Rückbezüge
„Ich mache es, um herauszufinden, warum ich es tue.“ Dieser Satz steht im Spiegel 45/2011. Ich weiß nicht, ob seinem Urheber, dem Schauspieler Ryan Gosling, ganz klar ist, was er mit diesem Satz so anrichtet. Gosling drückt aus, dass er nicht weiß, warum er „es“ tut. Gleichzeitig nennt er uns einen Grund. Der Arme ist gefangen im Niemandsland zwischen Tun und Lassen. Der Satz ist ein Beispiel für gehirnmarternde Rückbezüge. Und solche Rückbezüge wollen wir uns hier genauer anschauen.
Unter der Überschrift „Schlechte Nachrichten für Verschwörungstheoretiker“ berichtet die dpa gemäß Tageszeitung vom 9.11.2011: „Jetzt ist es offiziell: Das Weiße Haus hat keinen Beweis für die Existenz von Außerirdischen.“ Hier wird die Sache interessant, wenn man das Weiße Haus der Verschwörung zurechnet: Egal, was das Weiße Haus verlauten lässt, immer kann es als Bestätigung dafür dienen, dass es die Verschwörung tatsächlich gibt, denn: Verschwörer werden die Verschwörung leugnen.
Und hier noch ein paar Fundstücke aus der ganz alltäglichen Kommunikation:
„Wie lange gedenkst du noch, verrückt zu bleiben?“ -„Das fragst du einen Verrückten?“
Beziehungsgeplänkel: „Hast du `ne andere?“ -„Nein.“ -„Ehrlich?“ -„Ja doch.“
In einer Szene des Monty-Python-Films „Das Leben des Brian“ von 1980 wird Brian von einer Anhängerschar verfolgt.
Brian: Ich bin nicht der Messias. Würdet ihr mir bitte zuhören: Ich bin nicht der Messias. Versteht ihr das? Ganz, ganz ehrlich.
Frau aus der Menge: Nur der wahrhaftige Messias leugnet seine Göttlichkeit.
Brian: Was? Ihr müsst mir doch ’ne Chance lassen, da rauszukommen. Also gut: Ich bin der Messias.
Menge: Er ist es! Er ist der Messias.
Brian: Und jetzt: Verpisst euch!
Ein rückbezüglicher (oder selbstbezüglicher) Satz enthält zwei Aussagen. „Die eine Aussage wird in der Objektsprache, die andere in der Metasprache getroffen und sagt etwas über die Aussage in der Objektsprache aus“ (Watzlawick, Beavin und Jackson in „Menschliche Kommunikation“, 1969, Abschnitt 6.3).
Angenommen, nur der wahre Messias kann seine Göttlichkeit leugnen, dann ist Brians Aussage „Ich bin nicht der Messias“ rückbezüglich und ohne jeglichen Gehalt: Jeder kann unter der Prämisse, dass nur der wahrhafte Messias sich verleugnen kann, behaupten, nicht der Messias zu sein, ob er nun der Messias ist oder nicht. Wir haben es mit einer Tautologie zu tun, einer Aussage also, die mit jedem denkbaren Sachverhalt verträglich ist.
Der einfachste tautologische Rückbezug dürfte der Satz „Ich lüge nicht“ sein: Sowohl der Lügner als auch der Wahrheitsliebende kann ihn sagen, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Ich bezeichne diesen Satz auf Kommunikations- bzw. Objektebene mit A. Gleichzeitig macht der Satz auf Metaebene eine Aussage über den Wahrheitsgehalt des Satzes. Beide Aussagen sind gleichzeitig entweder wahr oder falsch: A = A. Diese Gleichheit gilt unter allen Umständen; sie sagt nichts über die Wirklichkeit aus.
Widersprüche
Aber das alles trifft nicht den Kern des ersten Beispiels. Hier haben wir es nicht mit einer Tautologie, sondern mit einem rückbezüglichen Widerspruch zu tun. Das einfachste Beispiel dieser Art ist der Satz „Ich lüge“.
Er führt auf einen Widerspruch der Form A = ¬A und das besagt, dass sowohl der Satz A als auch dessen logisches Gegenteil ¬A gleichzeitig wahr oder gleichzeitig falsch sind. Der Satz ist ohne Sinn (Lügnerparadoxon in Denkfallen und Paradoxa).
