Wer will Krieg?

Der Überfall Russlands auf die Ukraine, der Hamas-Anschlag auf Israel: ein Krieg ist entstanden, und ein weiterer ist dabei, sich zu entwickeln. Die Anführer der Angreifer wollen Krieg. Offensichtlich. Nur die? Und warum?

In der nun fast 80 Jahre dauernden Friedenszeit in Europa sind wir beseelt von dem Gedanken, dass kein Mensch Krieg will. Uns ging es ja gut dabei. Aber das geht vorbei. Wir erleben eine Zeitenwende.

Wer sind die Propagandisten und Manipulanten, die unsere Aufmerksamkeit unsere Emotionen steuern? Gerade in Kriegszeiten ist Durchblick gefragt. Diese Sprüche können helfen, den Schleier zu lüften:

  • It’s the economy, stupid.
  • Wem nützt es? (Cui bono?)

Als wesentliche, immer wieder zu beobachtende Auswirkungen von Kriegen und somit als Kriegsziele sieht Henrik Paulitz in seiner „Anleitung gegen den Krieg“ unter anderen (2016, 3. Aufl. 2019):

  • Profite für Rüstungskonzerne und verbundene Großbanken
  • Ressourcenkontrolle, d.h. die künstliche Verknappung natürlicher Ressourcen (u.a. Erdöl, Erdgas, Mineralstoffe), um Rohstoffpreise auf hohem Niveau zu stabilisieren
  • Profite durch Geschäfte mit dem „Wiederaufbau“
  • Erzwingung von Marktöffnungen und Fernhandelsbeziehungen im Interesse der Konzerne

Diese Auflistung hilft bei der Beantwortung der Frage: Wer profitiert? Sie sagt aber nicht, ob der Profiteur diese Auswirkungen auch beabsichtigt.

Wer allein aus dem Vorhandensein eines Zusammenhangs auf die Verursachung schließt, läuft Gefahr, in eine Denkfalle zu tappen. Aber genauer hinschauen lohnt sich. Für mich haben Vereine wie LobbyControl und Abgeordnetenwatch an Bedeutung gewonnen.

Die genannten Punkte helfen unter anderem, die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipeline und die Lobbyarbeit der Rüstungsindustrie richtig einzuordnen. Martin Reyher schreibt für Abgeordnetenwatch (02.12.2022):

Der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin will die Bundeswehr mit dem Kampfjet F-35 ausstatten. Unter fragwürdigen Umständen konnte das Unternehmen kürzlich im Abgeordnetenrestaurant des Bundestags für seine Anliegen werben. Eingefädelt hatte die Lobbyveranstaltung ein Abgeordneter der SPD – die Bundestagsverwaltung fühlt sich von ihm hinters Licht geführt.

Was mir in der Liste der Kriegsziele fehlt ist der religiöse und weltanschauliche Eifer, der für die genannten Ziele möglicherweise instrumentalisiert wird. Wer kann schon ausschließen, dass vieles, was als tiefe Überzeugung daher kommt, tatsächlich nur auf Emotionalisierung und Propaganda beruht.

Gott der Herr sprach über Mose (2. Mose 3,8) zu seinem Volk:

Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Land in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt.

Gott macht auch klar, dass diese Verheißung nicht ohne Krieg in Erfüllung gehen wird und er verspricht Beistand (2. Mose 23,27):

Ich will meinen Schrecken vor dir her senden und alle Völker verzagt machen, wohin du kommst, und ich will geben, dass alle deine Feinde vor dir fliehen.

Danach bietet Gott noch Kriegslisten wie diese hier (2. Mose 23,28-29):

Ich will Angst und Schrecken vor dir her senden, die vor dir her vertreiben die Hewiter, Kanaaniter und Hethiter. Aber ich will sie nicht in einem Jahr ausstoßen vor dir, auf dass nicht das Land wüst werde und sich die wilden Tiere wider dich mehren. Einzeln nacheinander will ich sie vor dir her ausstoßen, bis du zahlreich bist und das Land besitzt.

(Hervorhebung nicht von mir, sondern in der Bibel.)

Blackrock und J.P. Morgan wollen beim Wiederaufbau der Ukraine mitmischen. Der eine verliert, der andere gewinnt. Selbstlosigkeit ist der Marktwirtschaft fremd.

Mit über 10 Billionen US-Dollar an verwaltetem Vermögen ist BlackRock der weltgrößte Vermögensverwalter, so die Wikipedia. Vermögensverwaltung heißt, Vermögen zu schützen, zu mehren und weiterzugeben. Offensichtlich steht der Profit im Zentrum der Anstrengungen. Wer in der Ukraine Claims absteckt, der will vor allem eins: verdienen. Das erinnert mich an den Film Jenseits von Eden und den gescheiterten Kriegsgewinnler Cal, gespielt von James Dean.

Mir geht es in diesem Beitrag einzig um Mechanismen. Schuldzuweisungen liegen mir fern.

Nachtrag. Slavoj Žižek auf der heutigen Buchmesse Frankfurt:

„Ich verurteile den Angriff der Hamas auf die Israelis ohne Wenn und Aber. Ich gebe Israel auch das Recht, sich zu verteidigen und die Bedrohung zu zerstören“, setzte Žižek an. Sobald man aber den Hintergrund analysiere, gerate man in Verdacht, den Terrorismus unterstützen zu wollen, fuhr er fort

Die Rede wurde durch Zwischenrufe unterbrochen. Der Vorwurf der Relativierung wurde laut. So schlitterte die Eröffnung der Buchmesse knapp an einem Skandal vorbei. Eine solche Verengung der Diskussion halte ich für verhängnisvoll.

