von außerordentlicher Klarheit.)

Die Rettung: Rückbesinnung

Anders als die Neudefinition der Begriffe Para- und Pseudowissenschaft sind die Definitionen der GWUP-Satzung weltanschaulich neutral. Es geht nur um epistemologische Fragen und nicht um Fragen nach dem Wesen der Dinge (Onotolgie). Und dabei sollte es bleiben. Übrigens gibt auch Gerhard Vollmer, obwohl bekennender Realist, in seiner jüngsten Schrift „Gretchenfragen an den Naturalisten“ die satzungsgemäße Definition der Begriffe an.

Der ontologische Naturalismus wird – wie jede andere Ontologie auch – für die GWUP-Arbeit nicht gebraucht. Er führt sie weg von ihrem Kerngeschäft.

Die satzungsgemäße Begriffsbestimmung ist klar und leistungsfähig und sie lässt Spielraum für differenzierende Analysen. Die Neudefinition hingegen basiert auf einem Glaubenssystem, das die Asymmetrie von Behauptung und Widerlegung ersetzt durch die Symmetrie von Behauptung und Gegenbehauptung. Letzteres führt zu fruchtlosen zirkelhaften Debatten. Lassen wir die Finger davon!

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GWUP: Wohin des Wegs?

Einst hatt ich einen bösen Traum

Till: Ein Freund, von dem ich Jahrzehnte nichts gehört hatte, ging mir vor ein paar Tagen im Kopf herum. Und – du wirst es nicht glauben – kurz darauf meldet er sich per Telefon. Obwohl ich da etwas skeptisch bin: Das war Gedankenübertragung! Oder was sagst du dazu? Du bist doch unser Oberskeptiker und sogar Mitglied in einem Verein gleichgesinnter Leute.

Manni: Das mit der Gedankenübertragung hast du dir eingebildet. Es war reiner Zufall. Denn: Gedankenübertragung ist etwas Paranormales, eine pure Illusion. Mit der Realität hat das nichts zu tun.

Till: Woher willst du das wissen?

Manni: In unserem Verein, in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, haben wir Philosophen. Sie geben uns mit ihrer Philosophie eine wichtige Grundlage für unsere Entlarvungsaktionen in Sachen Astrologie, Homöopathie, Paranormales und anderen Humbugs.

Till: Ihr habt also eine Philosophie. Wie sieht die denn aus?

Manni: Ich sage es einmal ganz einfach. Wir setzen voraus, dass es eine Realität außerhalb unseres Bewusstseins gibt, die bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgt. Überall in dieser Welt geht es mit rechten Dingen zu. Insbesondere postulieren wir, dass mentale Kräfte niemals kausal wirksam werden können. Wir nennen es das Kein-Psi-Prinzip. Diese Philosphie hat auch einen Namen. Es ist der hypothetische ontologische Realismus oder Naturalismus. Er ist die Denkbasis unserer Aktionen und Publikationen.

Till: Au wia, ziemlich kompliziert das alles. Aber was hat das mit meiner Frage zu tun?

Manni: Nach unseren Denkvoraussetzungen gibt es keine geistartigen Kräfte und Wirkungen, kein Psi; und ohne den Faktor Psi gibt es auch keine Gedankenübertragung. Und das wolltest du doch wissen.

Till: Versteh ich dich richtig? Ihr setzt voraus, dass es kein Psi gibt und daraus folgert ihr, dass es kein Psi geben kann und dass deshalb Gedankenübertragung unmöglich ist? Das sieht mir sehr nach einem Zirkelschluss oder Teufelskreis aus: Ihr Skeptiker geht von der Voraussetzung aus, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht und dann folgert ihr daraus, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht, ein formidabler circulus vitiosus.

Circulus virtuosus

Manni: Ja, es handelt sich um einen Selbstbezug; das hast du richtig bemerkt. Aber der ist nicht gefährlich. Anders als beim Lügnerparadoxon kommt es hier nicht zu einem Widerspruch. Und eine Abwärtsspirale droht auch nicht. Der ontologisch-hypothetische Selbstbezug ist sogar äußerst fruchtbar und erlaubt uns Skeptikern, einen stabilen Standpunkt einzunehmen. Er ist unangreifbar, sozusagen immun gegen jedes Gegenargument. Wir nennen ihn folglich auch nicht Teufelskreis oder Circulus vitiosus. Das wäre altes Denken. Für uns, die Vertreter des neuen Denkens, ist es ein Circulus virtuosus, ein virtuoser, ein Wunderzirkel sozusagen.

Till: Tja, wenn da so ist…

Ich wache auf. Das Herz klopft. Ich versuche meine Gedanken zu ordnen. Voller Unruhe gehe ich hinüber in meine kleine Bibliothek. Es folgt ein hastiges Stöbern in den Ordnern und Büchern. Da ist nichts zu lesen von einem hypothetischen ontologischen Realismus. Auch das Stichwort Circulus virtuosus ist unauffindbar.

Erschöpft und erleichtert

Was ich finde, ist all das mir Vertraute. In der GWUP-Satzung lese ich die bescheidenen aber gehaltvollen Sätze: „Unter Pseudowissenschaften werden Aussagesysteme verstanden, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, ohne ihn einzulösen; unter Parawissenschaften solche, bei denen Zweifel besteht, ob sie diesem Anspruch genügen.“

Nur auf Wissenschaft wird Bezug genommen. Was Wissenschaft ist, wissen die Wissenschaftler ziemlich genau, egal ob sie ontologische Naturalisten, Realisten, Christen, Agnostiker und was sonst noch sind. Und nach den Spielregeln der Wissenschaft lässt sich sicherlich auch klären, was an der Gedankenübertragung dran ist.

Aber das ist ja schon geschehen, und zwar in der US-Army in den Fünfzigerjahren und dann noch einmal in den Achtzigerjahren – mit niederschmetterndem Misserfolg. Heute lachen wir über die Bestrebungen, das Paranormale militärisch zu nutzen. Es gibt ein Buch über diese Abenteuer: „The men who stare at goats“. Es wurde mit George Clooney, Ewan McGregor, Jeff Bridges und Kevin Spacey verfilmt. Köstlich!

Aufgeräumt und erleichtert gehe ich zu Bett und sinke in einen erholsamen Schlaf.

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Drittes Intermezzo: Was ist Pseudowissenschaft?

Abgrenzung

In diesem Weblogbuch taucht immer wieder die Frage auf, wann eine Erkenntnis als wissenschaftlich einzustufen ist und wo die Grenzen zur Pseudowissenschaft liegen. Hier will ich meine Annäherung an einen Standpunkt zu dieser Frage offen legen.H

Als Leitfaden für eine Einordnung der Wissenschaften soll die folgende Tabelle dienen. Erkenntnissysteme, die nicht den Anspruch der Wissenschaftlichkeit haben, liegen außerhalb dieser Betrachtung. Insbesondere sind das die schönen Künste (Malerei, Musik, Belletristik) und die Religionen. Die Geschichtswissenschaften nehmen eine Sonderrolle ein und werden hier ebenfalls ausgeklammert.

Klassifikation der Erkenntnissysteme

Ingenieurwissenschaften

Die Objekte der Ingenieurwissenschaften sind Artefakte mit Eigenschaften, die an den fertigen Produkten als positiv gegeben wahrgenommen werden. Kühne Hypothesen über das Funktionieren der Gebilde sind nicht erforderlich. Die zur Beherrschung der Technik erforderlichen Kalkulationen mögen kompliziert sein, aber im Grunde genügen Deduktionen im Sinne des Positivismus. Die bewährten naturwissenschaftlichen Gesetze bleiben unhinterfragt. Sie gehören zum (positiven) Bestand des Wissens, ebenso wie die unbezweifelten Regeln der Mathematik und Logik. Diese Art von Positivismus gerät hier nicht in Schwierigkeiten – anders als in den Naturwissenschaften. Das gilt solange, wie eine konsequente Subjekt-Objekt-Trennung möglich ist.

Wenigstens an zwei Stellen kommt es zu Berührungen mit Wissensgebieten, bei denen die positivistische Erkenntnisweise an Grenzen stößt:

  1. Neue Geräte werden nach Spezifikationen gebaut, die sich am Markt und damit am Bedarf der Gesellschaft orientieren. Erfolg und Misserfolg sind gesellschaftsbedingt. Die Beurteilung technischer Risiken steht unter der Maßgabe persönlicher und gesellschaftlicher Werte und ist damit im Grunde eine Angelegenheit von Ingenieurwissenschaft, Psychologie und Soziologie. Kurz: Risiko ist dreidimensional.
  2. Entwickler, Konstrukteure und Bediener machen Fehler, jeweils gemessen an der Spezifikation eines technischen Systems. Beim Studium der Denkfallen und der daraus entstehenden kognitiven Täuschungen kommt die Verhaltensforschung ins Spiel. Das betrifft die Biologie, die Psychologie und die Ergonomie.

Aufgrund dieser Berührungspunkte ist eine durchgängige Subjekt-Objekt-Trennung selbst in den technischen Wissenschaften nicht möglich.

Angeregt durch Bassam Tibi – für ihn besteht kein Kontrast zwischen „persönlich“ und „sachlich“ –habe ich in den „Grundlagen des Qualitäts- und Risikomanagements“, 2001, meinen Standpunkt so dargelegt: „Es geht um die Bewertung von Objekten und die daraus folgenden Entscheidungen, aber immer auch um die wertenden und entscheidenden Personen. Die Objektivität liegt darin, dass uns beide Seiten der Medaille bewusst sind – und dass wir beide Seiten zum Gegenstand der kritischen Würdigung machen.“ Ich habe dieses Fachbuch daher auch bewusst im persönlichen Stil formuliert.

Die Ingenieurstätigkeit umfasst auch schöpferische Prozesse, und diese sind genau wie diejenigen in der Kunst wissenschaftlich kaum fassbar. Der fehlende  Wissenschaftsanspruch macht das Handeln nicht wertlos. Kritisch wird es nur, wenn Wissenschaftlichkeit zu fordern ist und auch versprochen wird, und wenn dieses Versprechen nicht eingelöst wird.

Naturwissenschaften

Orientierung verschafft uns eine Aussage des Immanuel Kant: „Der Verstand schöpft seine Gesetze … nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“ Etwas vorsichtiger formuliert dies Karl Raimund Popper in seinen „Vermutungen“, Kapitel 8.1: „Der Verstand […] versucht, mit mehr oder weniger Erfolg, der Natur die vom ihm erfundenen Gesetze aufzudrängen.“

Genau so funktionieren die empirischen Wissenschaften: Der Forscher stellt kühne und prüfbare Hypothesen auf und macht sich an deren Widerlegung durch genaue Beobachtungen und Experimente. Die Vertrauenswürdigkeit einer Theorie wächst mit der  Zahl der strengen Tests, die sie bestanden hat. Das Falsifizierbarkeitskriterium dient der Abgrenzung der Erfahrungswissenschaften von den metaphysischen Erkenntnissystemen: „Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können“ (K. R. Popper, Logik der Forschung, 1934, 1982).

Das versuchsweise Aufstellen von Hypothesen, das Formulieren mathematisch-logischer Beziehungen und die Deduktionen bilden den rationalen, rein verstandesmäßigen Anteil am Wissenserwerb. Widerlegungsversuche mithilfe von bereits etablierten Theorien, scharfen Tests und sorgfältigen Beobachtungen machen die kritische Seite aus.

