Wo steckt der Fehler?

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
1.Kor 13, 1

Im Forum Mathematik & Physik stellte ich das Spaghetti-Problem zur Debatte und erhielt als ersten Kommentar: „Ist halt nen Klassiker und deshalb eher langweilig.“ Nun ja, nicht jeder kennt alle Klassiker. Und die Sache wird interessant, wenn man sich nicht für irgendeine Lösung, sondern für eine möglichst elegante interessiert. Dann kann man auch über Klassiker diskutieren.

Lernen aus den Fehlern

Noch ein Klassiker, von dem man viel lernen kann: das Buch „Wo steckt der Fehler?“ von Walther Lietzmann (1953). In der Einleitung schreibt Lietzmann:

Das Landläufige ist doch wohl, der Lehrer berichtigt im mündlichen Unterricht die Fehler seiner Schüler, streicht sie in den schriftlichen Arbeiten an und lässt sie verbessern, zumeist aber, ohne die günstige Gelegenheit zu Vertiefung in die Einsicht, warum nun das richtig und dies falsch ist, auszunutzen. Mir will scheinen, eine Theorie und Praxis der Fehlerauswertung verdiente einmal eine gründliche Untersuchung.

Diese Einsicht liegt auch meinem System der Denkfallen zugrunde.

Wer nun meint, er haben nicht genügend viele Anfängerfehler greifbar, dem kann neuerdings geholfen werden. ChatGPT komponiert seine Texte aus Bausteinen, die er einem riesigen Textfundus entnimmt. Darin ist einiges Richtiges und viel Falsches. Soweit ich erkennen konnte, lässt ChatGPT kaum einen Anfängerfehler aus.

Für das Lernen aus den Fehlern schlage ich vor, eine Rätselaufgabe, ob altbekannt oder neu, dem System ChatGPT zur Lösung aufzugeben. Diese Lösungsvorschläge kann man dann nach Fehlern durchforsten und gegebenenfalls berichtigen. Wie das geht, zeige ich an dem einfachen Problem „Das erste Ass“.

Das erste Ass

Ein gut durchmischter Kartenstapel mit 52 Karten und vier Assen wird nacheinander Karte für Karte aufgedeckt. Wie viele Karten muss man im Mittel aufdecken, bis das erste Ass kommt?

Erster Lösungsversuch ChatGPT (GPT-3.5)

Um die durchschnittliche Anzahl von Karten zu berechnen, die aufgedeckt werden müssen, bis das erste Ass erscheint, verwenden wir das Konzept der sogenannten „geometrischen Verteilung“. Die geometrische Verteilung beschreibt die Anzahl der unabhängigen Versuche (hier das Aufdecken einer Karte), die benötigt werden, bis zum ersten Erfolg (hier das Erscheinen des ersten Asses). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Karte ein Ass ist, beträgt 4/52, da es 4 Asse in einem Stapel von 52 Karten gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Asskarte bei der ersten Karte erscheint, ist daher 4/52. Die Wahrscheinlichkeit, dass das erste Ass bei der zweiten Karte erscheint, ist (48/52) * (4/52) (d.h., die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Karte keine Asskarte ist, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, dass die zweite Karte eine Asskarte ist). Allgemein beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass das erste Ass bei der k-ten Karte erscheint: P(ass bei der k-ten Karte) = (48/52)^(k-1) * (4/52)

Fehler: Die Wahrscheinlichkeit, dass die k-te Karte ein Ass ist, unter der Vorbedingung, dass bis dahin kein Ass vorkam, lässt sich nicht durch ein einfaches Potenzgesetz darstellen.

Die erwartete Anzahl von Karten, die aufgedeckt werden müssen, bis das erste Ass erscheint, ist das sogenannte „Erwartungswert“ und wird wie folgt berechnet: E(X) = Σ [k * P(ass bei der k-ten Karte)], wobei die Summe über alle möglichen Werte von k (1 bis unendlich) läuft.

Fehler: Es sind nicht unendlich viele Positionen für das erste Ass möglich, sondern nur 1, 2, 3, … ,49. Die Summenformel für endlose geometrische Progression ist nicht anwendbar.

E(X) = Σ [k * (48/52)^(k-1) * (4/52)] Glücklicherweise existiert eine Formel, um den Erwartungswert der geometrischen Verteilung zu berechnen: E(X) = 1 / P(ass bei der 1. Karte) E(X) = 1 / (4/52) = 13 Also muss man im Mittel 13 Karten aufdecken, bis das erste Ass erscheint.

Nach Korrektur der Vorbedingung und bei Berücksichtigung der Endlichkeit der Summe kommt man mit einem Tabellenkalkulationsprogramm auf den richtigen Wert: 10,6.

Zweiter Lösungsversuch ChatGPT (GPT-3.5)

Um die durchschnittliche Anzahl der aufgedeckten Karten zu berechnen, bis das erste Ass erscheint, müssen wir den Erwartungswert verwenden. Bevor wir fortfahren, lassen Sie mich Ihnen eine wichtige Eigenschaft erklären: Die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Karte ein Ass ist, beträgt 4/52, da es insgesamt 4 Asse und 52 Karten im Stapel gibt. Nun, wenn die erste Karte kein Ass ist (was mit einer Wahrscheinlichkeit von 48/52 passiert, da es 48 Karten gibt, die keine Asse sind), dann wiederholen wir den gleichen Prozess mit den restlichen Karten, jedoch mit einer Karte weniger im Stapel (nur noch 51 Karten, da die erste Karte aus dem Spiel ist). Der Erwartungswert dafür ist jedoch um 1 erhöht, da wir bereits eine Karte aufgedeckt haben. Lassen Sie uns das oben Gesagte mathematisch darstellen: E(X) = (48/52) * (E(X) + 1) + (4/52) * 1

Das E(X) auf der linken Seite der Gleichung ist ein anderes als das in der runden Klammer. Ich habe keine Idee, wie man diesen Ansatz zum Funktionieren bringen könnte.