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Blickumkehr

Peter Scholl-Latour ist vor nun neun Jahren gestorben. Sein Buch Die Welt aus den Fugen von 2012 ist mir erst jetzt in die Hände gekommen (14. Auflage 2022). Da es viele Themen anspricht, die auch in diesem Hoppla!-Blog behandelt worden sind, werde ich Passagen aus dem Werk wiedergeben und den Zusammenhang herstellen. Zur Einstimmung zitiere ich aus einer Amazon-☆☆☆☆-Kritik (4.11.2012):

Das Interessante auch an diesem neuen Buch Scholl-Latours sind die weiten Bögen die er spannt. Der Autor hat ein gutes Einfühlungsvermögen in kulturelle und religiöse Gegebenheiten und Zusammenhänge. Man spürt sein tiefes Interesse auch für die geschichtlichen Hintergründe. Dazu kommt, dass er seit Jahrzehnten mit vielen Konflikten dieser Welt vertraut ist. Ob man ihm in den verschiedenen Bereichen immer Recht gibt oder nicht – Scholl-Latour bietet guten Stoff, um über Gegenwart und Zukunft der Welt nachzudenken.

Wer den Frieden will, sollte sich auf den allgemeinen physikalischen Grundsatz von Actio und Reactio, das dritte Newtonsche Gesetz, besinnen. Das Reziprozitätsprinzip in den verschiedenen Ausprägungen gilt auch für das Zusammenleben der Menschen und Nationen. Die Blickumkehr und Erweiterung des Blickfelds hilft gegen Rechthaberei. Angesichts des Elends auf dieser Welt, heute gerade in der Ukraine, fällt uns diese Blickumkehr schwer. Die Erinnerung an die Erfahrungen und Einsichten des Peter Scholl-Latour können helfen, die Emotionen halbwegs im Zaum zu halten.

Mein vager Verdacht, dass es eine Sehnsucht nach Autoritäten gibt, wird durch Scholl-Latour konkretisiert. Gleich zu Beginn schreibt er (S. 22):

Man sollte sich nicht einreden, dass die Welt zwangsläufig auf eine liberale Gesellschaft zusteuert.

Wir Kinder der europäischen Aufklärung sehen das nach Selbstbestimmung strebende Individuum im Zentrum der Gesellschaft. Was aber, wenn das Individuum gar nicht souverän sein will?

Scholl-Latour bewegt uns zu einem Perspektivwechsel, weg vom freiheitssuchenden selbstbestimmten Individuum westlicher Prägung. Für maßgebend hält er den islamischen Philosophen Ibn Khaldun (Ibn Chaldūn) aus dem Spätmittelalter (S. 82):

In weiten Teilen der islamischen „Umma“ [Gemeinschaft der Muslime] ist heute die Hoffnung auf die Wiedererrichtung einer höchsten geistlichen und weltlichen Autorität lebendig geworden. „In Abwesenheit eines Propheten“, so dozierte Ibn Khaldun, als sich die „Zeit der Düsternis“ über die Völker des Orients senkte, „bedarf eine religiöse Gemeinschaft einer Person, die Autorität über sie ausübt und in der Lage ist, die Menschen zu zwingen, in Befolgung der offenbarten Gesetze zu leben.“

Andererseits war Ibn Khaldun ein Vertreter der islamischen Aufklärung und Vorbereiter moderner soziologischer Denkweisen.

Unter US-amerikanischer Ägide macht sich unsere Außenministerin für die weltweite Verbreitung der Menschenrechte und der parlamentarischen Demokratie stark. Ein Perspektivwechsel im eben beschriebenen Sinne täte Annalena Baerbock gut. Wir haben ja genügend viele Beispiele, dass Missionierungen und Anstrengungen des Nation Building schrecklich schief gehen können. Dem Aufruf des Peter Struck vom 4. Dezember 2002, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, folgte im Jahre 2021 ein schmachvoller Rückzug. Die Bundeswehr beklagt 59 tote Soldaten. Die Menschenrechtssituation in Afghanistan hat all das nicht gebessert. Das war wohl absehbar. Scholl-Latour schreibt (S. 63):

Zur Stunde deutet alles darauf hin, dass nach Beendigung der ISAF-Mission das Regime des Präsidenten Karzai in Kabul binnen kurzer Frist zusammenbrechen wird. Am Hindukusch dürfte dann ein rigoroser koreanischer Gottesstaat entstehen und das Gemetzel der Stämme neuen Auftrieb finden.

Sogar im Westen kommen Zweifel auf, ob das volle Demokratie-Paket wirklich unverzichtbar ist: individuelle Freiheitsrechte, Gewaltenteilung und allgemeine, freie und geheime Wahlen. Wirklich notwendig ist die Möglichkeit eines gewaltfreien Machtwechsels. Und da schneidet China gar nicht so schlecht ab (S. 19):

Seit dem Tod Mao Zedongs hat der Wechsel in den obersten Führungsgremien im Abstand von vier Jahren ziemlich regelmäßig stattgefunden, was nach dem Ausscheiden des genialen Reformerd Deng Xiaoping immerhin eine gewisse Ausbalancierung der Tendenzen zu signalisieren scheint. Jedenfalls wäre hier der Vergleich mit der weltweit verbreiteten Alleinherrschaft von Militärdikatoren und Despoten, die sich zwanzig, dreißig, sogar vierzig Jahre lang an ihre Willkürherrschaft klammern, völlig unangebracht.

Heute würde Peter Scholl-Latour das möglicherweise nicht mehr in so rosigem Lichte sehen, denn 2018 ließ der amtierende Präsident Xi Jinping die Amtszeitbegrenzung aufheben, was ihm eine Amtsführung auf Lebenszeit ermöglicht.

Die Welt ist nicht schwarz-weiß.

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Wollen wir Gründe oder Wirkung?