Die Nichtanerkennung einer strengen Falsifizierbarkeit muss nicht notwendig zur Beliebigkeit führen: Thomas Kuhn beschreibt in seinem Buch „The Structure of Scientific Revolutions“ (1962) die Forschung im Rahmen der  normalen Wissenschaft als Puzzle-Solving. Neue Paradigmata werden ausgelöst durch die Beobachtung von Anomalitäten. Auch in dieser Epistemologie wird die intersubjektive Prüfbarkeit gefordert, denn allen Beteiligten muss klar sein, wann ein Rätsel als gelöst gilt. Auch über die Einschätzung der Bedeutung von Anomalitäten muss weitgehend Übereinstimmung herrschen.

Geisteswissenschaften

Zwei Merkmale zeichnen die hier zu behandelnden Wissensgebiete aus, nämlich dass

  1. der Beobachter Teil des Beobachteten wird und dass
  2. „das Ganze […] sich nur vermöge der Einheit der von seinen Mitgliedern erfüllten Funktionen [erhält]“ (Adorno in „Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie“ von Theodor W. Adorno, Hans Albert, Ralf Dahrendorf, Jürgen Habermas, Harald Pilot, Karl R. Popper, 1969).

Objektivität liegt für Theodor Adorno im „An sich“, also im Wesen der Dinge. Sein Beispiel ist die eben erwähnte Totalität der Gesellschaft. Im Gegensatz dazu steht das „Für uns“, die Erscheinung, der Verstandesgegenstand. Hegel spricht spekulativ und gemäß seiner Dialektik von der Synthese im „An und für sich“  und meint damit eine Art Welt-Geist-Einheit.

Den Erklärungsmustern der hier angewandten Hermeneutik fehlt es an jener Prägnanz, die den Aussagen der Naturwissenschaftler eigen ist. Mir bleibt beispielsweise verborgen, wie das An-sich etwas anderes sein kann als eine durch Sinneseindrücke hervorgerufene Kopfgeburt, also ein Für-uns. Wo soll da ein dialektischer Widerspruch herkommen?

Karl Raimund Popper verlangt in seinem Referat, der zum Positivismusstreit führte, auch von den Sozialwissenschaften die Kritisierbarkeit ihrer Lösungen. Andernfalls müssten sie seiner Meinung nach als unwissenschaftlich ausgeschaltet werden: „Objektivität der Wissenschaft ist nicht eine individuelle Angelegenheit der verschiedenen Wissenschaftler, sondern eine soziale Angelegenheit ihrer gegenseitigen Kritik“.

Ich habe den Eindruck, dass die hermeneutisch-dialektische Erkenntnisweise  in vielen heute noch den Geisteswissenschaften zugerechneten Fächern der kritisch-rationalen Erkenntnisweise das Feld überlässt. Es folgen einige Beispiele aus meinen Interessengebieten.

In Philosophie und Psychologie sind die Neurowissenschaften dabei, das Feld zu erobern. Der Soziologie wird stark zugesetzt durch Biologen (Edward Osborne Wilson, „The Social Conquest of Earth“, 2012), Spieltheoretiker (Robert Axelrod, „The Evolution of Cooperation“, 1984) und Physiker (Dirk Helbing, „Social Self-Organization“, 2012). Dass Computersimulationen auf diesen Gebieten eine eigenständige Erklärungskraft entwickeln können, habe ich an meinem (netzöffentlichen) Simulationsprogramm KoopEgo (Kooperation unter Egoisten) erfahren.

Pseudowissenschaften

Alles, was  sich als Wissenschaft ausgibt und nicht den Kriterien Prüfbarkeit und Kritisierbarkeit genügt,  ist Pseudowissenschaft –  ein Glaubenssystem.  Von Parawissenschaften wollen wir sprechen, wenn unklar ist, ob Prüfbarkeit gegeben ist oder nicht. Sie nehmen eine Zwischenstellung ein.

Auch im Wissenschaftsbetrieb kommt neuen Ideen zunächst oft nur der Rang von Spekulationen zu. Die Wissenschaft hat schöpferische Räume und Phasen, die unter dem Motto „Anything goes“ (Paul Feyerabend) stehen. Die Frage nach der Prüfbarkeit kommt erst im zweiten Schritt.

Gelingt es auf Dauer nicht, die Prüf- und Kritisierbarkeit und damit die Wissenschaftlichkeit herzustellen, ist das Erkenntnissystem zu verwerfen oder – bei Beharrlichkeit der Befürworter – den Pseudowissenschaften zuzurechnen.

Pseudowissenschaften gehören nicht in den Bildungskanon. Bestenfalls können sie als Schulbeispiele für das kritische Denken herhalten.

Und was ist mit der Mathematik?

Manch einer vermisst unter den aufgelisteten Wissenschaften die Mathematik einschließlich Logik. Dass sie hier nicht als eigenständige Wissenschaft erscheint, liegt daran, dass die Mathematik keine eigenständige Welterklärung liefert. Dabei sehe ich von Vorstellungen ab, in denen beispielsweise die Fünf als heilige Zahl gilt, das aus regelmäßigen Fünfecken zusammengesetzte Dodekaeder für das fünfte, das ätherische Element, steht und das Pentagramm das Symbol der göttlichen Schöpfung und des Lebens ist. Solcherart Zahlenmystik kommt bei den Pseudowissenschaften unter.

Die Mathematik sollte sich, was Weltdeutungen angeht, damit zufrieden geben, Hauptbestandteil des Gebäudes der empirischen Wissenschaften zu sein: „Die wichtigste Funktion der reinen deduktiven Logik ist die eines Organons der Kritik“ (Karl Raimund Popper im Positivismusstreit). Logik und Mathematik zählen zu den Formalwissenschaften; Natur- und  die Sozialwissenschaft werden den Realwissenschaften zugerechnet.

Hintergrund

Realität und Repräsentation

Eine schöne Hinführung auf die Auseinandersetzung mit Kants Frage „Was kann ich wissen?“ bietet uns das Bild „Die Hoffräulein“ aus dem Jahr 1656. Eine der viel diskutierten Bildauslegungen ist Einstieg in das Werk „Die Ordnung der Dinge“ von Michel Foucault.

Wir fragen uns, was auf dem Bild eigentlich dargestellt ist. Ist es die Prinzessin, die hell beleuchtet und deutlich sichtbar die Aufmerksamkeit beansprucht? Ist es ein Selbstbildnis des Malers, der – von der Staffelei zurücktretend – prüfend in den Spiegel schaut? Für diese Interpretation spricht auch, wie sich die Blicke der Prinzessin und der rechten der Hofdamen kreuzen. Oder bin ich selbst – der Betrachter – das reale Objekt, das die Blicke der Personen auf sich zieht? Aber dieser Anflug von Realitätsanteilen am Bild verflüchtigt sich in dem Moment, in dem wir im Spiegel an der hinteren Wand das spanische Königspaar als das eigentliche Objekt des Malers Diego Velázquez erkennen.

Der Gedanke einer Realität ist kurz aufgeflackert, aber gleich darauf wieder verlöscht. Was bleibt, ist die pure Repräsentation. Und das gilt nicht nur für die Bildbetrachtung, sondern für alle unsere Erfahrungen. Wir sehen uns in einer Lage, die Immanuel Kant so ausgedrückt hat: „Es sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen.“

Elimination der Weltanschauung

Wir verzichten auf die Klärung der Frage, was Realität ist und was sie auszeichnet. Für den Zweck der Abgrenzung der Wissenschaft ist die Klärung dieser Fragen glücklicherweise von untergeordneter Bedeutung. Durch den Verzicht darauf, das Wesen der Dinge zu ergründen, wird der in diesem Weblogbuch verfolgte Bewertungsansatz für Vertreter unterschiedlicher Weltanschauungen akzeptabel – so hoffe ich zumindest.

Orientierung bietet die evolutionäre Erkenntnistheorie von Gerhard Vollmer, die an den kritischen Rationalismus von Karl Raimund Popper anschließt. Diese Epistemologie wird mehr oder weniger fest mit einer naturalistische Ontologie verbunden. Letztere wurde von Mario Bunge und Martin Mahner präzisiert. Diese Ontologie geht vom Vorhandensein einer vom Bewusstsein unabhängigen Realität und von einigen Postulaten wie dem Kausalitätsprinzip aus. Danach ist es Aufgabe der Wissenschaft, mit ihren Theorien dieser objektiven Realität möglichst nahe zu kommen.

Für den hier verfolgten Zweck einer Abgrenzung dessen, was als Wissenschaft gelten soll und was nicht, ist eine Bezugnahme auf diese Ontologie – wie bereits angedeutet – entbehrlich. Selbst der bekennende Realist Popper sieht das so: „Die Idee […] der Annäherung an die Wahrheit, spielt in der Logik der Forschung eine wichtige Rolle, obwohl die in diesem Buch entwickelte Theorie an keiner Stelle von dieser Idee abhängt.“ (Logik der Forschung Anhang *XV. Über Wahrheitsnähe)

Wie die Mathematiker ihre Sätze jeweils aus einer möglichst geringen Zahl von Axiomen ableiten, so wollen wir von möglichst wenigen Grundannahmen ausgehen. Von wissenschaftlichen Aussagen wollen wir im Grunde nur deren Prüfbarkeit verlangen. Und damit kann der Atheist und Materialist, der Agnostiker und beispielsweise auch ein Sektenbeauftragter der katholischen Kirche einverstanden sein.

Wenn wir verschiedene Ontologien – ohne uns darauf zu beziehen – zulassen, müssen wir darauf gefasst sein, dass es zu unterschiedlichen Zuordnungen kommt. Das bleibt jedoch glücklicherweise ohne schwerwiegende Folgen.

Mit dem Verzicht auf ontologische Begründung geht auch der Wahrheitsbegriff und damit die Möglichkeit einer zeit­unabhängigen Bewertung der Wahrheitsnähe von Erkenntnissen verloren. Es ist dann kaum möglich, der Homöopathie beispielsweise von Anfang an den Stempel „Pseudowissenschaft“ aufzudrücken, denn es handelt sich ja tatsächlich um ein prüfbares Heilverfahren. Demgegenüber sieht Mahner in der Homöopathie eine Pseudowissenschaft: Sie beruht seiner Meinung nach auf Illusion und auf Annahmen, die mit der naturalistischen Ontologie nicht vereinbar sind.

Letztlich kommen die Vertreter unterschiedlicher Ontologien doch wieder zusammen. Um beim Beispiel der Homöopathie zu bleiben: Sie hat die vielen ihr auferlegten Prüfungen nicht bestanden. Sie gilt inzwischen als mehrfach widerlegt. Die heutigen Vertreter der Homöopathie arbeiten mit Behauptungen, die sich jeglicher Kritik entziehen. Sie betreiben – so oder so gesehen – Pseudowissenschaft.

Noch eine Warnung zum Schluss: Ontologien können zur Fortgschrittsbremse werden. Wer das Wesen der Dinge zu kennen meint, wird blind für Neues. Das wissen wir aus Zeiten, als die Religion noch eng mit der Wissenschaft verwoben war. Aber auch heute ist die Gefahr nicht vollständig gebannt. Der Naturalist beispielsweise läuft Gefahr, fruchtbare Spinnereien voreilig abzuwürgen und so den Spielraum für schöpferisches Tun einzuschränken: Früher galt der Äther – das Feinstoffliche, das fünfte Element – als Träger der Lichtwellen. Für diesen (illusorischen) Äther formulierte James Clerk Maxwell die elektromagnetische Theorie. Durch Einsteins Relativitätstheorie wurde die Ätherhypothese widerlegt. Der Kern der maxwellschen Theorie aber hat überlebt und für grundlegende Veränderungen unseres Lebens gesorgt.

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Gegenaufklärung

Halte den Kopf offen,
aber nicht so weit,
dass der Verstand herausfällt.
(Physiker-Schnack)

Auf dem nächsten Fuldaer ZukunftsSalon tritt Harald Walach auf. Das Publikum sollte auf erhebliche intellektuelle Zumutungen gefasst sein.