Jetzt lösen wir nach E(X) (dem erwarteten Wert) auf: E(X) = (48/52) * E(X) + 48/52 + 4/52 E(X) – (48/52) * E(X) = 52/52 (1 – 48/52) * E(X) = 1 (4/52) * E(X) = 1 E(X) = 1 / (4/52) E(X) = 13 Also muss man im Durchschnitt 13 Karten aufdecken, bis das erste Ass erscheint.

Ein falsches Ergebnis, wie zu erwarten war.

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Wo liegen die Grenzen der künstlichen Intelligenz?

Wenn wir die künstliche Intelligenz messen wollen, dann sind wir zurückgeworfen auf die menschliche Intelligenz. Diese wird durch den Intelligenzquotienten nur unzureichend abgebildet.

Der Maßstab

Ich wähle einen anderen Maßstab. Ich frage danach, wie es mit dem Aufgabenlösen, dem Problemenlösen und dem Erfinden steht. Das ist eine grobe Skala, geordnet nach steigendem Anspruch.

Bei einer Aufgabe sind das Ziel und auch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels bekannt. Beispiel: Aus einem 8-Liter-Krug voller Wein sind 4 Liter abzufüllen. Verfügbar sind aber zusätzlich nur ein 3-Liter-Krug und ein 5-Liter-Krug.

Auch bei einem Problem kennen wir das Ziel. Aber es gibt Hindernisse auf dem Weg zum Ziel. Beispiel: Ein gut durchmischter Kartenstapel mit 52 Karten und vier Assen wird nacheinander Karte für Karte aufgedeckt. Wie viele Karten muss man im Mittel aufdecken, bis das erste Ass kommt?

Eine Erfindung tritt schlagartig ins Bewusstsein, gefolgt von der Entdeckung, welches Problem dadurch gelöst wird. Beispiel: Telefon. Gray und Bell haben rein zufällig die Lösung für ein Problem gefunden, das sie eigentlich gar nicht hatten.

Das Belohnungssystem

Aufgaben und Probleme erzeugen Spannung. Der Lösungsprozess ist mühsam und anstrengend. Was bewegt uns dazu diese Mühsal auf uns zu nehmen? Dahinter steckt unser körpereigenes Belohnungssystem. Je größer die Anstrengungen waren, umso größer ist die Belohnung: Der Heureka-Moment geht mit der Ausschüttung von Glückshormonen einher. Und je größer die Mühsal war, desto größer ist schließlich das Glücksgefühl.

Beim Erfinden scheint dieses Belohnungssystem zu versagen. Als Elisha Gray erkannte, dass er mit seinen Apparaturen telefonieren kann, hat das den Profi zunächst nicht weiter interessiert. Er war ja auf der Suche nach dem Mehrfachtelegrafen, genauso wie Alexander Graham Bell. Dieselbe Beobachtung veranlasste den Spracherlehrer und Hobbyerfinder Bell, die Sache intensiv weiter zu verfolgen. So gewann er das Wettrennen um das Telefonpatent.

Viele Erfindungen haben eine Vorgeschichte, in der irgendetwas schief gelaufen ist. Gern zitiertes Beispiel ist die Entdeckung des Penicillins. Das nenne ich die schöpferische Kraft des Fehlers.

Was versprechen die Vorreiter der künstlichen Intelligenz?

Ich beginne mit einer Selbstauskunft von ChatGPT, dem neuesten Schrei auf dem Gebiet der KI:

Als künstliche Intelligenz hat ChatGPT mehrere bemerkenswerte schöpferische Leistungen erbracht…
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass ChatGPT eine künstliche Intelligenz ist und seine kreativen Leistungen auf der Verarbeitung großer Datenmengen und statistischer Muster basieren. Obwohl seine Texte oft beeindruckend kreativ erscheinen können, fehlt ihm das eigentliche Verständnis oder Bewusstsein, das bei menschlicher Kreativität vorhanden ist. Die Ergebnisse können daher manchmal unvorhersehbar oder inkonsistent sein.

Vor etwa 20 Jahren war noch mehr Zuversicht zu spüren. Der große Moment, in dem die Maschinen den Menschen an Intelligenz überflügeln und die kulturelle Evolution übernehmen, Singularität genannt, wurde für 2023, also für heute vorhergesagt. Zu merken ist davon nichts. Die Erwartungen sind erneut in die Zukunft verschoben.

Werden die lernenden Maschinen den Durchbruch bringen? Was den Stand der Dinge angeht, orientiere ich mich am Buch The Master Algorithm von Pedro Domingos.

Maschinelles Lernen

Beim maschinellen Lernen unterscheidet Domingos fünf Schulen:

1. Die Symbolisten testen viele Lösungsansätze mit rein logischen Mitteln auf Tauglichkeit. Typische Anwendung: Toxische Molekülstrukturen lassen auf unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten schließen.

2. Die Konnektionisten arbeiten mit neuronalen Netzen. In der Trainingsphase werden deren Verknüpfungsparameter mittels Versuch-und-Irrtum oder Backpropagation solange variiert, bis das Netz das gewünschte Verhalten zeigt. Typische Anwendung: Mustererkennung.