Kommentar zum Artikel „Mehr Weltanschauung wagen? Waldorfpädagogik zwischen Kritik und Kurswechsel“ von Ann-Kathrin Hoffmann (skeptiker 3/2023, S. 108-114).

Wer den „skeptiker“ nicht in die Finger kriegt, dem gebe ich hier ein paar Auszüge aus dem Artikel, so dass er sich ein Bild machen kann.

Nicht nur sind diese anthroposophischen Praxisfelder [nämlich Pädagogik, Landwirtschaft, Medizin] im öffentlichen Bewusstsein heute präsenter als die dahinterstehende Epistemologie und Kosmologie, sie entfalten auch eine deutlich profanere Legitimations- und Anziehungskraft: „Sie funktionieren“, wie es von Praktikern und Konsumenten so oft heißt […]

Kurz: Man kann auch aus den falschen Gründen das Richtige tun.

Von den Eltern wählen nur rund 11% die Waldorfschule aufgrund der anthroposophischen Grundlage, etwa die Hälfte wegen des pädagogischen Konzeptes im Allgemeinen und knapp 20% schlicht aus Unzufriedenheit mit staatlichen Schulen […]

Während es bei der Debatte um anthroposophische Medizin zumeist um medizinische Fragen ging, standen in der medialen Diskussion der Waldorfpädagogik weniger die pädagogischen Ideen und Praktiken im Vordergrund als vielmehr die gesellschaftspolitische Positionierung der Schulen, ihrer Lehrkräfte und Eltern: berichtet wurde über die Kritik an Hygienemaßnahmen und ihre Nichteinhaltung über gefälscht oder ungenügende Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht, über Aufrufe von Eltern, Masken zu beschädigen, sowie über eine im Waldorf-Milieu verbreitete, grundsätzliche Kritik an Impfungen.

Die Sprache des Artikels ist mir fremd:

Zugespitzt lässt sich sagen, dass das Verhältnis von Individuum und Staat in den Fokus gerückt und hinsichtlich seiner politischen Implikationen thematisiert und problematisiert wurde – das Agieren dieser Akteure schien von gesamtgesellschaftlicher Relevanz.

Soviel krieg ich aber mit: Die GWUP, in deren Vereinsblatt skeptiker der Artikel erschienen ist, scheint sich von einem starren Wissenschaftsverständnis zu verabschieden, demzufolge sich beispielsweise die Homöopathie von ihrem Anfang an und allein aufgrund ihrer Begründung als Pseudowissenschaft einordnen lässt. Sie beruht nach damals vorherrschender Meinung auf Illusion und auf Annahmen, die mit der naturalistischen Ontologie nicht vereinbar sind.

Soweit ich verstanden habe, geht es heute darum, Theorie und Praxis besser auseinanderzuhalten. Eine ähnliche Bestrebung einiger GWUPler führte vor vier Jahren zu dieser Definition von Pseudowissenschaft: Als Pseudowissenschaften gelten

  1. metaphysische Aussagesysteme, die mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit auftreten und
  2. Disziplinen, die bereits widerlegte wissenschaftliche Aussagen weiterhin vertreten.

(Karl Raimund Popper folgend nennen wir Aussagen metaphysisch, wenn sie grundsätzlich nicht falsifizierbar sind.)

Alice Schwarzer bietet im Spiegel-Streitgespräch vom 11. Februar 2016 eine weitere Variation dieses Themas: „Mich interessieren Motive schon lange nicht mehr. Mich interessiert nur, was jemand tut.“

Der Artikel „Neurodoron: Ein anthroposophisches Medikament “ von Edzard Ernst (S. 119-122) zeigt einen weiteren diskussionswürdigen Punkt des GWUP-Codex auf: Bei der Wirkung von Heilmitteln wird auf Evidenz viel Wert gelegt.

Nehmen wir einmal an, dass die Verbesserung der Symptome, gemessen oder subjektiv geäußert, etwas über die Wirkung eines Medikaments aussagt. Was sich vermutlich nicht so leicht klären lässt, ist, ob die Wirkung physische oder psychische Ursache hat. Wer will und kann wirklich ausschließen, dass die Trommelei und Tanzerei des Schamanen heilende Kräfte im Körper des Patienten weckt?

Wer sagt denn, dass die Weledaartikel nicht wirken, dass die Potenzierung dem, der daran glaubt, nicht hilft? Ganz falsch ist der Satz „Wer heilt, hat Recht“ meines Erachtens nicht.

Gerade die Fortschrittsapologeten und Verfechter des Wirtschaftens im westlichen Sinne lehnen solche „unrealistische“ Begründungen ab. Für mich ist das paradox, denn: Unsere wachstumsorientierte Art zu leben gründet wesentlich auf Propaganda, beschönigend Public Relations genannt.

Die Produkte werden eingekleidet in Versprechungen, was dazu führt, dass wir keine Produkte kaufen, sondern Lebensgefühl. Die Ursache-Wirkungsketten verlaufen von der Werbung über den Geist der Adressaten hin zum Markt.

Da gibt es den SUV mit über 500 PS und bis zu 280 km/h schnell. Wege, für die man ein solches Fahrzeug brauchen könnte, gibt es nicht oder man darf sie nicht befahren. Zwischen der physikalischen Wirklichkeit und dem Hochgefühl, das den Käufer beseelt, gibt’s keinen direkten Zusammenhang. Der Ursache-Wirkungszusammenhang nimmt seinen Weg über Emotionen und Unvernunft des Käufers, über den Geist also. Wir sehen: Der gewitzte Werbemann verkauft keine Autos, er verkauft Potenz.

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Demokratie oder Plutokratie?