Zur Person: Walach ist Leiter des Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) der Europauniversität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Er hat eine Stiftungsprofessur inne, die von der Firma Heel, spezialisiert auf  homöopathische Kombinationsheilmittel, finanziert wird.

An Walachs Institut gehören Homöopathie, anthroposophische Medizin und das, was heute als Traditionelle Chinesische Medizin durchgeht, zum Lehrplan. Das ist esoterischer Humbug und wird vor allem von seriösen Berichterstattern so gesehen. Hier zwei Berichte der Zeitschrift Die Zeit:  „Wehe! Wehe! – Homöopathie, Akupunktur, Ayurveda – der Aberglaube frisst die moderne Medizin. Zunehmend lehren deutsche Hochschulen alternative Verfahren.“ und „Esoteriker unterwandern die deutschen Hochschulen. Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Unsinn verwischt.“

Die Hochschulstrukturkommission des Landes Brandenburg hat im letzten Jahr ausführlich zu verstehen gegeben, was sie von dem Institut hält. Die Kurzfassung liest sich so: „Die Hochschulstrukturkommission empfiehlt der EUV [Europa-Universität Viadrina] aus strukturellen und qualitativen Gründen nachdrücklich den künftigen Verzicht auf das Angebot des MA-Studienganges „Kulturwissenschaften – Komplementäre Medizin“. Eine Fortführung des Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften [IntraG] ist weder wie bisher als In-Institut noch als An-Institut zu befürworten. Vertretbar erscheint allenfalls, das Institut privatwirtschaftlich außerhalb der Hochschule weiter zu betreiben.“

Das zum Tätigkeitsfeld des Harald Walach. Aber um diese Dinge geht es im angekündigten Vortrag wohl gar nicht oder nur am Rande. Thema ist die Bewusstseinsforschung. Die Ankündigung lässt Schlimmes ahnen. Einen Vorgeschmack bieten Walachs philosophische Auslassungen, die er bei solchen Gelegenheiten von sich gibt – beispielsweise am 14. Januar dieses Jahres im Bildungszentrum Hospitalhof Stuttgart.

Walach behauptet allen Ernstes, dass – kurz gefasst – die Aufklärung nur auf der Basis scholastischer Erkenntnis, nämlich dass Gott die Letztbegründung und folglich die Wirklichkeit sei, zu haben ist. Er zitiert den Scholastiker Duns Scotus (1266 bis 1308): „Wer eine Erfahrung gemacht hat, hat täuschungsfreie Kenntnis.“ Wobei unter Erfahrung die innere Erfahrung, also die Spiritualität, zu verstehen ist.

Genauso gut kann er behaupten, dass Frauen eigentlich Männer sind. Die Aufklärung ist ja geradezu dadurch definiert, dass sie letzte Gewissheiten ausschließt. Karl Raimund Popper charakterisiert die Haltung der Aufklärung am Beispiel der Wissenschaft ganz im Sinne Kants: „Forschung ist eine schöpferische Kunst.“ Und er zitiert dazu Immanuel Kant selbst: „Der Verstand schöpft seine Gesetze … nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“ (Aus der Gedächtnisrede zu Kants hundertfünfzigsten Todestag, abgedruckt in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“.)

Harald Walach geht es also nicht um die „Weiterführung der Aufklärung“, wie er in einem seiner Buchtitel vorgibt, sondern um die Revitalisierung scholastischen Gedankenguts. Das neue Denken entpuppt sich als ein ziemlich altes. Es ist gegen die Aufklärung und gegen die offene Gesellschaft gerichtet.

Da ist die katholische Kirche schon wesentlich weiter. In seiner Botschaft „Christliches Menschenbild und moderne Evolutionstheorien“ erkennt Papst Johannes Paul II. die Rolle der modernen Wissenschaft als eigenständig an. Daneben bleibt er bei der Vorstellung einer Leib-Seele-Trennung und bei der Auffassung, dass die Seele Angelegenheit der Kirche sei. Das ist, ebenso wie die Trennung von Staat und Kirche, ein Programm, mit dem sowohl weltlich orientierte als auch gläubige Menschen klar kommen können.

Gemessen an diesem modernen Programm der Amtskirche ist die Denkwelt des Harald Walach im tiefen Mittelalter verortet.

Nachtrag (24.10.2013)

Der Stuttgarter Vortrag zeichnet sich durch einen ziemlich wirren ideologischen Überbau aus. Aber Harald Walach kommt auch ohne so etwas aus. Nur bleibt dann nicht mehr viel übrig. Ein solches Beispiel von Leere hat Walach in seinem Vortrag vom 2.11.2011 anlässlich der Einrichtung der Stiftungsprofessur für Angewandte Bewusstseinsforschung am Universitätsklinikum Regensburg abgeliefert.

Harald Walach meint, dass jedermann über den Zugang zur Innenwelt Erkenntnis über Sinn und Werte gewinnen könne. Ehrlicherweise stellt er fest, dass dies nur durch individuelle Erfahrung möglich sei. Über die Methodologie, nämlich wie der Übergang von der individuellen Erkenntnis zum objektiven (überindividuellen) Wissen vonstatten gehen soll, sagt Harald Walach nichts. Er weiß es auch nicht. Die Schließung dieser Riesenlücke überlässt er der zukünftigen Forschung. Aber genau in dieser Riesenlücke steckt das, worüber eine Rede sich lohnen würde.

Selbst wenn diese Lücke geschlossen werden könnte, was ich nicht glaube, bliebe die Frage, warum die innere Erkenntnis, also die reine Kopfgeburt, verlässlicher sein soll als die empirische Wissenschaft.

Der Vortrag des Harald Walach (Nachtrag vom 9.11.2013)

Der Vortrag des Harald Walach vom 4. November im Fuldaer ZukunftsSalon zeichnete sich − wie erwartet −  durch absolute Bedeutungsleere aus. Dabei ist der Referent, Inhaber einer durch die homöopathische Pharmaindustrie gesponserten Stiftungsprofessur, durchaus wortmächtig und ideenreich, wenn es gilt, sein Publikum an der Nase herumzuführen.

Harald Walach nimmt sich der schwierigsten philosophischen Probleme an. Er verspricht eine „Epistemologie der Innerlichkeit“ und gibt vor, sich der Komplementarität von Leib und Seele, Körper und Geist, Teil und Ganzem zu widmen. Harald Walach macht nun Folgendes: Anstatt diese Komplementarität zu klären, lässt er – wie ein guter Zauberkünstler – seine Probleme mittels ablenkender Beispiele einfach wieder verschwinden. Toller Trick. Chapeau!

Kippbilder beispielsweise sind optische Täuschungen, bei denen das Gehirn abwechselnd zwei Interpretationen fabriziert. Sie zieht Walach heran, um die komplementäre Darstellung eines „Ganzen“ zu verdeutlichen. Dem arglosen Zuhörer fällt dabei gar nicht auf, dass es ein sinnvolles Ganzes bei diesen Kippbildern (Neckerwürfel, Rubinscher Becher, Alt-oder-jung)  gar nicht gibt. Anstelle von Bedeutung macht sich Leere breit.

So folgt auf jedes Versprechen des Harald Walach die Auflösung in nichts. Immer wenn es interessant zu werden verspricht, wechselt Walach in den Konjunktiv. Sogar vor offensichtlichen groben Manipulationen von Statistiken scheut er nicht zurück. Übrigens behauptet Walach keinesfalls, hier Wissenschaft zu betreiben. Er nutzt eingestandenermaßen nur die „wissenschaftliche Terminologie“.

Bedauerlich ist, dass solcher Schwindel bei den Organisatoren des ZukunftsSalons als seriöse Wissenschaft durchgeht.

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iPad-Klassen: unkontrollierte Experimente an jungen Menschen

Auf der Landestagung des Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts (MNU) am 5. September 2013 in Fulda gab es einen Vortrag über „Mathematik mit dem Tablet in Klasse 8“. Angekündigt war ein Erfahrungsbericht über eine iPad-Klasse, die vor einem Jahr eingerichtet worden war. Die Fuldaer Zeitung berichtete damals darüber: „Premiere an der Freiherr-vom-Stein-Schule: 27 Mädchen und Jungen der 8c sind die erste iPad-Klasse im Landkreis Fulda. Sie arbeiten im Unterricht mit Tablet-PCs“. Die Rede war davon, dass das Projekt „im ersten Jahr von einem unabhängigen Institut wissenschaftlich begleitet“ wird (Fuldaer Zeitung vom 1.9.2012).

Jetzt also sollte das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Arbeit vorgestellt werden – dachte ich. Nett und freundlich beschrieb die Vortragende, was so alles an Gerätschaften angeschafft wurde und welche Lernsoftware zum Einsatz kam. Es ging ihr dabei vorrangig um Merkmale der eingesetzten Lehrprogramme. Diese wurden, je nach Gefallen, mit Begeisterung vorgestellt oder kritisiert – Pioniereifer.

Vorbehalte gegen einen übermäßigen Computereinsatz im Unterricht, die in der Welt der Pädagogik unüberhörbar geäußert werden und die auch im unmittelbar vorhergehenden Festvortrag zu dieser Jahrestagung zur Sprache kamen, wurden in dem Vortrag nicht thematisiert.

Ein kontrolliertes Experiment „iPad-Klasse“ hätte – bei positivem Ausgang – diesen Vorbehalten begegnen können. Diese Gelegenheit ist offenbar verpasst worden. Auf die Frage aus dem Publikum, wie der Lerneffekt im Vergleich zu einer Kontrollklasse denn nun ausgefallen sei, kam die Antwort: „Es gab keine Tests. Die Mathe-Klasse hatte unglaublich viel Spaß.“

Eigentlich macht das Studiendesign zu dieser iPad-Klasse, wenn es ein solches überhaupt gibt, einen kontrollierten Versuch von vornherein unmöglich: Da die Schüler beziehungsweise deren Eltern die iPads selbst zu bezahlen hatten, war die Teilnahme an der iPad-Klasse freiwillig. Damit liegt der typische Fall einer verzerrten Stichprobe vor. Ein aussagekräftiger Vergleich mit einer Kontrollgruppe ist damit sowieso schon ausgeschlossen.

Hoppla! Hier wurde offenbar ein Experiment an jungen Menschen ohne stringente Versuchplanung, Kontrolle und Auswertung durchgeführt. Die vor einem Jahr angekündigte wissenschaftliche Begleitung hat wohl nicht stattgefunden.

Ein Experiment an jungen Menschen ist aber nur erlaubt, wenn der Erkenntnisgewinn aus dem Versuch dessen Risiken aufwiegt. Die gewonnene Erkenntnis muss breit gestreut werden, um bei schlechtem Ausgang des Experiments Nachahmung wirksam verhindern und bei positivem Ausgang die weitere Untersuchung und die Verbreitung des computerunterstützten und mobilen Lernens befördern zu können. Für diese Randbedingungen muss gesorgt werden. Und genau das ist beim Experiment „iPad-Klasse“ offenbar unterblieben.