3. Die Evolutionisten lassen verschiedene Lösungsvorschläge miteinander konkurrieren. Wer dem vorgegebenen Ziel näher kommt als andere, der überlebt im Selektionsprozesss. Durch Mutationen und Crossing-Over werden immer neue Lösungsvarianten erzeugt. Typische Anwendung: Spamfilter.

4. Die Bayesianer reduzieren die Ungewissheit über einen Sachverhalt, indem sie Schritt für Schritt weitere Erkenntnisse einbeziehen. Das gelingt mit der Formel von Bayes. Typische Anwendung: medizinische Diagnosen.

5. Die Analogisierer suchen nach Ähnlichkeiten zwischen Situationen. Daraus schließen Sie, dass ihnen dieselbe Ursache zugrunde liegen könne.

6 ChatGPT lässt sich, soweit ich sehen kann, keiner der fünf Schulen zuordnen. Der Name sagt, womit wir es zu tun haben: Generative vortrainierte Transformatoren. Auf der Basis eines riesigen Textkorpus werden in der Trainingsphase statistische Zusammenhänge für Satzbestandteile ermittelt. Auf Basis dieser Statistik erstellt das Programm themenbezogene Texte, die wie von Menschen gemacht und urheberrechtlich relevant erscheinen.

Was der KI (noch) fehlt

Die Systeme der Schulen 1 bis 5 lernen alle unter der Bedingung strikter Zielvorgaben. Vielleicht befähigt sie das dazu, Aufgaben und Probleme zu lösen. Der Mensch kann mehr: Entdecken und Erfinden des vollständig Neuen.

Die Texte von ChatGPT mögen neu sein, aber sie bewegen sich vollständig im Rahmen des vorab erfassten Textkorpus. Auf diese Weise können völlig neue Ideen nicht entstehen.

Fazit: Die KI ist zu bewunderungswürdigen Intelligenzleistungen fähig. Aber letztlich bleibt das maschinelle Denken in der vom Programmierer vorgegebenen Box. Erfindungen bringt es nicht zustande. Genau dort liegt derzeit die Grenze der KI. Was die Zukunft bringt: Wer weiß das schon?

Wie weiter?

Die großartigen Leistungen heutiger KI-Systeme und das hohe Entwicklungstempo lassen zukünftig wohl noch mehr übermenschliche Intelligenzleistungen erwarten. (Bereits Zuses Computer konnte 1941 schneller addieren und multiplizieren als jeder Mensch.) Jedoch: Die Singularität, also der Zeitpunkt, an dem die Maschine den Menschen an Intelligenz überflügeln und die kulturelle Evolution übernehmen, ist vermutlich noch eine Weile hin.

Mathematik, Physik und Chemie vom Lehrplan zu streichen, ist jedenfalls keine gute Idee, auch wenn Computer viele Arbeiten auf diesen Gebieten viel effizienter erledigen als der Mensch. Das Erfinden scheint auch in naher Zukunft nicht in den Kompetenzbereich der KI zu fallen. Für die richtige Einordnung einer Entdeckung benötigt der Mensch viel Wissen und die Fähigkeit, auch verdeckte
Analogien zu erkennen.

Übrigens: Man muss im Mittel 10,6 (53/5) Karten aufdecken, bis das erste Ass erscheint und nicht etwa 13 (52/4), wie Chat GPT am 26.7.23 behauptet hat. Die Antwort auf das Weinabfüllrätsel beginnt die Quasselstrippe so:

Schritt 1: Den 8-Liter-Krug mit Wein füllen. Schritt 2: Den Wein aus dem 8-Liter-Krug in den 5-Liter-Krug umfüllen (5 Liter verbleiben im 8-Liter-Krug)…

Als Spaß kann das gerade noch durchgehen.

Literaturhinweise

Pedro Domingos: The Master Algorithm. 2015

Timm Grams: Klüger irren – Denkfallen vermeiden mit System. 2016/2020

Zbigniew & Matthew Michalewicz: Puzzle-Based Learning. An introduction to critical thinking, mathematics, and problem solving. 2008

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Zufrieden leben im dummen Schwarm

Sie will einen Rock kaufen, in einem der großen Kaufhäuser Mannheims. Da hängt ein Rock, und noch ein Rock, und noch einer, und noch einer; es scheint nicht aufzuhören. Die Auswahl ist riesengroß. Wer Fulda und Schlitz gewöhnt ist, den kann hier schon der Mut verlassen. Der durch den Großstadtbetrieb konditionierte Mensch kann es vielleicht nicht verstehen: sie kapituliert und verzichtet auf den Rock.

Denken tut weh

Entscheiden in einer vielfältigen Welt ist anstrengend. Dem großstädtischen Wohlstandsbürger fällt es vielleicht nicht mehr auf, denn er ist ja trainiert und die Anforderungen gewohnt. Das Erlebnis in Mannheim führt mir aber schlagartig vor Augen, was wir uns eigentlich antun, um eine hochdrehende konkurrenzgetriebene Wirtschaft am Laufen zu halten.

Wir haben uns in der Demokratie eingerichtet und fühlen uns wohl dabei. Es erscheint unvorstellbar, dass es sich in Gesellschaften mit weniger individuellen Freiheiten glücklich leben lässt. Das üppige Konsumangebot und das ständige Wachstum haben ihren Preis, wie am verhinderten Rockkauf zu sehen ist.