Der Stern vom 07.09.23 stellt den Biographen der Visionäre ins Zentrum: Walter Isaacson. Vorgestellt wird dessen neuestes Buch über Elon Musk. Isaacson schrieb bereits Biografien über Steve Jobs und Jeff Bezos. Der Stern-Artikel gibt einen Eindruck davon, aus welchem Stoff diese Leute gemacht sind und dass sie für ihren Erfolg nahezu grenzenlosen Wirtschaftsliberalismus brauchen. Den bieten ihnen die USA.

Die Visionäre

Wir finden es großartig, was diese Leute so leisten: Sie bescheren uns den Personal Computer, das Mobiltelefon, den freien und weitgehend kostenlosen Zugang zu den Informationen dieser Welt über das Internet. Sie erschließen uns die üppige Welt des Konsums und den bequemen Einkauf per Mausklick. Nebeneffekte wie die Verödung der Innenstädte, die Verrohung des Umgangs miteinander und den Verlust der informationellen Selbstbestimmung nehmen wir schulterzuckend in Kauf.

Überall auf der Welt regiert das Geld. Wenn es anderswo ist, nennen wir es Oligarchie. Ich habe immer wieder den Verdacht geäußert, dass auch unsere Form der Demokratie im wesentlichen eine Geldherrschaft ist, und zwar von Anfang an. Wenn unsere feministische Außenpolitikerin der ganzen Welt etwas von den westlichen Werten erzählt, meint sie im Grunde die Werte einer Plutokratie.

Zurück zu den Visionären: Sie brauchen den grenzenlosen unregulierten Raum. Es ist kein Wunder, dass Sie sich über den Weltraum hermachen. Auch wer in Deutschland eine Rakete in den Weltraum schießen will, muss kaum irgendwelche Vorschriften beachten:

Der Betrieb eines Schnellimbiss ist deutlich stärker reguliert als der eines Raumfahrtunternehmens.

Visionäre wie Elon Musk sind r-Strategen.

Kontrollverlust

Ich bin kein Fachmann für das, was ich hier schreibe. Aber ich darf wählen, wie Sie auch. Ich muss also versuchen, mir einen Reim daraus zu machen, was die Medien mir so anbieten.

Und – hoppla! – das hat mich denn doch stutzig gemacht. In Der Standard lese ich

Elon Musks Satelliteninternet Starlink ermöglicht es ukrainischen Militärs seit Kriegsbeginn, ihre Kommunikationskanäle offenzuhalten.

Musk wird mit diesen Worten zitiert

Auch wenn Starlink immer noch Geld verliert und andere Unternehmen Milliarden an Steuergeld erhalten, finanzieren wir die Ukraine einfach weiter kostenlos.

Was mich hier weniger interessiert, sind die Motive, die Elon Musk dazu bringen, die Ukraine zu unterstützen oder auch nicht. Was ich für ungeheuerlich halte ist, dass hier ein superreicher Privatmann kriegswichtige Entscheidungen treffen kann. Das ist Politik ohne parlamentarische Kontrolle.

Ich halte diese Vorgänge für sehr schwerwiegend und wundere mich, dass sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk praktisch nicht vorkommen.

THINK. It’s not illegal yet

Allmählich wird für jedermann sichtbar, wohin uns die Demokratie führt. Am 13. Februar dieses Jahres schrieb das Handelsblatt:

Der Internetdienst Starlink gilt als wichtige Technologie für die Ukraine, um dem russischen Angriffskrieg standzuhalten. Doch jetzt sorgt eine Nachricht des Betreibers SpaceX für Aufsehen: Demnach will das Unternehmen von Elon Musk die militärische Nutzung des Internetdienstes einschränken. Konkret soll es um die Steuerung von Drohnen gehen.

Auch den ÖRR hat die beunruhigende Nachricht inzwischen erreicht. Die Tagesschau meldet:

Tech-Milliardär Elon Musk hat nach eigenen Angaben einen ukrainischen Angriff auf die russische Schwarzmeerflotte in der Hafenstadt Sewastopol verhindert. Er habe einen Antrag der ukrainischen Regierung abgelehnt, das Satelliten-Kommunikationssystem Starlink seiner Firma SpaceX in der Region zu aktivieren

Offenbar hat erst die Veröffentlichung von Isaacson dafür gesorgt, dass der ÖRR auf diese brisante Sache aufmerksam wird. Die Erosion der Demokratie wird immer noch nicht thematisiert.

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Aiwanger, Trump und die Demokratie

Die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schultasche Hubert Aiwangers von vor etwa 36 Jahren zeigt uns, wie verwundbar die Demokratie ist.

Die Affäre

Der Affäre wurde von Radio, Fernsehen und Presse ausgiebig dargestellt. Eine Wiederholung erübrigt sich. Was mich bewegt hat, ist die Frage, warum dieses Flugblatt erst jetzt, nach 36 Jahren, in der Politik eine Rolle spielt. Der Bayerische Rundfunk bringt ein wenig Licht in die Angelegenheit. Was bleibt, ist die Frage: Warum gerade jetzt? Noch wichtiger ist mir jedoch, was wir aus dem Umgang der Verantwortlichen mit den vorliegenden Fakten lernen können.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder stellte seinem Vizepräsidenten Hubert Aiwanger 25 Fragen. Diese Fragen und die Antworten hat die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht. Die Antworten Aiwangers enthalten kaum Neues und viele Erinnerungslücken. Auch spricht er öffentlich von einer Hexenjagd. Im Ergebnis stellt sich Markus Söder auf die Seite seines Stellvertreters und entscheidet sich für die Beibehaltung der Koalition.

Wie reagiert die Öffentlichkeit?