Mit den unkontrolliert eingeführten iPad-Klassen erleben wir etwas, das auch in anderen Zusammenhängen schon zu besichtigen war, beispielsweise beim Lesenlernen. Der Spiegel 25/2013 zitiert auf S. 98 im Artikel über „Die neue Schlechtschreibung“ den Hirnforscher Henning Scheich vom Leibniz Institut für Neurobiologie in Magdeburg: „Dass neue Lehrmethoden vor ihrer Einführung nicht in qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Studien überprüft werden müssen, entspricht unkontrollierten Menschenversuchen.“

Da ist es angezeigt, eine Parallele zu einem Gebiet zu ziehen, in dem das kontrollierte Experiment hohes Ansehen genießt: Das Gesundheitswesen und insbesondere die Welt der Pharmazie. Das aktuelle Buch „Die Pharma-Lüge“ von Ben Goldacre stellt dem Arzneimittelwesen zwar ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Aber wir sehen: Es geht schlimmer. Im Gesundheitswesen gibt es immerhin ein paar grundlegende Regelungen. Wenn sich auch nicht alle Akteure daran halten, so wissen diese doch, was richtig und was falsch ist. Im Bildungswesen dagegen gibt es noch nicht einmal das. Es fehlt sogar ein grobes Koordinatensystem für die Orientierung in der Frage,  was an Experimenten zulässig ist und was nicht.

Ernsthafter als bei der Studie mit den iPad-Klassen ging es bei der Studie der Bertelsmann Stiftung „Lernen mit Laptops“ von 2002 zu. Allerdings war das Ergebnis ziemlich ernüchternd. Außer Computerkompetenz kam für die Schüler wenig herüber. Durch die Laptops im Unterricht wurde das verstärkt, was ich den „Trend zur Oberflächenkompetenz“ nenne. Diese Studie wäre Anlass genug gewesen, bei der iPad-Klasse genauer hinzusehen.

Wie mager das Ergebnis der Studie ist, kommt bereits in der folgenden Grafik zum Ausdruck, die einen Leistungsvergleich zwischen Laptop-Klasse und Kontrollgruppe zeigt. Die Laptop-Gruppe besteht aus 23 Jungen und 23 Mädchen, die Nicht-Laptop-Gruppe aus 23 Jungen und 21 Mädchen. Der leichte Vorsprung der Laptopgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe beim Sachrechnen wird im Bericht auch noch relativiert. Wichtig scheint mir zu sein, dass sich der von den Lehrern erwartete Vorteil des Laptop-Einsatzes bei Geometrie und Algebra nicht gezeigt hat.

Leistungsvergleich zwischen Laptop- und Kontrollgruppe im Fach Mathematik

Leistungsvergleich zwischen Laptop- und Kontrollgruppe im Fach Mathematik

Was ist zu tun?

Auch wenn Goldacres Buch vor allem die Mängel der Pharmazie aufzeigt, so wird doch auch deutlich, was schon erreicht worden ist und was zur Behebung der Mängel zu tun ist. Entlang der Argumentationslinien dieses Buches lassen sich Lehren für den Bildungsbereich gewinnen, denn beide Bereiche sind durchaus vergleichbar. Es geht da wie dort um den Menschen und sein Wohlergehen. Fehler im System führen in beiden Fällen zu schwerwiegenden Konsequenzen: zu Leid oder gar Tod da und zur Vernichtung von Lebenschancen dort. Was hier der Patient ist und der Arzt sind dort der Schüler und der Lehrer. Auf der einen Seite gibt es die Zulassungsbehörden und auf der anderen Seite die Schulämter.

Im Gesundheitswesen haben wir die evidenzbasierte Medizin, die den Nutzen für den Patienten mehren und Schäden vermeiden soll. Und was gibt es auf der Seite der Bildung? Ich sehe kein vergleichbares Konzept. Einfach weil eine Entscheidungsgrundlage, wie sie in der Medizin durch klinische Tests mit ihren strengen formalen Vorschriften geschaffen wird, im Bildungswesen fehlt.

Um die Situation im Bildungswesen zu verbessern, wäre das Formulieren entsprechender Vorschriften zur Schaffung einer starken Entscheidungsgrundlage ein wirksamer erster Schritt: Alle Studien und Experimente an Schulen müssten beantragt, erfasst, dokumentiert und publiziert werden. Die Regeln für kontrollierte Studien sind dabei verbindlich: Zufallsauswahl der Versuchspersonen und der Kontrollgruppe, Erfassung aller wichtigen Zielgrößen, Kontrolle von Störvariablen, Auswertung nach den Regeln der schließenden Statistik und unverzerrte Darstellung der Ergebnisse. Durch vollständige Transparenz kommen diese Studien voll zur Wirkung und Schaden für den Bildungsweg der betroffenen Schüler wird vermeidbar.

Lehren aus der Welt der Pharmazie

In diesem Zusammenhang halte ich es für nützlich, einige der Probleme unter die Lupe zu nehmen, die Goldacre für den Pharmabereich ausgemacht hat. Dann können wir auch sehen, was in Schulversuchen schief läuft oder was alles schief laufen könnte. Sind die Mängel erst einmal erkannt, kann man es ja besser machen.

Bei Goldacre geht es unter anderem um schlechte Studien und um die Fallen, in die man tappen kann:

  1. Offener Betrug.
  2. Vergleich mit einer „Schrottarznei“ – sprich schwachen Lehre.
  3. Manipulierte Studiendauer: Versuche so lange, bis das Gewünschte sichtbar wird.
  4. Zu kleine Studien: Marketing- bzw. Seeding-Studien.
  5. Nachträgliche Auswahl von Zielgrößen, die einen herbeigesehnten Effekt zeigen.

Zusammen mit der Neigung, nur solche Studien zu veröffentlichen, die einen erwünschten Effekte zeigen, gehören die unter Punkt 3 und 5 beschriebenen Verhaltensweisen zur Klasse „Fishing for Significance“: Nur das wird publiziert, was in die erhoffte Richtung zeigt, anderes wird verschwiegen.

Aber wenden wir uns dem Punkt 4 zu. Um beim Beispiel der iPad-Klassen zu bleiben: Warum werden die Klassen eigentlich mit einem Produktnamen der Firma Apple benannt? Das riecht schon sehr nach Marketing. Bereits Steve Jobs hatte vor, Schulen und Schulbuchverlage umzukrempeln (Der Spiegel 26/2013, S. 144). Inzwischen ist Apples App-Store mit Angeboten für den Unterricht gut ausgestattet. Und das hat seinen Grund: Schulen eignen sich ideal dafür, Kunden früh an ein Produkt zu binden. Und tatsächlich: Die Jugend ist fasziniert. Das iPad ist angesagt.

Hier wird vom Marketing ein ähnlicher Mechanismus eingesetzt wie bei den sogenannten Quengelkassen: In Augenhöhe locken Unmengen von Süßigkeiten und das Warten mit Kindern vor einer Kasse kann zum großen Geschrei ausarten. Auch wenn die Eltern ihrem Kind einen iPad-Computer freiwillig nicht kaufen würden: Der Kleine muss nur in die iPad-Klasse streben, schon hat er ihn. Haben wir’s nun endlich kapiert?

It’s the economy, stupid.

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Der Draghi-Trick

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), will keine Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Währungshüter und am Erfolg der bisherigen Strategie aufkommen lassen.  In Draghis Rede vom vergangenen Montag klingt das so: „Die Wirtschaftslage im Euroraum ist nach wie vor schwierig, aber Anzeichen einer möglichen Stabilisierung sind zu erkennen.“

Wer sind die Adressaten dieses Satzes? Es sind die Akteure der Finanzmärkte, die Wertpapierhändler und Börsengurus. Diese Leute sind bekannt dafür, dass sie ihrem Bauchgefühl höchste Treffsicherheit zutrauen (System der Denkfallen). Und auf diese Intuition und die Tendenz zur Selbstüberschätzung (Overconfidence) setzt Draghi. Seine Verlautbarungen verleiten dazu, darin genau das zu hören, was ein jeder hören will. So auch diesmal: Es läuft gut und alles ist in Butter. Wir sind erleichtert und verschieben die Panik.

Draghi hat zwar kein Problem gelöst, aber eine kurzfristige Marktberuhigung hat er wohl erreicht.

Suspendieren wir einmal das schnelle Denken. Schauen wir uns Draghis Äußerung genauer an:  Eine Rettung ist zwar nicht in Sicht, jedoch eine Stabilisierung. Und die ist auch nicht so sicher. Wenigstens lassen sich Anzeichen einer Möglichkeit dafür erkennen.

Rational, also in Ruhe und aus der Weitwinkelperspektive betrachtet lässt Draghis Verlautbarung mehrere Deutungen zu:

  • Es läuft gut
  • Es wird schon irgendwie klappen
  • Schlimm sieht es aus
  • Wir haben die Sache in den Sand gesetzt
  • Die Katastrophe ist nahe

Also: „Alles klar auf der Andrea Doria?“

Wahrsager-Schule

Kürzlich habe ich ein Büchlein gekauft und begonnen, darin zu lesen: „Paranormalität. Warum wir Dinge sehen, die es nicht gibt“. Darin verrät Richard Wiseman die Tricks der Wahrsager. Auch für den Alltagsgebrauch sind sie tauglich.

Willst du als einer gelten, der die Zukunft kennt und weiß „wie der Hase läuft“, dann beherzige ein paar einfachen Regeln aus der angewandten Psychologie. Ich bringe hier nur die drei wichtigsten: Sage, was die Leute hören wollen („Atomkraft ist sicher“). Fällt dir das mangels guter Nachrichten und lästiger Skrupel wegen schwer, drücke dich mehrdeutig und vage aus („es gibt Anzeichen für“, „ich gehe davon aus, dass“). Dein Publikum wird zufrieden sein. Jeder hört nämlich genau das heraus, was er glaubt oder was er glauben will. Und schließlich: Überlasse es den Adressaten, tieferen Sinn in deine Worte zu legen. Denn das können wir Menschen ziemlich gut: Bedeutung schaffen. Dafür sorgen schon die Sinnsuche des Wahrnehmungsapparats und die Prägnanztendenz.

Wahrsager von Rang: Notenbankpräsidenten

Wer Notenbankpräsident werden will, muss ein Meister der angewandten Psychologie sein. Von Draghi gibt es weitere Zeugnisse seiner Begabung. Mit der Ankündigung „Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten“ löste er am 26. Juli des vergangenen Jahres einen Anstieg der Kurse für Aktien und Anleihen aus, ganz wie gewünscht. Leider war es schon nach einer Woche vorbei mit der guten Laune; Draghis Rettungsaktionen fielen magerer aus als erwartet („Dünne Bertha“, Der Spiegel 32/2012, S. 80-84).

Auch der frühere amerikanische Notenbankpräsident Alan Greenspan war bekannt für seine kryptischen und interpretierbaren Verlautbarungen. Er ließ uns sogar in seine Trickkiste blicken: „Ich weiß, dass Sie glauben, Sie wüssten, was ich Ihrer Ansicht nach gesagt habe. Aber ich bin nicht sicher, ob Ihnen klar ist, dass das, was Sie gehört haben, nicht das ist, was ich meinte.“

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Kopf oder Bauch?

Aus zwei mach eins: „Risiko“ von Gerd Gigerenzer

Endlich halte ich wieder einmal ein sorgfältig gemachtes Buch zum Thema Denken und Irren in Händen: Das kürzlich erschienene Buch „Risiko“ von Gerd Gigerenzer (2013). Es ist die Zusammenfassung der Gedanken zweier seiner früheren Werke: 1. „Das Einmaleins der Skepsis“ und 2. „Bauchentscheidungen“. In dem Blog-Artikel Bauchgefühle: Je dümmer, desto klüger? erkläre ich das erste zu einem meiner Lieblingsbücher und vor dem zweiten warne ich. Jetzt, wo beide Gedankenwelten in einem Band vorliegen ist es an der Zeit, sich noch einmal damit auseinanderzusetzen.