Ratlosigkeit im Supermarkt: ca 10 Sorten Butter, eine eher noch größere Vielfalt beim Joghurt, von den Obstsäfte und Biersorten gar nicht erst zu reden. Wir sind auf diese scheinbare Fülle konditioniert und kommen im Alltag ganz gut damit zurecht. Aber wehe, wir weichen von der Alltagsroutine ab, dann wird es anstrengend. Will man ausnahmsweise einmal keinen Hartkäse sondern Camembert, wird die Vielfalt zur Belastung.

Wir, die wir uns in demokratischen Gesellschaften behaglich eingerichtet haben, können uns nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die totalitäre oder autokratische Systeme bevorzugen. Die aber gibt es augenscheinlich. Ist es etwa nicht gut, wenn einem jemand Entscheidungen und die Verantwortung dafür abnimmt?

Die Rolle der Erziehung

Ich habe meine Kindheit in der DDR erlebt. Gelernt haben wir, das Gemeinschaftseigentum hoch zu schätzen. Ich fühlte mich als Miteigentümer der Straßen und Häuser und auch des Landheims. Das war ein gutes Gefühl. Ich fand es schön, in der Gemeinschaft aufgehoben zu sein.

Dann erwachte mein Eigensinn. Durch die Verwandtschaft im Westen kam der Blick auf die dort verfügbaren Güter. Das Ideal der Gemeinschaft wurde in meinem Kopf durch die mangelhafte sozialistische Praxis verdrängt. Aber in Erinnerung bleibt dennoch, dass das Gemeinschaftsdenken gegenüber dem Individualismus sehr attraktiv sein kann.

Dumme Schwärme

Denkfaulheit, Entscheidungs- und Verantwortungsscheu sind gut für Autokratien.

Im Artikel über über den Schwarm habe ich den kühnen und unbelegten Verdacht geäußert, dass auch die Schwarmbildung im Tierreich unter anderem an der „Denkfaulheit“ liegen könnte.

Wir bleiben bei den menschlichen Gesellschaften.

Buch und Film Fahrenheit 451
handeln von einer mit Hilfe von Reality Shows und Mitmachfernsehen paralysierten Gesellschaft. Die Leute hocken dämlich aber glücklich vor ihren Bildschirmen – eine Dystopie, die ich nach einigem Überlegen gar nicht mehr so schwarzseherisch fand. Ich fragte mich: Was ist denn an einer bücherlosen Welt so schlimm, wenn die Menschen vor ihren Bildschirmen glücklich sind? Nach weiterem Überlegen fand ich dann heraus, dass es doch schlimm ist. Zwischenzeitlich habe ich etwas von der Verführungskraft der Autokratie erfahren. Populismus und die identitären Bewegungen in den USA, in Frankreich bei uns in Deutschland, in der Türkei, in Polen, in Ungarn lassen sich nicht leicht abtun. Es ist eben bequem, das Denken, die Entscheidungen und die Verantwortung anderen zu überlassen.

Die Russen und die Freiheit

Ob wir wollen oder nicht: jeder von uns sieht sich gezwungen, die ungeheuerlichen Ereignisse in der Ukraine irgendwie einzuordnen. Vielleicht hat die Zustimmung des russischen Volkes zum Putinregime und zum Krieg in der Ukraine tatsächlich etwas mit Schwarmverhalten zu tun. Der Spiegel schreibt: Den Russen hat Freiheit immer Angst gemacht (Der Spiegel, 28/8.7.2023).

Im Interview sagt der Philosoph Alexander Zipko:

Die Russen haben die niedrigste Form der Selbstorganisation in Europa. Freiheit mag anziehend sein, macht aber auch Angst. Dem russischen Menschen hat sie immer Angst gemacht. In der Demokratie geht es um Wahlmöglichkeiten, um Alternativen, um den Wettbewerb von Ideen. Das Schrecklichste für einen Russen ist, nach Alternativen zu suchen.

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Wertegeleitete Außenpolitik

Die UN-Menschenrechtserklärung ist ein Produkt der westlichen Aufklärung. Im ersten Artikel heißt es:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.

Die Individualität ist das erste Element unserer Gesellschaft. Das ist das Fundament der abendländischen Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert.

Um das Zusammenleben mit anderen Menschen und den Interessenausgleich zu organisieren, ist die Demokratie die beste politische Lebensform. Diese Auffassung vertritt Volker Gerhardt im DLF-Gespräch. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Bürger der westlichen Welt, die diese Organisationsform mehrheitlich akzeptieren, wie die Wahlbeteiligungen zeigen. Er greift weit darüber hinaus und meint, dass die Demokratie die einzige angemessene politische Organisation der Menschheit sei, also auch für die Menschen, die diese politische Lebensform noch nicht übernommen haben.

Der Ausbreitungsprozess der Demokratie geht von der individuellen Existenz aus und wird, so Gerhardt, bei der gesamten Menschheit enden, das sei die „Entgrenzung der Demokratie“. Ich habe da so meine Zweifel: Dieser Ausbreitungsprozess hat noch nicht einmal die Hälfte der Menschheit erfasst, er ist ins Stocken geraten und zur Zeit sogar rückläufig.

Die aktuelle Lage in Mali zeigt, wie weit Wollen und Vermögen auseinanderklaffen. Es ist wieder einmal eine UN-Mission im Namen der Menschenrechte gescheitert. Wenn man sich fragt, warum der Westen sich hier so ins Zeug gelegt hat, fallen die großen Rohstoffvorkommen und die im Gegensatz dazu bettelarme Bevölkerung auf.