Die öffentliche Reaktion darauf ist für Söder wenig schmeichelhaft und für Aiwanger vernichtend. Ich greife eine Stimme aus meinem Bekanntenkreis heraus:

Aiwangers Antworten auf die 25 Fragen des bayerischen Ministerpräsidenten sind ein Witz. Denn da steht ja eigentlich nur: ich erinnere mich nicht, ich weiß es nicht, ich war es nicht. Zur Aufklärung dieser Flugblatt-Affäre trägt er nichts bei. Aber es reicht für Markus Söder[…] Und ich sehe nur ein Argument, nämlich dieses: ich bin an der Macht und will an der Macht bleiben, koste es, was es wolle.

Dem kann ich gut zustimmen. Aber – hoppla! –, dann kommen mir doch Zweifel. Vor allem Charlotte Knobloch hat mich ins Grübeln gebracht. ZEIT ONLINE berichtet: Charlotte Knobloch

hält an ihrer Kritik an Aiwanger fest – stellt sich aber hinter Markus Söder.

Knobloch bekräftigte, dass Söders Entscheidung politisch zu akzeptieren sei.

Sie äußerte die Befürchtung, dass Aiwanger die Situation im Falle einer Entlassung für sich ausgenutzt und damit Erfolg gehabt hätte. Dies wäre aus ihrer Sicht die größere Katastrophe gewesen.

Demokratie tendiert zur Selbstzerstörung

Demokratie heißt Volksherrschaft (John Locke). Aber das Volk ist manipulierbar (Gustave Le Bon). Werbung und Propaganda sind unverzichtbare Zugaben (Edward Bernays). Es entsteht ein verhängnisvoller Rückwirkungsprozess. Die Demokratie droht, sich selbst zu zerstören.

Das Rezept, dem die Aiwangers und Trumps dieser Welt folgen, ist einfach: Wähle eine emotional aufgeladene Geschichte in deinem Sinne. Stelle sie als Behauptung in den Raum und wiederhole sie unablässig. Das ist die Holzhammer-Methode, die vor allem von Werbeleuten immer wieder gern genommen wird (Beispiel: Pflaster für den Darm).

Sowohl Trump als auch Aiwanger erzählen die Geschichte einer Hexenjagd, deren Opfer sie seien. Belege dafür bleiben sie schuldig. Solche Erzählungen können die Demokratie zerstören, denn offenbar finden sie viele Anhänger unter den Bürgern, die mit dem Staat nicht zufrieden sind. Diese zerstörerische Gewalt wurde sichtbar bei der Erstürmung des Capitols am 6.1.2021 und bei der versuchten Stürmung des Bundestags am 29.8.2020.

Was folgt daraus?

Wir können schlecht den Machthabern ihr Machtstreben ankreiden, sollten aber dafür sorgen, dass die richtigen an die Macht kommen.

Söder ging es möglicherweise auch darum, einen Ausweg aus dem Schlamassel zu finden. Er hat wohl verstanden, dass Trumps Methode funktioniert: Hexenjagd-Erzählungen haben mit den Verschwörungstheorien gemeinsam, dass sie selbstimmunisierend sind: Vom Hexenjäger wie vom Verschwörer wird erwartet, dass er der Erzählung widerspricht. Widerstand, Widerspruch und gar Ausgrenzung sprechen für die Erzählung. Das könnte es sein, was Markus Söder vermeiden will. Und um Machterhalt geht es selbstverständlich auch. (Absatz korrigiert am 7.9.23)

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Wer ist Barbie?

Barbie habe ich kennengelernt, da war ich 11 Jahre alt. Damals hieß sie noch Lilli. Mein täglicher Schulweg führte an ihrem Geburtsort vorbei, der Puppenfabrik Hausser. Sie wanderte ein paar Jahre später in die USA aus und änderte ihren Namen. Durch den Umzug nach Amerika wurde sie leider nicht schöner.

Diese Puppe ist unzweifelhaft eine deutsche Erfindung. Ihre wesentlichen Merkmale sind der schräg angeschnittene Hals, so dass die Puppe bei Drehung des Kopfes ihn kokett neigt, und die exakt nach vorne abknickenden Beine. Da wir in den prüden 50er Jahren sind, darf diese junge Dame beim Hinsetzen natürlich nicht die Beine spreizen, wie jede Babypuppe damals. Sie bleiben züchtig geschlossen.

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Wachstum: r- und K-Strategen

Wachstum ist eine sehr erfreuliche Angelegenheit. Es ist erhebend, wenn es im Frühjahr grünt und blüht. Der Wirtschaftsliberale übernimmt dieses Bild gern: Fortschritt und Wachstum sind unabdingbar für das Streben des Menschen nach Glückseligkeit. Letzteres wird ihm von der Verfassung als unveräußerliches Recht zugestanden, unter anderem in der Präambel der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776:

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.

Bevor wir uns die Konsequenzen dieser Verheißung anschauen, werfen wir einen Blick auf Wachstumsprozesse.

Populationsdynamik

Im Frühstadium von Lebewesen oder Güterproduktion haben wir es oft mit exponentiellem Wachstum zu tun. Ein gern genommenes Lehrbeispiel ist die Kaninchenaufgabe des Leonardo von Pisa (1170-1240), genannt Fibonacci: Ausgehend von einem Kaninchenpaar kommt nach je zwei Monaten für jedes Paar ein weiteres Paar hinzu. Monat für Monat ergibt sich so eine Population von 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 usw. Kaninchenpaaren. Jede Zahl ergibt sich aus der vorhergehenden durch Multiplikation mit einem Faktor. Dieser Faktor strebt mit der Zeit gegen den Grenzwert Φ = 1,61803398874989… Auf lange Sicht gesehen wächst die Population also Monat für Monat um eine Zuwachsrate von r ≈ 61,8%. Die Zuwachsrate steht für exponentielles Wachstum.