Im System der Denkfallen charakterisiere ich unter der Überschrift „Intuition und Reflexion“ die beiden in dem Werk vereinten Denkwelten folgendermaßen:

Die Intuition repräsentiert das langfristig abgespeicherte und sofort verfügbare Wissen, während die Reflexion für unsere Fähigkeit steht, durch diskursives Denken und Analyse die intuitiven Eingebungen notfalls zu korrigieren und zu steuern. Kurz gesagt: Die Intuition macht Denkfallen möglich; und verantwortlich für deren Vermeidung ist die Reflexion.

Die Intuition ist bei unseren Entscheidungen immer dabei – ungefragt und blitzschnell. Die Intuition arbeitet automatisch und anstrengungslos. Sie funktioniert dort gut, wo Entscheidungen in einem stark geregelten Umfeld zu treffen sind. Der Schachspieler, der Feuerwehrmann und die Krankenschwester bewegen sich in einem solchen Umfeld und können sich mit zunehmender Erfahrung auf ihr Bauchgefühl verlassen. Unter Zeitdruck kann ein verlässliches Bauchgefühl lebenswichtig sein. Die Intuition ist in einer regelhaften Umwelt trainierbar. Wir können Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickeln, die unsere schnellen Entscheidungen treffsicher machen.

Die Kontroverse

Mit dieser Charakterisierung der beiden Denkweisen gebe ich im Wesentlichen die Sicht von Daniel Kahneman wieder, dessen Position derjenigen Gigerenzers entgegenzustehen scheint. Aber sie ist ein guter Ausgangspunkt für die Erörterung der Kontroverse.

Für Gerd Gigerenzer läuft Daniel Kahnemans Standpunkt auf eine „Verleumdung der Intuition“ hinaus und er fasst seine Rehabilitation der Intuition auf Seite 147 in drei Punkten zusammen:

  1. Intuition ist weder eine Laune noch die Quelle aller schlechten Entscheidungen. Sie ist unbewusste Intelligenz, welche die meisten Regionen unseres Gehirns nutzt.
  2. Intuition ist dem logischen Denken nicht unterlegen. Meistens sind beide erforderlich. Intuition ist unentbehrlich in einer komplexen, ungewissen Welt, während Logik in einer Welt ausreichen kann, in der alle Risiken mit Gewissheit bekannt sind.
  3. Intuition beruht nicht auf mangelhafter mentaler Software, sondern auf intelligenten Faustregeln und viel Erfahrung, die im Unbewussten verborgen bleibt.

Eine intelligente Faustregel ist für Gigerenzer eine Heuristik, „weil sie sich auf die eine oder die wenigen Informationen konzentriert, die wichtig sind, und die anderen außer Acht lässt“ (S. 47). Diese einfachen Heuristiken machen – so meint Gigerenzer – die Schlagkraft des Bauchgefühls aus.

Daniel Kahneman meint, dass der Wirksamkeitsnachweis für die „intelligenten Faustregeln“ auf statistischen Simulationen beruhe, die nur zeigten, dass sie im wirklichen Leben funktionieren könnten, dass dies aber nicht erwiesen sei; und er fügt hinzu, dass Heuristiken keineswegs – anders als Gigerenzer immer wieder betont – einfach sein müssten. Ganz im Gegenteil: Das Gehirn verarbeite eine riesige Informationsmenge parallel und das intuitive Denken könne schnell sein, und brauche dabei nicht auf Informationen zu verzichten. Es sei die Fähigkeit, große Informationsmengen schnell und effizient zu verarbeiten, die das Expertentum auszeichne – so Kahneman (Thinking, Fast and Slow, 2011, S. 457 f.).

Zunächst einmal stellen wir fest, dass Gigerenzer sich praktisch nicht mit den Bauchgefühlen eines Schachspielers, einer Krankenschwester oder eines Feuerwehrmannes befasst. Diese auf großer Informationsfülle beruhenden Bauchgefühle nenne ich hier einmal Ahnungen (Hunches). Ich lege das Klassifizierungsschema der folgenden Tabelle zugrunde.

Klassifizierung der Entscheidungsverfahren

Von dieser Art Bauchgefühl halte ich sehr viel; ich bin überzeugt davon, dass ein Ingenieur, der in seinem Metier kein Bauchgefühl entwickelt, es nicht weit bringt. Ich erinnere mich an ein sehr intensives Auftreten des Bauchgefühls. Es war auf einer Jahrestagung „Sicherheit“ in Saarbrücken im Jahr 2008. Ein junger Software-Ingenieur trug zum Thema Nachweis hoher Softwarezuverlässigkeit vor. Die für seine Arbeit grundlegende Formel rief bei mir Unbehagen hervor; mich überkam die Ahnung, dass sie falsch sein müsse. In der Pause versuchte ich gegenüber seiner Mentorin meine Bedenken in Worte zu fassen. Es gelang mir nicht so recht; ich versprach, die Sache zu durchdenken und mich noch einmal zu melden. Das tat ich dann auch. Im Laufe meiner Analyse stieß ich dann auf einen weiteren eklatanten Fehler, der in Statistik-Lehrbücher weit verbreitet ist. Auf meiner Denkfallen-Seite berichte ich darüber.

Ziemlich sicher bin ich, dass beispielsweise die soziale Faustregel Vertrauen zu den Ahnungen gehört: Ich gehe zu dem Arzt oder Anlagenberater, zu dem ich Vertrauen habe. Der Grad des Vertrauens ist ein Stellvertreter für die vermutliche Qualität der Behandlung bzw. Beratung. Dabei bleibt mir weitgehend unklar, woher mein Vertrauen kommt.

Derartig Komplexes ist bei Gigerenzer die Ausnahme. In seinen Heuristiken kommt es ansonsten nicht vor. Um Einfachheit geht es ihm. Sehen wir nach, ob wir auch seine einfachen Heuristiken unter der Rubrik Intuition und Bauchgefühl (bei Kahneman: schnelles Denken) unterbringen können. Die meisten der einfachen Heuristiken beruhen auf dem Prinzip der Substitution: Wenn du etwas nicht beurteilen kannst, dann nimm an dessen Stelle etwas Ähnliches und beurteile das.

Ein Musterbeispiel ist die Rekognitionsheuristik: „Wenn du zwischen zwei Alternativen wählen kannst, von denen dir eine bekannt vorkommt und die andere nicht, dann entscheide dich für die bekannte.“ Im Bauchgefühl-Artikel beziehe ich mich auf folgendes Beispiel:

Genannt werden zwei Städte und Sie werden gefragt, welche mehr Einwohner hat als die andere. Ist Ihnen nur eine der Städte bekannt, tun Sie gut daran, die ihnen bekannte zu nennen. Bereits hier stellt sich die Frage, ob Sie diese Entscheidung wirklich unbewusst, also aus dem Bauch heraus treffen, oder ob Sie sich zuerst Ihrer Unwissenheit bewusst werden und sich dann ganz  bewusst für die Ihnen bekannte Stadt entscheiden, weil Sie unterstellen, dass die größere der Städte wohl auch die bekanntere sein wird. Damit das Kästchen nicht ganz leer bleibt, wollen wir – trotz der Zweifel – diese Heuristik in das Kästchen „Unbewusste Faustregeln“ einsortieren.

Unsere weitere Suche nach unbewussten Faustregeln im Gigerenzschen Katalog bleibt ziemlich erfolglos. Hoppla! Wir sehen: Gigerenzers einfache Heuristiken haben eigentlich wenig bis nichts mit Bauchgefühlen zu tun. Sie gehören fast durchweg zu den Denkabkürzungen und verlangen Reflexion, langsames Denken also. Langsames Denken auf kurzen Wegen.

Unter falscher Flagge

Die einfachen Heuristiken beruhen auf dem Grundsatz weniger ist mehr: Wenn du nicht sämtliche Merkmale in Rechnung stellen kannst, beschränke dich auf die wichtigsten. Die herausgefilterten Merkmale werden dann unter die Lupe genommen, und zwar mit dem Instrumentarium des langsamen Denkens, mittels Reflexion also. Welche Merkmale wichtig sind und welche nicht, und wie sie zu verrechnen sind, ist eine Sache der Erfahrung. Ganz sicher sind diese Heuristiken dem Bereich des Rationalen und der Empirie zuzuordnen und nicht dem der Gefühle. Sie sind in das Kästchen „Bewusste Faustregeln“ einzusortieren. Es folgen drei Beispiele:

Börsen sind Plätze, an denen die Ungewissheit regiert. Es bestätigt sich der Verdacht, dass komplizierte Anlagestrategien meist nicht besser sind als die 1/N-Regel: Verteile dein Geld gleichmäßig auf N Fonds (S. 126 ff.).

Kaufhäuser sind gut beraten, wenn sie ihre Werbekampagnen nur potentiellen und halbwegs treuen Kunden zukommen lassen. Das Problem wird üblicherweise mit komplexen Analysen angegangen. Aber auch hier hat sich eine Faustregel als wirksam herausgestellt, die Hiatus-Regel: Beurteile den Kunden nur aufgrund des Zeitpunkt seines letzten Kaufs (S. 162).

Take-the-Best heißt, dass man sich nur auf den besten Grund verlässt und alle anderen außer Acht lässt; dies ist eine einfache und in unübersichtlichen Situationen wirksame Faustregel (S. 165).

Mit Bauchgefühlen haben diese Regeln nichts zu tun. Noch deutlicher wird die Abwesenheit von Intuition bei Checklisten, bei effizienten Entscheidungsbäumen und beim Satisficing – Vorgehensweisen, die Gigerenzer den einfachen Heuristiken zuordnet.

Gigerenzer selbst macht in seinem Buch deutlich, dass der Gebrauch von Checklisten nicht intuitiv erfolgt. Sein Beispiel ist die Notwasserung eines Verkehrsflugzeugs im Januar 2009 (S. 44): „Auch hatten [die Piloten] keine Zeit, die Checklisten für Notwasserungen durchzugehen. Während die Evakuierung vonstatten ging, blieb Skiles im Cockpit und arbeitete die betreffende Checkliste ab, um eventuelle Brände und andere Gefahren auszuschließen.“ Das war Reflexion vom Feinsten.

Effiziente Entscheidungsbäume „sind keine vollständigen Bäume mit allen denkbaren Informationsästen, sondern Bäume, die nach jeder Frage oder jedem Test eine Entscheidung erlauben“ (S. 238). Wie bei den Checklisten ist auch hier bewusstes Vorgehen angezeigt, sowohl beim Erstellen als auch beim Durchgehen der Entscheidungsbäume, so gestutzt und vereinfacht sie auch immer sein mögen.

Noch eine Regel vom Weniger-ist-mehr-Typ: „Strebe nicht immer das Optimum an, sondern wähle die erste Alternative, die dein Anspruchsniveau erreicht“. Obwohl Gigerenzer diese Satisficing-Heuristik der Gefühlswelt zurechnet (S. 196 ff.), macht er selbst paradoxerweise eine ziemlich anspruchsvolle Übung in Simulation und Mathematik daraus. Wer wirklich tief in die Rationalität abtauchen und dabei die Austreibung jeglichen Gefühls erleben will, dem empfehle ich ein Studium des Heiratsproblems.

Fazit

Gigerenzer verspricht, über Intuition zu schreiben, tut es aber nicht. Ich habe den Verdacht bereits in meinem früheren Bauchgefühl-Artikel geäußert: Das Etikett „Bauchentscheidung“ ist ein Marketingtrick. Was mich darauf bringt? Eine einfache und bewährte Heuristik: Traue keinem erhabenen Motiv, wenn sich ein niedriges finden lässt.

Trotz aller Kritik: Gigerenzers Buch gehört zu denen, die dem Wissen der Welt etwas hinzufügen. Mit Vorsicht genossen bringt es Gewinn.