Was den Skeptiker stört, ist die Auffassung, dass wir im Westen das allein richtige Wertesystem haben. Ich kann mir denken, dass einige der Kriege auf dieser Erde auf diese Überleblichkeit zurückzuführen sind und dass diese Anmaßung dazu dient, wirtschaftliche Interessen zu kaschieren.

Annalena Baerbock vertritt eine wertegeleitete Außenpolitik. Ich halte das für verhängnisvoll. Das heißt nichts anderes, als dass das Programm, von dem Volker Gerhardt nur spricht und schreibt, in praktische Politik umgesetzt wird: Missionierung oder gar Bekämpfung der Andersdenkenden. Die europäische Aufklärung wird zum Maß des Guten für alle Menschen.

Das Miteinander der Nationen wird dadurch nicht leichter. Über nationale Interessen kann man verhandeln, über Werte nicht. Es ist kein Wunder, dass sich unsere Außenministerin in China einen Rüffel abholte. Ihr Amtskollege Qin Gang entgegnete ihren offenen Worten zum Thema Menschenrechte so: „Was China am wenigsten braucht, sind Lehrmeister aus dem Westen.“

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Rassismus und Gendersprech

Denkfallen aufspüren, das ist mein Ding. Besonders aufregend finde ich Paradoxien. Schön, wenn sie mir selbst auffallen und ich nicht durch andere draufgestupst werden muss.

Es ist paradox: Der Antirassismus fördert den Rassismus.

Erstes Erlebnis:
Heute beim türkischen Italiener mit dem vielleicht besten Eis der Stadt. Ein dunkelhäutiges Paar mit zwei sehr lauten Kindern kauft Eis für die Straße und nimmt Platz. Ich will einen von einem Freund empfohlenen Vortrag mit dem Handy hören, über Kopfhörer. Es ist unmöglich, wegen der lärmenden Kinder. Die Wirtin wird ungedudig. Jede weiße Familie wäre längst rausgeflogen. Schließlich wagt sie es doch, darauf hinzuweisen, dass die Sitzgelegenheiten für Gäste sind, die bedient werden wollen. Der Dunkelhäutige begehrt auf. Abgesehen davon, dass es nicht meine Aufgabe ist, hätte ein Einschreiten meinerseits locker als Rassismus durchgehen können. So wird der Kampf gegen den Rassismus zu Rassismus.

Zweites Erlebnis:
Im Blog Menschenbilder von Stefan Schleim werde ich als Rassist beschimpft, nur weil ich den Buddhismus im Zusammenhang mit dem Thema Das fünfte Welträtsel: Bewusstsein nicht erwähnt habe. Das ist eine für den Rassismus typische Stereotypisierung.

Herr Prof Grams macht mit seiner Esoterik-/Querdenker-Zielsetzung nicht nur das wissenschaftliche Denken lächerlich. Man muss ihm zusätzlich auch noch kulturellen ´Rassismus´ vorwerfen (mir fällt kein besserer Begriff ein). […] Weil Herr Prof. Grams mit keinem einzigen Wort auf diese gut bekannte Sichtweise des Buddhismus eingeht – wird das kulturelle Wissen der Buddhisten vorsätzlich ignoriert. Denn es sollte sich mittlerweile sogar bis Fulda herumgesprochen haben, dass es die buddhistische Philosophie gibt – und was da gelehrt wird.

Drittes Erlebnis:
Eine neue Form des Rassismus kommt gerade aus jener Ecke, in der man den Rassismus klassischer Prägung vehement ablehnt. Gendern ist dort angesagt. Nehmen wir als Beispiel die Doppelnennungen wie Besucher und Besucherinnen. Sie rücken das biologische Geschlecht in den Vordergrund. Der Nebeneffekt ist Ausgrenzung. Ein Freund schreibt mir:

Binär und non-binär existieren wohl annäherungsweise in einem Verhältnis von 90 zu 10. In der Ethnologie eigentlich längst bekannt. Transmenschen als Angehörige der Gruppe der: Hijra u.a. Drittes Geschlecht in Indien seit 2014 anerkannt. Was ist daran so schwer, dies auch in der Sprache zu respektieren?

Beim eigentlich verpönten generischen Maskulinum (Besucher) und beim geschlechterübergreifenden Femininum (Koryphäe) spielt das biologische Geschlecht keine Rolle. Wer beim generischen Maskulinum und beim geschlechterübergreifenden Femininum bleibt, der hat diese Probleme der Ausgrenzung nicht.

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Eine problematische Denksportaufgabe

Nehmen wir an, eine Spaghetti zerbricht auf zufällige Weise in drei Stücke. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich aus diesen drei Stücken ein Dreieck legen lässt?

Ich nenne die Denksportaufgabe problematisch, weil die Bedingungen für das Zerbrechen unklar sind. Deshalb ergänze ich die Aufgabe folgendermaßen: Die möglichen Tripel aus den Längen der Bruchstücke x, y und z sind gleich wahrscheinlich.

Die Aufgabe ist nicht ganz leicht. Aber sie macht Spaß. Bitte fügen Sie Ihren Lösungsvorschlag als Kommentar hinzu. Sie können ein Bild einbinden.

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Skeptikerbewegung – Reformgrund Identitätspolitik?

Das Spannungsfeld

Die heutige Skeptikerbewegung wird getragen von der Überzeugung, dass es nur eine Wahrheit gibt und dass uns die Wissenschaft dazu verhilft, dieser Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Dieser Anspruch ist universell. Er umfasst auch das Gebiet der Moral und die Frage, was das Bewusstsein eigentlich ausmacht. Die übliche Trennung von Sein und Sollen und auch das fünfte Welträtsel Bewusstsein werden negiert oder zumindest ausweichend behandelt. Das ist das Wesen des Szientismus.