Aber egal, ob es eine Bakterienkultur in einer Petrischale, eine Tierart in freier Wildbahn oder ein krankmachendes Virus ist: Es gibt für das Wachstum einer jeden Population Grenzen, die jeweilige Kapazität K des Lebensraums. Je näher die Grenze rückt, umso kleiner wird die Zuwachsrate aufgrund knapper werdender Nahrungsmittel.

Nur das Geld auf der Bank scheint sich diesem Gesetz zu entziehen. Bei einer Geldanlage mit reinvestiertem Zins scheint das Kapital über jede Grenze hinaus wachsen zu können. Dafür gibt es aber Inflation und Finanzkrisen (zuletzt 2008 in dem USA und 2010 in Europa).

Interessant wird die Sache, wenn mehrere Populationen um einen Lebensraum konkurrieren (Wilson 2000). Als Beispiel wähle ich Birke und Buche.

Die Birke ist ein typischer r-Stratege, der hauptsächlich in die Fortpflanzung, also in ein möglichst großes r investiert, um einen neuen Lebensraum schnell erobern zu können. Arten mit kleinerem r werden verdrängt.

K-Strategen erzeugen demgegenüber nur wenige Nachkommen, die dafür besser versorgt und behütet werden können. Die Ressourcen werden also in die Überlebensfähigkeit einiger weniger Individuen investiert. Das zahlt sich aus, wenn die Population sich der Kapazitätsgrenze K nähert. Als Beispiel nehmen wir die Buche. Sie hat einen starken hohen Stamm und ein dichtes Blätterdach. Das nimmt unter anderem der Birke das für Wachstum nötige Licht.

So in etwa könnte die Entwicklung der Populationen eines r-Strategen (N1) und eines N-Strategen (N2) aussehen, die sich einen gemeinsamen Lebensraum teilen müssen:

Konkurrenz der Arten

Quelle: Umweltsimulation mit Tabellenkalkulation. Konkurrenz der Arten (Excel-Blatt).

Recht auf Wohlstand und Wachstum

Ab nun folge ich den Linien des Büchleins Wachstum von 2022 und beginne mit dem Plädoyer pro Wachstum von Katja Gentinetta. Ihr Anliegen ist die stete Steigerung des Lebensstandards, und das sei ohne wirtschaftliches Wachstum nicht denkbar. Ihr Leitbild ist der r-Stratege.

Sie verschweigt nicht, dass das Wirtschaftswachstum problematische Nebenwirkungen zeitigt. Aber gerade der Kapitalismus sei lernfähig und schaffe die Voraussetzung, die entstandenen Schäden zu beheben. Den vom Club of Rome postulierten „Grenzen des Wachstums“ setzt sie entgegen: „Der Kuchen wird größer“ (S. 25).

Für sie hat der Mensch „ein Recht auf Wachstum“. Wie er zu seinem Recht kommt, erklärt sie so: Wirtschaftliche Entwicklung sei nichts anderes als der Versuch, vorhandene Dinge und Kräfte neu zu kombinieren. Grenzen des Wachstums könne es aus Prinzip nicht geben, vielmehr entstünden aus neuen Kombinationen neue Produkte, bestehende Produkte in neuer Qualität, neue, effizientere Produktionsmethoden, vielleicht unter Einbeziehung neuer Rohstoffe, Industriezweige. Ihre Leitidee ist, dass die Unternehmen produzieren, was der Konsument will.

Sie blendet aus, dass es diesen souveränen Konsumenten gar nicht gibt. Die Bedürfnisse der Konsumenten sind heutzutage vor allem Ergebnis der Propaganda. Die Werbung ist Basis alles modernen Wirtschaftens, wie man mit Facebook, Twitter, Amazon leicht selbst in Erfahrung bringen kann.

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Apropos Menschenrechte

Es drängt mich, zu meinem letzten Artikel diese recht persönliche Bemerkung nachzutragen.

Es ist in Ordnung, wenn wir uns innerstaatlich für die Menschenrechte einsetzen, so wie wir sie kennen. Das Problem entsteht erst, wenn wir diese Auffassung missionierend nach außen tragen. Unsere Außenministerin, Anna-Lena Baerbock sollte feinfühliger an die Sache herangehen.

Die Rede von der Universalität der Menschenrechte ist Metaphysik und in diesem Sinne vergleichbar mit Christi Himmelfahrt – Glaubenssachen eben. Es gibt Humanisten, die singen sogar Gospelsongs für die Menschenrechte. Auf mich wirkt das wie europäischer Imperialismus, den wir eigentlich hinter uns haben sollten.

Zwei Wissenschaftlerinnen haben sich gefragt, wie die Annahmen der europäischen Aufklärung über die Grenzen Europas hinaus befördert werden können.

Die Autorinnen stehen offenbar in der Tradition der Frankfurter Schule mit ihrer kritischen Theorie (Horkheimer, Adorno). In neuer Ausprägung hat die Critical Theory zum Putsch in der GWUP geführt.

Es hat übrigens ziemlich lange gebraucht, bis die Relevanz dieser Theorie bis zu mir durchgedrungen ist. Da die wissenschaftlichen Standards im Sinne von Karl Raimund Popper in dieser Theorie nicht so recht wirksam sind, läuft unter kritischer Theorie auch so manch Abseitiges.

Ich war lange Zeit Wahrheitssucher. Für mich gab es eine Zeitenwende, weg vom (mir kaum bewussten) Universalismus, hin zum (seither offen bekannten) Relativismus. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich mich, Kant und Popper folgend, über die Unhaltbarkeit der Realitätsvorstellung als Basis des Wissens hinweggetäuscht, indem ich sie zum regulativen Prinzip erklärte. Ein unnötiger Handstand.

Der Relativismus ist nicht gefeit vor Übertreibungen. Deshalb sind hier Skeptiker besonders gefragt.