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Denkfallen, total vergeigt

Bücher, die besser nicht geschrieben worden wären

Es gibt Bücher, die fügen dem Wissen der Welt etwas hinzu; selbst bescheidene Beiträge zählen. Manche Bücher tun das vorsätzlich nicht. Das Beste, was sie leisten können, ist unterhalten. Und dann gibt es Bücher, die besser nicht geschrieben worden wären. Es sind Bücher mit „Wissensvernichtungspotential“.

Von einem Verlag bekam ich folgendes Angebot: „… hätten Sie Lust, Denkfallen in Buchform für ein breites Publikum darzustellen? Das könnte folgendermaßen aussehen: Achtung Denkfehler – Klug irren will gelernt sein. [Der Autor] vermittelt in diesem Buch, wie Sie kluge Endscheidungen treffen und wie Sie die üblichen Denkfallen erkennen…“

Oh, ja. Das ist mein Thema, so könnte ich das System der Denkfallen einem größeren Publikum nahebringen. Das dachte ich und übersandte einen Entwurf mit Textbeispielen. Die Antwort des Verlags: „Um möglichst viele Leser ansprechen zu können, ist […] das Buch eher populärwissenschaftlich zu halten. Auf zu komplexe Definitionen, mathematische Beweise etc. darf daher verzichtet werden.“

Gedacht war also an ein weiteres oberflächliches Buch für den Ratgeber-Markt und zum Gebrauch für Managerkurse. Solche Bücher gibt es nun wirklich schon genug, geschrieben von fähigen Feuilletonisten. Wenn sie witzig sind, gehören sie zur Unterhaltungsliteratur. Andererseits können in Kolumnenformat gepresste Wissenshäppchen kein systematisches Wissen vermitteln. Zusammenhänge werden aufgelöst und zurück bleibt ein zwar gut unterhaltener aber letztlich doch etwas ratloser Leser.

Kurz und gut: Das in Aussicht genommene Buch entgeht dem Urteil, dass es besser nicht geschrieben worden wäre. Es wird nicht geschrieben.

Beispiel: Der Autopilot im Kopf

Aber manches Buch mit „Wissensvernichtungspotential“ gibt es schon. Ich habe eins gefunden, und zwar zum selben Thema: „Der Autopilot im Kopf. Entscheiden, Urteilen, Probleme lösen, ohne in die üblichen Denkfallen zu tappen.“ Es ist von Carl Naughton. Neben seiner Fachausbildung in Linguistik und kognitiver Psychologie hat der Autor eine Ausbildung zur Schauspielerei genossen. Jedenfalls ist er fähig, seine Aktionen mit einer blendenden Oberfläche auszustatten; er hat Charisma. Um den Inhalt ist es jedoch vergleichsweise übel bestellt.

Aufmerksam wurde ich, als ich mein Konsumforschungs-Beispiel aus „Denkfallen − Klug irren will gelernt sein“ darin fand und feststellte, dass es als Aufmacher für ein Kapitel über unerlaubte Umkehrschlüsse und Induktionsfehler diente. (Erschienen ist der Aufsatz in „Jenseits des Verstandes“, herausgegeben von Martin Dresler und Tanja Gabriele Klein, Hirzel Verlag, 2007.) Leider wurde von Carl Naughton der Mechanismus der Blickfeldverengung, der in dem Beispiel deutlich wird, nicht herausgestellt und der Zusammenhang mit den anderen Beispielen des Kapitels bleibt im Dunkeln. Das liegt vor allem daran, dass in Naughtons Buch der Zusammenhang zwischen plausiblem Schließen und unerlaubten Umkehrschlüssen nirgends erläutert wird. Der Autor scheint die Mathematik nicht zu mögen, er diskreditiert sie sogar. Dadurch vergibt er die Chance, Klarheit zu schaffen. Die anfängliche Freude über die Würdigung meiner Arbeit wich zunehmendem Entsetzen über das, was ich in dem Buch sonst noch fand.

Mir geht es nicht darum, dem Autor eins auszuwischen. Aber bekanntlich lernen wir aus Fehlern, und ich denke, dass wir nicht darauf bestehen sollten, alle Fehler selbst zu machen. Weniger schmerzhaft ist es, anderen dabei zuzusehen. Schauen wir also in dieses Buch hinein; womöglich gibt es etwas zu lernen.

An dem Buch fällt als Erstes auf, dass der Autor vorgibt, Logikverstöße aufzuzeigen und dass er sich dabei unablässig verstolpert. Wenn C. N. behauptet, dass der Text „Männer sind Säugetiere. Manche Säugetiere sind weiblich. Schlussfolgerung: Manche Männer sind weiblich.“ (S. 79) vom Aufbau völlig logisch sei und er daraus schließt, dass Weltwissen und Logik nicht immer gut zueinander passen, dann frage ich, was er unter einem „logischen Aufbau“ versteht. Der Text ist ein Verstoß gegen Logikgesetze, nichts weiter.

Die Formulierung „Wenn und nur wenn …, dann …“ sieht C. N. als Variante der Konstruktion „Wenn …, dann …“ an (S. 90). Dabei handelt es sich aussagenlogisch um verschiedene Formen. Die erste ist eine Äquivalenz und die zweite eine Implikation.

Ganz lehrreich fand ich folgendes Beispiel (S. 84): „Eine der folgenden Aussagen ist wahr:  Wenigstens einige der weiblichen Kunden sind nicht knauserig oder Keiner der weiblichen Kunden ist knauserig. Ist es möglich, dass kein Knauseriger weiblich ist?“ Ich sehe keine zwei Aussagen, sondern nur eine Aussage, bestehend aus zwei mittels oder verknüpften Teilaussagen, und eine Frage. Möglicherweise hat hier der Texteditor Verwirrung gestiftet. Also versuche ich, der Sache einen Sinn zu geben und fasse die mittels oder verknüpften Teilaussagen als zwei getrennte Aussagen auf und die Frage als an mich, den Leser gerichtet. Ich denke mir einen Fall aus: Die Kundinnen Emma und Paula sind nicht knauserig. Weitere Kundinnen gibt es nicht. Damit sind beide Teilaussagen wahr (also auch „eine“) und die Frage ist mit „ja“ zu beantworten. Da C. N. darauf besteht, dass die korrekte Antwort „nein“ lautet, wird im Rückblick klar, dass er mit oder ein exklusives Oder meint. Und natürlich kann man „eine“ im Sinne von „genau eine“ auffassen – zwingend ist es aber nicht. Kurzum: C. N. hätte bei der Formulierung der Aufgabe genau die Sorgfalt aufbringen sollen, die er von seinen Lesern erwartet.

Begriffswirrwarr

Mir ist schleierhaft, worin C. N. den Unterschied zwischen Problemlösen und kreativem Problemlösen sieht (S. 75). Im ersten Fall sieht er Hindernisse auf dem Weg zur Lösung. Demgegenüber zeichne sich das kreative Problemlösen dadurch aus, dass wir die Methoden und Techniken nicht parat haben, die zur Lösung führen. Aber was ist das anderes als ein Hindernis auf dem Weg zur Lösung?

Auf Seite 115 rührt C. N. die Begriffe „Wahrscheinlichkeit“, „Häufigkeit“ und „Grundrate“ durcheinander. Man fragt sich, was wirklich klarer wird, wenn man den Begriff der „Regenwahrscheinlichkeit“ durch „Grundrate für Regen“ ersetzt? Es sind beide Male dieselben Zahlenwerte und auch der Bedeutungsunterschied ist eher theoretischer als praktischer Natur. Das nachfolgende Beispiel macht deutlich, dass er eigentlich auf etwas anderes hinaus will, nämlich auf den Basisraten-Fehler (Neglect of Base-Rates): Zum eigenen Schaden lassen wir oftmals die Grundrate eines Ereignisses außer Acht. Basisraten-Fehler werden in der einschlägigen Literatur über kognitive Täuschungen ziemlich klar dargelegt (Lesevorschläge: „Thinking, Fast and Slow“ von Daniel Kahneman, 2011; „Das Einmaleins der Skepsis“ von Gerd Gigerenzer, 2002). Hier jedoch legt sich Nebel über die Sache.

Kuddelmuddel entsteht dadurch, dass der Monte-Carlo-Effekt (Gambler’s Fallacy) als Folge des Basisraten-Fehlers angesehen wird. Dabei geht der Spieler-Irrtum (beispielsweise, dass nach einer längeren Folge von Rot das Erscheinen von Schwarz wahrscheinlicher wird) einzig auf die weit verbreitete aber irrige Annahme zurück, dass das Rouletterad ein Gedächtnis hat. Die Basisrate hat damit nichts zu tun.

Derartige falsche Zuordnungen sind allgegenwärtig. Der Hang zur Überbewertung bestätigender Informationen (Confirmation Bias), wie sie uns die Harvard-Medical-School-Studie vor Augen führt, wird fälschlich auf Overconfidence, also auf ein übertriebenes Vertrauen in das eigene Urteil, zurückgeführt (S. 114). Die Verfügbarkeitsheuristik – wahrscheinlich ist, was uns schnell in den Sinn kommt – wird für die Fehleinschätzung des Verhaltens einer Person verantwortlich gemacht (S. 138). Das sind nur einige Beispiele für die fast durchgängig falsche Verwendung von Begriffen. Das ist nicht die versprochene Anleitung zu „professionalisiertem Denkverhalten“ (S. 12); es ist ein Anschlag auf den Verstand, den nur der schadlos überstehen kann, der das Gelesene nicht ernst nimmt.

Einen gewissen Höhepunkt stellt dieser Textauszug dar:  „So wie das Verhältnis von 1 zu 2 ist auch das Verhältnis von 3 zu 4. Oder Kürzer: 1:2=3:4“ (S. 256). Damit hat das Buch endgültig den Rang jugendgefährdender Schriften erreicht.

Wilde Hypothesen und falsche Ratschläge

Die Grenze des Erträglichen wird überschritten, wenn der Autor wilde und unbelegte Hypothesen verbreitet und sich zu Ratschlägen versteigt.

Auf Seite 98 steht: „Wir sind nicht so gut in reiner Logik. Gut sind wir, wenn es um Verhaltens(maß)regeln geht. Mit der Vorgabe ‚Erlaubtes und Verlangtes‘ betreiben wir pragmatisches und praktisches Schlussfolgern… Binden Sie am besten jede abstrakte und zahlenbasierte Information in einen sozialen Zusammenhang ein.“ Durch diesen Ratschlag wird der Glaubensneigung (Belief-Bias) Vorschub geleistet, einer berüchtigten Denkfalle: Was halbwegs plausibel klingt und was – aufgrund der Einbettung in ein konkretes Beispiel – ein in sich stimmiges Bild ergibt, wird nicht weiter hinterfragt. Die eigentlich nötigen Anstrengungen zur Blickfelderweiterung und Abstraktion werden unterlassen.

Dabei hat C. N. auf Seite 81 selbst diese Glaubensneigung als eine wesentliche Denkfalle herausgestellt: „Wir neigen dazu, Aussagen für logisch einwandfrei zu halten, wenn wir in unseren Erfahrungen zutreffende Möglichkeiten für deren Bestätigung finden. Glaubhaftigkeit übertrifft dann im Zweifelsfall Richtigkeit.“

Die Einsicht „Zahlen sind eine kulturelle Errungenschaft, um Macht auszuüben und uns das Leben schwer zu machen“ (S. 113) hält C. N. nicht davon ab, moderne Errungenschaften wie die modernen Medien zu nutzen – undenkbar ohne Mathematik.

Dazu passt dies Textstelle (S. 102): „Vier Dinge helfen sehr, wenn Sie der Bestätigungsverzerrung aus dem Weg gehen wollen: ein ausgeprägter Zeitdruck, ein hoher Informationsüberfluss und ein kritischer Blick auf das eigene Selbstbewusstsein.“ Witzig, nicht wahr?