Bei meinem Eintritt in die GWUP im Jahr 2006 war ich noch ziemlich szientistisch eingestellt. Die Skeptikerbewegung hat mir – unfreiwilligerweise – dabei geholfen, diese Einstellung zu überwinden, einfach indem sie mir das Extrem dieser Denkweise vor Augen geführt hat.

Die Schwierigkeiten rühren daher, dass das Tätigkeitsfeld der Skeptikerbewegung, die Parawissenschaften, zu eng und dabei zu unscharf abgesteckt ist. Wer will sich schon jahrein, jahraus über Homöopathie und Astrologie ereifern? Und weshalb sollte man die Religionen den Parawissenschaften zuordnen?

Bei meinem Austritt nach 15 Jahren Mitgliedschaft drückte ich im Aufsatz Skeptiker trifft auf Skeptikerbewegung die Erwartung aus, der GWUP würde es im Laufe der Zeit gelingen, die enge szientistische Denkweise hinter sich zu lassen. Die von mir erhoffte Reformierbarkeit wurde von Edgar Wunder, einem frühen Dissidenten, „aus den im ‚Skeptiker‘-Syndrom dargelegten strukturellen Gründen dezidiert verneint“.

(Die Aufsätze Skeptiker trifft auf Skeptikerbewegung und Das Skeptiker-Syndrom sind in der Aufsatzsammlung Wissenschaft, Glaube, Wissenschaftsglaube zu finden.)

Es knirscht im Gebälk

Auf der letzten Mitgliederversammlung des Vereins hat sich eine interessante Entwicklung ergeben, die die Hoffnung auf einen Wandel wieder aufkeimen lässt. In die Skeptikerbewegung kommt tatsächlich Bewegung.

Ein Streit hat sich an der Frage entzündet, wie mit der Zeitgeistströmung, Identitätspolitik genannt, umzugehen sei.

Florian Schwarz beleuchtet die Szenerie unter der Überschrift Wokeness ist letztlich eine anti-wissenschaftliche Weltanschauung: Identitätspolitik unterteile die Menschheit anhand von bestimmten Merkmalen in Gruppen und betone deren Unterschiede und ihre dadurch angeblich definierten besonderen Identitäten. Er schreibt:

Wokeness geht von folgenden Prämissen aus: Wissen ist nicht das, was wir an Erkenntnissen über die Realität sammeln, indem wir unsere Ideen, Vorstellungen, Hypothesen an ihr testen und dann korrigieren und anpassen. Wissen ist vielmehr ein soziales Konstrukt. Gruppen, die sich durch verschiedene Eigenschaften auszeichnen – etwa die ethnische Herkunft, die Kultur, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder Identität – machen ihre eigenen Erfahrungen und verfügen deshalb über ein eigenes spezifisches Wissen. Da andere Gruppen nicht dieselben „gelebten Erfahrungen“ machen, können sie dieses Wissen nicht infrage stellen. Jede Gruppe kann also für sich ihre eigene Wahrheit beanspruchen, die akzeptiert werden muss. Selbst wenn sich das Wissen der Gruppen widerspricht. Zu entscheiden, dass eine Gruppe mit ihren Erfahrungen der Realität näher kommt als eine andere Gruppe, ist für Woke anmaßend und diskriminierend. Vor diesem Hintergrund hat etwa Neuseeland beschlossen, an Schulen das traditionelle, teils esoterisch-religiöse „Wissen“ der Maori zu lehren – als andere, aber gleichberechtigte Form des Wissens neben den naturwissenschaftlichen Fächern, die ja nur das „westliche“ Verständnis von Wissenschaft berücksichtigen.

Identitätspolitik und Szientismus stehen natürlich in einem fundamentalen Widerspruch zueinander. In einer Abwehrschrift seitens der „Skeptiker“ ist auch nicht von Identitätspolitik die Rede, sondern von Identitätsideologie (skeptiker 1/2021, S. 18-24). Aber es gibt offenbar eine Gruppe einflussreicher Mitglieder, die diese Art der Herabwürdigung politisch ablehnt. Der Streit ist wohl auch der Hintergrund für die Wahl des neuen GWUP-Vorstands. Überraschenderweise wurde nämlich nicht der vom scheidenden Vorsitzenden vorgeschlagene Kandidat gewählt, sondern ein Gegenkandidat. Da ist sogar von einem Putsch die Rede.

Der Ausweg

Es ist möglich, das Tätigkeitsfeld des Skeptizismus deutlich zu erweitern und gleichzeitig exakter abzugrenzen. Wir brauchen uns nur auf das zu konzentrieren, was den Skeptizismus von alters her ausmacht: der abgewogene Zweifel. So kommen wir zur Skepsis in weiten Grenzen. Skepsis ist durch die negative Methode charakterisiert: genau hinsehen, prüfen und Kritik üben.

Der Skeptikerbewegung steht ein riesiges Betätigungsfeld offen. Kritisches Denken ist ihr Geschäft, nicht das Erstellen kühner geistiger Bauwerke. Kluge und dumme Ideen, an denen der Skeptiker sich abarbeiten kann, gibt’s genug. Und er kann es sogar vor dem Hintergrund der Identitätspolitik tun. Jedenfalls gibt es für ihn keine Verpflichtung, sich zum Szientismus oder zur Identitätspolitik zu bekennen. Und – ich wage es kaum auszusprechen, weil es selbstverständlich ist – die empirische Wissenschaft ist ein wesentlicher Pfeiler der Kritik. Die Kritik macht vor Szientismus und Identitätspolitik nicht halt, sie ist aber nicht länger ideologisch versteift.