Früher, als Student in den späten Sechzigerjahren, habe ich gelitten: Hegel zu lesen und zu verstehen hielt ich angesichts der damaligen Studentenrevolte für unverzichtbar. Es war ein grausames Misslingen; Hegel hatte offenbar einen Weg gefunden, sich in einer für mich völlig unverständlichen Weise auszudrücken. Heute sehe ich Hegel deutlich entspannter: Man muss die Texte einfach mit derselben Grundeinstellung lesen, mit der man sich einen Monty-Python-Film ansieht. Seit ich das tue, habe ich Spaß daran.
Nehmen wir uns ein paar Textproben aus seiner Philosophischen Propädeutik vor. Im Anhang über Antinomien schreibt Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) unter § 73: „1) Die Welt ist der Zeit nach endlich oder hat eine Grenze. In dem Beweise der Thesis ist eine solche Grenze, nämlich das Jetzt oder irgendein gegebener Zeitpunkt angenommen. 2) Das Dasein hat nicht an dem Nichtdasein, an der leeren Zeit, eine Grenze, sondern nur an einem Dasein. Die sich begrenzenden sind auch positiv aufeinander bezogen und eines hat zugleich dieselbe Bestimmung als das andere. Indem also jedes Dasein begrenzt oder jedes ein endliches d. h. ein solches ist, über welches hinausgegangen werden muss, so ist der Progress in’s Unendliche gesetzt.“ Und weiter geht’s mit § 74: „Die wahrhafte Auflösung dieser Antinomie ist, dass weder jene Grenze für sich, noch dies Unendliche für sich etwas Wahres ist, denn die Grenze ist ein solches, über welches hinausgegangen werden muss und dies Unendliche ist nur ein solches, dem die Grenze immer wieder entsteht. Die wahre Unendlichkeit ist die Reflexion in sich und die Vernunft betrachtet nicht die zeitliche Welt, sondern die Welt in ihrem Wesen und Begriff.“
Um das zu verstehen, übersetze ich § 69 des Anhangs über Antinomien einmal in die heutige mathematische Sprache: Kann man für ein Ding die Aussage A herleiten und gleichzeitig deren Negation ¬A, so „entstehen dadurch antinomische Sätze, deren jeder gleiche Wahrheit hat“. Für Hegel ist also die konjunktive Verknüpfung der Aussagen A und ¬A wahr, anders als für den Logiker, der dem zusammengesetzten Ausdruck A˄¬A nur den Wert falsch zuerkennen kann und der darauf bestehen wird, dass in den Herleitungen von A oder ¬A Fehler stecken müssen.
Ludwig Boltzmann fand Hegels Einlassungen zur Logik einer ernsthaften Kritik würdig: „Dies Logik zu nennen, kommt mir vor, wie wenn jemand, um eine Bergtour zu machen, ein so langes und faltenreiches Gewand anzöge, dass sich darin seine Füße fortwährend verwickelten und er schon bei den ersten Schritten in der Ebene hinfiele.“ (Auf einem Kongress in St. Louis 1904)
Analyse
Wir nehmen die Werkzeuge der Logiker und nähern uns damit dem ersten Beispiel, nämlich dem Satz „Ich mache es, um herauszufinden, warum ich es tue“. Offenbar weiß Gosling nicht, warum er „es“ (die Schauspielerei nämlich) tut. Diesen Sachverhalt bezeichne ich einmal mit A. Die Feststellung, dass er es tut, erhält das Symbol B. Die Aussage von Gosling unterstellt eine Kausalbeziehung, nämlich dass es einen Grund für sein Tun gibt und dass dieser Grund das Nichtwissen des Grundes ist, nämlich A. In Kürze: A → B.
Gosling gibt also einen Grund für sein Tun an. Folglich ist der Grund bekannt und es gilt ¬A (Es ist nicht wahr, dass er nicht weiß, warum er es tut). Es gilt also gleichermaßen A und ¬A. Damit kommt vielleicht der Hegel-Geschulte zurecht, nicht aber der allgemeine Menschenverstand. Mir reicht es, das Gedankenknäuel entwirrt zu haben: Gosling ist entweder auf den Spuren der Monty-Python-Truppe gewandelt, oder er hat versehentlich Unsinn geredet; das kann ja mal passieren.
Ein Rätsel zum Schluss
Wie groß ist die Chance, dass Sie richtig liegen, wenn Sie auf diese Frage eine der folgenden Antworten rein zufällig auswählen?
(A) 25 %
(B) 0 %
(C) 25 %
(D) 50 %
Quelle: „Best Statistics Question Ever“ von Raymond Johnson, 20.10.2011.