Selbsterkenntnis eines Charismatikers

Mir kommt ein Ausspruch von Tom DeMarco, dem weltbekannten Software-Pionier in den Sinn: Es gibt keine größere Gefahr als einen schwachen Gedanken in den Händen eines begnadeten Kommunikators („There is no greater danger than a mediocre idea in the hands of a gifted communicator“). Er sagte es auf der Konferenz der Software-Pioniere 2001 im alten Bundestag in Bonn und bezog sich dabei schelmisch auf sein eigenes, ein Vierteljahrhundert vorher veröffentlichtes Werk.

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Dicke leben länger – oder auch nicht

Es war auf dem Turm-der-Sinne-Symposium im letzten Herbst in Nürnberg; es ging um „das Tier im Menschen“. Der mir damals noch unbekannte Mediziner Achim Peters trug seine Erkenntnisse aus der Adipositasforschung unter dem Titel „Dicke leben länger“ vor. Dahinter steckte seine Theorie des egoistischen Gehirns. Ich empfand die Präsentation und auch den in der Diskussion offenbar werdenden Stil als zu dogmatisch. Auch seine These, dass es allein der Stress sei, der den einen krank und den anderen dick macht, kam etwas schmalspurig daher.

Auf dem Gesundheits- und Fitnessmarkt ist man einiges gewöhnt: Da werden fast allwöchentlich neue Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Kenngrößen der körperlichen Leistungsfähigkeit, allerlei schädlichen Einflüssen und gesundheitsfördernden Gegenmaßnahmen postuliert. Vieles davon trifft zu, wieder anderes ist leicht als Pseudowissenschaft zu entlarven. Beispielsweise lese ich im aktuellen Informationsblatt meines Fitnessstudios, dass „Entsäuerung“ die Wunschfigur bringe und dass „Entschlackung der entscheidende Schritt zur Topfigur“ sei. Aber neben solchem Unfug gibt es viel Bedenkenswertes.

Die Gemengelage aus Gesundheitsangeboten und –theorien überfordert uns. Wir sind nicht gut darin, eine Vielzahl von Mechanismen und Theorien im Kopf zu behalten und deren Bedeutung zu beurteilen und gegeneinander abzuwägen. „Haben wir eine halbwegs schlüssige Hypothese über die möglichen Ursachen unserer Beobachtungen gefunden, neigen wir dazu, diese Hypothese als einzig mögliche Erklärung der beobachteten Effekte anzusehen und die Suche nach konkurrierenden Hypothesen abzubrechen.“ (System der Denkfallen) Diese Tendenz wird noch dadurch verschärft, dass wir bevorzugt in eindimensionalen Ursache-Wirkungsketten denken und die Vernetzung der Ursachen und die Nebenwirkungen außer Acht lassen. Die Fitnessgurus und Gesundheitsapologeten nutzen diese Schwächen aus und preisen ihre Sicht der Dinge als jeweils allein seligmachend an.

Der Rummel um die Theorie des egoistischen Gehirns passt ins Bild. Achim Peters tut einiges dafür, dass wir in die Denkfalle der Blickverengung tappen. Aber der Argwohn ist geweckt. Ich will genauer wissen, was an der Sache dran ist und inwieweit die Theorie des egoistischen Gehirns unser Denken über Fitness, Gesundheit und Dicksein verändern kann.

Achim Peters ist ein Erfolgsautor und hinter ihm steht eine ganze Riege von Wissenschaftlern und Instituten. Seine Veröffentlichungen machen einen seriösen Eindruck und auch in Magazinen kommt er ausgiebig zu Wort, beispielsweise im Artikel „Wenn die Seele dick macht“ (DER SPIEGEL 7/2013, S. 98-106). Die Theorie lässt sich offenbar nicht als Humbug abtun. Welche Möglichkeiten hat angesichts dieser formalen Autorität der skeptische Nichtfachmann, sich ein Bild von der spektakulär erscheinenden Theorie zu machen? Wie prüft er deren Relevanz?

Es ist nicht aussichtslos. Was hilft, ist die Blickfelderweiterung. Dabei helfen die folgenden Fragen:

  • Was wissen wir bereits? Was ist der Stand der Diskussion?
  • Was genau wird behauptet?
  • Welche Prüfungen wurden durchgeführt und wie stichhaltig sind diese?
  • Wie groß ist der Wissenszuwachs durch die neue Theorie? Welche Bedeutung hat sie?

Was wir bereits wissen: Gesundheits- und Ernährungsstudien

Als Lebenszeit verkürzende Risikofaktoren gelten: geringe Lebensqualität, Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck, Stress; auch das Übergewicht wird immer wieder genannt. Aber unser Körper ist ein hochkomplexes System. Die behaupteten eindimensionalen Ursache-Wirkungsbeziehungen kommen darin nicht vor. Es ist kein Wunder, dass die von den Fitness-Gurus angebotenen Trivialerklärungen und Patentrezepte oft zueinander im Widerspruch stehen. Gut, dass der Adressat ein kurzes Gedächtnis hat: Nur der neueste Trend zählt.

BMI und Mortalität (USA-Studie)

Aber wir verfügen auch über verlässliche Informationen. Seit den 1970er Jahren werden in den USA Gesundheits- und Ernährungsstudien durchgeführt. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen dem BMI (Body Mass Index) und der Sterblichkeit (Mortalität) her. Der BMI einer Person ist gleich ihrem Gewicht (in kg) geteilt durch das Quadrat der Größe (in Metern); und die Mortalität ergibt sich aus der Anzahl Todesfälle innerhalb eines bestimmten Zeitraums (beispielsweise 1 Jahr) bezogen auf die Größe der betrachteten Population.

Der BMI soll den Grad der Fettleibigkeit messen. Tut er das? Es gibt Zweifel: Ein muskelbepackter Athlet kommt auch ohne dicke Speckschwarte auf ein eindrucksvolles Gewicht. Es gibt bessere Indikatoren für Fettleibigkeit als den BMI. Aber dieses Maß hat sich durchgesetzt und wird allgemein angewendet. Man muss sich seiner begrenzten Aussagekraft bewusst sein.

Eine aktuelle US-Studie von Katherine M. Flegal und anderen (“Association of All-Cause Mortality With Overweight and Obesity Using Standard Body Mass Index Categories”, Januar 2013) zeigt, dass das Normalgewicht (BMI ab 18.5 bis 24.9) gar nicht so ideal ist. Die Sterblichkeit der Übergewichtigen (BMI von 25 bis 29.9) und sogar der leicht Adipösen (30 bis 34.9) ist um 6% bzw. 5% geringer. Erst Adipositas des Grades II und III lässt die Sterblichkeit gegenüber derjenigen der Normalgewichtigen um 29% ansteigen.

BMI und Mortalität (japanische Studie)

Die Japaner haben offenbar ein geringeres Problem mit dem Übergewicht. In einer der US-amerikanischen Studie vergleichbaren japanischen Untersuchung („Impact of obesity, overweight and underweight on life expectancy and lifetime medical expenditures: the Ohsaki Cohort Study“, 2012) unterscheiden Masato Nagai und seine Mitstreiter die Adipositasklassen nicht, dafür betrachten sie zusätzlich die Untergewichtigen (BMI unter 18.5). Und siehe da: Auch das Untergewicht ist ein bedeutender Risikofaktor.

Der Zusammenhang zwischen Mortalität und BMI hat – über alle Altersgruppen und Todesursachen gesehen – einen U-förmigen Verlauf. Die bessere Stressbewältigung durch die Dicken kann eine (!) der Ursachen für ihre geringere Sterblichkeit sein. Aber es kann auch daran liegen, dass sie in Krisenzeiten über Reserven verfügen. Der Ausspruch „Dicke leben länger“ mag zwar etwas übertrieben scheinen, aber ganz falsch ist er nicht. Dass er für uns überraschend kommt, liegt daran, dass wir unablässig mit den Sprüchen der Fitness- und Gesundheitsbranche konfrontiert sind, die uns die Topfigur als anzustrebendes Ziel anpreist. Die Erkenntnisse der Wissenschaft liegen zwar leicht zugänglich vor, aber sie fallen uns nicht ins Auge; wir müssen uns selber darum bemühen.

Auch die hier betrachteten Studien haben ihre Mängel: Die Daten werden über alle Altersgruppen zusammengefasst. Auch wird nicht nach Vorbelastung und Risikofaktoren unterschieden. Diese Aggregierung der Daten kann Effekte verfälschen oder unsichtbar machen. Eine Aufschlüsselung nach Altersgruppen beispielsweise bringt einen interessanten Sachverhalt ans Tageslicht: Katherine M. Flegal vom Center of Disease Control and Prevention (CDC) erklärt, dass eine Fülle von Daten darauf hindeute, dass sich Adipositas im Alter weniger stark auf die Mortalität auswirke als in jüngeren Jahren („Übergewicht überbewertet?“, Spektrum der Wissenschaft, 10/2005, S. 24-31).

Was wird behauptet?

Wir wenden uns nun der Theorie des egoistischen Gehirns zu. Eine Übersicht bietet der Aufsatz „The selfish brain: stress and eating behavior“ von Achim Peters, Britta Kubera, Christian Hubold und Dirk Langemann (Frontiers in Neuroscience, 30.5.2011). Ich beziehe mich auf diesen Text und die eine oder andere dort angegebene Quelle.

Achim Peters geht von Umfragen, Dokumentationen von Langzeitexperimenten und Ergebnissen der Neurophysiologie und Endokrinologie aus, die in der wissenschaftlichen Literatur dokumentiert worden sind. Besonders zwei Beobachtungen hebt Achim Peters hervor.

  1. Eine Umfrage unter Studienanfängern, die den Einfluss des studienbedingten Stresses auf das Körpergewicht belegen sollte, ergab, dass nach einem Studienjahr eine Mehrheit der Studenten an Gewicht zugelegt und andere an Gewicht verloren hatten.
  2. In einem Langzeitexperiment zogen Mütter aus einem Problemviertel in ein stressärmeres, besseres Wohnviertel um. Nach 15 Jahren waren diese Frauen dünner als die Frauen der Vergleichsgruppe.

Die erste Beobachtung liefert Achim Peters die Motivation für seine Modellbildung. Peters schreibt, dass die Arbeitgruppe ein mathematisches Modell der zerebralen Versorgungskette benutzte, um die Auswirkungen eines langfristigen Anstiegs des zerebralen Energiebedarfs zu simulieren.

Für das Aufnehmen der Energie braucht der Körper Insulin, das Gehirn kommt ohne das aus. Durch Unterdrückung der Insulinsekretion sorgt das eigensüchtige Gehirn dafür, dass die mit der Nahrung aufgenommene Energie in Form von Zucker vorrangig ihm zur Verfügung steht: „Ein Brötchen für das Gehirn, nur ein Brötchen für den Körper“, wie Peters es ausdrückt. Auf diese Weise lässt sich die Gewichtsabnahme der kleineren Gruppe der oben genannten Studienanfänger erklären. Kurz gesagt: Diese Gruppe von Menschen ist schlank, aber ihre Gesundheit ist gefährdet, wenn die Stesssituation lange anhält.

Wenn dieser den Körper belastende Unterdrückungsmechanismus nicht funktioniert oder auf lange Sicht gesehen erlahmt, dann holt sich das Gehirn immer noch, was es braucht: Es wird mehr gegessen und das Gehirn erhält ebenfalls sein Brötchen, aber – mangels Insulinunterdrückung – landen drei im Körper. Das Körpergewicht nimmt zu.

Wie wird geprüft?