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Gendern: ein Exzellenzausweis im neuen Kastenwesen

Die Verabschiedung des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes fiel in meine Amtszeit als Gründungsdekan des Fachbereichs Elektrotechnik an der Fachhochschule Fulda. Eine der ersten Amtshandlungen war die Erstellung einer Prüfungsordnung. Uns im Gründungsfachbereichsrat war klar, dass wir mit dem generischen Maskulinum nicht durchkommen würden. Also stellten wir dem Ganzen eine Präambel voran, in der wir erklärten, dass durchweg das generische Femininum verwenden wird und dass die Männer folglich immer mitgemeint seien.

Das hat nicht funktioniert. Die amtierende Ministerin verdonnerte uns dazu, immer beide Nennungen zu verwenden also: Professorinnen und Professoren, Prüfer und Prüferinnen, Kandidatin und Kandidat. Erlaubt waren nur Doppelnennungen ohne Schrägstrich oder dergleichen.

Diese Umarbeitung der PO habe ich verweigert und die Überarbeitung dem Justitiariat überlassen. Das Ergebnis war wie erwartet: ein unlesbarer Text. Die Personal- und Demonstrativpronomen machten die meisten Schwierigkeiten. Mein damaliger Kommentar dazu: Unser Problem ist, dass viel zu wenige Studenten die Prüfungsordnung überhaupt lesen, zu viele von ihnen dann im Prüfungsprozess orientierungslos sind und aufgrund der Unkenntnis von formalen Bedingungen das Studium ohne Abschluss beenden müssen.

Es ist paradox: ein Gesetz gegen Diskriminierung führt zur Erhöhung von Zugangsbarrieren. Besonders lustig wurde es später, als uns empfohlen wurde, die Doppelnennung durch Verlaufsformen zu ersetzen, also statt von Studenten und Studentinnen von Studierenden zu sprechen. Das Unsinnige an dieser Regelung machte ich so deutlich: Unser Bemühen gilt doch, den Prozentsatz der Studierenden unter den Studenten möglichst zu erhöhen.

Der Protest der Betroffenen hat leider nichts gebracht. Jetzt, fast 30 Jahre später, sehe ich, dass der Quatsch auf die Spitze getrieben wird. Nach den heute propagierten Regeln gelingt das unfallfreie Gendern eigentlich nur äußerst sprachgewandten Personen, und denen auch nicht immer. Es ist ein Exzellenzausweis und Abgrenzungsmerkmal der gehobenen Kaste: Wer gendert, der trägt seine politische Gesinnung und Klassenzugehörigkeit wie eine Monstranz vor sich her.

Mit diesem Urteil stehe ich nicht allein: Heide Wegener beispielsweise schreibt:

Gendern dient der Imagepflege, es soll den Sprecher als woke, als progressiv ausweisen, und noch dazu als guten Menschen.

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Ansteckende Dummheiten

Anfangs habe ich die Beschäftigung mit Chatbots und dergleichen als Spielerei angesehen. Allmählich wird mir klar, dass es sich um gefährliche Spielzeuge handelt.

Damit lassen sich hochwirksame Täuschungen erstellen, die über soziale Netzwerke viral gehen können. Künstliche Intelligenz und Internet ermöglichen ansteckende Dummheiten. Jedermann kann bei der Erzeugung solcher Dummheiten mitmachen. Die dafür nötigen Instrumente sind allgemein verfügbar, teilweise sogar kostenlos.

Wie sich solche Dummheiten mit ChatGPT erzeugen lassen, haben wir in den letzten Artikeln sehen können. Manchmal reicht es, Kunstwerke neu zu interpretieren, und schon ist die Dummheit in der Welt und kann ihren Siegeszug antreten.

Im Freundeskreis macht ein erstaunliches Video die Runde. Dazu gibt es die folgende Erklärung:

Das Video wurde über dem Polarkreis genau zwischen der kanadischen und Alaska-Russischen Grenze gedreht. Es dauert nur ein paar Sekunden, aber es ist wunderschön, dieses Phänomen kann man nur einmal im Jahr für 36 Sekunden sehen. Der Mond ist da der Erde am nächsten, er erscheint und verschwindet sofort wieder, wirklich erstaunlich bis zur Unwirklichkeit. Er ist so nah, dass es aussieht, als würde er die Erde treffen, dann gibt es eine Sonnenfinsternis, die 5 Sekunden dauert und in diesem Moment alles dunkel wird. Dieses Phänomen tritt nur am Perigäum auf (an dem Punkt, an dem der Mond der Erde am nächsten ist) und dort können wir die enorme Geschwindigkeit sehen.

Dass ein solches Machwerk viral geht, kann ich mir nur so erklären, dass viele es für ein Abbild der Realität halten, denn mit computergenerierten Bildern sind wir ja eigentlich schon übersättigt, so dass sich Teilen nicht lohnt. Der „Totentanz“ der Planeten aus Melancholia ist viel eindrucksvoller als der hier fingierte Aufgang und Untergang des Mondes.