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Die offene Gesellschaft: Trump, Netanjahu, Orban, Weidel kommen nicht überraschend

Im Jahr 1955 wars. Die Mutter stand mit den Kindern auf dem Bahnhof einer oberfränkischen Kleinstadt. „Wir bleiben jetzt im Westen“, sagte sie. Eine gute Nachricht für den Jungen, der die Gängeleien in der Schule und die DDR-Propaganda ziemlich satt hatte.

Die Wertschätzung der Freiheit zieht sich seither durch sein Leben und er kann Joachim Gauck gut verstehen, wenn dieser sich leidenschaftlich zu seinem großen Lebensthema Freiheit äußert.

Etwas Grundsätzliches macht sich bemerkbar

Einen Knacks bekam die Begeisterung für die Freiheit, als der Junge merkte, dass es beim Metzger zwar viele Wurstsorten gab, sogar Aufschnitt mit Gesichtern, dass alles aber so ziemlich gleich fad schmeckte – anders als die ihm von früher bekannte Knackwurst.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Das ist die Losung der französischen Revolution von 1789. Sie grundiert die westlichen Verfassungen. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) steht unter Artikel 1 Freiheit, Gleichheit, Solidarität:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 der USA bezieht sich noch deutlicher auf das individuelle Wohl:

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.

Die ökonomische Freiheit sorgt in Demokratien für wirtschaftliche Ungleichheit und die scharfe Trennung zwischen Arm und Reich. Geld regiert die Welt. Ein Großteil der Macht geht an die Superreichen wie Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg. Anders als beabsichtigt, entzieht so die Demokratie dem Volk die Macht.

Knackpunkt Gewaltenteilung

Wir Europäer sehen das Vertrauen in die Demokratie schwinden. Und jetzt zeigen uns auch noch die Vereinigten Staaten von Amerika, wie verletzlich die westliche Leitkultur ist.

Dort ist man ja besonders stolz auf die Gewaltenteilung, die Checks and Balances, und gerade darin schwächelt das System. Eigentlich sollten ja die Richter unabhängig von der gesetzgebenden und von der ausführenden Gewalt sein. Und da stellt sich ein ganz grundsätzliches Problem: Wer ernennt die Richter? Und wer definiert ihre Befugnisse? Die Ernennung der Richter des Supreme Courts der USA war schon immer eine Sache der gerade im Senat herrschenden Partei und ihres Präsidenten und folglich grundsätzlich konfliktträchtig.

Freie geheime allgemeine Wahlen

Ein weiteres vielleicht noch gravierenderes Problem ist die Infragestellung des gewaltlosen Machtwechsels, die ihr Symbol in der Erstürmung des Capitols am 6. Januar 2021 gefunden hat. Für Adam Przeworski ist die Möglichkeit des gewaltfreien Machtwechsels das einzige unverzichtbare Merkmal einer Demokratie.

Der Aufruhr wird von vielen Kennern der wirtschaftlichen Ungleichheit in den USA zugeschrieben. Der Gini-Index in den USA liegt dauerhaft bei etwa 40%. In Deutschland und in weiteren europäischen Ländern sind es 30%. Von der Machtballung bei den Superreichen hatten wir es schon.

Ich frage mich, ob diese Ereignisse wirklich außerordentlich oder ob sie dementgegen sogar in der Demokratie selbst angelegt sind. Eine „offene Gesellschaft“ (Karl Raimund Popper) ist eben verletzlich.

Kritische Punkte

Schauen wir in den freiheitlich-demokratischen Verfassungen einmal nach, inwiefern ihre Stärken zugleich ihre Schwachpunkte sind, an denen sie ausgehebelt werden können.

In der Constitution of the United States in Artikel II Section 3 finden wir den Pferdefuß: Der Präsident

shall have Power, by and with the Advice and Consent of the Senate, to make Treaties, provided two thirds of the Senators present concur; and he shall nominate, and by and with the Advice and Consent of the Senate, shall appoint Ambassadors, other public Ministers and Consuls, Judges of the supreme Court …

Ich finde es bedenklich, dass ein solches Präsidialsystem auf die deutschen Hochschulen übertragen worden ist. Die wechselseitige Kontrolle der Institutionen wird so außer Kraft gesetzt.

Ein Blick nach Israel zeigt, dass dort die Erosion der Demokratie durch eine sogenannte Justizreform vorangebracht werden soll.

In der Bundesrepublik ist die Gefahr des Missbrauchs von Richterernennungen geringer: Art. 94 des Grundgesetzes sieht vor, dass die Bundesver­fassungsrichter je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Eine echte Gewaltenteilung ist das aber auch nicht.

Übrigens: Der Föderalismus ist ein Element der Gewaltenteilung und in diesem Sinne von den Alliierten dem Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee (1948) vorgegeben worden. Das sollten die heutzutage erstarkenden Föderalismuskritiker bedenken.

Fazit

Die Demokratie kann nur bestehen, wenn es gelingt, genau die Leute mit Macht auszustatten, deren Herz für die offene Gesellschaft schlägt. Dafür müssen wir aber selber sorgen.

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Wo steckt der Fehler?

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
1.Kor 13, 1

Im Forum Mathematik & Physik stellte ich das Spaghetti-Problem zur Debatte und erhielt als ersten Kommentar: „Ist halt nen Klassiker und deshalb eher langweilig.“ Nun ja, nicht jeder kennt alle Klassiker. Und die Sache wird interessant, wenn man sich nicht für irgendeine Lösung, sondern für eine möglichst elegante interessiert. Dann kann man auch über Klassiker diskutieren.