Was Achim Peters uns mitteilt, sind offenbar die Schlussfolgerungen aus Simulationsläufen. Die Frage ist, inwieweit die Hypothese und das Simulationsmodell durch Experimente am realen Objekt überprüft worden sind. Peters bietet dazu einen Rückgriff auf die Beobachtungen, die ihn zur Modellbildung veranlasst hatten.

Die erste Beobachtung – die über die stressgeplagten Studenten – überzeugt mich nicht so recht: Was ist eigentlich verwunderlich daran, dass bei einigen Studenten das Gewicht zu und bei anderen abnimmt? Hätte man vorab durch ein unabhängiges Kriterium sagen können, bei welchen der Studenten das Gewicht zu- und bei welchen es abnehmen würde, dann hätte die Beobachtung sicherlich mehr Gewicht.

Auch das Langzeitexperiment mit den Müttern hat nur eine geringe Aussagekraft zugunsten der Theorie des egoistischen Gehirns: Das geringere Gewicht kann ja auch darauf zurückzuführen sein, dass die neue Umgebung mehr Anregung zur Betätigung bot oder dass das Angebot des Supermarkts im Viertel gesundheitsorientiert war oder dass die Frauen in der Nachbarschaft neue Freunde und gute Vorbilder für Verhaltensänderungen fanden, und so weiter?

Also: Es bleiben viele Fragen offen. Aber das ist in der Wissenschaft normal und stellt nicht von vornherein die Theorie selbst infrage.

Resümee

Naturwissenschaft ist vom Wesen her reduktionistisch. Das ist ein Grund ihres Erfolgs. Den meisten Wissenschaftlern ist die begrenzte Reichweite ihrer Erkenntnisse bewusst. Der Rummel um die Theorie des egoistischen Gehirns lässt diese Bescheidenheit vermissen. Ein Wirkmechanismus wird, wie auf dem Gesundheits- und Fitnessmarkt üblich, als die Erkenntnis schlechthin verkauft. Die Erfahrungen mit den verschiedenen Diäten und ihrer Unwirksamkeit sollten uns vorsichtig machen: Der Körper ist ein hoch komplexes System und es gibt eine Vielzahl von Wirkungszusammenhängen. Achim Peters hat wohl einen dieser Zusammenhänge ans Licht geholt. Wir sollten das richtig einordnen und unserem Hang zu einfachen Erklärungen und zur Bevorzugung eindimensionaler Ursache-Wirkungsbeziehungen widerstehen, sonst laufen wir womöglich in die falsche Richtung.

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Schwarmintelligenz – Herrschaft des Mittelmaßes

Ein zukunftsfähiger Unternehmensstil zeichne sich aus „durch eine Firmenkultur, die Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, ja sogar Kapitalgeber und die gesamte Öffentlichkeit in den Innovationsprozess mit einbezieht“, so Trendforscher Peter Wippermann am 28.6.2012 im Deutschlandfunk. Es sieht demnach so aus, als könne das Internet eine neue Kultur der Zusammenarbeit ermöglichen, in der jeder mitreden darf. Bessere Entscheidungen durch Schwarmintelligenz – so lautet das Versprechen.

Gegen diese  These spricht einiges. Hier nur ein paar Personen, die Großes hervorgebracht haben – und das ganz ohne Schwarmintelligenz: Columbus, Konrad Zuse, Niklaus Wirth, Tim Berners-Lee, Steve Jobs. Ich bin überzeugt, dass alle großen Einfälle und Erfindungen nicht vom Nachdenken im Schwarm kommen, sondern das Ergebnis von Freiheit, Individualität und Originalität sind, wie John Stuart Mill in seinem Aufsatz „On Liberty“ meint.

Schwarmverhalten dominiert Vernunft

Fachausschüsse in VDI und VDE sind lose Zusammenkünfte von Experten aus verschiedenen Unternehmen und Hochschulen, die ein bestimmtes Thema bearbeiten und dazu Richtlinien abliefern sollen.

Die Diskussion um eine neue Richtlinie zieht sich gewöhnlich über viele Jahre und weitgehend ergebnislos hin. Irgendwann muss doch ein Ergebnis her. Dann einigen sich die Beteiligten auf einen Entwurf, der keinem wirklich gefällt. Weil sich aber jeder irgendwie darin wiederfindet, lässt man ihn passieren. Und so geschieht es, dass ein Schwarm hochkarätiger Experten nur Mittelmaß hervorbringt. Es liegt  nicht am Einzelnen, Schuld am Unglück ist das Schwarmverhalten, das die Vernunft dominiert.

Diesmal ging es um die Zuverlässigkeit und Sicherheit in der Automatisierungstechnik. Die Diskussion in all den Jahren verlief eher zirkulär als linear. Sachargumente kamen und gingen wie die Figuren eines Karussells. Die Dynamik der Diskussion wurde weniger durch die Schlüssigkeit der Argumentation als durch das Kommunikationsverhalten der Teilnehmer bestimmt. Sturheit und Redegewandtheit waren Trumpf. Das konnte noch jahrelang so weitergehen.

Und so wurde der Zirkel aufgebrochen: Ich machte auf der Basis eines schlüssigen Konzepts und im Alleingang einen Vorschlag für ein neues Richtlinienblatt. Noch bevor das Zerreden beginnen konnte, bildeten wir einen kleinen Arbeitskreis von Leuten, die von der Grundidee überzeugt waren. In nur wenigen Sitzungen erstellten diese Sechs ein Papier und legten es dem Ausschuss vor. Bevor die erneut startende zirkuläre Diskussion richtig in Fahrt kommen konnte, sagte ich: Gut, man kann das auch anders machen. Dann soll jemand mit einem Konzept kommen und dieses mit ein paar Mitstreitern ausarbeiten, so wie es hier geschehen ist. Damit war Ruhe. Das Papier durchlief die Genehmigungsprozedur ziemlich geräuschlos; das Konzept zur „Zuverlässigkeit und Sicherheit komplexer Systeme“ wurde 1993 sogar auf dem Jubiläumskongress „100 Jahre VDE“ in Berlin vorgestellt und es regte zu einigen Büchern und Fachartikeln an.

An dieses Geschehen vor nun über zwanzig Jahren erinnerte ich mich im Zusammenhang mit der Diskussion zum Ziegenproblem. Hier zeigt sich das Schwarmverhalten noch deutlicher. In diese Diskussion waren insgesamt mehr als 500 Diskutanten verwickelt. Es gab ein Hin und Her von Meinungen und nach 10 Jahren setzte sich ein Standpunkt durch, der – verglichen mit den anderen bis dahin vertretenen Meinungen – keineswegs der beste war.

In meinem letzten Blog-Artikel „Meinungsbildung im Internet – Kurioses wird Norm“ beschäftige ich mich mit den Mechanismen, die hinter einer solchen Diskussionsdynamik stecken könnten. Ich wiederhole in Kürze: Ideen haben dann eine Chance, wenn sie hartnäckig und ausdauernd vertreten werden. Ermüdungserscheinungen dünnen die Gegnerschaft aus und es kommt zu faulen Kompromissen. Die Wiederholung des Immergleichen dient der Durchsetzung einer Meinung. Da es auf Präsenz ankommt, wächst die Informationsflut an. Wer nicht untergehen will, muss schnell reagieren, kann Gegenargumente kaum noch wahrnehmen. Einige Autoren halten sich nicht mit dem sorgfältigen Lesen der Beiträge anderer auf. Gleich nach dem Erfassen von Reizwörtern wird die Antwort formuliert und losgeschickt. Dadurch leidet die Qualität der Argumentation. Ein Übriges tut die Fluktuation unter der Autorenschaft. Sie sorgt dafür, dass immer wieder dieselben Probleme hochkommen und dass manchem Fortschritt wieder ein Rückschritt folgt.

Kurz: Eloquenz geht vor Inhalt, Schnelligkeit vor Tiefgang. Der Sture setzt sich durch. Das nenne ich Schwarmverhalten. So kommt die Vernunft unter die Räder.

Gemeinsam dümmer

Interessant ist, was der Soziologe zur Meinungsbildung im Schwarm zu sagen weiß. Dirk Helbing von der ETH Zürich näherte sich dem Problem mittels rechnergestützter Simulation. Ein Sammelband zu seinen Arbeiten „Social Self-Organization. Agent-Based Simulations and Experiments to Study Emergent Social Behavior“ ist kürzlich erschienen.

Neben diesen Simulationen hat er auch ein Experiment mit realen Personen durchgeführt. Spiegel-online berichtet darüber am 17. Mai 2011 unter dem Titel „Gemeinsam sind wir dümmer“. Es zeigte sich, dass die Antworten von 144 Befragten im Durchschnitt die besten waren, wenn keiner die Antworten der anderen kannte. Erfuhren die Probanden von den Schätzungen der anderen Studienteilnehmer, verschwanden die Extremwerte nach und nach. Die  Schätzwerte kamen zwar einander näher, nicht jedoch dem tatsächlichen Wert.

Schwärme ganz ohne Intelligenz

Ich habe es auf die Spitze getrieben und ein Programm geschrieben, das einen typischen Diskussionsprozess nachbilden soll. Die Agenten in diesem Programm kommen gänzlich ohne Intelligenz und Vernunft aus. Es gibt nur die Charaktere Knallfrosch, Mitläufer und Sturkopf. Der Knallfrosch ändert seine Meinung spontan und zufällig. Der Mitläufer übernimmt die Mehrheitsmeinung der Nachbarn und der Sturkopf beharrt auf seiner Meinung. Ein echter Diskurs ist also ausgeschlossen. Dennoch zeigt das Simulationsmodell eine Art „Diskussionsdynamik“, die derjenigen in den Diskussionsforen des Internets verblüffend ähnlich ist.

Diese agentenbasierte Simulation zeigt natürlich nicht, dass an den Diskussionen im Internet nur Dummköpfe beteiligt sind, die zu einem echten Diskurs unfähig sind. Nein, meist ist das Gegenteil der Fall: die Diskussionsteilnehmer sind gut informiert und können in der richtigen Umgebung sicherlich auch zielführend diskutieren. Es ist das Schwarmverhalten, das die Vernunft dominiert.

Simulationsergebnis

Die Grafik zeigt das Ergebnis eines Simulationslaufs: Phasen größerer Meinungsvielfalt wechseln sich mit Einigungsphasen ab. Welche Meinung sich schließlich oder auch nur zeitweilig durchsetzt, ist zufallsbedingt. Ich vermute, dass es genau diese Wesenszüge sind, die die Meinungsbildung in Schwärmen ausmachen, insbesondere in Schwärmen, die nur schwach strukturiert sind und denen eine deutliche Zielvorgabe fehlt.

Der Verlauf der Diskussion zum Ziegenproblem kommt diesem automatisch generierten und „dummen“ Prozess beängstigend nahe.

Dem Spektrum der Wissenschaft  (9/2005, S. 22-24) entnehme ich, dass die Wissenschaftler Iain Couzin, Jens Krause, Nigel Franks und Simon Levin eine ganz ähnliche  Simulation zum Schwarmverhalten von Tieren durchgeführt haben (Nature 433, S. 513-516). Sie sind ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass es in einem Schwarm keinen Sinn ergibt zu fragen, welche Richtung wirklich die richtige ist. Die Umwelt geht in die Simulation nicht ein. Christoph  Pöppe vom Spektrum der Wissenschaft beschreibt es so: „Es ist einzig die Überzeugung des Führers selbst, im Besitz der  Wahrheit zu sein, die ihn von allen anderen unterscheidet; und je rücksichtsloser er diese Überzeugung vertritt, desto erfolgreicher setzt er sich gegen Vertreter anderer Ansichten durch.“

(Quellenhinweise überarbeitet am 4.10.2023)

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