Dabei ist die Täuschung in diesem Fall leicht zu entdecken: Der Mond scheint sich, von der Erde aus gesehen, zu drehen, was bekanntlich unmöglich der Fall sein kann. Eine Sonnenfinsternis ist nur bei Neumond möglich und nicht bei Vollmond. Der Wechsel von Voll- zu Neumond dauert überall auf der Erde gleich lang, etwa 15 Tage und nicht etwa nur Sekunden. Video und Erklärtext strotzen von solchen Skurrilitäten. Es muss sich um ein computergeneriertes Werk handeln. Erst der Begleittext macht dieses Werk zu einer Täuschung. Ein Jux? Ein Test auf Leichtgläubigkeit? Wer weiß?

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Kritische Gedanken zur Landesgartenschau Fulda 2.023

Wozu macht man das?

Gartenschauen sind erstens Leistungsschauen des Gartenhandwerks und zweitens dienen sie der Volksbelustigung. Die dafür bereitgestellten Fördermittel von Stadt, Land und Bund sollen drittens eine dauerhafte Verbesserung der Stadtlandschaft bewirken und viertens ist die LGS für die Stadt Tourismuswerbung. Diese Zielsetzungen bilden den positiven Hintergrund dessen, der sich der Gartenschau in kritischer Grundhaltung nähert.

Aktuell

Gerade wurde die Landesgartenschau eröffnet. Hier mein erster Eindruck: Ich sehe, dass die LGS schöne Fleckchen zu bieten hat. Es gibt vier, zum Teil riesig große insgesamt etwa 60 Fußballfelder (42 ha) umfassende, abgegrenzte Gebiete – viel Zaun und wenig Durchlass. Wer gewohnt war, diese Gebiete im Westen und Süden von Fulda für zwanglose Spaziergänge zu nutzen, der wird sich einiger Erholungsmöglichkeiten beraubt sehen. Mit einer Jahreskarte kann er den Verlust mindern. Er hat dann auch Zugang zu zusätzlichen Highlights. Leider wird er sich, wegen der kilometerlangen Zäune rundherum und der geringen Anzahl an Zu- und Ausgängen, des Gefühls eines Hofgangs nicht gänzlich erwehren können.

Blick zum FuldaAcker

Eröffnung, erster Rundgang

Es beginnt mit dem wechselseitigen Schulterklopfen der Nomenklatura. Das muss wohl sein. Dann mache ich meinen ersten Rundgang. Wassergarten und Kulturgarten sind erfreulich, schöne An- und Durchblicke. Leute, die betonierte Gärten, Pflaster und Blumen in Töpfen und Kästen lieben, werden begeistert sein. Dann komme ich zum westlichsten Teil: FuldaAcker. Es ist wie in The Thirteenth Floor: Ende der Simulation. Nur noch Drahtgittermodell. Und kein Entkommen. Es ist zu hoffen, dass die Simulation bis zum Sommer noch fertig wird.

Förderung aus der Distanz

Das Problem bei solchen Großveranstaltungen ist, dass der Bürger die Kosten nicht sieht. Ihm wird der Eindruck vermittelt, alles sei ein Geschenk der Stadt und des Landes. Grob gerechnet werden für diese LGS von Stadt und Land etwa 30 Mio. € eingebracht. Der Kartenverkauf soll ca. 10 Mio. € bringen. Dem Bürger wird vorgegaukelt, dass nicht er es ist, der die ganze Rechnung bezahlt. Aber genau das muss er tun: die Zeche zahlen.

Ganz verrückt wird es, wenn beipielsweise die Förderung von Wanderwegen aus Brüssel kommt. Ich kann mich an die feierliche Eröffnung eines Radwanderwegs erinnern, der die Bürgermeister der Anrainerstädte und die Landräte von zwei Landkreisen beiwohnten. Auf dem Flyer zum Tage waren alle Prominentenköpfe präsent. Ich wollte diesen Radwanderweg auf der Heimfahrt durch den Gieseler Forst nutzen und musste feststellen, dass die Radwegemarkierungen nur so weit reichten, wie sie von der Straße aus zu Fuß leicht zu erreichen waren. Die beauftragte Firma hat es sich wohl bequem gemacht: Ausschilderung des Radwegs mittels Auto. Auf der Höhe des Gieseler Forstes habe ich mich dann total verfranst.

Vor Jahren wurde ein einst schöner und in die Jahre gekommener Platz neu gestaltet. Ich fand die Umgestaltung gewalttätig und fragte, ob das nötig gewesen sei. Ja doch: Man habe Fördergelder beantragt, bekommen und jetzt verbauen müssen.

Diese Erlebnisse haben meine Meinung zu Fördergeldern aus Wiesbaden, Berlin oder Brüssel geprägt.

Woher die massenhafte Begeisterung?

Was bringt die Menschen der Stadt dazu, trotz der eigentlich offensichtlichen Mängel, eine Gartenschau euphorisch zu begrüßen? Ich stelle es mir so vor: Es ist das Gefühl, Teilhaber an einer großen Sache zu sein. Das hat wohl etwas mit der Psychologie der Massen zu tun: In der Masse ist jedes Gefühl, jede Handlung übertragbar, und zwar in so hohem Grade, dass der Einzelne sehr leicht seine persönlichen Wünsche den Gesamtwünschen opfert (Gustave Le Bon, Psychologie der Massen, 1895/2009, S. 36).

Wie damit leben?

Ich will, wenn möglich, jeden Tag auf die LGS gehen. Missmutig werde Sie mich dort nicht sehen. Ich erfreue mich nämlich an den vielen schönen Dingen, die es dort zu erleben gibt. Für mein Seelenleben nehme ich mir vor allem das Positive vor. Und es ist selbstverständlich, dass ein auswärtiger Besucher die Landesgartenschau Fulda ganz anders sieht als ein Anlieger mit kritischem Blick.

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