Lernen aus den Fehlern

Noch ein Klassiker, von dem man viel lernen kann: das Buch „Wo steckt der Fehler?“ von Walther Lietzmann (1953). In der Einleitung schreibt Lietzmann:

Das Landläufige ist doch wohl, der Lehrer berichtigt im mündlichen Unterricht die Fehler seiner Schüler, streicht sie in den schriftlichen Arbeiten an und lässt sie verbessern, zumeist aber, ohne die günstige Gelegenheit zu Vertiefung in die Einsicht, warum nun das richtig und dies falsch ist, auszunutzen. Mir will scheinen, eine Theorie und Praxis der Fehlerauswertung verdiente einmal eine gründliche Untersuchung.

Diese Einsicht liegt auch meinem System der Denkfallen zugrunde.

Wer nun meint, er haben nicht genügend viele Anfängerfehler greifbar, dem kann neuerdings geholfen werden. ChatGPT komponiert seine Texte aus Bausteinen, die er einem riesigen Textfundus entnimmt. Darin ist einiges Richtiges und viel Falsches. Soweit ich erkennen konnte, lässt ChatGPT kaum einen Anfängerfehler aus.

Für das Lernen aus den Fehlern schlage ich vor, eine Rätselaufgabe, ob altbekannt oder neu, dem System ChatGPT zur Lösung aufzugeben. Diese Lösungsvorschläge kann man dann nach Fehlern durchforsten und gegebenenfalls berichtigen. Wie das geht, zeige ich an dem einfachen Problem „Das erste Ass“.

Das erste Ass

Ein gut durchmischter Kartenstapel mit 52 Karten und vier Assen wird nacheinander Karte für Karte aufgedeckt. Wie viele Karten muss man im Mittel aufdecken, bis das erste Ass kommt?

Erster Lösungsversuch ChatGPT (GPT-3.5)

Um die durchschnittliche Anzahl von Karten zu berechnen, die aufgedeckt werden müssen, bis das erste Ass erscheint, verwenden wir das Konzept der sogenannten „geometrischen Verteilung“. Die geometrische Verteilung beschreibt die Anzahl der unabhängigen Versuche (hier das Aufdecken einer Karte), die benötigt werden, bis zum ersten Erfolg (hier das Erscheinen des ersten Asses). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Karte ein Ass ist, beträgt 4/52, da es 4 Asse in einem Stapel von 52 Karten gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Asskarte bei der ersten Karte erscheint, ist daher 4/52. Die Wahrscheinlichkeit, dass das erste Ass bei der zweiten Karte erscheint, ist (48/52) * (4/52) (d.h., die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Karte keine Asskarte ist, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, dass die zweite Karte eine Asskarte ist). Allgemein beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass das erste Ass bei der k-ten Karte erscheint: P(ass bei der k-ten Karte) = (48/52)^(k-1) * (4/52)

Fehler: Die Wahrscheinlichkeit, dass die k-te Karte ein Ass ist, unter der Vorbedingung, dass bis dahin kein Ass vorkam, lässt sich nicht durch ein einfaches Potenzgesetz darstellen.

Die erwartete Anzahl von Karten, die aufgedeckt werden müssen, bis das erste Ass erscheint, ist das sogenannte „Erwartungswert“ und wird wie folgt berechnet: E(X) = Σ [k * P(ass bei der k-ten Karte)], wobei die Summe über alle möglichen Werte von k (1 bis unendlich) läuft.

Fehler: Es sind nicht unendlich viele Positionen für das erste Ass möglich, sondern nur 1, 2, 3, … ,49. Die Summenformel für endlose geometrische Progression ist nicht anwendbar.

E(X) = Σ [k * (48/52)^(k-1) * (4/52)] Glücklicherweise existiert eine Formel, um den Erwartungswert der geometrischen Verteilung zu berechnen: E(X) = 1 / P(ass bei der 1. Karte) E(X) = 1 / (4/52) = 13 Also muss man im Mittel 13 Karten aufdecken, bis das erste Ass erscheint.

Nach Korrektur der Vorbedingung und bei Berücksichtigung der Endlichkeit der Summe kommt man mit einem Tabellenkalkulationsprogramm auf den richtigen Wert: 10,6.

Zweiter Lösungsversuch ChatGPT (GPT-3.5)

Um die durchschnittliche Anzahl der aufgedeckten Karten zu berechnen, bis das erste Ass erscheint, müssen wir den Erwartungswert verwenden. Bevor wir fortfahren, lassen Sie mich Ihnen eine wichtige Eigenschaft erklären: Die Wahrscheinlichkeit, dass die erste Karte ein Ass ist, beträgt 4/52, da es insgesamt 4 Asse und 52 Karten im Stapel gibt. Nun, wenn die erste Karte kein Ass ist (was mit einer Wahrscheinlichkeit von 48/52 passiert, da es 48 Karten gibt, die keine Asse sind), dann wiederholen wir den gleichen Prozess mit den restlichen Karten, jedoch mit einer Karte weniger im Stapel (nur noch 51 Karten, da die erste Karte aus dem Spiel ist). Der Erwartungswert dafür ist jedoch um 1 erhöht, da wir bereits eine Karte aufgedeckt haben. Lassen Sie uns das oben Gesagte mathematisch darstellen: E(X) = (48/52) * (E(X) + 1) + (4/52) * 1

Das E(X) auf der linken Seite der Gleichung ist ein anderes als das in der runden Klammer. Ich habe keine Idee, wie man diesen Ansatz zum Funktionieren bringen könnte.

Jetzt lösen wir nach E(X) (dem erwarteten Wert) auf: E(X) = (48/52) * E(X) + 48/52 + 4/52 E(X) – (48/52) * E(X) = 52/52 (1 – 48/52) * E(X) = 1 (4/52) * E(X) = 1 E(X) = 1 / (4/52) E(X) = 13 Also muss man im Durchschnitt 13 Karten aufdecken, bis das erste Ass erscheint.

Ein falsches Ergebnis, wie zu erwarten war.

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